Kapitel 3

Glücklicherweise verließen die Gäste das Merlotte's alle frühzeitig, und ich konnte meine Arbeiten zum Feierabend in Rekordzeit erledigen. »Gute Nacht!«, rief ich über die Schulter und flitzte aus dem Hintereingang zu meinem Auto. Als ich hinter meinem Haus parkte, sah ich, dass Claudes Wagen nicht dastand. Also war er vermutlich noch in Monroe, was die Dinge vereinfachte. Rasch zog ich mich um, frischte mein Make-up auf, und als ich gerade Lippenstift auftrug, klopfte Pam auch schon an die Hintertür.

Pam sah heute Nacht besonders Pam-mäßig aus. Ihr blondes Haar war absolut glatt und glänzte, ihr hellblaues Kostüm wirkte wie ein edles Vintage-Modell, und dazu trug sie Seidenstrümpfe mit Naht, die sie mir extra vorführte, indem sie sich umdrehte.

»Wow«, sagte ich, und das war auch die einzig mögliche Reaktion. »Du siehst fantastisch aus!« Daneben verblasste ich in meinem roten Rock und der rot-weißen Bluse beinahe.

»Ja, nicht wahr?«, gab Pam mit beträchtlicher Genugtuung zurück. »Oh ...« Plötzlich wurde sie mucksmäuschenstill. »Rieche ich etwa Elfen?«

»Tust du, aber im Moment ist kein einziger Elf da, krieg dich also wieder ein. Mein Cousin Claude war heute hier. Er wird eine Weile bei mir wohnen.«

»Claude, das so verführerische, wunderschöne Arschloch?«Tja, Claudes Ruhm eilte ihm voraus. »Ja, der Claude.«

»Aber warum? Warum will er bei dir wohnen?«

»Er ist einsam«, sagte ich.

»Und das glaubst du ihm?« Pams blonde Augenbrauen schossen in ungeahnte Höhen.

»Nun ... ja, tu ich.« Warum sonst sollte Claude bei mir wohnen wollen? Mein Haus lag ja nicht mal günstig, was seinen Arbeitsweg anging. An die Wäsche wollte er mir garantiert nicht, und Geld hatte er sich von mir auch nicht leihen wollen.

»Das ist doch irgendeine Intrige der Elfen«, meinte Pam. »Du lässt dich für dumm verkaufen.«

Keiner wird gern »dumm« genannt. Pam hatte eindeutig eine Grenze überschritten, andererseits war »Takt« nicht gerade ihr zweiter Vorname. »Pam, das reicht«, sagte ich. Und ich musste ernst geklungen haben, denn sie starrte mich geschlagene fünfzehn Sekunden lang an.

»Ich habe dich verletzt«, sagte sie schließlich, wenn auch nicht so, als würde ihr das irgendetwas ausmachen.

»Ja, allerdings. Claude vermisst seine Schwester. Und es gibt keine Elfen mehr, mit denen er irgendeine Intrige spinnen könnte, seit Niall alle Portale oder Türen, oder was zum Teufel auch immer, geschlossen hat. Ich bin die einzige Verwandte seiner Art, die Claude geblieben ist - und noch dazu eine ziemlich klägliche, da ich nur eine winzige Spur Elfenblut in mir habe.«

»Brechen wir auf«, sagte Pam. »Eric wartet schon.«

Einfach das Thema zu wechseln, wenn sie nichts mehr zu sagen wusste, war eine weitere von Pams Eigentümlichkeiten. Ich musste lächeln und schüttelte den Kopf.

»Wie ist denn die Besprechung mit Victor gelaufen?«, fragte ich.

»Es wäre zu schön, wenn Victor bedauerlicherweise einen Unfall erleiden würde.«

»Meinst du das ernst?«

»Nein. Eigentlich wünsche ich mir von Herzen, dass ihn jemand umbringt.«

»Ich auch.« Unsere Blicke trafen sich, und sie nickte mir einmal knapp zu. In der Victor-Sache herrschte Einigkeit zwischen uns.

»Ich misstraue jeder seiner Aussagen«, erklärte Pam. »Ich hinterfrage jede seiner Entscheidungen. Ich glaube, er hat es auf Erics Position abgesehen. Er will nicht länger nur ein Abgesandter des Königs sein, sondern sein eigenes Territorium abstecken.«

Und schon sah ich vor meinem geistigen Auge einen in Felle gehüllten Victor in einem Kanu den Red River hinunterpaddeln, mit einem Indianermädchen, das stoisch hinter ihm saß. Ich lachte. Pam sah mich finster an, als wir in ihr Auto stiegen.

»Ich verstehe dich nicht«, murmelte sie. »Wirklich nicht.« Wir fuhren meine lange Auffahrt zur Hummingbird Road vor und bogen Richtung Norden ab.

»Warum sollte ein Sheriff in Louisiana eine Stufe höher stehen als ein Abgesandter Felipes, dem ein vermögendes Königreich untersteht?«, fragte ich sehr ernsthaft, um verlorenen Boden wettzumachen.

»Lieber in der Hölle regieren, als im Himmel dienen«, sagte Pam. Ich wusste, dass sie jemanden zitierte, hatte aber keine Ahnung wen.

»Louisiana als Hölle? Und Las Vegas als Himmel?« Dass irgendein kosmopolitischer Vampir Louisiana nicht gerade zu seinem ständigen Wohnsitz machen würde, konnte ich ja noch glauben, aber Las Vegas - göttlich? Nein, ganz bestimmt nicht.

»Ist nur so eine Redensart.« Pam zuckte die Achseln. »Für Victor wird es Zeit, sich aus Felipes Klauen zu befreien. Sie sind schon zu lange zusammen. Und Victor hat Ehrgeiz.«

»Das stimmt. Was glaubst du, welche Strategie verfolgt Victor? Wie will er Eric aus seiner Position drängen?«

»Er wird versuchen, ihn in Misskredit zu bringen«, sagte Pam wie aus der Pistole geschossen. Darüber hatte sie anscheinend schon öfter nachgedacht. »Und wenn Victor das nicht gelingt, wird er Eric töten - aber nicht direkt, nicht im Kampf.«

»Hat er Angst, Eric zum Kampf herauszufordern?«

»Ja«, erwiderte Pam lächelnd. »Ich glaube schon.« Wir hatten die Autobahn erreicht und waren nun auf dem Weg Richtung Westen nach Shreveport. »Wenn er Eric herausfordern würde, hätte Eric das Recht, mich zuerst in den Kampf zu schicken. Und ich würde nur zu gern gegen Victor kämpfen.« Ihre Fangzähne blitzten kurz auf im Schein des Armaturenbretts.

