Kapitel 2

Ich ging in die Küche und freute mich schon auf meinen Kaffee und eine Scheibe von dem Apfelmusbrot, das Halleigh Bellefleur mir gestern ins Merlotte's gebracht hatte. Sie war wirklich eine nette junge Frau, und ich freute mich, dass sie und Andy ein Baby erwarteten. Ich hatte gehört, dass Andys Großmutter, die uralte Caroline Bellefleur, ganz außer sich vor Freude war, und daran zweifelte ich keinen Augenblick. Ich versuchte, an schöne Dinge zu denken, wie Halleighs Baby, Taras Schwangerschaft und die letzte Nacht, die ich mit Eric verbracht hatte. Doch die beunruhigende Neuigkeit, die Basim mir erzählt hatte, nagte den ganzen Morgen an mir.

Von all den Ideen, die mir kamen, verschwendete ich auf die, das Sheriffbüro des Landkreises Renard anzurufen, fast gar keine Zeit. Es wäre völlig unmöglich gewesen, ihnen zu erklären, warum ich mir Sorgen machte. Die Wergeschöpfe hatten sich geoutet, es war also nichts Illegales daran, sie auf meinem Land auf die Jagd gehen zu lassen. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich Sheriff Dearborn erzählen sollte, ich hätte von einem Werwolf erfahren, dass Elfen mein Grundstück durchquert hatten.

Es war doch so: Bis gerade eben hatte ich selbst noch geglaubt, dass alle Elfen außer meinem Cousin Claude von der Welt der Menschen abgeschottet waren. Zumindest alle Elfen in Amerika. Über die in anderen Ländern hatte ich mir nie Gedanken gemacht, und jetzt schloss ich die Augen und stöhnte über meine eigene Dummheit. Mein Urgroßvater Niall hatte alle Portale zwischen der Elfenwelt und unserer Welt geschlossen. Wenigstens hatte er mir erzählt, dass er das tun würde. Und ich hatte angenommen, sie seien alle weg, außer Claude, der schon unter Menschen lebte, solange ich ihn kannte. Wie konnte es also angehen, dass ein Elf durch meinen Wald gestapft war?

Und wen sollte ich in so einer Situation um Rat fragen? Ich konnte mich ja schlecht zurücklehnen und gar nichts tun. Mein Urgroßvater hatte bis zum letzten Augenblick, ehe er die Portale schloss, noch nach dem sich selbst verachtenden, halb menschlichen Überläufer Dermot gesucht. Ich musste mich also der Möglichkeit stellen, dass Dermot, der total verrückt war, in der Welt der Menschen geblieben war. Was immer auch geschehen war, ich konnte nicht glauben, dass es etwas Gutes bedeutete, wenn sich ein Elf in der Nähe meines Hauses herumtrieb. Ich musste dringend mit jemandem darüber reden.

Vielleicht sollte ich mich Eric anvertrauen, weil ich mit ihm zusammen war, oder Sam, weil er mein guter Freund war, oder sogar Bill, weil unsere Grundstücke aneinandergrenzten und er über das Vorkommnis auch beunruhigt wäre. Oder ich könnte mit Claude reden und mal sehen, ob er irgendeine Erklärung für die Situation hatte. Da saß ich also am Küchentisch mit meinem Kaffee und meiner dicken Scheibe Apfelmusbrot, zu abgelenkt, um zu lesen oder das Radio anzumachen und die Nachrichten zu hören. Ich trank meinen Becher Kaffee aus und schenkte mir einen zweiten ein. Ich duschte, fast wie auf Autopilot, machte mein Bett und erledigte alle meine üblichen morgendlichen Aufgaben.

Schließlich setzte ich mich an den Computer, den ich aus dem Apartment meiner Cousine Hadley in New Orleans mit nach Hause genommen hatte, und rief meine E-Mails ab. Das tue ich nicht sonderlich regelmäßig. Ich kenne nur sehr wenige Leute, die mir eine E-Mail schicken könnten, und ich habe mich einfach noch nicht daran gewöhnt, mich jeden Tag an den Computer zu setzen.

Ich hatte einige Nachrichten bekommen. Den Absender der ersten kannte ich nicht, aber ich klickte sie mit der Maus an.

Ein Klopfen an meiner Hintertür ließ mich aufspringen wie einen Frosch.

Ich schob den Stuhl zurück. Nach kurzem Zögern holte ich das Gewehr aus dem Wandschrank im vorderen Zimmer. Dann ging ich zur Hintertür und spähte durch den neuen Türspion. »Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte ich.

Der heutige Tag war randvoll mit Überraschungen, und es war noch nicht mal zehn Uhr.

Ich ließ das Gewehr wieder sinken und öffnete die Tür. »Claude«, sagte ich. »Komm rein. Möchtest du etwas trinken? Ich habe Coke, Kaffee und Orangensaft.«

Mir fiel auf, dass Claude den Riemen einer großen Tasche über der Schulter hatte. Und so wie sie aussah, schien die Tasche prallgestopft zu sein mit Kleidern. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn zu einer Pyjamaparty eingeladen zu haben.

