Kapitel 7


Das Essen verlief schweigend und Charlys Herz klopfte die ganze Zeit wie verrückt. Hin und wieder warf sie Amano verstohlene Blicke zu. Wenn er sie dabei erwischte, errötete sie und wandte hastig den Blick ab. Dennoch konnte sie nichts dagegen tun, dass ihr Blick erneut in seine Richtung gehen würde. Eine Sehnsucht machte sich in ihrem Inneren breit und sie konnte nicht einmal sagen, wonach sie sich eigentlich sehnte.

„Möchtest du noch etwas trinken?“, durchbrach er die Stille.

Sie blickte von ihrem Teller auf. Er hielt die Karaffe mit Gejee, einem Wein aus Gej-Beeren, ähnlich den irdischen Brombeeren, in der Hand und sah sie abwartend an.

Sie nickte und er schenkte ihr nach. Der Wein war süffig, doch er schien keinen hohen Alkoholgehalt zu haben, denn sie spürte keinerlei Wirkung, und dabei hatte sie bereits drei Gläser getrunken.

„Wie war dein Tag?“, fragte er scheinbar beiläufig, doch sie spürte seinen prüfenden Blick auf sich ruhen.

„Okay“, antwortete sie vage.

„Bist du mir noch böse?“

Sie starrte auf das Glas in ihrer Hand. Was sollte sie antworten? War sie noch böse auf ihn? War sie es überhaupt gewesen? Sie konnte es nicht sagen. Sie war verwirrt, vielleicht auch verärgert, doch war es schwer, zu bestimmen, ob sie böse auf ihn war oder auf sich selbst. Sie war verunsichert wegen der widerstreitenden Gefühle in ihrem Inneren. Seine Nähe stellte seltsame Dinge mit ihr an und wenn er nicht in ihrer Nähe war, dann hatte sie das Gefühl, dass etwas fehlte. Ergab das einen Sinn?

Sie schüttelte den Kopf, ohne sich bewusst zu sein, dass er dies als Antwort auf seine Frage deuten würde.

Er erhob sich.

„Komm“, sagte er leise. „Es wird Zeit für deine nächste Lektion.“

„Was?“, fragte sie und sah zu ihm hoch. „Was hast du vor?“

„Nichts, wovor du dich fürchten müsstest“, antwortete er sanft. „Lass uns dies nicht zu einem Kampf zwischen uns machen. Komm bitte mit. Freiwillig.“

Sie erhob sich, doch sie mied seinen Blick. Mit einem flauen Gefühl im Magen folgte sie ihm hinauf zu ihrem Zimmer. Ihre Wachen hatten schon lange ihren verdienten Feierabend gemacht. Amano war jetzt ihre Wache.

„Setz dich bitte auf das Bett“, sagte er, als er die Tür hinter ihnen schloss.

„Amano, bitte ...“, begann sie unbehaglich.

„Ich habe nicht vor, dir wehzutun, Charly. Setz dich.“

Sie tat, was er sagte, doch sie konnte nichts dagegen tun, dass sie vor Unsicherheit zitterte. Er folgte ihr zum Bett.

„Gib mir deine Hände.“

„Bitte, kannst du mich nicht einfach ... lassen? Ich ...“

„Ich kann nicht, Charly, und ich werde dir auch gleich erklären, warum. Doch jetzt gib mir bitte deine Hände.“

Er fesselte ihre Hände, doch diesmal ließ er die Kette so lang, dass sie ihre Hände in den Schoß legen konnte. Er trat ein paar Schritte zurück und sah sie an.

„Ich werde mich jetzt ausziehen, doch ich werde dich nicht anfassen. Ich werde dir weder Gewalt antun noch irgendetwas Sexuelles mit dir anstellen. Alles, was ich will, ist, dir zu beweisen, dass es an mir nichts Erschreckendes gibt. Nichts, wovor du dich fürchten müsstest.“

Charly wandte hastig den Blick ab, als er sein Shirt über den Kopf zog. Der Anblick seiner breiten Brust war zu verwirrend und viel zu intim. Sie konnte nicht glauben, was hier passierte. Sie sah seine Bewegungen aus den Augenwinkeln und wusste, dass er sich weiter entkleidete.

