18. Kapitel

»Zum Donnerwetter, das ist eine so unglaubliche Geschichte, dass ich geneigt bin, sie für wahr zu halten. Keine Menschenseele könnte so etwas erfinden!«

Dame Magali de Silvestre nickte; sie konnte die Zufriedenheit nicht verbergen, die sie erfüllte. Sie faltete die Hände vor ihren Röcken und wartete darauf, welche weiteren Schlüsse der Herzog aus den Informationen zog, die sie ihm gebracht hatte.

»Hat sie erwähnt, wie sie sich ihr Leben künftig vorstellt?«

»Sie wäre bereit, Euch diesen Stein zu übergeben«, brachte Dame Magali kurz entschlossen ihr stärkstes Argument in die Verhandlungen ein.

»Das klingt, als würde sie Bedingungen daran knüpfen?«, erkannte Jean de Montfort mit wachem Verstand.

»In der Tat. Ich sage es Euch ehrlich: Es sind Bedingungen, die mir nicht gefallen. Das Mädchen möchte wieder in ein Kloster eintreten und den Rest seines Lebens in Buße und Gebet verbringen.«

»Was missfällt euch daran, Mutter Magali? Meint Ihr nicht auch, dass sie reichlich Grund zur Buße und Sühne hätte?«

Gereizt fuhr die Amme auf, und unter ihrem zornigen Blick zog sogar der Herzog den Kopf ein klein wenig ein. »Das Kind hat in Notwehr gehandelt und tapfer um seine Freiheit gekämpft, Euer Gnaden. Jeder Ritter, der in Gefangenschaft das gleiche tut, wird für seinen Mut und seine Tatkraft gerühmt. Man erteilt ihm Absolution, und damit hat es sich. Weshalb soll Oliviane de Rospordon bis ans Ende ihrer Tage büßen?«

Jean de Montfort entlockte das Mienenspiel seiner Amme ein Lächeln. »Sorgt Euch nicht. Ich werde dieser tatkräftigen jungen Frau den schönen Kopf nicht abreißen. Aber ich schicke niemanden hinter Klostermauern, ohne ihn zu kennen!«

»Aber das sollt Ihr doch gar nicht tun«, platzte die Dame de Silvestre jetzt doch mit ihrem Anliegen heraus. »Bei Gott, dieser Stein ist ein Vermögen wert, und sein ideeller Wert übersteigt dies noch um ein Vielfaches. Wollt Ihr den erstaunlichen Umstand nicht honorieren, dass er Euch ohne Zwang in dem Glauben anvertraut wird, dass Eure Hände die richtigen dafür sind?«

»An was für eine Art von Honorar habt Ihr gedacht, verehrte Amme?«

»Verheiratet sie!«, forderte Dame Magali mit praktischem Hausfrauenverstand. »Gebt sie einem dieser prächtigen Edelmänner, die an Eurer Seite gekämpft haben und die nun darangehen, ihre Burgen wieder aufzubauen und ihre Lehen zu ordnen. Findet einen, der ihren empfindlichen Stolz nicht mit Füßen tritt und es zu schätzen weiß, dass seine Gemahlin einen Verstand besitzt, der über den Rand ihrer Aussteuertruhe hinausreicht!«

»Habt Ihr Euch auch überlegt, was geschieht, wenn der Herzog von St. Cado von dieser Ehe erfährt? Er wird dieses Lehen dem Erdboden gleichmachen. Er zählt nicht zu den Männern, die es ertragen, dass ihnen die Braut wegläuft! Dies ist noch nicht das Land für eine romantische Idylle, meine Liebe! Im Moment herrscht kein Friede, sondern lediglich ein Gleichgewicht der Kräfte!«

Dame Magali ließ enttäuscht die Schultern sinken. »So gibt es also keinen Krieger, dem ihr zutraut, sein Lehen, sein Leben und eine unvergleichliche Frau zu verteidigen?«, erkundigte sie sich ein wenig spitz.