Er kam herein; irgendwie wirkte er ernst und unglücklich. Claude war schon früher in meinem Haus gewesen, aber nicht oft, und er sah sich in der Küche um. Meine Küche war neu, weil die alte Küche abgebrannt war; deshalb hatte ich lauter glänzende Küchengeräte, und alles sah noch schön und ordentlich aus.

»Sookie, ich halt's einfach nicht mehr länger allein in unserem Haus aus. Kann ich eine Weile bei dir unterkommen, Cousine?«

Jetzt stand mir echt der Mund offen, und ich versuchte, ihn wieder zuzuklappen, ehe er mitbekam, wie schockiert ich war - erstens, weil Claude zugab, dass er Hilfe brauchte, zweitens, weil er es mir gegenüber zugab, und drittens, weil Claude mit mir in einem Haus wohnen wollte, obwohl er meine Existenz normalerweise irgendwo auf dem Niveau eines Käfers ansiedelte. Ich bin ein Mensch und ich bin eine Frau, also spricht schon zweierlei gegen mich, jedenfalls aus Claudes Perspektive. Und dann war da natürlich noch die Sache, dass seine Schwester Claudine gestorben war, als sie mich beschützen wollte.

»Claude«, sagte ich und versuchte, vor allem mitfühlend zu klingen, »setz dich doch erst mal. Was ist denn los?« Ich warf einen Blick auf das Gewehr, unerklärlicherweise froh darüber, dass es in Reichweite war.

Claudes Blick streifte es nur flüchtig. Nach einem kurzen Zögern stellte er seine Tasche ab und stand einfach nur da, als wüsste er nicht, was er als Nächstes tun sollte.

Es erschien mir irgendwie unwirklich, allein mit meinem Elfencousin in meiner Küche zu sein. Auch wenn er sich offensichtlich entschlossen hatte, weiterhin unter Menschen zu leben, war er doch weit davon entfernt, ein herzliches Verhältnis zu ihnen zu haben. Ungeachtet seiner äußeren Schönheit war Claude nämlich ein rücksichtsloser Mistkerl, soweit ich es mitbekommen hatte. Aber er hatte seine Ohren einer Schönheitsoperation unterzogen, um den Menschen stärker zu gleichen und nicht ständig so viel Kraft darauf verschwenden zu müssen, menschlicher zu erscheinen. Und soweit ich wusste, hatte Claude stets mit Menschenmännern sexuelle Beziehungen gehabt.

»Wohnst du denn noch in dem Haus, das du dir mit deiner Schwester geteilt hast?« Es war ein ganz normaler Bungalow mit drei Schlafzimmern in Monroe.

»Ja.«

Okay. Mal sehen, ob wir das Thema nicht irgendwie anders angehen konnten. »Halten die Clubs dich nicht mehr genug auf Trab?« Claude besaß und managte zwei Strip-Clubs - das Hooligans und einen neuen, den er gerade erst übernommen hatte - und trat mindestens einmal die Woche selbst auf. Daher hatte ich mir vorgestellt, dass er nicht nur sehr beschäftigt, sondern auch sehr wohlhabend sein müsste. Und nun musste er seine Einkünfte aus den Clubs nicht mal mehr mit seiner Schwester teilen. Außerdem bekam er sicher eine Menge Trinkgelder, da er attraktiv war bis zum Abwinken, und seine gelegentlichen Jobs als Cover-Model für Romane warfen bestimmt auch einiges ab. Claude konnte selbst die respektabelste Großmutter in Verzückung versetzen. Mit einem so hinreißenden Mann in ein und demselben Raum zu sein machte die Frauen einfach high ... bis er den Mund aufmachte jedenfalls.

»Ich habe genug zu tun. Und an Geld mangelt es mir auch nicht. Aber ohne jemanden meiner eigenen Art um mich ... verhungere ich ganz einfach.«

»Im Ernst?«, erwiderte ich, ohne nachzudenken, und hätte mir am liebsten selbst einen Tritt verpasst. Aber dass Claude mich brauchte (oder überhaupt irgendwen), erschien mir einfach so absolut unwahrscheinlich. Seine Bitte, bei mir bleiben zu dürfen, kam völlig unerwartet und im denkbar ungünstigsten Augenblick.

Aber in meiner Vorstellung schimpfte meine Großmutter bereits mit mir. Ich hatte hier ein Mitglied meiner Familie vor mir, eines der wenigen, die noch lebten und/oder für mich erreichbar waren. Meine Beziehung zu meinem Urgroßvater hatte geendet, als er sich in die Elfenwelt zurückzog und die Tür endgültig hinter sich schloss. Jason und ich hatten unsere Streitigkeiten zwar wieder ausgebügelt, doch mein Bruder lebte mehr oder weniger sein eigenes Leben. Meine Mom, mein Dad und meine Großmutter waren tot, meine Tante Linda und meine Cousine Hadley waren tot, und Hadleys kleinen Sohn sah ich nur sehr selten.