„Sieh mich an, Charly“, sagte er rau und sie kniff die Augen zusammen.

„Ich kann nicht.“

Sie hörte ihn näher kommen, dann spürte sie etwas Kaltes an den Händen.

„Hier! Nimm das“, sagte er und sie öffnete die Augen, um auf das Messer zu starren, das er ihr in die Hand drückte.

„Was?“, fragte sie verstört, bemüht, seinen nackten Körper nicht anzusehen.

„Ich habe gesagt, dass ich dir keine Gewalt antun werde. Sollte ich lügen, hast du die Waffe. Ich will, dass du mir vertraust. Selbst dann, wenn du gefesselt und hilflos bist, hast du von mir nichts zu befürchten. Ich würde dir nie wehtun, Charly. Sobald ich dir zu nahe komme, stich zu.“ 

Er trat ein paar Schritte zurück.

„Und jetzt sieh mich an.“

Ihre zitternden Finger schlossen sich fest um den Griff der Klinge. Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Ihr Magen schien sich verknotet zu haben und sie fühlte sich schwindlig.

„Charly!“

Sie öffnete die Augen und starrte ihm auf die Füße. Ihr Blick glitt langsam an einem Paar muskulöser, leicht behaarter Beine hinauf. Hastig und mit hochroten Wangen übersprang sie die mittlere Partie seines Körpers und blieb an einem unglaublichen Waschbrettbauch hängen. Sie spürte eine prickelnde Hitze in ihrem Unterleib und schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, ließ sie ihren Blick weiter wandern. Seine breite Brust war leicht behaart und wirkte so verdammt männlich. Sie hatte schon andere, gut gebaute Männer gesehen. Im Sportklub, am Strand, in Filmen. Doch nie hatte der Anblick eines Mannes so verrückte Dinge mit ihrem Körper angestellt.

„Charly“, flüsterte er rau. „Alles in Ordnung? Sieh mich an.“

Sie hob den Blick und sah in seine warmen braunen Augen.

„Ich komme jetzt zu dir“, sagte er ruhig. „Rück ein Stückchen, denn ich werde mich jetzt zu dir setzen.“

Ihre Augen weiteten sich und sie biss sich nervös auf die Lippe.

„Ich werde nichts tun, okay? Ich werde dir erklären, warum ich dies tue. Warum ich etwas tun muss.“

Sie nickte schwach und rückte etwas beiseite.

Er kam näher und setzte sich. Sie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte, also starrte sie auf das Messer in den Händen.

Er atmete tief ein und aus, ehe er zu reden anfing.

„Ich muss dir etwas erklären. Etwas über die Carthianer“, begann er. „Wenn ein Carthianer auf seine Gefährtin trifft, dann weiß er sofort, dass es die Richtige ist. Es gibt keinen Zweifel daran. Wenn ein Mann bei uns mit seiner Gefährtin intim wird, beißt er sie und injiziert ein Hormon, das luststeigernd wirkt. Dieses Hormon wird erst dann produziert, wenn ein Mann auf seine Gefährtin trifft. Ich bin keine Jungfrau, Charly. Ich hatte andere Frauen vor dir, doch keine war die Richtige. Mein Körper hatte keine Notwendigkeit, das Hormon zu produzieren. Es wird erst in dem Moment produziert, wenn ein Mann seine Gefährtin gefunden hat.“

Charly hörte wie gebannt zu. Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte, und sie wusste auch nicht, warum er es ihr erzählte und worauf er hinauswollte.

„Das Problem an der ganzen Sache ist, ...“, erzählte er weiter. „... dass dieses erste Hormon, das für die erste Vereinigung bestimmt ist, eine besondere Zusammensetzung hat. Es ist harmlos für die Frau, doch es wird zum tödlichen Cocktail für den Mann, wenn er es nicht nutzen kann.“

Charly blickte erschrocken auf und starrte ihn an.

„Du meinst tödlich wie in: Es bringt dich um, wenn du mich nicht beißt?“

Er nickte.