»Hat Victor auch einen Stellvertreter? Würde er den nicht zuerst hineinschicken?«

Pam neigte den Kopf ein wenig. Sie schien über meine Frage nachzudenken, während sie einen Sattelschlepper überholte. »Sein Stellvertreter ist Bruno Brazell. Er hat Victor begleitet in der Nacht, als Eric sich Nevada ergeben hat«, erzählte sie. »Kurzer Bart, ein Ohrring. Wenn Eric mir erlauben würde, für ihn zu kämpfen, könnte Victor sicher Bruno in den Kampf schicken. Er ist beeindruckend, zugegeben. Aber nach spätestens fünf Minuten hätte ich ihn getötet. Da kannst du dein Geld drauf verwetten.«

Pam war eine viktorianische junge Dame aus besseren Kreisen gewesen, mit einem verborgenen wilden Charakterzug, für sie war es eine echte Befreiung gewesen, herübergeholt zu werden. Ich hatte Eric nie gefragt, warum er gerade Pam ausgewählt und zur Vampirin gemacht hatte, aber ich war überzeugt, dass Eric ihre innere Ungezähmtheit erkannt hatte.

Ganz spontan sagte ich: »Pam? Fragst du dich manchmal, was aus dir geworden wäre, wenn du Eric nicht begegnet wärst?«

Lange herrschte Schweigen, oder zumindest kam es mir lang vor. Ich fragte mich, ob sie wütend oder traurig war, weil sie keine Chance mehr gehabt hatte, zu heiraten oder Kinder zu kriegen. Und ob sie wohl sehnsüchtig zurückblickte auf die sexuelle Beziehung zu ihrem Schöpfer Eric, die (wie die meisten Vampirbeziehungen) nicht lange angehalten hatte, aber sicher sehr intensiv gewesen war.

Als ich mich schon entschuldigen wollte für meine wohl zu private Frage, antwortete Pam schließlich doch noch. »Ich glaube, ich wurde geboren für dieses Dasein.« Der schwache Lichtschein vom Armaturenbrett beleuchtete ihre vollkommen regelmäßigen Gesichtszüge. »Ich wäre eine miserable Ehefrau und eine schreckliche Mutter geworden. Der Teil von mir, der unseren Feinden gern die Kehle aufschlitzt, wäre auch zum Vorschein gekommen, wenn ich ein Mensch geblieben wäre. Ich hätte vermutlich niemanden umgebracht, weil das nicht zu den Dingen gehörte, die ich als Menschenfrau tun durfte. Aber ich hätte meine Familie sehr unglücklich gemacht, da kannst du sicher sein.«

»Du bist aber eine großartige Vampirin«, versicherte ich ihr, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.

Pam nickte. »Ja. Das bin ich.«

Wir sprachen nicht mehr, bis wir Erics Haus erreicht hatten. Seltsamerweise hatte er sich ein Haus in einer bewachten Wohnanlage mit striktem Gebäudecode gekauft. Eric gefiel es, dass das Zugangstor tagsüber von Sicherheitsleuten streng bewacht wurde. Und ihm gefiel sein Feldsteinhaus. Es gab nicht allzu viele Unterkellerungen in Shreveport, da der Wasserpegel zu hoch war, doch Erics Haus lag an einem Hang. Ursprünglich konnte man das untere Geschoss von der hinteren Terrasse aus betreten. Eric hatte diese Tür jedoch herausreißen und die Wand fest zumauern lassen und sich so einen wunderbaren Tagesruheort geschaffen.

Erst seit uns Blutsbande verbanden, lud Eric mich zu sich nach Hause ein.

Manchmal war es aufregend, so eng mit Eric verbunden zu sein, doch manchmal kam ich mir auch gefangen vor. Ich konnte es zwar selbst kaum glauben, aber der Sex war sogar noch besser geworden, seit ich mich, zumindest weitgehend, von den Attacken der feindlichen Elfen erholt hatte. Und in diesem Augenblick fühlte ich mich, als würde jedes einzelne Molekül meines Körpers summen, nur weil ich in seiner Nähe war.

Pam hatte einen Garagenöffner dabei, auf den sie jetzt drückte. Das Tor schwang hoch, und Erics Auto kam zum Vorschein. Abgesehen von der schimmernden Corvette stand nichts in der Garage: keine Liegestühle, keine Beutel voll Rasensaatgut, keine halb leeren Farbtöpfe. Keine Stehleiter, Overalls oder Jagdstiefel. Solche Gegenstände brauchte Eric nicht. Es gab viel Rasenfläche in der Gegend, schöne Rasen mit ordentlich bepflanzten und gedüngten Blumenbeeten - doch ein Gartenpflegeservice mähte jeden Grashalm ab, stutzte jeden Busch zurecht und harkte jedes Blatt auf.

Pam machte es großen Spaß, das automatische Garagentor wieder herunterzufahren, als wir drin waren. Die Küchentür war abgeschlossen, doch Pam hatte einen Schlüssel, sodass wir von der Garage direkt ins Haus gehen konnten. Küchen sind für Vampire eigentlich nutzlos, auch wenn sie einen kleinen Kühlschrank für das synthetische Blut brauchen und eine Mikrowelle praktisch ist, um es auf Körpertemperatur zu erwärmen. Eric hatte eine Kaffeemaschine gekauft für mich, und er hatte ein paar Lebensmittel im Gefrierschrank für Menschen, die ihn besuchen kamen. In letzter Zeit war vor allem ich dieser Mensch gewesen.

»Eric!«, rief ich, als wir durch die Tür traten. Pam und ich zogen unsere Schuhe aus, das war eine von Erics Hausregeln.

»Oh, jetzt geh ihn schon begrüßen!«, sagte Pam, als ich sie ansah. »Ich muss erst mal ein paar Flaschen True-Blood und andere lebenserhaltende Dinge ausladen und wegpacken.«

Ich lief von der blitzblanken Küche ins Wohnzimmer. Die Farben in der Küche waren ziemlich langweilig, aber das Wohnzimmer entsprach ganz Erics Persönlichkeit. Man sah es seinem Kleidungsstil meist nicht an, aber Eric hegte eine Vorliebe für intensive Farben. Als ich ihn zum ersten Mal zu Hause besuchen kam, war ich über das Wohnzimmer höllisch erschrocken. Die Wände waren saphirblau, die Decken- und Fußleisten strahlend weiß, und die Möbel waren ein buntes Sammelsurium von Stücken, die ihm irgendwann mal gefallen hatten, gepolstert in allen Edelsteinfarben der Welt, manche sogar noch kunstvoll gemustert - in Rubinrot, Blau, Citringelb, Jade- und Smaragdgrün und Topazgold. Und weil Eric ein großer Mann war, waren auch seine Möbel groß: schwere, solide Stücke, die mit Kissen übersät waren.

