Es begann schon wieder, aber dieses Mal würde er sich nicht narren lassen. Er hatte sein Lehrgeld bezahlt. Er würde kein zweites Mal Gefühle suchen, wo nur harter kalter Stolz existierte. Nur Eigensucht und Ehrgeiz. Trotzdem suchte sein Blick wie von selbst die anmutige Reiterin im zimtfarbenen Reisekleid. Es gab niemanden, der mit so viel Grazie im Sattel eines Pferdes saß. Die Linie ihrer Schultern war eine Augenweide, und der Faltenwurf der üppigen Röcke ließ die Kontur eines schlanken Beines erahnen, das sich um das Sattelhorn gelegt hatte.
In ein Kloster wollte sie sich zurückziehen! Vermutlich weil sie sich zu schade dafür war, ihre stolze kleine Hand irgendeinem simplen, groben Mann zu schenken, und sei er noch so hochgeboren oder nobel. Es war keine Frömmigkeit, die sie dazu trieb, den Schleier zu nehmen, es war der Gipfel der Arroganz und Selbstverliebtheit. Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Er kannte sie schließlich nur zu gut.
Einzig eine Frau, die bis in die Tiefe ihrer Seele hinein kalt und ungerührt blieb, konnte eine solche Entscheidung treffen! Nur sie vermochte jenes Maß an Leidenschaft unter Kontrolle zu halten, das sie unter ihrer stolzen Fassade versteckte.
Er wusste, dass sie kein Zeichen von Schwäche erkennen lassen würde, und deswegen ersparte er es sich, sie unnötig auf die Probe zu stellen. Er gab bei Sonnenuntergang den Befehl zur Rast, und in der sinkenden Dämmerung schlugen sie ihr Lager an einem windgeschützten Platz auf, wobei sich die Männer um die Edeldame formierten und einen sicheren Schutzwall um sie herum errichteten.
Dieses Mal gab es sogar ein rechteckiges Zelt für Oliviane, dessen Stoffbahnen den Wind abhielten, während zusätzlich ein schmiedeeisernes Becken mit glühender Holzkohle für ein wenig Wärme sorgte. Eine dicke Binsenmatte schützte vor der Kälte der Erde, und Oliviane entdeckte staunend einen Klappstuhl, einen Tisch und ein Reisebett mit einer schweren Felldecke.
»Ich hoffe, es ist alles zu Eurer Bequemlichkeit?«, erkundigte sich der Seigneur de Sainte Croix mit einem anzüglichen Unterton, der sie die Stirn runzeln ließ. Er hatte noch nicht einmal seinen Helm abgelegt! Warum hatte er diesen Luxus um sie herum errichten lassen, wenn er sie jetzt dafür rügen wollte?
»Ich bin es nicht gewohnt, dass man an meine Bequemlichkeit denkt«, rutschte es ihr gegen ihren Willen heraus.
»Ihr seid die Dame de Rospordon«, entgegnete er knapp. »Solltet Ihr das vergessen haben?«
Oliviane zerrte die Handschuhe von den Fingern und warf sie ungeduldig auf das vorbereitete Lager. Vielleicht war es an der Zeit, ein paar Dinge zwischen ihnen zu klären, ehe sie die Atmosphäre noch weiter vergifteten.
»Ja, ich bin die Dame de Rospordon«, griff sie seine. Worte auf. »Aber ich habe nicht darum gebeten, als solche auf die Welt zu kommen, und Ihr könnt mir glauben, dass es angenehmere Schicksale als das meine gibt. Wenn Ihr mir also etwas vorzuwerfen habt, dann tut es endlich, damit wir es hinter uns bringen. Solltet Ihr wie der Herzog denken, dass ich meine Pläne im Laufe eines Jahres ändern werde, so lasst Euch warnen: Ich werde es nicht tun. Ich beabsichtige, in zwölf Monaten den Schleier zu nehmen!«
»So ahnt Ihr es also wirklich nicht?« Seine Stimme klang dumpf, und er hob die Hände, um sich endlich von dem Helm zu befreien. Er hob ihn über sein dichtes gelocktes, tiefschwarzes Haar und rieb sich mit einer Hand die nagelneue Narbe, die darunter verborgen war und die noch immer teuflisch juckte. »Habt Ihr die Erinnerungen an unsere Leidenschaft in Eurem kalten, ehrgeizigen kleinen Herzen völlig erstickt? Meinen Glückwunsch, kleine Dame, Ihr habt die Selbstbeherrschung eines wahren Kriegers und den Stolz eines Herzogs.«
Oliviane taumelte unter dem unerwarteten Schlag. Schon beim Anblick der Haare hatte sie geahnt und begriffen, weshalb er jene Leidenschaft für Federgeschmückte Barette entwickelt hatte, die er bislang noch nie abgelegt hatte. Doch nun, da das dunkle Haar sein unverwechselbares Gesicht einrahmte, erkannte Oliviane das Ausmaß ihres Irrtums: Ihr war nicht nur eine flüchtige Ähnlichkeit vorgegaukelt worden. Er war es selbst. Hervé de Sainte Croix war ... der Schwarze Landry!