„Du verarschst mich“, sagte sie unsicher. „Es ist nur ein Trick, um mich ...“

„Nein, es ist kein Trick“, widersprach er. „Es dauert bei jedem Mann unterschiedlich lang, bis es kritisch wird. Es kann Wochen dauern oder auch nur Tage. Es ist nicht auf einen Schlag tödlich. Die ersten Symptome sind Rastlosigkeit und Kopfschmerzen. Danach kommen Krämpfe, Lähmungserscheinungen und schließlich Kreislaufkollaps. Die ersten beiden Symptome habe ich seit heute.“

Charly schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das heißt, wenn wir nicht ... dann ...?“

„Ich habe noch immer etwas Zeit“, sagte er. „Kein Grund, dass wir die Dinge überstürzen. Aber ich habe nicht ewig Zeit. Deswegen musste ich die Dinge in die Hand nehmen. Ich weiß, dass du Angst hast, und nichts liegt mir ferner, als dir wehzutun. Du brauchst nicht zu befürchten, dass ich jetzt über dich herfallen werde. Ich bitte dich nur zuzulassen, dass du dich an mich gewöhnst. Meine Nähe, meine Berührung. Langsam.“

„Kannst du das Hormon nicht irgendwie anders loswerden?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Er lachte, doch es klang eher verzweifelt, denn belustigt.

„Ich bin keine Schlange, die man melken kann“, sagte er. „Es funktioniert nur, wenn ich sexuell stimuliert bin. Mein Körper lässt sich nicht betrügen. Es muss während des Aktes passieren, sonst wird mein Körper einfach neues Hormon produzieren.“

„Das ist echt ziemlich ... krass“, sagte Charly schließlich. „Ich meine, ich hab ja schon gehört, dass es für manche Männer ziemlich unangenehm werden kann, wenn sie keinen ... ähm ... keinen Druck ablassen können, aber dass man davon gleich ...“

„Das Problem liegt in dem Hormon, nicht in meinem Schwanz“, sagte er trocken. „Das ist nicht dasselbe.“

„Am Ende ist es doch dasselbe“, beharrte sie. „Ich muss mit dir schlafen, sonst ... sonst ...“

„Charly“, unterbrach er sie sanft. „Ich habe dir das nicht erzählt, damit du glaubst, dass du etwas musst. Ich würde mich dir niemals aufdrängen. Ich würde dir niemals Gewalt antun, das habe ich dir schon gesagt. Ich bitte dich nur, mir eine Chance zu geben. Nichts weiter.“

„Aber du stirbst, wenn wir nicht ...“

Sie konnte nicht weitersprechen. Sie war viel zu durcheinander. Amano sah sie ruhig an.

„Du würdest ... Nein, das würdest du nicht tun, oder?“

„Was?“, fragte er, ohne den Blick von ihr zu lösen.

„Du würdest nicht einfach zulassen, dass du stirbst, nur weil ich nicht ...“

„Charly“, sagte er leise. „Du verstehst nicht. Du ... du bedeutest die Welt für mich. Ich würde alles tun, damit du glücklich bist. Wenn ich denken würde, dass ich dich nicht glücklich machen kann, dann würde ich lieber sterben. Und ganz bestimmt würde ich dir nie ein Leid antun, nur um mein eigenes Leben zu retten. Ich könnte dir nie wieder unter die Augen treten. Ich könnte mich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen. Ist das für dich so schwer zu begreifen, dass jemand dich liebt? Mehr liebt als das eigene Leben?“

Sie starrte ihn aus großen Augen an. Meinte er das ernst? Sie konnte es nicht glauben. Sie hatte ihm keinerlei Grund gegeben, sie zu lieben. Sie war nichts als abweisend zu ihm gewesen. 

Er streckte seine Hände aus und löste ihre Fesseln. Ihr Puls beschleunigte sich, als seine Finger dabei über ihren Handrücken strichen.

„Amano, ich ... ich hab Angst“, sagte sie leise.

