Kapitel 7

Sobald die Sonne untergegangen war, kam Eric aus seinem Tagesruheort unter dem Wandschrank im Gästezimmer. Er hob mich hoch und küsste mich leidenschaftlich. Ich hatte schon eine Flasche TrueBlood für ihn angewärmt. Er zog zwar eine Grimasse, trank es aber.

»Was war das für ein Kind?«, fragte er.

»Hadleys Sohn«, sagte ich. Eric war Hadley begegnet, als sie mit Sophie-Anne, der inzwischen endgültig verstorbenen Vampirkönigin von Louisiana, zusammen gewesen war.

»Sie war mit einem Atmenden verheiratet?«

»Ja, bevor sie Sophie-Anne kennenlernte«, sagte ich. »Mit einem sehr netten Mann namens Remy Savoy.«

»Ist er das, den ich hier rieche? Neben dem intensiven Elfengeruch?«

Oha. »Ja, Remy hat Hunter heute Nachmittag abgeholt. Er hat bei mir übernachtet, weil Remy auf die Beerdigung einer Tante gehen musste. Und er fand, das sei für ein Kind nicht das Richtige.« Hunters kleines Problem sprach ich nicht an. Je weniger Leute davon wussten, desto besser, Eric eingeschlossen.

»Und?«

»Das wollte ich dir schon neulich Nacht erzählen«, sagte ich. »Du meinst den Elf, meinen Cousin Claude, oder?«

Eric nickte.

»Claude will eine Weile bei mir wohnen, weil er sich in seinem Haus einsam fühlt, jetzt, da seine Schwestern beide tot sind.«

»Du lässt einen anderen Mann bei dir wohnen.« Eric klang nicht wütend - eher so, als wäre er bereit, jeden Moment wütend zu werden, falls jemand weiß, was ich damit meine. In seiner Stimme lag nur so ein klitzekleiner Anflug von Ärger.

»Glaub mir, an mir als Frau ist er nicht interessiert«, sagte ich, obwohl ich mit schlechtem Gewissen an die Szene im Badezimmer denken musste. »Er steht nur auf Männer.«

»Und du kannst dich ja auch sehr gut gegen Elfen zur Wehr setzen, wenn sie dir Schwierigkeiten machen«, entgegnete Eric nach einem tiefen Schweigen.

Richtig, ich hatte bereits Elfen getötet. Daran wollte ich aber nicht unbedingt erinnert werden. »Ja. Und falls dir dann wohler zumute ist, lege ich eine Wasserpistole voll Zitronensaft auf meinen Nachttisch.« Zitronensaft und Eisen - die Schwachstellen der Elfen.

»Mir wäre in der Tat wohler zumute«, erwiderte Eric. »Hat Heidi diesen Claude auf deinem Land gewittert? Ich habe mir große Sorgen gemacht, und das ist einer der Gründe, weshalb ich gestern Nacht hierherkam.«

Die Wirkung der Blutsbande war nicht zu bestreiten. »Sie sagt, keine der Elfenfährten, die sie aufgespürt hat, ist von Claude«, erzählte ich, »und das macht mir wirklich Sorgen. Aber - «

»Mir macht es auch Sorgen.« Eric sah die leere True-Blood-Flasche an, dann fügte er hinzu: »Sookie, es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest.«

»Ach.« Ich hatte gerade von der frischen Leiche erzählen wollen. Eric wäre sicher selbst auf das Thema zu sprechen gekommen, wenn Heidi diese Leiche ihm gegenüber erwähnt hätte, und mir erschien es ziemlich wichtig. Na gut, ich hatte vielleicht etwas zu sarkastisch reagiert, als er mich unterbrach. Jedenfalls warf Eric mir jetzt einen scharfen Blick zu.

Okay, mein Fehler, Entschuldigung. Ich hätte sehnsüchtig danach verlangen sollen, mit Informationen vollgestopft zu werden, von denen Eric glaubte, dass sie mich sicher durch das Minenfeld der Vampirpolitik geleiten würden. Es hatte ja auch bereits Nächte gegeben, in denen ich mit großer Begeisterung mehr über das Leben meines Freundes erfahren hatte. Doch heute Nacht, nach all den ungewohnten Strapazen mit Hunter, wollte ich nur noch zweierlei (und noch mal, Entschuldigung): Eric von der Leiche im Wald erzählen und danach langen, ausgiebigen Sex.