Eric trat aus seinem Arbeitszimmer. Ich brauchte ihn nur zu sehen, und schon herrschte Aufruhr unter meinen Hormonen. Eric ist sehr groß, hat langes, goldblondes Haar und so blaue Augen, dass die Farbe aus seinem bleichen Gesicht - einem kantigen, männlichen Gesicht - beinah hervorzuspringen scheint. Er hat ganz und gar nichts Androgynes an sich. Meistens trägt er Jeans und T-Shirts, aber ich habe ihn auch schon im Anzug gesehen. Dem Männermagazin >GQ< war wirklich etwas durch die Lappen gegangen, als Eric beschloss, dass seine Talente eher darin lagen, ein Geschäftsimperium aufzubauen, als zu modeln. Heute Nacht trug er nicht mal ein T-Shirt, und man sah einige versprengte goldblonde Härchen bis zum Bund seiner Jeans hinterunterlaufen und auf seiner bleichen Haut schimmern.

»Na los«, sagte Eric, breitete die Arme aus und lächelte. Ich lachte, rannte los und machte einen Satz. Eric fing mich auf, die Hände um meine Taille gelegt, und hob mich in die Höhe, bis mein Kopf fast die Decke berührte. Dann ließ er mich wieder herunter, um mich zu küssen. Ich wand meine Beine um seine Hüften und schlang die Arme um seinen Hals. Einen langen Augenblick lang verloren wir uns ganz und gar ineinander.

»Zurück auf den Erdboden, Äffchen!«, rief Pam. »Die Zeit bleibt nicht stehen.«

Sie machte mir Vorwürfe, und nicht Eric, registrierte ich. Aber mit einem letzten ganz speziellen Lächeln ließ ich ihn los.

»Komm, setz dich und erzähl mir, was los ist«, sagte er. »Willst du, dass Pam es auch hört?«

»Ja«, erwiderte ich, denn er würde es ihr vermutlich sowieso erzählen.

Die beiden Vampire setzten sich jeder in eine Ecke des rubinroten Sofas, und ich nahm ihnen gegenüber in dem rot-goldenen Zweisitzer Platz. Vor dem Sofa stand ein sehr großer, quadratischer Couchtisch mit Intarsienarbeiten in der Holzplatte und elegant geschwungenen Beinen. Der Tisch war übersät mit Dingen, die Eric in letzter Zeit besonders gefallen hatten: ein Buchmanuskript über die Wikinger, das er begutachten sollte, ein schwerer Zigarettenanzünder aus Jade (obwohl er nicht rauchte) und eine schöne silberne Schale, die innen blau emailliert war. Ich fand seine Sammlungen immer sehr interessant. Mein eigenes Haus war einfach irgendwie... vollgestellt. Ehrlich gesagt hatte ich außer den Küchenschränken und -geräten nichts davon selbst ausgesucht - dafür spiegelte mein Haus aber die Geschichte meiner Familie wider. Erics Haus spiegelte die Geschichte seines eigenen langen Lebenswegs.

Ich fuhr mit einem Finger über die Intarsien. »Vorgestern hat Alcide Herveaux mich angerufen«, begann ich.

Ich hatte nicht erwartet, dass die beiden Vampire auf meine Neuigkeit eine Reaktion zeigen würde. Doch da war eine, eine winzige zwar nur (kaum ein Vampir geht verschwenderisch mit Gesichtsausdrücken um), aber definitiv vorhanden. Eric beugte sich vor und forderte mich damit auf, weiterzureden. Also erzählte ich auch noch, dass ich einige der Neuzugänge des Reißzahn-Rudels getroffen hatte, einschließlich Basim und Annabelle.

»Diesen Basim habe ich schon mal gesehen«, sagte Pam. Überrascht sah ich sie an. »Er kam irgendwann mal nachts ins Fangtasia, mit einer Werwölfin, einer der neuen... mit dieser Annabelle, so einer braunhaarigen Frau. Sie ist Alcides neues... Schätzchen.«

Obwohl ich es schon vermutet hatte, war ich doch etwas erstaunt. »Sie muss verborgene Talente haben«, platzte es aus mir heraus, noch ehe ich nachdenken konnte.

Eric hob eine Augenbraue. »Missfällt Alcides Wahl dir, Liebste?«

»Ich mochte Maria-Star sehr«, erwiderte ich. Wie so vielen anderen Leuten, die ich in den letzten zwei Jahren kennengelernt hatte, war auch Alcides ehemaliger Freundin ein furchtbares Ende beschieden gewesen. Ich hatte um sie getrauert.

»Und war er davor nicht recht lange mit dieser Debbie Pelt zusammen gewesen?«, fragte Eric, und ich hatte größte Mühe, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. »Da kann man mal sehen, dass Alcide ganz seinem Vergnügen frönt«, fuhr Eric fort. »Dich hat er doch auch einmal angeschmachtet, oder?« Durch Erics leichten Akzent klang das altmodische Wort noch exotischer. »Von einer wahren Schlampe zu einem unerhörten Talent, zu einer hübschen Fotografin, zu einer robusten Frau, der es nichts ausmacht, in eine Vampirbar geschickt zu werden. Alcide hat einen äußerst vielseitigen Geschmack, was Frauen betrifft.«

Das stimmte. So hatte ich das noch nie gesehen.

»Alcide hat Annabelle und Basim aus einem bestimmten Grund in die Bar geschickt. Hast du in letzter Zeit Zeitung gelesen?«, fragte Pam.

»Nein«, gab ich zu. »Ich habe es mir gegönnt, sie nicht zu lesen.«

»Der Kongress denkt daran, ein Gesetz zu verabschieden, das alle Werwölfe und Gestaltwandler dazu zwingt, sich registrieren zu lassen. Alle Gesetze und alle sie betreffenden Dinge würden dann in die Zuständigkeit des Ministeriums für Vampir-Angelegenheiten fallen, so wie die Gesetze und die Gerichtsverfahren, die uns Untote betreffen, jetzt schon.« Pam blickte sehr finster drein.

Fast hätte ich ausgerufen: »Aber das geht doch nicht!« Dann begriff ich, wie das geklungen hätte - so als fände ich es okay, dass Vampire sich registrieren lassen müssen, während Werwölfe und Gestaltwandler nicht dazu gezwungen werden dürften. Gott sei Dank hatte ich meinen Mund gehalten.

»Dass die Werwölfe deswegen aufgebracht sind, dürfte keinen überraschen. Alcide selbst hat mir gesagt, er glaubt, dass sein Rudel von der Regierung ausspioniert wird und dass diese Agenten dann Geheimberichte schreiben sollen für die Kongressabgeordneten, die das Gesetz diskutieren. Und er glaubt auch nicht, dass sie nur sein Rudel herausgepickt haben. Alcide hat einen guten Riecher.« In Erics Stimme schwang Anerkennung mit. »Und er glaubt, dass er unter Beobachtung steht.«

Jetzt verstand ich, warum Alcide sich solche Sorgen wegen der Leute gemacht hatte, die auf seinem Land zelteten. Er hatte vermutet, dass sie nicht waren, was sie zu sein vorgaben.

