Y-Quadrant
An Bord der Cordelia
16. Tag des Monats Manao im Jahr 7067 Federationszeit
Amano saß in der Bar über seinen Drink gebeugt und starrte Löcher in die Luft. Er hatte die Nacht in einem der Offiziersquartiere übernachtet und am Morgen einen neuen Versuch gestartet, mit Charly in Ruhe zu reden, doch sie hatte ihm nur an den Kopf geworfen, dass sie ihn im Moment weder zu sehen noch zu sprechen wünschte. Also war er wieder in der Bar gelandet. Kurze Zeit später war auch Kordan erschienen und saß ihm nun in ähnlich schlechter Verfassung gegenüber.
„Wahre Krieger seid ihr mir“, hörte Amano plötzlich eine spöttische Stimme sagen und sah ruckartig von seinem Drink auf. Auch Kordan war aus seiner Trance erwacht und starrte die Erscheinung an, die sich vor ihrem Tisch aufgebaut hatte.
„Mann, der Kirilian-Rum hat es aber heute in sich. Jetzt hab ich schon Halluzinationen“, nuschelte Kordan.
„Wow!“, meinte Amano. „Ich hab auch Halluzinationen. Ich sehe deine Gefährtin vor mir stehen.“
„Du siehst sie auch?“, fragte Kordan und blinzelte.
Die Gestalt schnaubte und stemmte die Hände in die Hüften.
„Wirklich großartig, Herr General. Wenn jetzt jemand das Schiff angreift, dann muss die Crew ohne ihren General und ohne Captain auskommen, weil die beiden Hohlköpfe sich besinnungslos gesoffen haben.“
„Das scheiß Schiff ist mir scheißegal“, murmelte Kordan. „Ohne meine Kleine ist eh alles … scheißegal. Sie verlässt mich und dann bin ich allein. Wenn ich sie zurück zu, wo immer sie auch herkommt, gebracht habe, dann spreng ich mich mit dem scheiß Schiff in die Luft. Bummm!“
„Wirklich wunderbar, Herr General. Und was ist, wenn sie gar nicht zurückwill, zu, wo auch immer sie herkommt?“
„Will sie aber“, beharrte Kordan. „Sie hasst mich, weil ich ihr Lust verschafft habe. Keine Ahnung, warum. Vielleicht mögen die Frauen von da, wo auch immer sie herkommt, keinen Sex.“
„Und meine will keine fünf Junge“, mischte sich Amano ein. „Was auch immer das bedeuten soll. Meine Kleine hasst mich nicht. Sie hat Angst vor mir.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Noch nie hab ich einer Frau was getan. Ich weiß nicht, warum sie Angst hat vor mir.“ Er seufzte.
Amano spürte eine Hand auf seinem Arm und zuckte zusammen. Es war Lory und er hatte sie wirklich gespürt. Dann war sie keine Einbildung. Ihre rechte Hand lag auf seinem Arm, während sie ihre linke auf Kordans Arm platziert hatte.
„Du bist keine Halluzi...?“, stammelte Kordan.
„Nein, Kordan. Ich bin real.“
„Aber wie …?“
„Baby, glaubst du, eine kleine Kette kann mich halten, wenn ich wirklich raus will?“
Kordan sah sie nur verdattert an und schüttelte erneut den Kopf.
„Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich nicht zurück zur Erde will. Ich hab auf die falschen Leute gehört und dir keine wirkliche Chance gegeben, mir zu erklären, was es mit dem Beißen und der Droge auf sich hat. Ich hab überreagiert. Es tut mir leid.“
Kordan schwieg. Auch Amano brachte kein Wort hervor, sondern sah Lory mit offenem Mund an. Wenn sich nur nicht alles so drehen würde vor seinen Augen.
„Will... willst du mich am Ende gar nicht mehr?“, stotterte Lory. „Ich meine, vielleicht bin ich deiner nicht wert, so wie ich an dir gezweifelt habe und ...“
Kordan schnitt ihr das Wort ab, indem er sie an sich riss und küsste. Amano seufzte. Er sah zurück auf seinen Drink. Schien so, als ob Kordans Beziehung gerettet wäre. Doch seine Charly würde ihm nie vergeben. Er fühlte sich elend.
