Kapitel 5


Y-Quadrant, Karrx7

Königlicher Palast der Arr'Carthian

07. Tag des Monats Manao im Jahr 7067 Federationszeit


Seit dem Besuch der Königin hatte sie Amano kaum zu Gesicht bekommen. Er hatte sich wieder ein anderes Quartier gesucht, wie auf dem Schiff. Zuerst war sie darüber sehr froh gewesen, doch nun fing sie an, ihn zu vermissen. Um ihre einsamen Stunden zu füllen, hatte sie sich Keela angeschlossen und am Sprachunterricht von Solima teilgenommen. Was konnte es schon schaden, sich ein paar Kenntnisse über die Sprache ihrer Gastgeber anzueignen. Auch wenn sie dank des Übersetzers in ihrem Ohr alles verstand, so interessierte es sie schon, auch mit denen reden zu können, die keinen Übersetzer im Ohr hatten, oder sogar Bücher lesen zu können. Auch wenn sie sich mit den ungewohnten Schriftzeichen noch sehr schwertat.

Heute fand die Feier zu Ehren Lorys und ihrer Rettung statt und Amano begleitete sie. Er war aufmerksam und charmant wie immer, doch er achtete sorgsam darauf, sie nicht zu berühren. Ein wenig fühlte sie sich von ihm wieder entfremdet, seit sie der Königin ihr Herz ausgeschüttet hatte. Sie sollte froh sein, dass er sensibel genug war, ihr Zeit und Abstand einzuräumen, doch seltsamerweise vermisste sie seine Nähe.

Vor einigen Minuten war er verschwunden, um ihnen neue Getränke zu besorgen. Charly stand ein wenig verloren in der Nähe der Tanzfläche. Ein plötzlicher Tumult lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Tanzfläche. Keela stand dort mit Luvoka, einem der Offiziere der Cordelia, und Marruk, dem ältesten der beiden Prinzen. Marruk schien sehr wütend zu sein, beinahe rasend. Er holte zum Schlag gegen den Offizier aus und Charly hörte Keela entsetzt aufschreien. Luvoka schüttelte sich nur und grinste. Blut lief ihm aus dem Mund. Er wischte es sich lässig mit dem Handrücken ab und trat einen Schritt näher an Marruk heran. Beide Männer verhielten sich wie vor einem Boxkampf, wenn die beiden Kontrahenten sich gegenseitig niederstarrten, bevor sie endlich aufeinander losgingen. Charlys Herz schlug schneller.

„Ich dachte, die Kleine interessiert dich nicht“, hörte sie Luvoka sagen. „Solange du sie nicht für dich beanspruchst, ist sie noch zu haben. Also, was soll die Aufregung?“

Marruk knurrte und schickte ihn mit einer Serie von harten Schlägen zu Boden. Auf dem Rücken liegend, sah Luvoka grinsend zu Marruk hoch. 

„Hiermit beanspruche ich Keela vom Planeten Erde als meine Gefährtin“, verkündete Marruk für alle hörbar.

Charly schlug sich eine Hand vor den Mund. Dass ein Mann der Carthianer einfach seine Gefährtin beanspruchen konnte, war eines der Dinge, die ihr, seit sie unter ihnen lebte, nicht behagten. Auch wenn sie es sonst hier wie in einem Märchen fand.

Plötzlich hob Marruk Keela auf und warf sie sich über die Schulter. Keela schrie protestierend auf und Charly mit ihr, wenn auch gedämpft. Die Szene kam dem, was sie damals erlebt hatte, zu nah. Sie war einfach sensibel, was das Thema betraf.

„Lass mich runter!“, forderte Keela mit schriller Stimme. „Lass mich verdammt noch mal runter. Du … du Neandertaler!“

Marruk ließ sich nicht beirren und stürmte mit seiner Beute von der Tanzfläche. 

„Gute Arbeit, Bruder!“, rief Berka seinem Bruder zu.