„Ich weiß“, gab er flüsternd zurück. „Deswegen gehen wir es Schritt für Schritt an. Ich will dich nur ansehen. Darf ich dich entkleiden? Ich berühre dich nirgendwo, wo es ...“

„Du verstehst mich falsch“, unterbrach sie ihn. „Ich habe keine Angst davor, dass du mir wehtust. Ich weiß, dass du das nicht tun wirst. Ich habe Angst, dass ich ... dass ich versage. Dass ich kurz davor feststelle, dass ich es doch nicht kann.“

„Ich kann jederzeit aufhören. Es wird schwer sein, aber ich kann es. Ich werde es. Das verspreche ich dir. Aber für heute werden wir es gar nicht versuchen. Du bist noch nicht so weit. Ich möchte dich nur ansehen. Darf ich?“

Charly errötete. Doch schließlich nickte sie.

Amano erhob sich vom Bett und streckte ihr die Hand entgegen. Ihre Blicke verschmolzen miteinander. Zögernd legte sie ihre kleinere Hand in seine große. Er zog sie langsam hoch, bis sie vor ihm stand. Das Blut rauschte laut in ihren Ohren und sie befürchtete, dass die Beine unter ihr nachgeben würden. Ihr Atem kam stoßweise.

„Es ist okay“, sagte er heiser. „Es wird nichts passieren. Ich werde jetzt die Verschnürungen von deinem Kleid lösen. Darf ich?“

Sie nickte stumm.

Amano ging langsam um sie herum, bis er hinter ihr stand. Sie spürte, wie seine Hände sich an den Bändern zu schaffen machten, die das Kleid hinten zusammenhielten, doch er berührte sie nicht, wie er versprochen hatte. Sie meinte seinen Atem auf ihrer Haut zu spüren, als das Kleid hinten aufglitt, und ein Schauer lief über ihren Leib. Langsam zog er den Stoff von ihren Schultern hinab, bis das Kleid an ihr abwärts zu Boden glitt. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog. Sie war nur noch mit einem Höschen und ihrem BH bekleidet. Würde er die auch ...?

„Du bist so wunderschön“, raunte er hinter ihr. 

Es machte sie nervös, dass sie ihn nicht sehen konnte. Ihr wurde bewusst, dass sie beide jetzt mehr oder weniger nackt waren, doch sie vertraute ihm. Sie spürte erneut seine Finger, wie sie den Verschluss ihres BHs öffneten, und auch dieses Stück Stoff glitt zu Boden.

„Dreh dich um“, bat er mit belegter Stimme.

Sie hielt schützend die Hände vor der Brust verschränkt, als sie seiner Bitte nachkam. Er streckte eine Hand nach ihrer Wange aus und hielt kurz davor inne. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

„Darf ich?“, raunte er.

„Ja“, wisperte sie.

Sanft legte sich seine Hand an ihre Wange. Sie konnte ihren Blick nicht von seinen Augen lösen. Nie hatte ein Mann sie so angesehen. Sein Daumen strich zart wie ein Schmetterlingsflügel über ihren Mundwinkel und sie erzitterte unter seiner Berührung. Wie von selbst legte sich ihre Hand auf seine Brust. Das Gefühl seiner warmen Haut und der leicht rauen Haare unter ihrer Handfläche jagte wie ein Schock durch ihren Leib. Sie konnte seinen Herzschlag spüren, der so schnell und heftig war wie ihr eigener. Sein Gesicht näherte sich ihr wie in Zeitlupe. Schmetterlinge begannen in ihrem Bauch Mambo zu tanzen, als ihr bewusst wurde, dass er sie küssen würde. Noch bis vor Kurzem hätte diese Erkenntnis dazu geführt, dass sie sich schreiend von ihm gelöst hätte. Doch jetzt hüpfte ihr das Herz in der Brust und ihre Lippen öffneten sich leicht in Erwartung dessen, was da kommen würde.

„Charly“, stöhnte er und sprang von ihr zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. „Es ... es tut mir leid. Ich habe für einen Moment ... Verdammt! Ich ...“

Sie stand da wie erstarrt. Ihre Hand prickelte noch immer, wo sie ihn berührt hatte, und sie versuchte zu begreifen, was hier geschah. Sie sah, wie er nach seiner Hose griff und sie hastig anzog. 