»Ihr seid zu ungeduldig, Amme«, rügte Jean de Montfort. »Ich werde der Dame eine Eskorte schicken, die sie nach dem Vesperläuten in meine Burg bringt. Der Stern von Armor ist zu wichtig, um ihn von einer Frau ohne Schutz durch Rennes tragen zu lassen ...«

Dame Magali begriff, dass ihre Audienz damit beendet war und dass sie gehorchen musste. »Gott zum Gruße, Euer Gnaden!«

»Behüte Euch der Himmel, Amme. Und ...« Er machte eine bedeutsame Pause, packte sie unverhofft an den Schultern und pflanzte ihr links und rechts einen fröhlich schmatzenden Kuss auf die Wange. »Habt Dank, dass Ihr Vertrauen zu mir habt. Ich werde mich bemühen, es nicht zu enttäuschen!«

Als er sie entließ, war seine Amme seltsam verwirrt und gerührt. Am Ende blieb der Dame nur ein Stoßgebet zur Heiligen Jungfrau. Hoffentlich hatte sie Oliviane de Rospordon nicht in zusätzliche Schwierigkeiten gebracht!

»Ihr macht Euch umsonst Sorgen! Was soll mir schon geschehen?«

Oliviane versuchte vergeblich, ihre Gönnerin zu beruhigen, die bereits weit vor dem Vesperläuten wie eine unruhige Katze in dem schönen Bürgerhaus an der Rue Guillaume umherschlich.

Dame Magali, die nervös die Falten ihres Kleides raffte, hätte einiges auf diese Frage antworten können, aber sie schwieg. Je länger sie über ihr Gespräch mit dem Herzog nachdachte, desto weniger vermochte sie zu sagen, ob es nun zu Olivianes Gunsten ausgegangen war oder nicht.

»Die Sänfte des Herzogs ist angekommen!«, meldete eine Dienstmagd in die gespannte Stille des Raumes, in dem sich die Konturen der dunklen geschnitzten Möbel bereits in der beginnenden Dämmerung verloren.

»So geht mit Gott!«, murmelte Dame Magali und umarmte ihren Schützling.

»Seid bedankt für alles, was Ihr für mich getan habt«, flüsterte Oliviane, und plötzlich überfiel sie die beängstigende Vorstellung, vielleicht nicht wieder in dieses Haus zurückkehren zu dürfen.

Die Sänftenträger, die draußen auf sie warteten, trugen den Löwen von Montfort im Wappen und machten den Eindruck, als wöge der kostbar geschnitzte Kasten mit den goldbestickten Samtvorhängen kaum mehr als ein Lufthauch. Vier Gardisten begleiteten die Sänfte, und einer von ihnen öffnete respektvoll die kleine Tür, damit Oliviane einsteigen und es sich auf dem gepolsterten Sitz bequem machen konnte.

Sie verbarg ihre Verblüffung über diese unerwartete Ehre. Hatte Dame Magali dem Herzog wirklich alles berichtet? Hatte sie jene Version der Ereignisse wiederholt, die sie, Oliviane, ihr erzählt hatte? Es war eine Version, in der gewisse Dinge fehlten, welche den Schwarzen Landry betrafen, in der keine Rede davon war, dass sie sich ihm hingegeben hatte, und in der auch ihre leidenschaftlichen Gefühle und ihre tiefe Sehnsucht nach ihm nicht vorgekommen waren.

Die Sänfte schwankte über die erste Zugbrücke, und Oliviane hörte, wie die Bohlen unter den Stiefeltritten ihrer Begleiter dröhnten. Sie widerstand der Versuchung hinauszusehen und wartete, bis die Tür von außen wieder geöffnet wurde.

Die junge Frau raffte ihre Röcke und stieg aus. Sie folgte einem Pagen, der flink vor ihr die Stufen hinauflief. Die Tatsache, dass er oben einen Moment auf sie warten musste, veranlasste ihn dazu, höchst ungeduldig auf den Zehenspitzen zu wippen. Oliviane nahm all diese Kleinigkeiten wie durch einen Schleier wahr. Für diesen Augenblick hatte sie Landry getötet: um dem Herzog den Stern von Armor überreichen und ihrer Familie zu neuen Ehren verhelfen zu können. Welch dummer, frevelhafter Ehrgeiz!