Normalerweise hätte Eric nichts einzuwenden gehabt gegen dieses Programm.

Aber heute Nacht offensichtlich schon.

Wir setzten uns einander gegenüber an den Küchentisch. Ich versuchte, nicht laut aufzuseufzen.

»Du erinnerst dich doch noch an das Vampir-Gipfeltreffen in Rhodes und daran, dass auch verschiedene Staaten aus dem Süden und Norden eingeladen waren«, begann Eric.

Ich nickte. Das klang nicht allzu vielversprechend. Meine Leiche war mir viel wichtiger. Vom Sex ganz zu schweigen.

»Nachdem wir es gewagt hatten, von Grönland weiter in die Neue Welt zu segeln, und die atmende weiße Bevölkerung auch eingewandert war - wir waren die ersten Entdecker -, traf sich ein Großteil von uns, um das Land aufzuteilen und so unsere eigene Bevölkerung besser regieren zu können.«

»Gab es eigentlich auch Vampire unter den Ureinwohnern, als ihr hier ankamt? Hey, warst du etwa auf Leif Erikssons Entdeckungsreise dabei?«

»Nein, der ist nicht meine Generation. Seltsamerweise gab es nur sehr wenige Vampire unter den Ureinwohnern. Und die wenigen, die es hier gab, unterschieden sich in vielerlei Hinsicht von uns.«

Na, das war doch mal interessant. Aber ich ahnte schon, dass Eric sich nicht dabei aufhalten und weitere Details erzählen würde.

»Auf diesem ersten nationalen Treffen, vor ungefähr dreihundert Jahren, gab es viele Unstimmigkeiten.« Eric wirkte sehr, sehr ernst.

»Ach, wirklich?« Streitende Vampire? Ganz was Neues, gähn.

Mein Sarkasmus gefiel ihm überhaupt nicht. Er hob eine blonde Augenbraue, als wollte er sagen: »Kann ich endlich weiterreden und auf den springenden Punkt kommen? Oder willst du mir Kummer machen?«

Ich breitete die Arme aus. »Sprich weiter.«

»Anstatt das Land so zu gliedern, wie Menschen es tun würden, teilten wir jeder Division nördliche und südliche Gegenden zu. Wir dachten, das würde die Repräsentation aller Gebiete fördern. Die im Osten angesiedelte Division, die vor allem die Küstenstaaten umfasst, ist der Moshup-Clan, nach dem Riesen aus der Indianermythologie, und ihr Symbol ist der Wal.«

Okay, vielleicht wirkte ich an diesem Punkt etwas abwesend. »Sieh es im Internet nach«, sagte Eric ungeduldig. »Unser Clan - der aus den Staaten besteht, die sich in Rhodes getroffen haben - heißt Amun, nach einer Gottheit der Ägypter, und unser Symbol ist die Feder, weil Amun einen Federkopfschmuck trug. Erinnerst du dich noch, dass wir dort alle kleine Anstecknadeln mit Federn hatten?«

Oh. Nein. Ich schüttelte den Kopf.

»Nun, es war viel los auf diesem Gipfeltreffen«, räumte Eric ein.

Ja, all die Bomben und die Explosionen, und all das.

