23. Kapitel

Was hatte ihn zu dieser dummen Demaskierung getrieben, die an Theatralik nicht zu überbieten gewesen war? Schaut her, schöne Dame, hat Euer Herz nicht längst erraten, was die Augen noch nicht wahrhaben wollten? Lächerlich! So lächerlich wie sein Zorn darüber, dass ihr offensichtlich nichts Besseres einfiel, als zu bemerken, dass er seinen albernen Bart abgenommen hatte.

»Erobert sie für Euch, mein Freund!«, hatte Jean de Montfort ihm geraten und keinen Widerspruch hören wollen. »Ihr benötigt eine Gefährtin, die nicht in Ehrfurcht vor Euch und Eurem abenteuerlichen Ruf erstarrt. Am Tage Eurer Hochzeit mache ich Euch zum Grafen von Rospordon und Herrn von Vannes! Ihr werdet diese Dame zähmen, und sie wird Euch genügend Abwechslung bieten, damit Ihr nicht auf die Idee kommt, Euer Vergnügen anderswo zu suchen.«

»Es wäre mir das größere Vergnügen, ihre Gesellschaft zu meiden!«, hatte er widersprochen und erst kapituliert, als der Herzog ihm klargemacht hatte, dass Oliviane in diesem Falle einem anderen Seigneur zufallen würde.

»Sie benötigt einen Gatten, und wenn sie Euch nicht genügend verlockt ...«

So viel zu seinen idiotischen Vorsätzen, das Leben lieber als Salzknecht in Batz zu beenden, anstatt es in die geschmeidigen Hände dieser schönen Hexe zu legen. Was ihn jedoch trotzdem nicht davon abhielt, ihr wie ein Wachhund zu folgen, als sie das Zelt verließ und sich in Richtung des gewaltigen, urzeitlichen Steinkreises entfernte, in dessen Schutz sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Ein blasser halber Mond stand am Himmel und machte jede Fackel überflüssig. Obwohl der Wind von Zeit zu Zeit Wolken über diese Sichel jagte, war die Lichtung von kaltem, nächtlichem Licht erfüllt, das aussah, als würde es von den Steinen selbst verströmt. Sainte Croix machte einen Bogen um eine dunkle Stelle, wo das dürre Gras zu Asche verbrannt war und davon kündete, dass die einfachen Leute immer noch jener abergläubischen Mischung aus Christentum und alter Religion huldigten, die den Priestern ein Dorn im Auge war.

Er lehnte an einer der rohen Granitsäulen, als Oliviane auf ihrem Rückweg so dicht an ihm vorbeihuschte, dass er nach ihrem Arm greifen konnte.

Ein leiser Laut des Schreckens erstarb auf ihren Lippen, als sie ihn erkannte – weniger mit ihren Augen als mit ihren Sinnen. Es erinnerte sie daran, dass ihr Instinkt sie schon gewarnt hatte, als sie nur die Hand auf seine Faust gelegt hatte, um mit ihm zum Bankett zu gehen. Wie erbärmlich kurzsichtig sie doch gewesen war! Warum hatte sie nicht mehr auf ihre Gefühle gehört?

»Bereitet es Euch eigentlich Vergnügen, mich jedes Mal zu Tode zu erschrecken, wenn wir uns sehen?«, hauchte sie atemlos.

»Anscheinend fürchtet Ihr weniger die Geschöpfe der Nacht als mich!«

»Wundert Euch das? Als Landry schient Ihr mir menschlicher zu sein!«

»Was Ihr dem armen Menschen dann auch übel heimgezahlt habt!«

Oliviane hob ihr Gesicht dem Mondschein entgegen, als könnte sie aus seinem kalten Glanz Beherrschung und Kraft ziehen. Sie ahnte nicht, dass sie Hervé ein Antlitz von verzweifelter Schönheit zeigte, während sie versuchte, sich zu verteidigen.

»Woher sollte ich wissen, dass Ihr nicht der wart, der Ihr vorgabt zu sein? Ich bin keine dumme Gans, aber ich hätte nie vermutet, dass jemand so kühn sein könnte, sich in den Bau des alten Wolfes zu schleichen, um dort für die Montforts zu spionieren. Ihr selbst müsst doch fest darauf vertraut haben, dass niemand eine so absurde Idee für möglich halten würde. Andernfalls hättet Ihr diese Rolle nie gespielt, Ihr seid kein Narr. Werft Ihr mir vor, dass ich nicht klüger als alle anderen war?«

Der Umstand, dass sie die Wahrheit sagte, trug nicht dazu bei, seine Gereiztheit zu verringern. Ganz im Gegenteil.