Mit einem heiseren „Wir sehen uns beim Frühstück.“ floh er aus dem Zimmer und die Tür schlug hinter ihm zu. Das Geräusch riss sie aus der Starre. Langsam ließ sie die Hand sinken.

„O. Mein. Gott!“, brachte sie mühsam hervor. „O mein Gott!“


***


Amano floh aus dem Haus, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Um ein Haar hätte er sie geküsst. Was war nur in ihn gefahren? Sie hatte begonnen, ihm zu vertrauen, und er hätte es beinahe zerstört, nur weil er sich nicht kontrollieren konnte. Er hatte ihr versprochen, es langsam anzugehen. 

„Verdammt!“, fluchte er und lief mit großen Schritten auf den Stall zu. Er würde einen Ritt zum See machen. Das kalte Wasser würde ihn vielleicht weit genug abkühlen, dass er wieder klar denken konnte.

Im Stall war es dunkel, doch seine Katzenaugen brauchten kein Licht. Er sattelte seinen Lieblingshengst und führte ihn ins Freie. 

„Wir machen einen kleinen Nachtritt, mein Guter“, sagte er und schwang sich auf den Rücken des Tieres. Das Horn des Pergamos begann vor Freude zu leuchten. Bereitwillig setzte sich das Tier in Bewegung und bald preschten Reiter und Tier durch die dunkle Nacht davon.


***


Charly stand am Fenster und sah dem dunklen Schatten, von dem sie wusste, dass es Amano auf einem seiner Pergamos war, hinterher. Sie sollte erleichtert sein, dass Amano einen kühlen Kopf bewahrt und sein Versprechen eingehalten hatte. Doch das war nicht der Fall. Stattdessen verspürte sie eine seltsame Leere und sie konnte an nichts anderes mehr denken als an den Beinahekuss und das Gefühl seiner nackten Haut unter ihrer Hand.

„O mein Gott, Charly, du bist total kaputt!“, schalt sie sich.

Sie wandte sich vom Fenster ab und lief unruhig im Zimmer hin und her. Ihr Blick fiel auf das Messer, das auf dem Bett lag. Die Erinnerung an das, was er ihr erzählt hatte, kam ihr zu Bewusstsein. Sie konnte das noch immer nicht glauben. Würde er wirklich sterben? Sie konnte sich ja mittlerweile langsam mit dem Gedanken anfreunden, mit ihm zu schlafen. Doch sich beißen lassen war etwas vollkommen anderes . Sie war nicht unbedingt ein Fan von diesen Vampirgeschichten und diese ganze Sache mit dem Beißen und Bluttrinken. Nun ja, Amano hatte nichts davon gesagt, dass er ihr Blut trinken würde, sondern er würde ihr ein Hormon injizieren. Doch das erforderte noch immer diesen Part mit dem Beißen. Allein der Gedanke, dass seine Zähne sich in ihr Fleisch graben würden, verursachte ihr eine Gänsehaut. Allerdings keine der angenehmen Sorte. Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Auf keinen Fall wollte sie, dass er sterben musste, nur weil sie so ein verdammter Hasenfuß war. Wie gingen andere Frauen damit um? Sie wünschte, sie hätte davon eher gewusst. Dann hätte sie Lory fragen können. Die Szene von ihrer Freundin und Kordan in der Cafeteria an Bord der Cordelia kam ihr wieder ins Gedächtnis. Lory hatte nicht so ausgesehen, als wäre etwas Unangenehmes an der ganzen Sache dran. Allerdings war die FBI-Agentin eine toughe Frau. Eine ganze Menge tougher als sie selbst.


***


Charly erwachte aus einem Traum, der sie unruhig und frustriert zurückließ. Es war kein Albtraum gewesen. Sie hatte von Amano geträumt. Sie waren sich immer wieder begegnet und seine Nähe hatte sie zittrig und atemlos gemacht, doch immer wenn seine Lippen sich den ihren näherten, war er ihr entglitten. 