»Westlich von uns liegt der Zeus-Clan, nach dem griechischen Gott, und sein Symbol ist natürlich der Blitz.«

Natürlich. Ich nickte aus tiefster Überzeugung. Doch Eric hatte wohl den Eindruck, dass ich ihm inzwischen nicht mehr so richtig zuhörte. Er warf mir einen strengen Blick zu. »Sookie, das ist wichtig. Als meine Ehefrau musst du das wissen.«

Nicht mal auf dieses Thema würde ich mich heute Nacht einlassen. »Okay, sprich weiter.«

»Der vierte Clan, die Division an der Westküste, heißt Narayana, nach einer alten hinduistischen Gottheit, und sein Symbol ist das Auge, weil Narayana Sonne und Mond aus seinen Augen erschaffen hat.«

Ich dachte mir Fragen aus, die ich gern gestellt hätte, wie: Wer zum Teufel hat denn da zusammengehockt und diese dämlichen Namen ausgesucht? Aber sobald ich diese Fragen meiner inneren Zensur unterzog, klang eine frecher als die andere. »Aber auf dem Gipfeltreffen in Rhodes - dem Treffen des Amun-Clans - waren doch einige Vampire, die eigentlich zu Zeus gehören, oder?«

»Ja, genau! Es gibt immer Besucher auf den Gipfeltreffen, die ein berechtigtes Interesse an einem der zur Diskussion stehen Themen haben oder in einen Gerichtsprozess gegen jemanden aus der gastgebenden Division verwickelt sind, oder jemanden aus der Division heiraten wollen.« Eric lächelte so anerkennend, dass sich kleine Fältchen um seine Augenwinkel bildeten. Narayana erschuf die Sonne aus seinen Augen, dachte ich. Und erwiderte sein Lächeln.

»Verstehe«, sagte ich. »Wie kommt es dann, dass Felipe Louisiana erobert hat, wo wir doch zu Amun gehören und er... Ah, gehört Nevada zu Narayana oder Zeus?«

»Narayana. Er hat Louisiana erobert, weil er nicht so viel Angst vor Sophie-Anne hatte wie alle anderen. Und er hat seinen Plan rasch und präzise ausgeführt, nachdem der regierende ... Vorstand ... des Narayana-Clans diesem Plan zugestimmt hatte.«

»Er musste seinen Plan vorlegen, bevor er gegen uns vorging?«

»So ist es nun mal Brauch. Die Könige und Königinnen von Narayana wollten ihr Territorium nicht dadurch geschwächt sehen, dass Felipe unterliegt und es Sophie-Anne gelingt, Nevada an sich zureißen. Deshalb musste er seinen Plan skizzieren.«

»Und sie hatten nicht den Eindruck, dass wir auch gern etwas zu diesem Plan gesagt hätten?«

»Das interessiert sie nicht. Wenn wir geschwächt genug sind, um erobert zu werden, sind wir eine leichte Beute. Sophie-Anne war eine gute Königin und sehr angesehen. Aber Felipe kam aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme zu dem Schluss, dass wir geschwächt genug seien, um uns gefahrlos angreifen zu können. Stans Stellvertreter in Texas hatte in den letzten Monaten, seit Stan in Rhodes verletzt wurde, auch ziemlich zu kämpfen, und es fällt ihm sehr schwer, Texas zu halten.«

»Woher wussten sie denn, wie schwer Sophie-Anne verletzt war? Oder wie verletzt Stan ist?«

»Von Spionen. Wir Vampire spionieren uns alle gegenseitig aus.« Eric zuckte die Achseln. (Was war schon dabei. Spione halt.)

»Und was, wenn einer der Könige von Narayana Sophie-Anne einen Gefallen geschuldet und ihr einen Hinweis auf die Übernahme gegeben hätte?«

»Das haben einige sicher in Erwägung gezogen. Aber weil Sophie-Anne so schwer verletzt war, haben sie vermutlich beschlossen, dass Felipe die besseren Chancen hat.«

Das war ja entsetzlich. »Wie kannst du dann irgendwem vertrauen?« »Ich vertraue niemandem. Es gibt nur zwei Ausnahmen. Dich und Pam.«

»Oh.« Ich versuchte mir vorzustellen, was das für ein Gefühl sein musste. »Das ist ja schrecklich, Eric.«

Ich nahm an, Eric würde auch das wieder mit einem Achselzucken abtun. Doch stattdessen sah er mich einfach nur an und sagte: »Ja. Gut ist es nicht.«