Gelächter und zotige Sprüche begleiteten Marruk und Keela, ehe sie im Inneren des Palastes verschwunden waren. Charly hatte genug gesehen. Sie wandte sich hastig ab und lief davon.


***


Amano kehrte mit den Drinks zu der Stelle zurück, wo er Charly stehen gelassen hatte. Sie war nicht mehr da. Er sah sich um und konnte sie nirgendwo entdecken. Wo mochte sie sein? Beunruhigt stellte er die Gläser auf einem Tisch ab und begab sich nach drinnen. Dort suchte er seine Gemächer ab, doch sie war nicht zu finden.

„Ceyla. Wo ist Lady Charly?“, fragte er.

„Sie befindet sich im Garten“, antwortete der Computer. „Bei der Fontaine.“

„Danke, Ceyla“, antwortete Amano erleichtert. 

Er eilte aus dem Palast und wechselte in die Gestalt seines Geparden. Auf leisen Pfoten lief er durch das Gras, doch als er bei der großen Fontaine ankam, war sie nicht mehr da. Er schnüffelte den Boden ab, bis er ihren Geruch wahrnahm. Sie konnte nicht mehr weit sein. Aufgeregt setzte er sich in Bewegung.


***


Charly blickte zu den funkelnden Sternen hinauf. Der Himmel war so klar, dass sie mühelos unzählige von ihnen sehen konnte. Sie funkelten, als wäre der Himmel mit Diamantsplitter übersät. 

„Es ist schön, nicht wahr?“, vernahm sie eine Stimme hinter sich.

Erschrocken wandte sie sich um. Amano stand da und sah sie an. Ihre Blicke trafen sich und sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Ihr wurde bewusst, dass sie sich weit vom Palast entfernt hatte und man sie hier wahrscheinlich nicht hören würde.

„Warum bist du einfach weggelaufen?“, fragte er, ohne näher zu kommen. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Ich ... Es ...“, begann sie unsicher. „Wegen ... wegen Keela.“

„Wegen Keela?“, fragte er verständnislos. „Was hat Keela damit zu tun?“

„Nun ja, wie Marruk sie ... sie weggeschleppt hat ... Erst Kordan, dann Marruk ... Wer weiß, ob nicht ... Ich meine ... Nächstes Mal bist es vielleicht du und ...“

„Du hast immer noch Angst vor mir“, stellte er fest. „Ich dachte, wir wären uns nähergekommen die letzten Tage. Ich habe dich nicht bedrängt, habe woanders geschlafen und ...“ Er schüttelte den Kopf. „Wann wirst du aufhören, vor mir wegzulaufen?“, fragte er und sie meinte, Schmerz in seiner Stimme zu hören.

„Ich weiß es nicht“, sagte sie leise.

„Lass mich dich wenigstens in deine Gemächer bringen. Hier laufen zwar keine Gewalttäter herum, doch ich würde mich trotzdem wohler fühlen, wenn ich dich sicher in deinem Bett wüsste. Es ist spät.“

Sie nickte und mied seinen Blick, als sie auf ihn zuging. Kurz vor ihm blieb sie stehen. Ihr Herz klopfte wild und ein Teil von ihr wollte sich gern in seine Arme schmiegen. Wollte die Sicherheit finden, die er versprach. Doch sie konnte es nicht. Ihre Erinnerung hinderte sie. Der Tresor stand weit offen und all die finsteren Dämonen ihrer Vergangenheit waren herausgekommen, sie zu jagen.