Sie versuchte eine Weile, wieder einzuschlafen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Nachdem sie sich eine halbe Stunde unruhig in dem großen Bett hin- und hergeworfen hatte, schwang sie schließlich genervt die Beine aus dem Bett. Sie würde sehen, ob sie in der Küche ein Glas Milch bekommen würde. Vielleicht half ihr das beim Einschlafen. Sie zog sich einen leichten Mantel über, der aus einem seidenähnlichen Stoff gemacht war, und verließ das Zimmer. 

Der Flur war sanft beleuchtet. Sie fand den Weg die Treppe hinab bis zur Küche ohne Mühe. Den Kühlschrank, der eher wie ein Kühlregal eines Supermarkts aussah, beleuchtete ein grünliches Licht und sie entdeckte den Krug mit Milch auf Anhieb. 

Nachdem sie sich zwei Gläser Milch gegönnt hatte, naschte sie noch ein verführerisch aussehendes Törtchen mit einer süßen Cremefüllung und leckte sich die Finger danach ab. Sie war bereit, es noch einmal mit dem Schlaf zu versuchen. Sie fühlte sich jetzt müde genug und wie zur Bestätigung musste sie gähnen. Sie wandte sich um und durchquerte die Küche. Mit müden Augen öffnete sie die Tür und rannte prompt gegen ein großes Hindernis.

Das Hindernis entpuppte sich als ein Mann. 

„Charly“, erklang Amanos erstaunte Stimme.

Sie sah zu ihm hoch. Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie spürte seinen Blick auf sich. Ihr Herz schien bei ihrem Zusammenstoß einen Aussetzer gehabt zu haben und holperte jetzt wieder im Takt.

„Amano“, kam es flüsternd über ihre Lippen. „Ich ... ich konnte nicht schlafen und da habe ich ... ein Glas Mil...“

Weiter kam sie nicht, denn seine Lippen verschlossen ihren Mund. Er umfasste ihre Taille mit seinen Händen und zog sie dichter an seinen harten Körper heran. Sie bemerkte, dass seine Haare tropften, und sein Shirt klebte feucht an seinem Körper. Ihre Hände legten sich auf seine Brust und sie spürte seinen galoppierenden Herzschlag. Ein Knurren erklang und ließ seinen Brustkorb vibrieren.

Erschrocken riss sie sich von ihm los und starrte ihn an.

„Charly“, sagte er gequält. „Es ... es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Verzeih mir. Ich ... ich fasse dich nicht wieder an. Bitte vergib mir. Ich ...“

Diesmal war es Amano, der nicht weiter kam, als sie ihm den Mund mit ihren Lippen verschloss.

„Charly“, murmelte er.

„Amano, ich will es“, raunte sie zwischen fiebrigen Küssen. „Bitte. Liebe mich.“

Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und sah sie prüfend an. 

„Wirklich? Bist du dir sicher?“, fragte er.

Sie nickte.

„Ich muss es wissen, denn ich muss dir sagen, dass ich nicht mehr dafür garantieren kann, dass ich wirklich aufhören kann, wenn ich jetzt ...“

„Ich bin mir sicher“, sagte sie und drängte sich an ihn. „Bitte. Ich weiß, dass ich dich brauche. Amano.“

Mit einer fließenden Bewegung hatte er sie auf seine Arme gehoben und eilte die Stufen mit ihr hinauf. Charly klammerte sich an ihn. Ihr Gesicht ruhte an seiner Brust und sie atmete seinen Geruch ein. Ihr Blut fuhr Achterbahn in ihrem Leib und sie fühlte sich schwindelig. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch waren wieder da und ein aufgeregtes Prickeln in ihrem Unterleib ließ sie leise aufstöhnen. Er betrat mit ihr das Schlafzimmer, die Tür hinter sich zukickend. Vorsichtig legte er sie auf dem Bett ab und starrte voller Verlangen auf sie hinab. Mit wild klopfendem Herzen beobachtete sie, wie er sich hastig seiner feuchten Kleidung entledigte, bis er nackt und stolz vor ihr stand. Sie verschlang ihn mit ihren Augen. Langsam stieg er zu ihr auf das Bett. Er löste den Gurt, der ihren dünnen Mantel zusammenhielt, und jetzt war es an ihm, sie mit seinen Blicken zu verschlingen. Er half ihr aus dem Mantel und warf ihn achtlos neben das Bett. Sein Blick schien sich förmlich in ihren Leib zu brennen. Er war wie eine feurige Berührung. Trotz der Hitze, die sie empfand, bekam sie eine Gänsehaut.