»Weißt du, wer die Spione in Bezirk Fünf sind?«

»Felicia natürlich. Sie ist schwach, und es ist kein großes Geheimnis, dass sie auf jemandes Gehaltsliste stehen muss - wahrscheinlich auf Stans in Texas oder auf Freyas in Oklahoma.«

»Freya kenne ich nicht.« Stan war ich schon begegnet. »Gehört Texas zu Zeus oder zu Amun?«

Eric strahlte mich an. Ich war seine Einserschülerin. »Zu Zeus«, sagte er. »Aber Stan musste auf das Gipfeltreffen kommen, weil er zusammen mit Mississippi die Entwicklung einer Ferienanlage finanzieren wollte.«

»Das hat er aber teuer bezahlt«, entgegnete ich. »Wenn die anderen alle Spione haben, dann haben wir doch sicher auch welche, oder?«

»Natürlich.«

»Wen denn? Es fehlt doch gar keiner?«

»Du hast in New Orleans auch Rasul kennengelernt, glaube ich.«

Ich nickte. Rasul stammte aus dem Nahen Osten und hatte wirklich Sinn für Humor. »Er hat die Übernahme überlebt.«

»Ja, weil er sich bereit erklärt hat, für Victor zu spionieren, und folglich für Felipe. Sie haben ihn nach Michigan geschickt.«

»Ins kalte Michigan?«

»Dort gibt es eine sehr große arabische Gemeinde, in die Rasul sehr gut hineinpasst. Er hat ihnen erzählt, dass er aus Louisiana geflohen ist, um dem neuen Regime zu entkommen.« Eric hielt kurz inne. »Du weißt, dass sein Leben sehr schnell zu Ende ist, wenn du das irgendwem erzählst.«

»Ach, wirklich? Ich werde sicher niemandem irgendwas von all dem erzählen. Zum einen ist die Tatsache, dass ihr eure Teilstücke von Amerika nach Göttern benannt habt, einfach zu ...« Ich schüttelte den Kopf. Was auch immer. Ich war selbst nicht sicher. Anmaßend? Albern? Bizarr? »Zum anderen mag ich Rasul.« Ich hielt es für verdammt klug von ihm, die Gelegenheit zu ergreifen und sich Victors direktem Zugriff zu entziehen, ganz egal, wozu er sich bereit erklärt hatte. »Warum erzählst du mir das alles überhaupt so plötzlich?«

»Du musst unbedingt wissen, was um dich herum vor sich geht, Liebste.« Eric hatte nie ernster gewirkt. »Letzte Nacht lenkte mich plötzlich der Gedanke von der Arbeit ab, dass deine Unkenntnis für dich zum Nachteil werden könnte. Pam war meiner Ansicht. Sie wollte dir schon vor ein paar Wochen die Hintergründe unserer Hierarchie erklären. Aber ich dachte, dieses Wissen würde dich nur belasten und du hättest bereits genug eigene Probleme. Pam erinnerte mich daran, dass deine Unkenntnis eine Gefahr ist und deinen Tod zur Folge haben könnte. Und ich schätze dich zu sehr, um diese Gefahr weiter andauern zu lassen.«

Mein erster Gedanke war, dass ich mit meiner Unkenntnis prima leben konnte und es okay für mich gewesen wäre, wenn sie weiter angedauert hätte. Doch dann gab ich mir einen Ruck. Eric versuchte hier wirklich, mich in sein Leben in allen Einzelheiten einzubeziehen. Und er versuchte, mir die Eingewöhnung in seine Welt zu erleichtern, weil er mich als einen Teil davon betrachtete. Ich versuchte, mir das zu Herzen zu nehmen.