***

„Ich weiß nicht, was ich noch tun soll“, klagte Amano sein Leid. „Ich habe mich zurückgehalten, ihr Zeit gegeben. Ich bin sogar aus meinen Gemächern ausgezogen, doch sie will sich mir einfach nicht öffnen.“

„Vielleicht ist es doch die falsche Taktik“, überlegte sein Onkel. „Vielleicht muss sie dazu gezwungen werden, dir zu vertrauen. Wenn du dich fernhältst, wird sie vielleicht nie den Schritt auf dich zu machen.“

„Ich kann ihr doch keine Gewalt antun!“, schnaubte Amano empört. „Nach allem, was sie durchgemacht hat, würde es sie nur traumatisieren.“

„Ich meine ja nicht, dass du ihr Gewalt antun sollst“, sagte der König. „Sie nur zwingen, dir zuzuhören, dich zu dulden, deine Berührung zuzulassen. Lass es mich einmal so ausdrücken. Wenn du eine wilde Pergamo-Stute hättest, die sich deiner Hand entzieht, was würdest du mit ihr tun? Würdest du eine Ewigkeit um sie herumschleichen und hoffen, dass sie sich dir eines Tages von allein nähert?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Amano. „Ich würde sie an einen Pfahl anbinden und an meine Stimme und meine Nähe gewöhnen. Dann an meine Berührungen und schließlich daran, mein Gewicht zu tragen.“

„Sieh!“, sagte sein Onkel.

„Aber ich kann Charly doch nicht wie eine Stute an einen Pfahl binden!“

„Natürlich nicht!“, erwiderte der König genervt. „Aber kannst du denn daraus keine Lehre ziehen? Junge, denk nach!“

„Du meinst, ich soll sie an mein Bett binden?“

„Natürlich nicht die ganze Zeit. Aber für ihre Lektionen.“

„Verstehe. Ich befürchte nur, dass es sie zu sehr verstören könnte. Außerdem würde sie den ganzen Palast zusammenschreien und ihre Freundinnen würden ihr sicher zu Hilfe kommen.“

„Es wird Zeit, dass du nach deinen Besitzungen siehst. Nimm sie mit.“ 

Amano nickte nachdenklich. Vielleicht hatte sein Onkel recht. Er würde Charly wahrscheinlich nie dazu bringen können, freiwillig zu ihm zu kommen. Sie war verunsichert, misstrauisch. Er musste sie vielleicht wirklich zwingen, ihm zu vertrauen.

„Gut. Wir reisen morgen früh ab“, sagte er schließlich. „Danke für den Rat.“

Der König nickte nur und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Was denkst du gerade?“, fragte Amano.

„Ich musste gerade an deine Tante denken. Wie ich sie damals ...“ Er kicherte. „Oh, sie war ein wildes Ding. Auch sie wollte mich nicht an sich heranlassen. Nicht aus Angst natürlich, doch war mein Problem ähnlich wie deins.“

„Sag nicht, du hast Tante Moreena an dein Bett gebunden?“, fragte Amano grinsend.

Der König lächelte verschmitzt. 

„Und es hat geholfen?“

„Natürlich. Oder wie meinst du, bin ich zu meinen Söhnen gekommen?“

Amano erhob sich. Er hoffte, dass er genauso viel Erfolg haben würde wie sein Onkel. Natürlich war es ein Unterschied, ob man eine verschreckte Stute, die durch schlechte Hände gegangen war, zähmte oder einen Wildfang. Doch er war jetzt zuversichtlicher als vor dem Gespräch.


***


„Was soll das heißen: Wir reisen ab?“, fragte Charly entsetzt. 

„Ich war schon zu lange fort von Zuhause. Ich muss dringend nach dem Rechten sehen“, erklärte Amano ruhig.

Charlys Herz hämmerte wild. Das konnte nicht sein Ernst sein. Für sie war es völlig undenkbar, mit ihm zu gehen. Hier fühlte sie sich sicher, doch wenn sie erst mit ihm allein war, dann ... Nicht auszudenken, was er vielleicht alles mit ihr anstellte.