»Es ist doch ein schrecklicher Gedanke, dass man von der eigenen Regierung ausspioniert werden könnte«, sagte ich. »Vor allem dann, wenn man sich sein ganzes Leben lang für einen unbescholtenen Bürger gehalten hat.« Erst langsam begriff ich die enorme Tragweite dieses Gesetzesvorhabens. Statt weiterhin ein respektierter und wohlhabender Bürger von Shreveport zu sein, wäre Alcide (und die anderen Mitglieder seines Rudels) plötzlich ein ... illegaler Fremder. »Wo würde diese Registrierung denn stattfinden? Könnten die Kinder dann noch mit all den anderen zur Schule gehen? Und was ist mit all den Männern und Frauen auf dem Luftwaffenstützpunkt Barksdale? Nach all den Jahren! Glaubst du, dass dieses Gesetz wirklich verabschiedet wird?«

»Die Werwölfe glauben es«, erwiderte Pam. »Vielleicht ist es nur Paranoia. Aber vielleicht haben sie auch von den Kongressabgeordneten, die selbst zweigestaltig sind, etwas gehört und wissen mehr als wir. Alcide hat diese Annabelle und Basim al Saud zu uns geschickt, um uns mitzuteilen, dass wir schon bald alle in einem Boot sitzen könnten. Sie wollten Genaueres wissen über die Bevollmächtigte des MVA in diesem Bezirk, was für eine Art Frau sie ist und wie man am besten mit ihr umgehen sollte.«

»Wer ist denn die Bevollmächtigte?«, fragte ich und outete mich damit als schlecht informierte Ignorantin, wie peinlich. Das hätte ich eigentlich wissen sollen, wenn ich schon so intime Beziehungen zu einem Vampir pflegte.

»Katherine Boudreaux«, sagte Pam. »Sie hat etwas mehr für Frauen übrig als für Männer, genau wie ich.« Pam grinste. »Und sie liebt Hunde. Sie hat eine feste Lebensgefährtin, Sallie, die bei ihr im Haus wohnt. Katherine ist an kleinen Seitensprüngen nicht interessiert, und sie lässt sich nicht bestechen.«

»Was du bestimmt höchstpersönlich ausprobiert hast.«

»Ich habe versucht, sie zu einer Affäre zu verführen. Bobby Burnham wollte sie bestechen.« Bobby war Erics Mann für den Tag. Wir verabscheuten einander von Grund auf.

Ich holte einmal tief Luft. »Nun ja, gut, das alles zu wissen, aber mein eigentliches Problem tauchte erst auf, nachdem die Werwölfe mein Land benutzt hatten.«

Eric und Pam sahen mich plötzlich eindringlich und höchst aufmerksam an. »Du hast die Werwölfe für ihren monatlichen Auslauf dein Land benutzen lassen?«

»Ah, ja. Hamilton Bond sagte, dass auf der Herveaux-Farm draußen Leute zelteten, und jetzt, da ich weiß, was Alcide euch erzählt hat - ich frage mich nur, warum er mir das alles nicht erzählt hat -, verstehe ich auch, warum er den Auslauf nicht auf seinem eigenen Land machen wollte. Er hat bestimmt geglaubt, dass die Zelter Regierungsagenten waren. Wie soll das neue Ministerium eigentlich heißen?«, fragte ich. Doch nicht weiter MVA, oder? Das Ministerium für Vampir-Angelegenheiten »repräsentierte« doch bloß die Vampire.

Pam zuckte die Achseln. »Im Gesetzentwurf, der gerade durch den Kongress geht, wird Ministerium für Vampire und Supranaturale Angelegenheiten vorgeschlagen.«

»Komm auf dein Problem zurück, Liebste«, warf Eric ein.

»Okay. Also, als die Werwölfe abfuhren, kam Basim noch einmal an meine Haustür und sagte mir, dass er die Fährte mindestens eines Elfen und eines Vampirs gewittert habe, die mein Land durchquert hätten. Und mein Cousin Claude behauptet, er sei dieser Elf nicht gewesen.«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.

»Interessant«, sagte Eric.

»Sehr seltsam«, sagte Pam.

Eric strich mit einer Hand über das Manuskript auf dem Couchtisch, als könnte es ihm sagen, wer auf meinem Land herumgestreunt war. »Ich kenne die Referenzen dieses Basim nicht, sondern weiß nur, dass er aus dem Rudel in Houston rausgeflogen ist und Alcide ihn aufgenommen hat. Ich weiß nicht, warum er verstoßen wurde. Vermutlich wegen irgendwelcher Streitereien. Wir werden das, was Basim dir erzählt hat, überprüfen.« Er wandte sich an Pam. »Dieses neue Mädchen, Heidi, sagt doch, sie sei Fährtenleserin.«

»Du hast eine neue Vampirin?«, fragte ich.

»Eine, die Victor uns geschickt hat.« Eric hatte einen grimmigen Zug um den Mund. »Denn sogar von New Orleans aus leitet Victor - angeblich - Louisiana mit fester Hand. Er hat Sandy, die unsere Mittlerin sein sollte, nach Nevada zurückgeschickt. Ich vermute, Victor war der Ansicht, dass er nicht genug Kontrolle über sie hatte.«

»Wie kann er New Orleans wieder auf die Beine bringen, wenn er so viel in Louisiana herumreist wie Sandy?«

»Ich nehme an, dann überträgt er die Leitung Bruno Brazell«, sagte Pam. »Bruno tut so, als wäre Victor in New Orleans, selbst wenn er nicht da ist. Der Rest von Victors Leuten weiß meist gar nicht, wo er sich aufhält. Seit er alle Vampire, die er in New Orleans finden konnte, getötet hat, müssen wir uns auf die Informationen unseres einzigen Spions verlassen, der das Massaker überlebt hat.«

Ich wäre natürlich gern zu der Frage abgeschweift, wer dieser mutige und furchtlose Vampir war, der inmitten des feindlichen Lagers für Eric spionierte. Aber ich musste bei meinem Hauptthema bleiben: bei der Geheimniskrämerei des neuen regierenden Oberbosses von Louisiana. »Victor steht also gern selbst an vorderster Front«, sagte ich. »Er will alles mit eigenen Augen sehen und alles selbst machen, anstatt sich auf die Kette der Untergebenen zu verlassen.«

»Genau«, sagte Pam. »Und die Kette der Untergebenen kann sehr wörtlich gemeint und aus schwerem Eisen sein unter Victor.«

»Pam und ich haben uns schon auf der Fahrt hierher über Victor unterhalten. Ich frage mich, warum Felipe de Castro Victor zu seinem Repräsentanten in Louisiana ernannt hat?« Victor hatte auf mich eigentlich ganz okay gewirkt die zwei Mal, die ich ihm persönlich begegnet war - was aber nur bewies, dass man Vampire nie nach ihrem guten Benehmen und freundlichen Lächeln beurteilen sollte.