Schließlich sagte ich: »Danke.« Jetzt musste mir nur noch eine intelligente Frage einfallen. »Hm, okay. Die Könige und Königinnen aller Staaten einer bestimmten Division treffen sich also, um gemeinsam Entscheidungen zu fällen und sich zu verbünden - wie oft, alle zwei Jahre?«

Eric musterte mich wachsam. Er wusste genau, dass nicht alles bestens stand in Sookieville. »Ja«, sagte er. »Falls es keine Krise gibt, die ein außerplanmäßiges Treffen erfordert. Aber nicht jeder Bundesstaat entspricht automatisch einem Königreich. Es gibt zum Beispiel einen Herrscher für New York City und einen anderen für den Rest des Staates. Florida ist auch aufgeteilt.«

»Warum?« Das erstaunte mich. Bis ich darüber nachdachte. »Oh, jede Menge Touristen. Leichte Beute. Große Vampir-Gemeinden.«

Eric nickte. »Kalifornien ist in drei Teile geteilt - in Sacramento, San Jose und Los Angeles. Andererseits wurden North und South Dakota zu einem Königreich zusammengefasst, weil sie so dünn besiedelt sind.«

So langsam begriff ich, wie man die Dinge mit Vampiraugen betrachtete. Es gab dort mehr Löwen, wo sich die Gazellen an den Wasserlöchern drängten. Je weniger Beutetiere, desto weniger Raubtiere. »Wie werden denn die Geschäfte von - sagen wir mal, Amun - zwischen diesen zweijährigen Treffen geführt?« Irgendeine Angelegenheit musste es doch immer geben.

»Hauptsächlich über Internetforen. Wenn persönliche Besprechungen nötig sind, treten Komitees von Sheriffs zusammen, je nach Situation. Wenn ich Streit mit einem Vampir eines anderen Sheriffs hätte, würde ich zunächst mal diesen Sheriff anrufen. Sollte er nicht bereit sein, mir Genugtuung zu verschaffen, würden sich dann unsere beiden Stellvertreter miteinander treffen.«

»Und wenn auch dabei nichts herauskommt?«

»Dann hieven wir die Auseinandersetzung eine Ebene höher, zum Gipfeltreffen. Zwischen den Gipfeltreffen gibt es auch noch eine informelle Zusammenkunft, ohne Zeremonie oder Feier.«

Mir fielen zwar noch jede Menge Fragen ein, doch sie waren alle von der Sorte »Was, wenn«, und ich hatte den Eindruck, dass ich die Antworten darauf nicht unbedingt wissen musste.

»Okay«, sagte ich. »Na, das war doch mal wirklich interessant.«

»Du klingst aber nicht sehr interessiert, eher gereizt.«

»Es ist nun mal nicht das, was ich erwartet habe, als ich erfuhr, dass du bei mir im Haus schläfst.«

»Was hast du denn erwartet?«

»Ich habe erwartet, dass du hergekommen bist, um nach dem Aufstehen unverzüglich sagenhaften, überwältigenden Sex mit mir zu haben.« Zum Teufel mit der frischen Leiche im Wald, im Augenblick jedenfalls.

»Ich habe dir all diese Dinge zu deinem eigenen Besten erzählt«, sagte Eric sachlich. »Aber da das nun erledigt ist, bin ich so willig wie eh und je, Sex mit dir zu haben. Und überwältigend kann ich ihn auf jeden Fall machen.«

»Dann auf zur Jagd, Schatz.«

Mit einer Bewegung, die so schnell war, dass ich sie nicht wahrnahm, hatte Eric sich das Hemd ausgezogen. Und während ich den Anblick noch genoss, flogen auch schon seine restlichen Kleider davon.

»Muss ich dich tatsächlich jagen?«, fragte er mit bereits hervorblitzenden Fangzähnen.

Ich hatte es halb bis zum Wohnzimmer geschafft, ehe er mich fing. Er trug mich ins Schlafzimmer.

Und es war großartig. So großartig, dass sogar die ungute Sorge, die an mir nagte, fünfundvierzig sehr befriedigende Minuten lang erfolgreich erstickt wurde.

Eric liebte es, auf seinen Ellbogen aufgestützt neben mir zu liegen und mit der anderen Hand über meinen Bauch zu streichen. Als ich protestierte, dass ich mir dadurch dick vorkam, da mein Bauch nicht vollkommen flach war, lachte er von Herzen. »Wer will denn einen Sack voller Knochen?«, fragte er völlig ernst. »Ich will mich doch nicht verletzen an den scharfen Kanten einer Frau, mit der ich ins Bett gehe.«

Diese Worte taten mir so gut wie schon lange nichts mehr, das Eric zu mir gesagt hatte. »Waren die Frauen... Hatten die Frauen mehr Kurven, als du Mensch warst?«, fragte ich.