„Das verstehe ich ja“, sagte sie. „Aber ich muss doch da nicht mit!“

„Charly“, sagte er leise seufzend. „Ich kann dich nicht hierlassen. Du kannst freiwillig mit mir kommen oder ich muss dich zwingen. Wir hatten diese Frage schon einmal, nicht wahr? Also, wirst du mitkommen, ohne dass ich dich zwingen muss?“

Charly wandte sich ab und lief aufgebracht im Raum auf und ab. Warum musste er das jetzt tun? Gerade jetzt, wo sie langsam anfing, ihm zu vertrauen? Sie war noch nicht so weit, mit ihm irgendwo allein zu sein. Hier im Palast waren so viele Menschen und sie hatte ihre Freundinnen und die Königin.

„Wie lange?“, fragte sie und blieb vor dem Fenster stehen.

„Ich weiß nicht. Vielleicht für eine Woche oder auch länger. Je nachdem, wie lange ich brauche.“

„Brauche für was?“

„Ich habe ... Dinge zu erledigen.“

„Dinge“, sagte sie leise. „Sehr aufschlussreich.“

„Hör mal, Charly. Wenn du dir Gedanken machst, dass wir allein sein würden ... Ich habe ein ganzes Haus voller Dienstboten. Es ist ein großes Haus und wir haben dort einen wunderschönen Garten und ...“

„Okay!“, unterbrach sie ihn ärgerlich und wandte sich um. „Ich komme mit. Aber nur, weil du mich ohnehin zwingen würdest!“


Der Flug im Gleiter verlief schweigend. Charly sah stumm aus dem Fenster. Sie musste zugeben, dass Karrx7 ein wunderschöner Planet war. Sehr viel Wald, dazwischen Berge und hin und wieder kleine Ortschaften in den Tälern. Sie sah den vor ihnen liegenden Tagen mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits mochte sie Amanos Nähe und sein Charme blieb bei ihr nicht ohne Wirkung. Andererseits machte es ihr Angst. Besonders wenn sie daran dachte, dass er früher oder später mehr von ihr wollte. Er hatte ihr bisher keinerlei Anlass gegeben, zu glauben, dass er fähig wäre, ihr wehzutun, dennoch konnte sie einfach nicht aus ihrer Haut.

„Wir sind gleich da“, durchbrach Amano die Stille.

„Okay“, erwiderte Charly lahm. Sie hasste diese angespannte Situation. Zum ersten Mal, seit er sie gerettet hatte, fragte sie sich, wie es zwischen ihnen sein könnte, wenn sie damals nicht vergewaltigt worden wäre. Sie wusste, dass Amano charmant war, und er hatte Humor. Er hatte einen anbetungswürdigen Körper und sie war sicher, dass er ein begnadeter Liebhaber war. Doch leider waren alle seine offensichtlichen Talente bei ihr vergeudet. Sie war keine Frau, die dies schätzen konnte. Sie seufzte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt.

„Ja“, erwiderte sie. „Ich bin nur ... müde, das ist alles.“

„Du kannst dich gleich ausruhen.“

Ein großes Haus kam in Sicht. Es erinnerte sie ein wenig an diese alten Südstaatenhäuser mit runden Säulen und einer Veranda, die sich um das ganze Haus herum zu ziehen schien.

„Ist es das?“, fragte sie.

„Ja, das ist unser Haus“, sagte er mit deutlichem Stolz in der Stimme.

Unser?

Ihre Blicke trafen sich.

„Du bist meine Gefährtin. Es ist jetzt dein Zuhause“, erklärte er fest.

Charly erwiderte nichts. Sie schluckte den bissigen Kommentar hinunter, der ihr auf der Zunge lag, und Amano blickte wieder nach vorn. Er setzte zur Landung an und sie konnte sehen, wie ein paar Leute, offensichtlich seine Dienstboten, sich dem Landeplatz näherten. Sie warteten in sicherem Abstand, bis der Gleiter auf dem Boden aufgesetzt hatte und der Motor zum Stillstand gekommen war.