»Dazu gibt es zwei Theorien«, sagte Eric und streckte seine langen Beine von sich. Vor meinem geistigen Auge blitzte das Bild auf, wie diese langen Beine auf knittrigen Laken ausgebreitet dalagen, und ich musste mich zwingen, mich wieder auf das Thema des Gesprächs zu konzentrieren.

Eric lächelte mir mit hervorblitzenden Fangzähnen zu (er bekam natürlich mit, welche Gefühle ich empfand), ehe er fortfuhr. »Die eine besagt, dass Felipe Victor so weit wie irgend möglich von sich weg haben will. Ich glaube, dass Felipe Victor einen saftigen Brocken Fleisch hingeworfen hat, damit der nicht in Versuchung kommt, gleich nach dem ganzen Steak zu greifen.«

»Während andere von uns glauben«, ergänzte Pam, »dass Felipe Victor eingesetzt hat, weil der eben sehr effizient ist. Und dass Victors Ergebenheit Felipe gegenüber womöglich echt ist.«

»Wenn die erste Theorie stimmt«, sagte Eric, »gibt es kein echtes Vertrauen zwischen Felipe und Victor.«

»Wenn die zweite Theorie stimmt«, meinte Pam, »und wir gegen Victor vorgehen, wird Felipe uns töten.«

»Jetzt verstehe ich langsam, worauf ihr hinauswollt«, sagte ich und sah von erster Theorie (nackter Oberkörper mit Jeans) zu zweiter Theorie (reizendes Vintage-Kostüm). »Ich bin ja wirklich nur ungern so selbstbezogen, aber der erste Gedanke, der mir kam, war dieser: Victor wollte doch nicht zulassen, dass du mir hilfst, Eric, als ich dich brauchte - Pam, ich weiß übrigens auch, wie viel ich dir zu verdanken habe. Und das bedeutet ja wohl, dass Victor das Versprechen nicht respektiert, oder? Felipe hat mir nun aber mal versprochen, dass er seinen Schutz auch auf mich ausdehnt, was er besser auch tun sollte, da ich ihm das Leben gerettet habe, stimmt's?«

Beredtes Schweigen trat ein, während Eric und Pam über meine Ausführungen nachdachten.

»Ich glaube, Victor wird sein Bestes tun, dir so lange nicht offen zu schaden, bis er selbst König zu werden versucht - falls er das tut«, sagte Pam. »Wenn Victor beschließt, nach der Königswürde zu greifen, sind alle von Felipe abgegebenen Versprechen nur noch Worte ohne Bedeutung.« Eric nickte zustimmend.

»Das ist ja großartig.« Ich klang vermutlich etwas gereizt und selbstbezogen, aber genau so fühlte ich mich.

»Bei all dem gehen wir aber davon aus, dass es uns nicht gelingt, ihn vorher zu töten«, sagte Pam leise. Und dann schwiegen wir alle einen langen Augenblick lang. Doch sosehr ich mir Victors Tod auch wünschte, irgendwie kam mir das Grausen, wie wir drei da so saßen und über den Mord an ihm sprachen.

»Und du glaubst, diese Heidi, die so eine hervorragende Fährtenleserin sein soll, ist hier in Shreveport, um für Victor Augen und Ohren offen zu halten?«, fragte ich, entschlossen, die Kälte wieder abzuschütteln, die in mir hochgekrochen war.

»Ja«, sagte Pam. »Falls sie nicht hier ist, um für Felipe Augen und Ohren offen zu halten, damit Felipe mitbekommt, was Victor in Louisiana treibt.« Sie hatte wieder diesen unheilvollen Ausdruck im Gesicht, der besagte, dass sie schon noch zu ihrem Vampirspiel kommen würde. Man konnte nur hoffen, dass Pam nie so dreinblicken würde, wenn mal der eigene Name im Gespräch fiel. Wenn ich diese Heidi wäre, würde ich immer schön artig sein.

»Heidi«, das beschwor in meiner Vorstellung ein Bild von Zöpfen und weitausgestellten Röcken herauf - ein wirklich witziger Name für eine Vampirin.

»Was soll ich also mit der Warnung des Reißzahn-Rudels anfangen?«, fragte ich, um das Gespräch zum ursprünglichen Thema zurückzulenken. »Wollt ihr Heidi auf mein Grundstück schicken, damit sie nach der Elfenfährte sucht? Übrigens, ich muss euch noch was erzählen. Basim hat auch eine Leiche gewittert, allerdings keine frische, sehr tief vergraben irgendwo am Rand meines Landes.«

»Oh«, sagte Eric und wandte sich an Pam. »Lässt du uns bitte mal einen Augenblick allein.«

Sie nickte und ging durch die Küche hinaus. Ich hörte die Hintertür ins Schloss fallen.

»Tut mir leid, Liebste. Falls du auf deinem Grundstück nicht noch jemanden begraben hast, ohne mir davon zu erzählen, dann ist das Debbie Pelts Leiche.«

Das war genau das, was ich befürchtet hatte. »Ist das Auto auch irgendwo da draußen?«

»Nein, das Auto habe ich in einem Teich ungefähr zehn Meilen südlich von deinem Grundstück versenkt.«

Ein Glück. »Nun, wenigstens war's ein Werwolf, der sie gefunden hat«, sagte ich. »Da müssen wir uns vermutlich keine Sorgen machen, solange Alcide sie nicht am Geruch erkennt. Denn sie werden nicht hingehen und sie ausgraben. Es geht sie ja im Grunde gar nichts an.« Debbie Pelt war Alcides Exfreundin gewesen, als ich das Pech hatte, sie kennenzulernen. Ich will jetzt nicht die ganze Geschichte wieder aufwärmen, aber sie hatte zuerst versucht, mich zu töten. Es hat eine Weile gedauert, aber inzwischen habe ich die seelischen Nöte wegen ihres Todes überwunden. Eric hatte mich in jener Nacht begleitet, war allerdings geistig nicht ganz auf der Höhe gewesen. Aber das ist noch wieder eine andere Geschichte.

»Komm her«, sagte Eric mit dem Gerichtsausdruck, den ich bei ihm am liebsten mochte, und ich war doppelt froh darüber, weil ich nicht zu viel über Debbie Pelt nachdenken wollte.

