3. Kapitel

Wenigstens war die Kemenate im Gegensatz zum großen Saal sauber. Die beiden Bogenfenster besaßen sogar richtige Glasscheiben, die in grün-weißen Rauten kunstfertig mit Blei zusammengefügt waren. In den Ecken verbreiteten eiserne Glutbecken ihre Wärme, und vor die feuchten Mauern hatte man prächtige gestickte Wandteppiche gehängt. Freilich zeigten sie dermaßen blutrünstige Jagdszenen, dass ihnen Oliviane sofort den Rücken zuwandte.

»Ich hoffe, es ist alles zu Eurer Zufriedenheit, denn Ihr sollt diese Kammer nicht verlassen«, übermittelte Maé die Befehle, die sie erhalten hatte. »Wenn noch etwas fehlt, müsst Ihr es mir nur sagen.«

Oliviane hob schaudernd die Schultern. Als ob sie auch nur im Geringsten die Absicht gehabt hätte, unter den wüsten Kerlen herumzuspazieren, die ihrem künftigen Gatten dienten! Im Gegenteil, sie war dankbar für die stabile Tür, die sie von den übrigen Burgbewohnern trennte. Wenn sie etwas vermisste, dann höchstens einen Riegel, den sie von innen vorlegen konnte. Und natürlich ihre wenigen persönlichen Besitztümer.

»Wo ist mein Bündel?«

Vier Worte, die der Magd durch ihren bloßen Tonfall verrieten, dass die künftige Herrin nicht zum Plaudern neigte und allein zu bleiben wünschte. Eine von der eingebildeten Sorte, die auf Cado erst noch lernen musste, dass man hier nach anderen Regeln lebte, sagte sich Maé und verzog spöttisch den Mund. Sie zuckte mit den Schultern, dass ein wahres Erdbeben die Fleischmassen in ihrem Ausschnitt erschütterte.

»Der Herr wird’s haben, wenn’s nicht hier ist«, entgegnete sie mürrisch.

Oliviane hob die Brauen. »Sieh zu, dass du mir bringst, was mir gehört. Schnell und vollständig, hast du verstanden?«

»Bitte, dann hol’ ich eben das Bündel«, nuschelte Maé und schob sich durch die Tür.

Ein Knirschen verriet Oliviane, dass der Riegel, den sie hier drinnen vermisste, auf der Außenseite angebracht sein musste, aber sie wollte sich im Moment nicht den Kopf darüber zerbrechen, was dies zu bedeuten hatte.

Oliviane sank mit weichen Knien auf den geschnitzten Ebenholzstuhl, der zwischen den beiden Fenstern stand. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und krümmte ihren Körper in einem Schmerz, der ihr ein heiseres Aufschluchzen entlockte. Die Angst, die sie bisher so mühsam unter Kontrolle gehalten hatte, überfiel sie jetzt mit aller Macht.

Sie war nicht so dumm gewesen, von ihrem künftigen Gemahl Freundlichkeit und Wohlerzogenheit zu erwarten. Sogar in die Abgeschiedenheit von Sainte Anne waren die Gerüchte von der Rücksichtslosigkeit und der Mordgier des ›Wolfes von St. Cado‹ gedrungen. Aber sie hatte wenigstens in einem Winkel ihres Herzens gehofft, dass er ihr Blut und ihren Namen, die er so teuer erkauft hatte, respektieren würde. Sie hatte kühnerweise erwartet, ihn mit ihrem Stolz und ihrem Auftreten überzeugen, wenn nicht gar einschüchtern zu können. Welch ein Irrtum!

Von ihm waren keine Freundlichkeit, keine Güte und kein Funke christlicher Nachsicht zu erwarten. Er würde sie, Oliviane de Rospordon, vom Altar weg in den Alkoven zerren und keine Ruhe geben, bis sie schwanger war – bis sie mit ihrem Körper dafür sorgte, dass es auch in Zukunft Widerlinge wie ihn gab.

Und sie? Sie hatte auf die Ehre ihres Hauses geschworen, diese Pflicht zu erfüllen und die Gemahlin dieses Rohlings zu werden, damit die Rospordons wieder zu jenen gehörten, welche die Bretagne regierten.