Nun durch diese Gänge zu schreiten erschien ihr wie der blanke Hohn. Anstatt dem Namen Rospordon neuen Glanz zu verleihen, hatte sie ihn durch Verrat und Mord tiefer denn je in den Schmutz gezogen. Es verwunderte sie ungemein, dass der Herzog sie in sein Arbeitskabinett bat und nicht gleich in den Kerker warf.

»Wir sind da!«, verkündete der Knabe und hielt vor einer doppelflügeligen geschnitzten Tür. Zwei Wachen mit gefährlich aussehenden Hellebarden und prächtig bestickten Wappenröcken standen reglos zu beiden Seiten.

»Die Dame Oliviane de Rospordon«, teilte der Page dem Uniformierten mit und wartete darauf, dass sie die Tür für ihn und seine Begleiterin öffneten. Das steife Zeremoniell verriet der jungen Frau, dass es sich um eine hochoffizielle Audienz handelte, die ihr da zuteil wurde. Sie versuchte, ihre plötzliche Panik unter Kontrolle zu bringen, aber es war schon zu spät. Die Türen öffneten sich.

Im ersten Moment blinzelte sie geblendet gegen das Licht der zahllosen weißen Kerzen, die in den Leuchtern brannten und den Raum hell erstrahlen ließen. An der Längsseite eines Tisches stand ein gepolsterter hochlehniger Stuhl, auf dem ein dunkelhaariger Mann in mittleren Jahren saß.

Das pelzbesetzte Samtgewand und die breite Kette mit den schweren Goldgliedern machten Oliviane sogleich klar, dass sie sich vor dem Herzog befand, aber ihre Augen glitten wie magisch angezogen weiter – bis zu der stillen Gestalt, die an der marmornen Einfassung des Kamins lehnte und ihr ebenfalls entgegensah. Der Raum verschwamm plötzlich vor ihren Augen in einem gleißenden Karussell aus Licht und Feuer, und es dauerte eine Weile, bis sich ihr Blick mühsam wieder klärte.

Sie hatte ihn nur ein einziges Mal hoch zu Ross aus reichlicher Entfernung gesehen, aber sie wusste sofort, dass er es war. Er trug schwarze Beinkleider und ein burgunderfarbenes Übergewand.

Aus dem feinen Leinengekräusel des hochgeschlossenen Hemdes stieg ein athletischer Hals, das glatt rasierte Kinn war arrogant vorgereckt. Ein schwarzes Barett, dessen Kante so tief über Stirn und Augen gezogen war, dass Oliviane weder Schnitt noch Farbe bestimmen konnte, bedeckte seinen Kopf. Es war das erste Mal, dass sie Hervé de Sainte Croix aus unmittelbarer Nähe sah, und die Wirkung war verheerend.

Sie hatte Mühe, sich aus ihrer Verbeugung aufzurichten, und ihre blassen Lippen bebten, als sie vergeblich versuchte, Jean de Montfort ihren Respekt auszudrücken. Sie sah so verwirrt und ängstlich aus, dass der Herzog sich verblüfft fragte, ob das wirklich jene stolze junge Frau sein konnte, von der die Dame de Silvestre berichtet hatte.

»Seid an unserem Hofe willkommen, Oliviane de Rospordon«, ergriff er das Wort. »Darf ich Euch meinen guten Freund und Kampfgefährten Hervé de Sainte Croix vorstellen? Ich nehme an, ihr seid ihm noch nicht begegnet ...«

»Nein, Euer Gnaden«, wisperte Oliviane und versuchte, den rasenden Schlag ihres Herzens unter Kontrolle zu bringen.

Es kam ihr vor, als zögen sie unsichtbare Fäden zu dem Mann am Kamin, ein Sog, dem sie hilflos ausgeliefert folgen musste. Sie durfte sich wegen einer dummen Ähnlichkeit nicht so beeindrucken lassen! Und doch ... Wenn sie doch nur seine Augen sehen könnte!