»Hat es Euch Vergnügen gemacht, mit den Gefühlen des vermeintlich armen Teufels zu spielen, der bereit war, für Euch Kopf und Kragen zu riskieren?«

Oliviane schüttelte matt den Kopf. »Ich habe nie gelernt zu spielen, Seigneur! Meine Mutter war eine sehr fromme Frau, die mich vom ersten Tag meines Lebens an darauf vorbereitet hat, einem Orden beizutreten. Sie erschöpfte sich in einem verzehrenden Kreislauf aus Fehlgeburten und totgeborenen Söhnen. Aber erst als mein Vater fiel, wurde ich, Oliviane de Rospordon, wieder so interessant, dass mein Großvater seine ehrgeizigen Pläne mit mir verwirklichen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war ich Novizin, und auch die Tage in Sainte Anne ließen keinen Raum für Zerstreuung!«

»Wart Ihr glücklich in Sainte Anne?«

Oliviane schüttelte stumm den Kopf, während hinter ihrer Stirn die Gedanken rasten. Es gab eine Antwort auf diese Frage, aber es war eine Antwort, die sie ihren ganzen Mut kosten würde, denn sie würde sich unbewaffnet in seine Hände geben. Sollte sie das Risiko eingehen? Und wenn ja, was würde er mit der Waffe anfangen, die sie ihm in die Hand gab?

»Ich kann mich nur an wenige Stunden erinnern, in denen ich etwas empfunden habe, das ich Glück nennen würde«, raunte sie verhalten. »Eine davon in einem zugigen Söller unter dem Gegurre unwilliger Tauben, die anderen unter dem Reetdach einer bescheidenen Hütte.«

Hervé de Sainte Croix starrte sie an. Eine Ader hämmerte an seinem Hals, und wäre da nicht sein Atem gewesen, der ihre Schläfen streifte, sie hätte ihn für eine Statue halten können.

»Ihr sagt, Ihr wisst nichts von Spielen, und versucht Euch dennoch an jenem mit dem Feuer«, hörte sie ihn leise erwidern. »Ich warne Euch!«

»Wovor?«

»Vor dem billigen Versuch, mich auf so simple Weise wieder in Eure Netze zu locken. Ich begehe ein und denselben Fehler nur ein einziges Mal!«

Oliviane zuckte unter der Beschuldigung zusammen. Gleichzeitig hatte sie das eigenartige Gefühl, dass die Steine näher an sie heranrückten. Sie entdeckte in ihrer Gegenwart einen stummen Trost, einen Beistand, der es ihr ermöglichte, den eigenen Stolz zu vergessen, um die Wahrheit zu sagen. Keine Lügen mehr! Wer konnte schon sagen, wann sie jemals wieder den Mut aufbringen würde, so ehrlich mit ihm zu sprechen.

»Ich will mich nicht rechtfertigen für das, was ich getan habe, aber Ihr tragt einen guten Teil Schuld an meinen Fehlern«, entgegnete sie sanft. »Ihr rügt mich dafür, dass ich kein Vertrauen gehabt habe, aber Ihr selbst habt es auch nicht aufgebracht. Ihr seid nicht auf den Gedanken gekommen, mir in meiner Not auch nur den kleinsten Hinweis zu geben. Dachtet Ihr, ich würde Euch verraten?«

»In meiner Lage war Vorsicht angebracht«, brummte er, aber sein Tonfall bewies, dass sie mit dem, was sie sagte, nicht ganz Unrecht hatte.

»Ich denke, wir haben beide keinen Grund, einander Vorwürfe zu machen«, bot Oliviane eine Art Waffenstillstand an. »Der Befehl des Herzogs schmiedet uns für ein Jahr zusammen, aber danach werde ich nur in Vannes bleiben, wenn Ihr mich ausdrücklich darum bittet, Seigneur. Es liegt in Eurer Hand, was aus mir wird ...«

»Ich schwöre Euch ...«

»Schwört nicht!« Oliviane legte spontan ihre Fingerspitzen auf seine Lippen. »In einem Steinkreis darf man nur das schwören, was man zu halten gedenkt! Zwischen diesen Steinen herrscht eine Macht, die mehr bewirkt als menschlicher Wille!«

»Das sagt Ihr? Eine ehemalige Novizin, eine künftige Nonne? Das Inbild einer frommen Edeldame, die den Rest ihres Lebens der Gottgefälligkeit und dem Sticken von Altardecken widmen möchte?«

Oliviane spürte die spöttischen Worte unter ihren Fingerspitzen, die Bewegung der vollen Lippen, den rasch ausgestoßenen Atem. Seine Warme, seine Gegenwart, seine Stärke, all das floss über in ihre erstarrte Seele und in ihr frierendes Herz. Er musste es doch fühlen – oder etwa nicht?

»Ihr täuscht Euch in mir«, murmelte sie spröde. »Nicht einmal jetzt begreift Ihr, was in mir vorgeht. Ihr habt mich für immer verwandelt, und ich gehöre Euch, ob Ihr mich nun haben wollt oder nicht. Es ist Eure Entscheidung, ob Ihr das Herz ablehnt, das ich Euch gebe. Ich kann’s nicht ändern, und ich werde mich fügen ...«

Die Berührung ihrer Finger lähmte ihn. Seit er als kleiner Page in die Welt der Männer eingetreten war, hatte er sich nicht mehr erlaubt, Schwäche zu zeigen. Und Schwäche war es, sich danach zu sehnen, dass nicht nur diese Finger ihn berührten. Daran zu denken, wie wunderbar weich und geschmeidig sich der schlanke Frauenkörper anfühlte, wenn er sich gegen den seinen presste.