Unter der Wucht des Schocks formte ihr Mund ein »Ihr!«, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Er verstand sie trotzdem.
»Der Schwarze Landry, stets zu Euren Diensten, Madame!«, sagte er in jenem heiseren Bretonisch, an das sie sich nur zu gut erinnerte und das er bisher unter seinen höfischen Umgangsformen so völlig verborgen hatte. »Ich hoffe, Ihr seht mir nach, dass ich kein Bedauern darüber empfinde, dass ich einen härteren Schädel als die meisten Männer besitze. Ihr habt mir eine böse Schramme zugefügt, deren Narbe mich für alle Zeiten zeichnen wird.«
»Heilige Anna!«, stammelte Oliviane und rang in höchster Erregung die Hände. »Ich kann ... Ich wollte ... Ich muss ...«
»Bemüht Euch nicht«, Hervé de Sainte Croix winkte mit einer Arroganz ab, die es mit der ihren leicht aufnehmen konnte. »Ich trage Euch den Hieb nicht nach. Es war meine eigene Einfältigkeit, die Euch die Gelegenheit dazu verschaffte. Wer einfältige Fehler macht, muss ihre Folgen tragen ...«
Vor Olivianes Augen drehte sich das prächtige Zelt, und sie suchte verzweifelt nach einem Halt, um nicht zu fallen. Der Seigneur reichte ihr mit einem sarkastischen Lächeln die Hand und stützte sie höflich.
»Ihr werdet doch nicht in Ohnmacht fallen? Habt Ihr solche Angst vor dem Schwarzen Landry? Er war nur eine Rolle. Ansonsten ist es nicht meine Art, Frauen zu misshandeln. Egal, ob es sich dabei um Damen, um Dirnen oder um Mädchen handelt, bei denen die Grenzen fließender zu sein scheinen ...«
Er ließ bewusst offen, zu welcher Sorte er sie zählte. Oliviane schloss die Augen, ganz auf die Hand konzentriert, die schmerzhaft ihren Oberarm umklammerte und sie so auf den Beinen hielt.
»Wie ist das möglich?«, wisperte sie heiser, ohne ihn anzusehen. »Wie könnt Ihr gleichzeitig der Schwarze Landry und der Freund des Herzogs sein?«
»Ich habe nicht nur die Ehre, sein Waffengefährte zu sein, sondern auch sein Spion«, erklärte der Ritter trocken. »Es war meine Idee, mich unter die Söldner Cocherels zu mischen, denn auf diese Weise wussten wir stets über seine Pläne und Absichten Bescheid und konnten das Nötige dagegen in die Wege leiten!«
Oliviane griff blindlings eine der tausend Fragen auf, die in diesem Moment durch ihren Kopf schossen. Es war zufällig eine äußerst wichtige. »Warum habt Ihr dann um Himmels willen die schmählichen Morde in Sainte Anne d’Auray nicht verhindert?«
»Weil Cocherel alles, was das Kreuz von Ys betrifft, als sein ureigenstes Geheimnis behandelt«, entgegnete Sainte Croix scharf, der selbst unter dieser Tatsache am meisten litt. Wie oft hatte er sich den Kopf über die Gründe zermartert, die es verhindert hatten, dass er der Äbtissin von Sainte Anne eine Warnung zukommen ließ! »Dass ich meinem Herrn als Kundschafter gedient habe, gibt Euch dennoch nicht das Recht, mir die Schuld an den Morden in die Schuhe zu schieben, die der vermeintliche Herzog von St. Cado begangen hat!«
Er sah, wie Olivianes tödlich blasses Gesicht plötzlich errötete. Er gab sie abrupt frei. Sie schwankte, war aber wieder imstande, sich auf ihren Beinen zu halten.