Heilige Anna, war es das wert? Oliviane versuchte, die Stimme in ihrem Inneren zum Schweigen zu bringen, die dies leugnete, die ihr zuflüsterte, dass sogar ein Leben als rechtlose Magd jenem der Gemahlin dieses Mannes vorzuziehen sei!

Wenn sie das Schicksal an die Seite dieses grässlichen Mannes stellte, dann musste sie ihr Möglichstes tun, um auch diese Aufgabe in ehrenvoller Weise zu erfüllen. Sie hatte die Verpflichtung, ihrem Namen und ihrer Abstammung Ehre zu machen.

Sie suchte, wie sie es von Kind auf gelernt hatte, Trost im Gebet. Als Maé die Kemenate wieder betrat, fand sie die junge Frau auf den Knien. Die Augen geschlossen und die Perlen eines schlichten, hölzernen Rosenkranzes zwischen den schlanken Fingern, betete Oliviane de Rospordon leise und andächtig. Unwillkürlich bekreuzigte sich die Magd ebenfalls. In dieser Burg, deren Herr schon seit Monden vom Teufel besessen zu sein schien, konnte es nicht schaden zu beten.

»Ich habe Euch Euer Essen gebracht«, unterbrach sie dann jedoch entschlossen die fromme Litanei.

Sie winkte einer barfüßigen kleinen Magd im Hintergrund, die ein großes Tablett trug.

Oliviane hatte die Fähigkeit, sich dermaßen in ein Gebet zu vertiefen, dass sie alles um sich herum vergaß, in Sainte Anne zur Perfektion gebracht. Jetzt erhob sie sich langsam und schob den Rosenkranz sorgsam zurück in das kleine Almosentäschchen an ihrem Gürtel.

Maé beobachtete sie mit unverhohlener Neugier.

»Der Herr sagt, er hat Euer Bündel ins Feuer geworfen«, überbrachte sie nun die Botschaft, wegen der Oliviane sie fortgeschickt hatte. »Ihr sollt Euch Kleider und alles, was Ihr braucht, aus den Truhen nehmen, die er Euch zur Verfügung stellt. Er will, dass Ihr Euch umzieht und dass auch die Kleider verbrannt werden, die Ihr jetzt tragt. Sie sind ihm nicht schön genug.«

Oliviane reagierte mit keiner Silbe darauf. Maé fiel lediglich auf, dass ihre Rechte das kleine Stoffbeutelchen umklammerte, in das sie den Rosenkranz gesteckt hatte.

»Ich möchte essen! Hast du mir Wasser gebracht, damit ich meine Hände waschen kann?«, fragte sie nach langem Schweigen. »Außerdem möchte ich baden, ehe ich andere Kleider anziehe. Bitte kümmere dich darum, dass Wasser heraufgebracht wird und dass mir eine Magd zur Hand geht. Möglichst schnell, solange die Glut in den Becken noch Wärme abgibt. Worauf wartest du?«

Maé fuhr mit wirbelnden Röcken auf dem Absatz herum und stürmte wutentbrannt aus der Kammer.

Oliviane bekreuzigte sich erneut, murmelte ein eher hastiges als frommes Dankgebet und fiel hungrig über die Speisen her. Noch nie hatte sie eine solche Fülle herzhafter Köstlichkeiten zur Auswahl gehabt.

Am Ende musste Oliviane jedoch vor halbleeren Schüsseln kapitulieren. Sie brachte keinen weiteren Bissen herunter. Ruhelos trat sie an eines der Fenster und versuchte, draußen etwas zu erkennen. Es war so sinnlos wie der Versuch, sich gegen den Lauf der Dinge aufzulehnen!

»Du musst aufhören, dir den Kopf zu zerbrechen!«, beschwor sie sich selbst. »Du musst einfach nur warten und gehorchen.«

Beides hatten sowohl ihre Mutter als auch die Nonnen von Sainte Anne sie gelehrt. Aber weshalb fiel es ihr trotz allem so schwer?