„Möchtest du, dass ich mit ihr reden?“, riss Lory ihn aus seinen trüben Gedanken. „Ich weiß, wo das Problem liegt, und wenn ich mit ihr rede, kann ich es wahrscheinlich klären.“
Er sah zu ihr auf. Meinte sie das ernst?
„Würdest du das tun?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Natürlich. Ich geh jetzt gleich zu Charly und bring das in Ordnung. Dann komm ich mit ihr hierher.“
Amano nickte. Er hoffte, sie wusste, was sie tat.
***
Charly saß in der Dunkelheit. Sie fühlte sich furchtbar.
„Charly?“, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme.
„Lory? Bist du das?“, fragte sie.
„Ja, ich bin's“, versicherte ihre Freundin. „Was geht hier vor sich? Warum sitzt du im Dunkeln und warum zum Teufel hast du die Bude so aufgeheizt? Das ist ja wie in einer Sauna hier drin.“
„Ich bin hier. In dem Sessel vor dem Kamin. Und ich sitze im Dunkeln, weil mir danach ist, und ich hab das Feuer angemacht, weil es mich beruhigt, okay?“
Charly hörte, wie Lory näher kam und sich ihr gegenüber setzte, doch sie blickte nicht auf. Eine Weile schwiegen sie beide. Charly war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mit jemandem zu reden, und dem Verlangen nach Einsamkeit.
„Hat Kordan dich nicht eingesperrt?“, fragte sie schließlich.
„Er hatte mich ans Bett gekettet“, erwiderte Lory trocken.
„Du machst Witze“, stieß Charly entsetzt hervor.
„Nein, kein Witz. Er hat extra eine Vorrichtung an der Wand anbringen und eine Halsschelle für mich anfertigen lassen.“
Charly starrte Lory entgeistert an.
„Aber wie bist du dann hierhergekommen?“
Lory grinste.
„Nagelfeile“, sagte sie triumphierend.
„Nein! Das hat funktioniert?“
„Wie du siehst.“
„Doch es hat ja trotzdem keinen Zweck“, sagte Charly traurig. „Wir sind auf einem Schiff mitten im Nirgendwo und unser Rückfahrticket hat sich wohl diesmal endgültig erledigt.“
„Ellyod hat uns angelogen“, sagte Lory.
„Welche Lügen hat er uns erzählt?“, wollte Charly wissen. Sie war sich immer noch nicht sicher, wer hier eigentlich die Bösen und die Guten waren. Woher sollten sie wissen, wer log und wer die Wahrheit sagte?
„Das, was Kordan und Amano betrifft“, beantwortete Lory ihre Frage. „Hör mir gut zu, ich hab dir was zu erzählen, danach wirst du es besser verstehen.“
„Okay.“
„Also, wie gesagt, hatte Kordan mich anketten lassen, nachdem ich ihn auf alle erdenkliche Weise beschimpft und bedroht hatte. Heute kam er dann auf einmal an und verkündete, dass er uns zur Erde bringen würde. Er wollte zu irgendeinem Astronomen, der uns helfen sollte, die Erde zu lokalisieren.“
„Was? Sie bringen uns nach Hause?“
„Warte! Er verkündete also, er würde mich zur Erde zurückbringen. Ich fragte ihn, warum. Er sagte, weil er mich zu sehr lieben würde, um damit zu leben, dass ich ihn hasste. Dann stürmte er aus dem Zimmer. Schließlich habe ich mich mit der Nagelfeile befreit und mich auf die Suche nach ihm gemacht. Ich fand ihn mit Amano in der Bar. Sie waren beide sturzbetrunken und dachten, sie würden halluzinieren. Sie dachten, ich wäre nicht real, also plapperten sie munter alles aus. Beide waren vollkommen fertig und haben mir ihr Herz ausgeschüttet. Charly, ich glaube, dieser Ellyod hat uns ganz schön aufs Glatteis geführt. Ich denke, das mit der Droge ist nicht so, wie er gesagt hat. Es scheint nur eine Art von luststeigerndem Hormon zu sein. Und dass du fünf Junge bekommst, die dich umbringen, ist totaler Unsinn. Ich bin gekommen, um dich zu bitten, Amano noch eine Chance zu geben. In der Bar sitzen zwei große Jungs mit Liebeskummer. Einer davon liebt dich.“
Charly schwieg. Tränen rannen über ihre Wangen und sie schluchzte leise auf. Plötzlich war Lory an ihrer Seite und setzte sich auf die Lehne ihres Sessels.