»Hmmm. Was gibst du mir, wenn ich es tue?« Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Ich glaube, du weißt sehr genau, was ich dir dann gebe. Ich glaube, du möchtest nur zu gern, dass ich es dir gebe.«

»Und ... du hast gar keinen Spaß daran?«

Noch ehe ich blinzeln konnte, kniete er vor mir, drückte meine Knie auseinander und lehnte sich vor, um mich zu küssen. »Ich glaube, du weißt, was ich empfinde«, flüsterte er. »Uns verbinden Blutsbande. Glaubst du etwa, dass ich nicht an dich denke, wenn ich arbeite? Sobald ich meine Augen öffne, denke ich an dich, an jeden Teil von dir.« Seine Finger wurden immer geschäftiger, und ich keuchte. Das war direkt, sogar für Eric. »Liebst du mich?«, fragte er und blickte mir tief in die Augen.

Das war etwas schwierig zu beantworten, vor allem wenn ich daran dachte, was seine Finger gerade taten. »Ich liebe es, mit dir zusammen zu sein, ob wir Sex haben oder nicht. Oh Gott, mach das noch mal! Ich liebe deinen Körper. Ich liebe, was wir miteinander tun. Du bringst mich zum Lachen, und das liebe ich. Ich schaue dir gern zu, was immer du auch tust.« Ich küsste ihn, lange und verlangend. »Ich schaue dir gern beim Anziehen zu. Ich schaue dir gern beim Ausziehen zu. Ich schaue gern deinen Händen zu, wenn du das mit mir machst. Oh!« Mein ganzer Körper bebte vor Lust. Als ich mich einen Moment erholen konnte, murmelte ich: »Wenn ich dir dieselbe Frage stellen würde, wie würde deine Antwort lauten?«

»Ich würde genau dasselbe sagen«, erwiderte Eric. »Und ich glaube, das bedeutet, dass ich dich liebe. Wenn das keine wahre Liebe ist, dann ist es so nah dran wie nur möglich. Siehst du, was du mit mir gemacht hast?« Er musste nicht extra hinzeigen. Es war ziemlich deutlich zu erkennen.

»Das tut doch bestimmt weh. Möchtest du, dass ich mich ein wenig um dich kümmere?«, fragte ich so cool, wie ich es hinbekam.

Er gab nur ein Knurren von sich. Im Nu hatten wir Plätze getauscht. Jetzt kniete ich vor Eric, seine Hände ruhten streichelnd auf meinem Kopf. Eric war ein ziemlich großer Kerl, und das war ein Teil unseres Sexlebens, an dem ich noch arbeiten musste. Aber ich fand, ich machte es schon ziemlich gut, und er schien das genauso zu sehen. Nach ein, zwei Minuten griff er mir fester ins Haar, und ich stieß einen kleinen Protestschrei aus. Er ließ los und krallte seine Hände stattdessen ins Sofa. Ein Stöhnen drang aus der Tiefe seiner Kehle. »Schneller«, japste er. »Jetzt, jetzt!« Er schloss die Augen, und sein Kopf sank zurück, seine Hände umkrampften das Sofapolster. Ich liebte es, diese Macht über ihn zu haben. Dann sagte er plötzlich etwas in einer altertümlichen Sprache, er drückte den Rücken durch, und ich bewegte mich noch entschiedener, alles aufnehmend, was er mir gab.

Und all das fast gänzlich bekleidet. »War das genug Liebe für dich?«, fragte er, in langsamem und verträumtem Ton.

Ich kletterte auf seinen Schoß und schlang ihm die Arme um den Hals, um noch ein wenig zu kuscheln. Seit ich meine Freude am Sex wiedergefunden hatte, fühlte ich mich schlaff wie ein Waschlappen nach einer Session mit Eric. Und dies hier war mein Lieblingspart, auch wenn ich mich wie einer kitschigen Frauenzeitschrift entsprungen fühlte, wenn ich es zugab.

Während wir da so saßen und uns in den Armen hielten, erzählte Eric mir von einem Gespräch, das er im Fangtasia mit einer Vampirsüchtigen geführt hatte, und wir lachten darüber. Ich erzählte ihm, was für eine Baustelle die Hummingbird Road war, während der Landkreis Straßenarbeiten ausführte. Vermutlich reden alle über solche Dinge mit dem Menschen, den sie lieben; man geht davon aus, dass der andere sich auch für die banalsten Dinge interessiert, wenn sie einem selbst wichtig sind.

Ich wusste, dass Eric in dieser Nacht leider noch genug Geschäftliches zu erledigen hatte, also sagte ich, dass ich mit Pam nach Bon Temps zurückfahren wolle. Manchmal blieb ich auch über Nacht bei ihm und las, während er arbeitete. Es ist nicht einfach, Zeit für ein bisschen Zweisamkeit zu finden mit einem Boss und Geschäftsmann, der nur während der dunklen Nachtstunden wach ist.

Er gab mir noch einen Kuss, damit ich ihn nicht vergaß. »Ich schicke Heidi raus auf dein Grundstück, wahrscheinlich übernächste Nacht«, sagte er. »Sie wird überprüfen, was Basim da in den Wäldern gewittert hat. Und lass es mich wissen, wenn du von Alcide hörst.«

Als Pam und ich Erics Haus verließen, hatte es zu regnen begonnen. Der Regen hatte kühlere Luft mit sich gebracht, und so drehte ich die Heizung in Pams Auto auf. Für sie machte es keinen Unterschied. Eine Weile fuhren wir schweigend dahin, jede in ihre eigenen Gedanken versunken. Ich sah die Scheibenwischer hin- und hergehen, hin und her.

»Du hast Eric gar nicht erzählt, dass ein Elf bei dir wohnt«, sagte Pam plötzlich.

»Oh, Mist!« Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. »Nein, habe ich nicht. Es gab so viel anderes zu besprechen, da habe ich es vollkommen vergessen.«

»Du weißt aber, dass es Eric gar nicht gefallen wird, dass ein anderer Mann bei seiner Frau im Haus wohnt.«

»Ein anderer Mann, der mein Cousin ist und außerdem noch schwul.«

»Aber wunderschön und ein Stripper.« Pam warf mir einen Blick zu. Sie lächelte. Pams Lächeln hatte oft etwas sehr Beunruhigendes.

»Er kann so viel strippen, wie er will - wenn man die Person nicht liebt, die man nackt sieht, wird auch nichts passieren«, gab ich scharf zurück.

»Ich verstehe ja, was du sagen willst«, meinte Pam nach kurzem Zögern. »Aber trotzdem, mit einem so attraktiven Mann im selben Haus... Das ist nicht gut, Sookie.«

»Du machst doch Witze, oder? Claude ist schwul. Und er steht nicht nur auf Männer, sondern sogar auf Männer mit Stoppelbart und Ölflecken auf den Jeans.«

»Was bedeutet das?«, fragte Pam.