Vorsichtig nestelte sie den Almosenbeutel von ihrem Gürtel ab und zog die Bänder auseinander. Auf dem Rund des Stoffs lagen neben dem Rosenkranz ein quadratisches Stück verblichener Spitze und ein Salbendöschen aus Alabaster, die beide ihrer Mutter gehört hatten. Ein schlichter Holzkamm und eine Haarspange aus Elfenbein vervollständigten ihre Besitztümer.

Vorsichtig löste Oliviane den Deckel des Gefäßes und fuhr mit der Fingerspitze über die gelbliche Ringelblumenpaste. Dann verschloss sie das Gefäß hastig und hüllte es in die Spitze, ehe sie es zusammen mit dem Rosenkranz wieder aufnahm. Wo konnte sie die Gegenstände verstecken, damit ihr Geheimnis gewahrt blieb?

Nein, kein Versteck! Verstecke waren verdächtig. Was man nicht verbarg, entging der Aufmerksamkeit viel eher. Wenn ihr künftiger Gemahl verlangte, dass sie nicht einen Faden ihrer Vergangenheit am Leib trug, dann war es auch besser, diese Dinge nicht ständig bei sich zu tragen. Aber ein Kamm, eine Spange, ein Salbendöschen, die in einer Kammer herumlagen, erregten keinen Verdacht. Weiberkram, Spielzeug – der Aufmerksamkeit eines Mannes unwürdig.

Vorsichtig legte sie daher ihre bescheidenen Besitztümer zu Füßen des ziselierten Silberleuchters ab, der auf einem kleinen Bord am Kopfende des Alkovens stand. Ein kostbares Stück, das ganz so aussah, als wäre es aus einem zerstörten Gotteshaus gestohlen worden, wo man es bestimmt nicht als Nachtlicht verwendet hatte.

Es war das Meisterwerk eines unbekannten Silberschmiedes. Ihre Finger berührten vorsichtig die erhabenen Ornamente, während sie ihre Gedanken dazu zwang, jede noch so unglaubliche Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Was, wenn nicht der Zorn über ihre offensichtliche Mittellosigkeit, sondern die Suche nach einem ganz besonderen Kleinod die Handlungen ihres Bräutigams bestimmte? War es möglich, dass er bei ihr nach dem Stern von Armor suchte?

»Unsinn, du träumst!«, rief sie sich selbst zur Ordnung. »Er kann nicht wissen, dass du das Juwel besitzt. Niemand außer Mutter Elissa weiß es. Nur wir beide waren in der Krypta des Klosters, als sie mir den Saphir gab!«

Ihre Gedanken wurden von einem unmenschlichen Gebrüll unterbrochen, das jäh durch das Treppenhaus bis hinauf in ihr Gemach schallte. Waffenklirren, schrille Frauenschreie, metallisches Getöse, dann verlor sich der Lärm in johlendem Gelächter, in dem Oliviane dennoch eine durchdringende, verzweifelte Frauenstimme auszumachen glaubte.

Sie wich bestürzt zurück, bis sie die samtige Fläche eines Wandteppichs im Rücken spürte. Ebenso erschrocken von dem tosenden Lärm wie von den Bildern, die er in ihr wachrief, grub sie die Zähne in die Unterlippe, um ihrerseits einen Schrei zu unterdrücken. Gewalt, Blut, Tod und Folter – aus den Ritzen dieser Burgmauern sickerte das Grauen ebenso wie die Feuchtigkeit. Darüber konnten weder die kostbaren Wandteppiche noch die geschnitzten Sessel hinwegtäuschen.

Heilige Anna, wie sollte sie hier Ehre und Stolz bewahren, wenn sie schon in der ersten Nacht vor Panik den Kopf verlor?

Die vertraute Beschwörungsformel verlieh Oliviane die Kraft, ihre vermeintliche Zuflucht an der Wand wieder zu verlassen. Der Mann, der wenig später ohne anzuklopfen und mit hastigen Schritten die Kemenate betrat, fand sich einem selbstbewussten Edelfräulein gegenüber, das ihn wie einen anmaßenden Dienstboten betrachtete.

Unter diesem Blick vergaß der Schwarze Landry schlagartig die Gründe, die ihn zu ihr getrieben hatten. Diese Frau hier hatte keine Erklärung, keinen Schutz nötig. Sie hatte schon jetzt die Allüren der Dame des Hauses.