„Du bist so wunderschön“, murmelte er und strich andächtig über ihre vollen Brüste bis zu ihrem flachen Bauch.

Ihre Haut kribbelte wie elektrisiert überall, wo er sie berührte. Leise aufstöhnend hob sie sich ihm entgegen. Er umkreiste ihren Nabel und strich langsam wieder aufwärts. Leicht wie eine Feder ließ er seine rauen Handflächen über ihre erregten Spitzen gleiten. Dann wiegte er ihre schweren Brüste in seinen Händen und beugte sich hinab, um eine rosige Spitze mit seinen Lippen zu umschließen. Ein glühender Blitz schoss geradewegs in ihren Unterleib, als er an der Spitze saugte. Ein protestierender Laut glitt über ihre Lippen, als er die Spitze aus dem Mund gleiten ließ. Er lachte leise und widmete sich ihrer anderen Brust, bis sie sich unruhig unter ihm zu bewegen begann.

Er ließ von ihr ab und drängte sich sanft zwischen ihre Schenkel. Er musste gespürt haben, wie sie sich versteifte, denn er sah sie prüfend an.

„Hast du Angst?“, fragte er. „Ich werde dir niemals wehtun.“

„Ich habe Angst“, gab sie zu. „Aber nicht wegen dem ... wegen dem ... Ich ... Es ist eher wegen dieser ganzen Sache mit dem Beißen und so. Als Kind wurde ich einmal gebissen. Von einem Hund. Das tat weh.“

Er lächelte und strich ihr eine verklebte Strähne aus dem Gesicht.

„Das ist nicht dasselbe“, sagte er ruhig. „Ich habe dir versprochen, dass ich dir nicht wehtun werde, nicht wahr?“

Sie nickte.

„Es ist höchstens wie ein kleiner Piks.“

„Aber wie willst du überhaupt ...? Ich meine, deine Zähne sehen ganz normal aus. Müssten sie nicht spit... spitzer sein?“

„Erschrick jetzt nicht, okay? Sieh hin!“

Er öffnete leicht den Mund und sie konnte sehen, wie seine Eckzähne wuchsen, bis sie wie die Zähne eines Raubtieres aussahen. Aber es waren nicht nur seine Zähne, die sich verändert hatten. Seine Augen waren heller geworden, hatten jetzt die Farbe von flüssigem Gold mit einer länglichen Pupille wie die einer Katze.

„Deine Augen“, sagte sie. Sie hob eine Hand und legte sie an seine Wange. Er sah noch aufregender aus als zuvor, wenn das überhaupt noch möglich war. Die seltsamen Augen gaben ihm eine unheimliche, aber faszinierende Ausstrahlung, von seinen Zähnen ganz zu schweigen.

„Küss mich“, bat sie und er kam ihrer Aufforderung sofort nach. Seine Leidenschaft stachelte die ihre erneut an und sie wehrte sich nicht, als er seinen Mund zu ihrem Hals gleiten ließ, auch wenn ihr Herz jetzt schlug wie verrückt.

„Bereit?“, fragte er heiser.

Als Antwort wandte sie den Kopf zur Seite, um ihm besseren Zugang zu gewähren. Dann spürte sie, wie seine Zähne sich gegen das weiche Fleisch an ihrem Hals pressten. Ein kurzer Schmerz wurde sofort von einem Gefühl unglaublicher Ekstase abgelöst, als er sein Hormon in ihren Blutkreislauf injizierte. Sie keuchte, als die Erregung wie flüssiges Feuer durch ihre Venen jagte. Seine Hände glitten jetzt wie im Fieber über ihren Leib und sie wand sich unter ihm. Dann spürte sie seine Härte, die sich verlangend gegen sie presste, und ungebetene Erinnerungen kamen plötzlich zurück. Sie erstarrte, gefangen zwischen dem Grauen der Vergangenheit und dem durch das Hormon verursachten Verlangen. Sie schloss wimmernd die Augen.