»Das bedeutet, dass er auf Arbeitertypen steht, die noch mit ihren Händen arbeiten. Oder mit ihren Fäusten.«

»Oh. Interessant.« Pam strahlte immer noch einen Hauch von Missbilligung aus. Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie fort. »Eric hatte seit sehr, sehr langer Zeit niemanden mehr wie dich, Sookie. Ich glaube zwar, dass er vernünftig genug ist, um auf Kurs zu bleiben, aber du musst auch an seine Verantwortung denken. Dies ist eine gefährliche Zeit für uns paar Leute aus seiner ursprünglichen Crew, die nach Sophie-Annes endgültigem Tod noch übrig geblieben sind. Wir Shreveport-Vampire gehören jetzt noch viel enger zu Eric, da er der einzige überlebende Sheriff des alten Regimes ist. Wenn Eric untergeht, gehen wir alle unter. Und wenn es Victor gelingt, Eric in Misskredit zu bringen oder irgendwie seine Basis hier in Shreveport anzugreifen, werden wir alle sterben.«

Ich hatte die Situation selbst noch nie in so unheilvolle Worte gefasst. Und Eric mir gegenüber auch nicht. »Ist es wirklich so schlimm?«, fragte ich benommen.

»Er ist eitel genug, dass er vor dir gern als starker Mann dastehen möchte, Sookie. Und in der Tat, Eric ist ein großartiger Vampir, und sehr pragmatisch. Aber in letzter Zeit ist er nicht mehr so pragmatisch - nicht, wenn es um dich geht jedenfalls.«

»Willst du damit sagen, dass Eric und ich uns nicht mehr sehen sollten?«, fragte ich ganz direkt. Normalerweise war ich heilfroh, dass ich die Gedanken der Vampire nicht lesen konnte, manchmal war es aber auch frustrierend. Ich war daran gewöhnt, mehr über die Gedanken und Gefühle der Leute zu wissen, als ich wissen wollte, und nicht daran, mich fragen zu müssen, ob ich recht hatte.

»Nein, das nicht.« Pam wirkte nachdenklich. »Ich könnte es nicht ertragen, ihn unglücklich zu sehen. Und dich auch nicht«, fügte sie nachträglich hinzu. »Aber wenn er sich deinetwegen Sorgen macht, reagiert er nicht so, wie er reagieren würde... reagieren sollte...«

»Wenn es mich nicht gäbe.«

Eine Weile lang sagte Pam nichts. »Ich glaube«, begann sie schließlich, »dass Victor dich bisher nur aus einem Grund nicht entführt hat, um Eric zu erpressen, und zwar weil Eric dich geheiratet hat. Victor versucht immer noch, seinen Arsch zu retten, indem er sich an die Spielregeln hält. Er ist noch nicht so weit, offen gegen Felipe zu rebellieren. Er wird auch weiterhin versuchen, sich für alles, was er tut, zu rechtfertigen. Aber Felipe gegenüber bewegt er sich mittlerweile auf dünnem Eis, weil er beinah zugelassen hat, dass du umkommst.«

»Vielleicht erledigt Felipe ja den Job für uns«, sagte ich.

Pam dachte kurz nach. »Das wäre ideal«, erwiderte sie dann. »Aber darauf werden wir noch warten müssen. Felipe wird nichts überstürzen, wenn es darum geht, einen seiner Stellvertreter zu töten. Das würde nur seine anderen Stellvertreter beunruhigen und verunsichern.«

Ich schüttelte den Kopf. »So ein Pech. Denn Felipe würde es doch überhaupt nichts ausmachen, Victor umzubringen.«

»Und würde es dir etwas ausmachen, Sookie?«

»Ja, allerdings.« Wenn auch nicht so viel, wie es sollte.

»Du würdest Victor also lieber im Eifer des Gefechts töten, nachdem er dich angegriffen hat, statt den Mord an ihm so zu planen, dass er sich dagegen nicht wirksam wehren kann?«

Okay, so formuliert, ergab meine Einstellung nicht allzu viel Sinn. Ich sah ein, dass es vollkommen lächerlich war, sich noch lange Gedanken über die Umstände zu machen, wenn man sowieso gewillt war, jemanden zu töten, oder den Mord an jemandem plante.

»Es sollte eigentlich keinen Unterschied machen«, sagte ich leise. »Tut es aber. Trotzdem muss Victor weg.«

»Du hast dich verändert«, erwiderte Pam nach kurzem Schweigen. Sie wirkte nicht überrascht, schockiert oder angewidert. Aber glücklich klang sie auch nicht, wenn wir schon dabei sind. Es klang eher so, als würde sie feststellen, dass ich meine Frisur verändert hatte.

»Ja«, sagte ich. Wieder sahen wir eine Zeit lang einfach nur zu, wie der Regen niederging.

Plötzlich rief Pam: »Guck mal!« Auf dem Standstreifen der Autobahn parkte eine glänzend weiße Limousine. Ich verstand nicht, warum Pam so aufgeregt war, bis ich den Mann bemerkte, der trotz des Regens in vollkommen nonchalanter Haltung mit vor der Brust verschränkten Armen am Auto lehnte.

Als wir auf gleicher Höhe mit dem Wagen, einem Lexus, waren, winkte die Gestalt uns mit lässiger Geste heran. Wir wurden gebeten, rechts ranzufahren.

»Mist!«, schimpfte Pam. »Das ist Bruno Brazell. Wir müssen anhalten.« Sie fuhr auf den Standstreifen und hielt vor dem anderen Wagen. »Und Corinna«, sagte sie erbittert. Ich blickte in den Außenspiegel und sah, dass eine Frau aus dem Lexus gestiegen war.

»Sie sind hier, um uns umzubringen«, sagte Pam leise. »Ich kann sie nicht beide töten, du musst mir helfen.«

»Sie wollen uns umbringen?« Jetzt hatte ich wirklich Angst.

»Es gibt keinen anderen Grund dafür, dass Victor zwei Leuten eine Aufgabe überträgt, für die auch einer gereicht hätte«, erklärte Pam mir in ruhigem Ton. Offenbar dachte sie sehr viel schneller als ich. »Los geht's! Wenn wir den Frieden wahren können, müssen wir es versuchen, für den Moment zumindest. Hier.« Sie drückte mir etwas in die Hand. »Zieh ihn aus dem Futteral. Es ist ein Silberdolch.«

Ich dachte an Bills fahlgraue Haut und daran, wie langsam er sich seit der Silbervergiftung bewegte. Es schauderte mich, doch ich ärgerte mich auch über meine Zimperlichkeit. Ich zog den Dolch aus dem Lederfutteral.