»Ich hatte die Magd geschickt, mir ein Bad zu bereiten«, verkündete sie gelassen. »Was steht dem entgegen? Weshalb erscheint das dumme Ding nicht mehr? Die Lakaien in diesem Hause sind offensichtlich faul und viel zu nachlässig ...«

»Ein Bad«, wiederholte der Schwarze Landry und verzog unter seinem dichten dunklen Bart verwundert die Lippen. Der Ausbruch nackter, sinnloser Gewalt, dessen Zeuge er eben geworden war, als der Herzog von St. Cado den stummen Sohn Maés massakriert hatte, nur weil der Junge ihm nicht sofort eine Antwort gegeben hatte, verlieh ihrer Forderung in seinen Augen geradezu etwas Paradoxes. Er lachte zynisch auf.

»Zum Henker, ich wünsche Euch, dass ein Bad Euer einziges Problem in diesem Hause bleibt, kleine Dame.«

»In einem Schweinestall wie dieser Burg wohnen zu müssen, erfordert wohl nicht zwingend, dass man selbst ein solches Borstentier sein muss«, entgegnete Oliviane spitz. »Was wollt Ihr von mir?«

Ihr vielsagender Blick, der auffallend auf seinen schmutzigen Stiefeln und den Kleidern ruhte, in denen er nun seit vielen Tagen ritt und schlief, verriet überdeutlich, dass sie auch ihn zu den erwähnten Schlammwühlern zählte.

»Eigentlich wollte ich Euch eine Warnung zukommen lassen, aber wie es aussieht, habt Ihr derlei nicht nötig«, stieß er in jäh aufflammendem Zorn hervor.

»Eine Warnung?«, wiederholte Oliviane, von seinem langen, bitteren Schweigen verunsichert.

»Vergesst es«, winkte er ab. »Ich sehe, Ihr versteht es vortrefflich, für Euch selbst zu sorgen. Nehmt trotzdem einen letzten Rat von mir: Wagt es nicht, Eurem künftigen Gemahl zu trotzen. Er hält sich weder an ritterliche Pflichten noch an christliche Gebote!«

»Ich habe nicht die Absicht, mich zu widersetzen«, erwiderte sie völlig unpersönlich. »Ich habe mein Wort gegeben, und ich werde es halten. Aber ich erwarte natürlich nicht von Euch, dass Ihr dergleichen begreift.«

Er runzelte die Stirn über den rabenschwarzen Augen, die nicht verrieten, wo die Pupillen endeten und wo die Iris begann. »Dass ich was begreifen kann?«

»Dinge wie Ehre, Stolz und Pflichtbewusstsein müssen einem Söldner notgedrungen fremd sein, wenn er seine Person und seine Kampfkraft an den nächstbesten Anführer verkauft und sklavisch dessen Befehle ausführt.«

Oliviane hielt seinem wütenden Blick leidenschaftslos stand. Was es sie kostete, blieb ihr Geheimnis. Sie wusste nur eines: Auch vor ihm durfte sie keine Schwäche zeigen.

»Hütet Euch, kleine Dame!«

Vier Worte nur. Er zischte sie nach ein paar schnellen Schritten, die ihn so dicht vor sie brachten, dass sie den Hauch seines Atems an ihrer Schläfe spürte. Lediglich ein unvollständig unterdrückter Fluch verriet, wie sehr er sich beherrschen musste, damit er sie wortlos stehen lassen konnte. An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um.

»Wie es aussieht, werdet Ihr auf Euer Bad ein wenig länger warten müssen. Er hat Maé in den Torturm werfen lassen, Es ist nicht gut, den Unwillen des Herzogs zu erregen.«

»Aber ...«

Sie bekam keine Antwort mehr. Die Tür klappte, und der Riegel knirschte. Oliviane presste die Hand auf ihr wild klopfendes Herz. In ihrem Kopf drehte sich alles, und selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie das kantige, wütende Gesicht des Schwarzen Landry vor sich.

Wodurch, um Himmels willen, hatte die unverschämte Magd ihren Herrn verärgert?