„Charly“, hörte sie seine eindringliche Stimme. „Ich bin es, Kleines. Niemand sonst. Sieh mich an. Bleib hier bei mir. Die Vergangenheit ist vorbei. Sieh mich an!“

Sie öffnete die Augen und starrte ihn an. Sein Anblick verschwamm mit den Bildern der Vergangenheit.

„Sag meinen Namen, Charly. Sag, wer ist hier bei dir?“

Charly erzitterte. Allein die Droge in ihrem Blut verhinderte, dass sie vollends in die Erinnerung abrutschte. Amanos besorgtes Gesicht nahm vor ihren Augen Gestalt an. 

„Ich bin hier, Charly. Sag meinen Namen“, drängte er.

„A... Amano“, flüsterte sie. „Amano.“

„Ja, Kleines. Ich bin es. Es ist alles in Ordnung.“

Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und ihre Blicke vereinten sich. Sie spürte, wie sie ruhiger wurde. Es war nur Amano. Er würde ihr nicht wehtun. Er küsste ihre Stirn, ihre Nasenspitze, Wangen, Kinn, zog eine Spur von heißen Küssen bis zu ihrem Ohr und flüsterte ihr leidenschaftliche Dinge ins Ohr. Sie konnte spüren, wie das Feuer in ihren Adern erneut aufflammte, und ihre Hände legten sich um seinen Hals.

„Amano“, wiederholte sie flüsternd.

„Wir ... wir müssen dies zu Ende bringen“, raunte er an ihrem Ohr. „Bist du bereit?“

„Ja.“

„Dann öffne dich für mich.“

Sie tat, worum er sie bat. Als er sie langsam in Besitz nahm, bohrten sich ihre Fingernägel in sein Fleisch. Ein keuchender Laut glitt über ihre Lippen und dann war er ganz in ihr. Füllte sie komplett aus. Aufstöhnend schloss sie die Augen und ließ sich fallen. Er liebte sie mit tiefen, langsamen Stößen, bis sie anfing, sich ihm ungeduldig entgegenzuwölben. Sie hörte ihn leise lachen, doch er kam ihrer Aufforderung nach und seine Bewegungen wurden schneller, heftiger, bis die Wogen der Ekstase sie über den Rand der Klippe spülten. Ihr Schrei vermischte sich mit seinem und dann schien ihre Welt zu explodieren wie bei einem Silvesterfeuerwerk.

„Bist du okay?“, fragte er kurze Zeit später. Er lag noch immer über ihr, das Gewicht auf seine Arme gestützt, und sah sie prüfend an.

„Ja, mir geht es wunderbar“, antwortete sie mit einem Lächeln.

„Me coshima nu“, sagte er rau.

„Was heißt das?“, fragte sie.

„Ich liebe dich“, erklärte er ernst und sah ihr tief in die Augen.

Ihr Herz begann erneut zu rasen. Er liebte sie? Was erwartete er jetzt von ihr? Dass sie sagte, dass sie ihn auch liebte? Sie war noch nicht so weit. Es war nicht abzustreiten, dass da etwas war zwischen ihnen, doch sie hatte noch Mühe, ihre Gefühle zu sortieren.

„Amano, ich ...“, begann sie verzagt, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen.

„Shhht!“, machte er. „Sag jetzt nichts. Es ist okay.“

Sie nickte.

Er rollte sich langsam von ihr und zog sie an sich. Sie vergrub das Gesicht an seiner Brust. Sein Geruch schien ihr bereits so vertraut. So beruhigend. Ebenso sein steter Herzschlag, der sonderbarerweise mit ihrem im Einklang zu sein schien.

„Schlaf jetzt, mene carisha“, sagte er und sie fühlte, wie ihre Augenlider schwer wurden. Seufzend schloss sie die Augen und glitt wenig später in einen ruhigen Schlaf.