»Wir hatten nicht immer die Wahl, wie dick wir sein wollten«, sagte Eric trocken. »In schlechten Jahren waren wir alle nur Haut und Knochen. Aber wenn wir essen konnten, in den guten Jahren, dann haben wir es getan.«

Ich schämte mich. »Oh, entschuldige.«

»Dieses Jahrhundert ist wunderbar, um darin als Mensch zu leben«, fuhr Eric fort. »Man kann essen, wann immer man will.«

»Wenn man das Geld hat und sich etwas kaufen kann.«

»Oh, man kann es stehlen«, erwiderte er. »Es ist doch so, dass Essen da ist.«

»Nicht in Afrika.«

»Ich weiß, dass in vielen Teilen der Welt immer noch Menschen hungern. Aber früher oder später wird sich der Wohlstand überallhin ausbreiten. Es hat hier nur begonnen.«

Ich fand seinen Optimismus erstaunlich. »Glaubst du wirklich?«

»Ja«, sagte er nur. »Flichtst du mir das Haar, Sookie?«

Ich holte meine Bürste und ein Haargummi. Und auch wenn's albern klingt, das hier machte mir richtig Spaß. Eric setzte sich auf den Hocker vor meiner Frisierkommode, und ich zog den Morgenmantel über, den er mir geschenkt hatte, ein wunderschönes seidenes Exemplar in Weiß und Pfirsichfarben. Ich begann Erics langes Haar zu bürsten. Und da er nichts dagegen hatte, strich ich die blonden Strähnen mit Gel glatt, sodass keine losen Haare den Look ruinieren würden. Ich ließ mir Zeit, flocht den Zopf so ordentlich ich konnte, und band das Ende schließlich mit dem Haargummi zusammen. Wenn ihm sein Haar nicht ums Gesicht flatterte, sah Eric viel ernster aus, aber ganz genauso gut. Ich seufzte.

»Was hat es mit diesem Seufzer auf sich?«, fragte er und drehte sich hin und her, um sich von allen Seiten im Spiegel zu betrachten. »Bist du etwa nicht zufrieden mit dem Ergebnis?«

»Ich finde, du siehst großartig aus«, sagte ich. Nur der Umstand, dass er mich falscher Bescheidenheit beschuldigen könnte, hinderte mich daran, anzufügen: »Warum um alles in der Welt bist du also mit mir zusammen?«

»Jetzt werde ich dein Haar frisieren.«

Erschrocken fuhr ich zusammen. In der Nacht, als ich zum allerersten Mal Sex hatte, hatte Bill mein Haar gebürstet, bis die Sinnlichkeit dieser Bewegung sich zu einer ganz anderen Art Sinnlichkeit gewandelt hatte. »Nein, danke«, erwiderte ich munter.

Ich fühlte mich plötzlich sehr seltsam.

Eric drehte sich zu mir um und sah mich an. »Warum bist du so nervös, Sookie?«

»Hey, was ist eigentlich mit Alaska und Hawaii?«, fragte ich wahllos. Ich hatte immer noch die Bürste in der Hand, und ohne es zu wollen, ließ ich sie fallen. Klappernd fiel sie auf den Holzboden.

»Was?« Eric sah ein wenig verwirrt drein und blickte zuerst auf die Bürste und dann in mein Gesicht.

»In welcher Division sind sie? Beide in Nakamura?«

»Narayana. Nein. Alaska gehört den Kanadiern, die ihr eigenes System haben. Und Hawaii ist autonom.«

»Aber das geht doch nicht.« Ich war aufrichtig empört. Dann fiel mir ein, dass ich Eric noch etwas sehr Wichtiges erzählen musste. »Heidi hat dir sicher Bericht erstattet, nachdem sie auf meinem Land herumgeschnuppert hatte, oder? Hat sie dir auch von der Leiche erzählt?« Meine Hand zuckte unkontrolliert.