»Wir müssen wohl aussteigen, wie?«, fragte ich und versuchte zu lächeln. »Okay, los geht's.«

»Sookie, sei mutig und rücksichtslos«, sagte Pam noch, öffnete die Tür und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich schickte Eric in Gedanken einen letzten Liebesgruß, quasi zum Abschied, während ich mir den Dolch hinten in den Rockbund steckte. Dann stieg auch ich aus dem Auto und in die regennasse Dunkelheit, die Hände ausgestreckt, um zu zeigen, dass sie leer waren.

Innerhalb von Sekunden war ich völlig durchnässt. Ich strich mir das Haar hinter die Ohren, damit es mir nicht in die Augen hing. Die Schweinwerfer des Lexus waren zwar an, doch es war sehr dunkel. Das einzige andere Licht kam von den vorbeisausenden Autoschweinwerfern auf beiden Seiten der Autobahn und von dem hell erleuchteten Fernfahrerrastplatz ungefähr eine Meile entfernt. Ansonsten waren wir irgendwo im Nirgendwo, an irgendeinem Teilstück einer mehrspurigen Autobahn mit Wald zu beiden Seiten. Die Vampire konnten sehr viel besser sehen als ich. Aber ich wusste, wo jeder einzelne war, weil ich meinen mir eigenen Sinn einsetzte und nach ihren Gehirnen tastete. Vampire nehme ich als Punkte tiefer Stille in meiner Umgebung wahr, fast wie schwarze Löcher in der Atmosphäre. Es ist wie ein Suchen nach dem, was nicht da ist.

Keiner sagte ein Wort, und das einzige Geräusch war das Getrommel des Regens auf den Autodächern. Nicht einmal ein vorbeifahrendes Auto war zu hören. »Hi, Bruno«, rief ich so munter, dass es fast schon verrückt klang. »Wen haben Sie denn da bei sich?«

Ich ging zu ihm hinüber. Jenseits des Mittelstreifens schoss ein Auto Richtung Westen vorbei. Falls der Fahrer uns bemerkt hatte, sah es sicher so aus, als hätten zwei gute Samariter angehalten, um Leuten zu helfen, deren Auto liegen geblieben war. Menschen sehen, was sie sehen wollen... was sie zu sehen erwarten.

Als ich jetzt näher dran war an Bruno, konnte ich sehen, dass ihm sein kurzes braunes Haar am Kopf klebte. Ich war Bruno erst einmal zuvor begegnet, doch er hatte denselben ernsten Ausdruck im Gesicht wie in jener Nacht, als er vor meinem Haus stand und nur auf eine Gelegenheit wartete, es mit mir darin niederzubrennen. Bruno war der ernsthafte Typ Mann, so wie ich der muntere Typ Frau bin, beides eine Position, auf die man sich immer zurückziehen konnte.

»Hallo, Miss Stackhouse«, erwiderte Bruno. Er war nicht größer als ich, aber ein sehr stämmiger Mann. Die Vampirin, die Pam Corinna genannt hatte, tauchte an Brunos rechter Seite auf. Corinna war - einst - Afro-Amerikanerin, und Regenwasser tropfte von den Enden ihrer kunstvoll geflochtenen Zöpfe. Die darin eingeflochtenen Perlen klickten aneinander, ein Geräusch, das ich so gerade eben im Regengetrommel wahrnehmen konnte. Sie war schlank und groß, und sie hatte ihre Größe noch mit sieben Zentimeter hohen Absätzen aufgestockt. Obwohl sie ein Kleid trug, das wahrscheinlich sehr teuer gewesen war, hatte ihre ganze Erscheinung unter dem strömenden Regen stark gelitten. Im Grunde sah sie aus wie eine sehr elegante, ertränkte Ratte.

Weil ich schon fast kopflos war vor lauter Angst, begann ich zu lachen.

»Haben Sie einen platten Reifen oder so was, Bruno?«, fragte ich. »Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie sonst hier draußen am Ende der Welt im strömenden Regen machen sollten.«

»Ich habe auf dich gewartet, Miststück.«

Ich war nicht ganz sicher, wo Pam war, konnte aber keine Gedankenkraft erübrigen, um nach ihr zu suchen. »Immer schön höflich bleiben, Bruno! Um mich so nennen zu dürfen, kennen Sie mich nicht gut genug. Sie haben wohl Leute, die Erics Haus überwachen, was?«

»Stimmt. Und als die Sie beide zusammen abfahren sahen, schien das eine gute Gelegenheit zu sein, sich um ein paar Dinge zu kümmern.«

Corinna hatte immer noch kein Wort gesagt, aber sie sah sich vorsichtig um. Sie wusste also auch nicht, wo Pam war, dachte ich und grinste. »Warum um Himmels willen tun Sie das alles bloß? Victor sollte doch eigentlich froh sein, dass ein so kluger Mann wie Eric für ihn arbeitet. Warum kann er das nicht schätzen?« Und uns in Frieden lassen.

Bruno trat einen Schritt auf mich zu. Das Licht war zu schwach, um seine Augenfarbe zu erkennen, aber ich sah, dass er noch immer ernst dreinblickte. Ich fand es seltsam, dass Bruno sich die Zeit nahm, meine Frage zu beantworten. Aber alles, was uns mehr Zeit verschaffte, war gut.

»Eric ist ein großartiger Vampir. Aber er wird sich Victor niemals beugen, nicht richtig. Und er häuft so rasant eigene Macht an, dass es Victor beunruhigt. Er hat Sie, zum Beispiel. Ihr Urgroßvater mag sich ja vielleicht von der Welt abgeschottet haben, aber wer sagt denn, dass er nicht irgendwann zurückkommt? Und Eric kann Ihr albernes Talent einsetzen, wann immer er will. Victor will nicht, dass Eric diesen Vorteil hat.«

Und dann hatte Bruno mich auch schon mit der Hand am Hals gepackt. Es war alles so rasend schnell gegangen, dass ich überhaupt nicht reagieren konnte. Trotz des Rauschens in meinen Ohren nahm ich noch unbestimmt wahr, dass sich zu meiner Linken irgendein hitziger Tumult abspielte. Ich versuchte, den Dolch hinten aus meinem Rockbund zu ziehen, doch plötzlich lagen wir im hohen nassen Gras am Rande des Standstreifens, und ich trat und strampelte und stieß mit den Beinen, um obenauf zu liegen. Irgendwie hatte ich es wohl übertrieben, denn im nächsten Moment rollten wir die Böschung zum Entwässerungsgraben hinunter. Was wirklich Pech war, da er sich gerade mit Wasser füllte. Bruno konnte ja nicht ertrinken, ich aber schon. Und so zog ich mir, als ich kurz obenauf lag, mit letzter Kraft den Dolch aus dem Rockbund, wobei ich mir fast die Schulter ausrenkte. Ich sah schon Sterne, doch wir rollten immer noch weiter, und ich wusste, dass dies meine letzte Chance war. Also stieß ich Bruno den Dolch zwischen die Rippen.

Und tötete ihn damit.