»Ihr wart sein Hauptmann! Seine rechte Hand! Ihr hättet es verhindern können!«, warf sie ihm vor.
»Wenn ich in Auray dabeigewesen wäre, sicher!«, stimmte der Chevalier zu und nickte. »Aber nicht einmal ein Mann wie Paskal Cocherel lässt seine Burg ohne Bewachung zurück, wenn er in die Schlacht zieht. Ich befand mich in der Festung von Cado, als Euer Kloster überfallen wurde.«
Oliviane presste die Handflächen gegeneinander und kämpfte heftig atmend um Fassung. Die jähe Freude darüber, dass sie sein Leben nicht ausgelöscht hatte, erstickte unter seinen verletzend sachlichen Erklärungen. Deswegen also hatte sie der Herzog nicht als Mörderin zur Rechenschaft gezogen! Oh, wie mussten sie sich amüsiert haben, diese beiden Männer, weil sie den noblen Edelmann nicht einmal erkannte, den sie vermeintlich ins Jenseits befördert hatte!
»Euren Bart habt Ihr also abrasiert. Aber warum diese Komödie in Rennes? Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?«
»Aus Neugier«, antwortete er knapp.
Natürlich, das konnte sie nachvollziehen! Er musste förmlich nach Rache gedürstet haben.
»Zweifellos habt Ihr euch gut unterhalten bei diesem geschmacklosen Scherz auf meine Kosten!«
»Ich würde sagen, wir sind quitt. Sicher hat Euch der Hieb mit dem Holzscheit ebenfalls ein gehöriges Maß an Genugtuung verschafft.«
»Ich dachte damals, es sei die einzige Möglichkeit, mich von Euch zu befreien ...«
»In der Tat, darin habt Ihr Euch nicht getäuscht. Es ist eine äußerst wirksame Methode, einem Manne klarzumachen, dass er sich zum Narren gemacht hat.«
Oliviane wandte sich ab. Sie konnte ihn nicht ansehen. Nicht, wenn sie an die abgrundtiefe Verzweiflung dieses Augenblickes dachte, als sie sich zwischen Ehre und Liebe falsch entschieden hatte.
»Was hattet Ihr vor?«, murmelte sie tonlos. »Wolltet Ihr mich in dieser Jagdhütte gefangenhalten, bis ich Euch den Stern von Armor ausgeliefert hätte?«
Hervé de Sainte Croix dachte nicht daran, diese Frage zu beantworten. Er würde sich nicht noch lächerlicher machen, indem er von der blinden Leidenschaft eines irregeleiteten Mannes faselte. Statt dessen wollte er etwas anderes wissen.
»Nun, da alles zwischen uns geklärt ist ... Wollt Ihr mir nicht sagen, wo Ihr den Stern von Armor versteckt hattet? Es würde mich interessieren ...«
»Im Salbengefäß meiner Mutter!«
»Mein Kompliment, nur Ihr konntet kaltblütig und geistesgegenwärtig genug sein, einen solchen Ort dafür zu wählen.«
Kaltblütig und geistesgegenwärtig? War es das, was er über die einsame Frau dachte, die sich seinen Liebkosungen ergeben hatte? Die er in der kleinen Jagdhütte mit solcher Leidenschaft umfangen hatte? Hatte er sich je die Mühe gemacht, überhaupt über sie, Oliviane de Rospordon, nachzudenken? Olivianes Körper schmerzte vor Kummer. Sie wusste nicht, wie lange sie diesem Mann noch standhalten konnte.
»Und wie außerordentlich schlau von Euch, Jean de Montfort dieses Juwel quasi zu schenken! Mein Respekt gilt euren raffinierten Winkelzügen, kleine Dame!«
»Raffiniert?« Oliviane wusste nicht, was an ihrer Erkenntnis, dass sie kein Recht auf den Stern von Armor hatte, raffiniert gewesen sein sollte.