Das Verlangen, das er so mühsam unter Kontrolle hielt, unterhöhlte seine Stärke, als wäre sie nur eine Illusion. Er rettete sich in Zorn, weil er der eigenen Reaktion nicht länger traute.

»Närrisches Zeug!«, wehrte er sich gegen das zärtliche Gespinst der Verführung, in dem er sich zu verirren drohte. »Es gab nur eines zwischen uns: schlichtes, ganz normales Begehren!«

Ehe Oliviane sich bewegen konnte, hatte er sie in seine Arme gerissen und küsste sie. Er tat es bewusst fordernd, und er erwartete jeden Moment, dass sie ihm diese Beleidigung heimzahlte, dass sie sich wehrte, dass sie schrie und dass sie sich aus seiner Umarmung zu befreien versuchte.

Oliviane tat nichts von alldem. Nach dem ersten Erschrecken schmiegte sie sich nur noch enger an ihn und begegnete dem rohen Kuss mit weichen, zärtlichen Lippen. Ihre empfindsame Zungenspitze strich spielerisch über die straffen Männerlippen. Sie schmeckte den Wein, den er getrunken hatte, roch den Rauch des Feuers auf seiner Haut und spürte sein wachsendes Begehren, als er sich gegen ihren Leib drängte.

Sie erwiderte den unerwarteten Überfall mit einer Hingabe, die sie selbst erstaunte und die ihr zeigte, wie sehr sie sich nach seiner Nähe, nach seinen Zärtlichkeiten gesehnt hatte. Nie wieder wollte sie einen seiner Küsse ablehnen!

»Bei Gott! Habt Ihr den Verstand verloren?« Er gab sie ebenso plötzlich frei, wie er sie an sich gerissen hatte. Heftig um Atem ringend, zog er sich von ihr zurück und strich sich mit einer ärgerlichen Bewegung durch das dichte dunkle Haar. »Seit wann lasst Ihr Euch alles gefallen?«

»Nicht alles«, korrigierte Oliviane leise. »Nur die Dinge, die von Euch kommen. Habt Ihr es immer noch nicht begriffen? Ich werde tun, worum Ihr mich bittet!«

»Ich Euch um etwas bitten? Eher fahre ich zur Hölle, Demoiselle!«

Er stürmte durch die Nacht zum Lager und ließ Oliviane allein zwischen den Steinen zurück. Sie schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper und wiegte sich im Mondlicht. Beinahe schmerzlich wurde sie sich der plötzlichen Einsamkeit bewusst. Sie bereute nicht, was sie getan hatte, aber ob es das Richtige gewesen war?

Die Befestigungen von Vannes tauchten im Schein der untergehenden Sonne am Horizont vor ihnen auf. An eine kleine Bodenerhebung geschmiegt, lag das Städtchen am Nordufer des Golfes von Morhiban.

»Wenn wir uns beeilen, erreichen wir die Stadt noch vor dem Schließen der Tore«, knurrte Hervé de Sainte Croix, als wäre Oliviane an einer möglichen Verzögerung schuld. »Es wäre mir lieb, wenn wir die Landstraßen endlich hinter uns hätten!«

Der unverhoffte Blickkontakt gab Oliviane Gelegenheit, ihm ein zärtliches Lächeln zuzuwerfen. Sie hatte bemerkt, dass diese Art von Lächeln stets dazu führte, dass er die Lippen hart aufeinander presste und die dunklen Brauen runzelte. Es war keine erfreuliche Reaktion, aber es war wenigstens eine, die über die steinerne Gelassenheit, die er sonst zur Schau trug, hinausging.

Es war stärker als sie – sie musste ihn einfach bei jeder Gelegenheit provozieren. Insgeheim verstand sie, dass er ihre Ankunft in Vannes herbeisehnte. Sie tat schließlich ihr Bestes, um ihn in die Enge zu treiben. Doch bisher war ihr der Erfolg versagt geblieben.

Hervé de Sainte Croix konnte nicht umhin zu bemerken, dass Oliviane sich verändert hatte. An die Stelle der stolzen Aristokratin, die sich in anerzogenem Gehorsam mit zusammengebissenen Zähnen in ihr Schicksal fügte, war eine Kriegerin getreten, die um jeden Fußbreit Boden mit ihm rang.

Vielleicht war es tatsächlich besser, wenn sie in einen Orden eintrat. Kein Mann würde sich auf Dauer ständig mit ihr messen wollen. Das Heim eines Mannes sollte ein Hort des Friedens sein und kein Schlachtfeld. Obgleich, die Schlacht mit dieser Amazone ...