Eric beobachtete jede meiner Bewegungen, seine Augen wurden schmal. »Über Debbie Pelt haben wir doch schon gesprochen. Wenn du wirklich möchtest, bringe ich sie woanders hin.«

Ich zitterte am ganzen Körper. Ich wollte ihm erzählen, dass es um eine neue Leiche ging, und ich hätte es auch getan, aber irgendwie hatte ich Schwierigkeiten, meinen Satz zu formulieren. Ich fühlte mich so sonderbar. Eric neigte den Kopf, den Blick auf mein Gesicht gerichtet. »Du benimmst dich seltsam, Sookie.«

»Glaubst du, Alcide konnte am Geruch erkennen, dass es Debbies Leiche war?«, fragte ich. Was war mit mir los?

»Nein, nicht am Geruch«, sagte er. »Eine Leiche ist eine Leiche. Sie behält den unverwechselbaren Geruch nicht, der sie als einen bestimmten Menschen kennzeichnete, vor allem nicht nach so langer Zeit. Machst du dir solche Sorgen darüber, was Alcide denkt?«

»Nicht mehr so wie früher. Hey, heute habe ich im Radio gehört, dass einer der Senatoren von Oklahoma sich als Werwolf geoutet hat«, plapperte ich weiter. »Er sagte, er würde sich erst an dem Tag in einer Regierungsbehörde registrieren lassen, an dem sie ihm die Reißzähne aus seiner kalten Leiche ziehen.«

»Ich glaube, das wird positive Auswirkungen für die Vampire haben«, sagte Eric recht zufrieden. »Wir haben natürlich immer gewusst, dass die Regierung uns irgendwie im Auge behalten will. Doch wenn die Werwölfe jetzt ihren Kampf gegen die Überwachungspolitik gewinnen, können wir vielleicht dasselbe erreichen.«

»Zieh dich besser an«, sagte ich. Irgendein schlimmes Ereignis stand kurz bevor, und Eric saß immer noch nackt vor meiner Frisierkommode.

Er drehte sich noch mal um und warf einen letzten Blick auf sein Spiegelbild. »In Ordnung«, erwiderte er etwas erstaunt. Eric war prachtvoll in all seiner Nacktheit, doch im Moment war ich kein bisschen erregt, sondern zittrig, nervös und verängstigt. Mir war, als würden Spinnen über meinen ganzen Körper kriechen. Aber ich hatte keine Ahnung, was mit mir vor sich ging. Ich versuchte zu sprechen, doch ich konnte nicht. Mit der Hand gab ich Eric ein Zeichen, dass er sich beeilen möge.

Eric warf mir einen kurzen beunruhigten Blick zu und begann dann, wortlos nach seinen Kleidern zu suchen. Die Hosen fand er zuerst und zog sie an.

Ich sank zu Boden und hielt mir mit beiden Händen den Kopf, da ich das Gefühl hatte, er könnte gleich platzen. Ich wimmerte. Eric ließ sein Hemd fallen.

»Kannst du mir sagen, was los ist?«, fragte er und hockte sich neben mich auf den Boden.

»Jemand kommt«, sagte ich. »Ich fühle mich so seltsam. Jemand kommt. Schon fast hier. Jemand mit deinem Blut.« Und da wusste ich, dass ich einen ganz leichten Anflug dieses seltsamen Gefühls schon einmal empfunden hatte: als ich auf Bills Schöpferin Lorena getroffen war. Und mit Bill hatten mich nicht einmal Blutsbande verbunden, zumindest keine, die so bindend waren wie die mit Eric.

Im Nu war Eric wieder auf den Beinen, und ich hörte ihn aus den Tiefen seiner Brust einen Laut ausstoßen. Seine Hände waren zu weißen Fäusten geballt. Ich lag an mein Bett gekauert da, und Eric stand zwischen mir und dem offenen Fenster. Und da sah ich, dass auch draußen vor dem Fenster jemand stand.

»Appius Livius Ocella«, sagte Eric. »Es muss hundert Jahre her sein.«

Ach du meine Güte. Erics Schöpfer.