„Hey!“, sagte Lory beruhigend. „Wein doch nicht. Es wird alles gut. Wir alle haben ein wenig überreagiert. Wir können das alles wieder geraderücken. Du wirst sehen. Wir fliegen zurück nach Karrx7 und lassen uns von unseren Männern auf Händen tragen. Du kannst nicht sagen, dass Amano dich nicht tierisch verwöhnt hat, als wir noch auf Karrx7 gewesen waren?“
Charly schüttelte den Kopf. Was sollte sie nun glauben?
„Ich … ich weiß nicht … Ich bin so … durcheinander.“
„Das verstehe ich. Mir geht es genauso. Es ist nur, dass ich es gewohnt bin, mit Problemen umzugehen. Ich hab so viel Scheiß hinter mir, dass ich ein ziemlich dickes Fell bekommen hab. Was nicht bedeutet, dass der eine oder andere Stich nicht doch durchgeht.“
„Es … es ist nur so, dass ich … Amano ist der erste Mann nach langer Zeit, dem ich wieder vertraut habe. Dann plötzlich musste ich denken, dass alles nur eine Lüge war, und jetzt ist wieder alles … alles anders herum und ich komme da nicht mehr mit. Meine Gefühle fahren Achterbahn und ich weiß überhaupt nichts mehr.“
„Niemand sagt, dass du alles überstürzen musst, aber ich denke schon, dass es gut wäre, wenn du jetzt mitkommst und mit Amano redest. Ihm geht es wirklich dreckig.“
„Okay“, stimmte Charly schließlich schniefend zu.
„Erst einmal gehst du ins Bad und spritzt dir ein wenig Wasser ins Gesicht. Komm.“
Lory erhob sich und streckte Charly eine Hand entgegen. Charly ergriff sie und ließ sich von ihrer Freundin auf die Beine ziehen. Sie umarmten sich kurz, ehe sie im Bad verschwand.
Ihr Herz klopfte, als sie in den Spiegel blickte. Mit den verquollenen Augen sah sie wirklich furchtbar aus. Sie ließ kaltes Wasser in das Becken laufen und wusch sich das Gesicht. Es tat gut und klärte den Kopf. Als sie sich das Gesicht getrocknet hatte und wieder in den Spiegel sah, gefiel sie sich schon viel besser.
Deutlich ruhiger und zaghaft lächelnd, ging sie zu Lory zurück.
„Können wir?“, fragte ihre Freundin.
„Ja, gehen wir.“
Die beiden Männer wirkten erleichtert, als sie die Bar betraten. Amano erhob sich umständlich und leicht wackelig aus seinem Sitz, als er sie herankommen sah. Wortlos warf sich Charly in seine Arme und er hielt sie fest umschlungen. Sie bemerkte nur am Rande, wie Kordan sich vorsichtig erhob und mit Lory den Raum verließ.
„Charly“, murmelte Amano. „Es tut mir so leid.“
„Nein!“, schluchzte sie. „Mir tut es leid. Ich war so dämlich, dass ich an dir gezweifelt habe. Bitte verzeih mir.“
„Lass uns die Sache vergessen“, schlug er vor und sie nickte.
„Küss mich“, flüsterte sie.
Mehr Aufforderung brauchte er nicht. Mit einem Aufstöhnen riss er sie fester an sich und verschloss ihren Mund mit seinem.