»Spielt nicht die Unschuldige!«, höhnte er. »Ihr habt erreicht, dass unser Herzog Euch lebenslang verpflichtet ist. Wie kann er sich je von einer Schuld freikaufen, die nie beziffert wurde?«
Oliviane ertrug es nicht länger. Sie sah ihn stumm an. Das Gesicht des Schwarzen Landry, halb hinter Bart und Haaren verborgen, hatte sie ungeheuer fasziniert. Er hatte auf sie die Anziehungskraft eines wilden Abenteurers ausgeübt. Jetzt waren es die einprägsamen, edlen Züge eines Seigneurs, doch sein finsterer Blick enthielt nichts als Verachtung.
»Da es keine Schlechtigkeit mehr gibt, die Ihr mir nicht zutraut, sind die Fronten zwischen uns geklärt«, sagte sie unter Aufbietung ihrer ganzen Selbstbeherrschung. »In diesem Fall ist es wohl auch nicht angebracht, dass ich mich für den Hieb entschuldige. Es war so etwas wie ein Berufsrisiko, das Risiko, das ein Spion trägt.«
Hervé de Sainte Croix schwankte zwischen dem heftigen Wunsch, ihr den schlanken Hals umzudrehen, und der schrankenlosen Bewunderung für ihre Unerschrockenheit. Der Herzog hatte sich getäuscht, diese Dame benötigte keinen Ritter an ihrer Seite, sie war sehr wohl fähig, ihre Ziele allein zu erreichen.
»In der Tat«, knurrte er gereizt. »Entschuldigt mich, ich werde Sorge tragen, dass man euch etwas zu essen bringt. Und entfernt Euch nicht zu weit vom Lager, wenn Ihr das Bedürfnis haben solltet, allein zu sein ...«
Hervé de Sainte Croix beobachtete aus ärgerlich zusammengekniffenen Augen, wie sie sich aufrichtete und das Kinn vorstreckte. In solchen Augenblicken wirkte sie noch größer. Es war dann so, als stände ihr die lange Reihe ihrer stolzen Ahnen unsichtbar zur Seite. Sie freiwillig zur Gemahlin nehmen? Wie kam Jean de Montfort nur auf diese Idee? Lieber würde er sich den Tempelrittern im Heiligen Land anschließen, als das zu tun!
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ grußlos das Zelt. Oliviane hörte, wie er draußen Befehle gab, die Wachen einteilte und mit einem rauen Lachen auf einen Scherz reagierte. Im Kreise dieser Männer war er ein anderer. Aber wusste sie überhaupt, wer er in Wirklichkeit war?
Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder und barg das brennende Gesicht in den Händen. Die Erkenntnis, dass der Schwarze Landry und Hervé de Sainte Croix ein und dieselbe Person waren, verursachte ein seltsam dumpfes Gefühl in ihrem Leib. Sie fühlte sich betrogen, verraten und zutiefst beschämt.
Aber gleichzeitig empfand sie noch etwas völlig anderes. Ein Gefühl, das warm und beglückend wie schwerer Wein durch ihre Adern rann und sie wärmte, das sie mit einem Schlag alles intensiver, bunter und leichter empfinden ließ. Der faszinierende Söldner, bei dem sie die Leidenschaft ohne Grenzen kennen gelernt hatte, und der noble Edelmann, der wie eine Verkörperung ihrer Jungmädchenträume erschien, waren ein und dieselbe Person!
Sie brauchte sich ihre Sehnsucht nicht länger selbst zu verbieten! Es gab keine Todsünde, für die sie den Schleier nehmen musste, keine frevelhafte Tat, deren Folgen sie ein Leben lang bereuen musste! Es gab nicht einmal einen Grund, die geheimnisvolle Anziehungskraft zu leugnen, die der Seigneur de Sainte Croix auf sie ausübte.
Betäubt hob sie den Kopf, als ihr in letzter Konsequenz klar wurde, was das bedeutete. Jean de Montfort hatte ihn an ihre Seite gestellt, weil er wünschte, dass sie beide den Bund der Ehe eingingen. Er hatte ihr ein Jahr Zeit gegeben, dies zu akzeptieren, aber am Ende erwartete er, dass sie seinen Wünschen gehorchte, sonst würde er ihr diese Ehe befehlen.
Und diesen Befehlen würde auch der Seigneur de Sainte Croix gehorchen müssen, daher sein Zorn und seine schlechte Laune. Er wurde nicht gerne zu etwas gezwungen. Nicht einmal von seinem Fürsten.
»Heilige Anna! Ich – seine Gemahlin?«