Innerhalb einer Minute hatte ich mir das ganze Elend vor Augen geführt und war völlig deprimiert.

»Habe ich denn genug Elfenerbe in mir, um dir helfen zu können?« Das war das Einzige, was mir in diesem Augenblick einfiel.

»Ja«, erwiderte er einfach nur. »Ich fühle mich schon besser.« Das war ja ein geradezu unheimliches Echo meines Gesprächs mit Bill, dachte ich. Claude ließ ein halbes Lächeln sehen. Selbst wenn er unglücklich war, sah er immer noch unglaublich aus, aber wenn er lächelte, schien er geradezu göttlich. »Dass du öfter in der Nähe von Elfen warst, hat das Elfenerbe in dir, so wenig es auch sein mag, noch verstärkt. Übrigens, ich habe einen Brief für dich.«

»Von wem?«

»Von Niall.«

»Wie ist das denn möglich? Ich dachte, die Elfenwelt ist mittlerweile vollkommen abgeschottet.«

»Er hat Mittel und Wege«, sagte Claude ausweichend. »Er ist jetzt der einzige Fürst, und sehr mächtig.«

Er hat Mittel und Wege. »Hmpf«, machte ich. »Okay, zeig mal.«

Claude zog einen Umschlag aus seiner Reisetasche. Er war bräunlich gelb und mit blauem Wachs versiegelt, in dem man den Abdruck eines Vogels mit im Flug gespreizten Flügeln erkennen konnte.

»Es gibt also einen Elfenbriefkasten«, sagte ich. »Und du kannst Briefe verschicken und empfangen?«

»Diesen Brief jedenfalls.«

Elfen waren wahre Meister im Ausweichen. Entnervt stöhnte ich auf.

Ich nahm ein Messer zur Hand und fuhr damit unter dem Siegelwachs entlang. Der Briefbogen, den ich aus dem Umschlag zog, war von einer seltsamen Beschaffenheit.

»Liebste Urenkelin«, begann der Brief. »Es gibt Dinge, die ich Dir nicht mehr sagen konnte, und viele Dinge, die ich für Dich nicht mehr tun konnte, nachdem meine Pläne sich durch den Krieg verändert hatten.«

Okay.

»Dieser Brief ist geschrieben auf der Haut eines jener Wasserelfen, die Deine Eltern ertränkt haben.«

»Igitt!«, schrie ich und ließ den Briefbogen auf den Küchentisch fallen.

Claude war augenblicklich an meiner Seite. »Was ist los?«, fragte er und sah sich in der Küche um, als würde er erwarten, dass jeden Moment ein Troll auftauchte.

»Das ist Haut! Haut!«

»Worauf soll Niall denn sonst schreiben?« Er wirkte total verblüfft.

»Iiihhh!« Selbst für meinen eigenen Geschmack klang ich etwas zu mädchenhaft-zimperlich. Aber mal ehrlich... Haut?

»Sie ist vollkommen sauber«, sagte Claude, der offenbar glaubte, das würde all meine Probleme lösen. »Und sie wurde veredelt.«

Also biss ich die Zähne zusammen und griff wieder nach dem Brief meines Urgroßvaters. Ich holte einmal sehr tief Luft. Eigentlich roch das ... Material nach gar nichts. Ich unterdrückte das Bedürfnis, Ofenhandschuhe anzuziehen, und zwang mich weiterzulesen.

»Ehe ich Deine Welt verließ, habe ich dafür gesorgt, dass einer meiner menschlichen Bevollmächtigten mit einigen Leuten sprach, die Dir helfen können, Dich der Überprüfung durch die Regierung Deines Landes zu entziehen. Als ich die pharmazeutische Firma verkaufte, die uns gehörte, setzte ich fast meinen ganzen Gewinn dafür ein, Deine Freiheit sicherzustellen.«

Ich blinzelte, weil meine Augen ein wenig feucht wurden. Niall war vielleicht nicht der typische Urgroßvater, aber Donnerwetter, da hatte er etwas wirklich Wunderbares für mich getan.

»Er hat ein paar Regierungsbeamte bestochen, um mir das FBI vom Hals zu schaffen? Das hat er getan?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Claude achselzuckend. »Mir hat er auch geschrieben, um mich wissen zu lassen, dass ich jetzt dreihunderttausend Dollar mehr auf meinem Bankkonto habe. Und auch, dass Claudine kein Testament hinterlassen hat, weil sie nicht...«

... erwartet hatte, zu sterben. Sie hatte erwartet, ihr Kind großzuziehen, zusammen mit ihrem Elfenliebhaber. Claude schüttelte sich und fuhr mit brüchiger Stimme fort: »Niall hat eine menschliche Leiche erschaffen und ein Testament, damit ich nicht Jahre warten muss, um sie für tot erklären zu lassen. Sie hat mir fast alles hinterlassen. Das hat sie unserem Vater Dillon erzählt, als sie ihm während ihres Todesrituals erschien.«

Elfen erzählen ihren Verwandten, dass sie gestorben sind, wenn sie schon ihre geistige Existenzform angenommen haben. Aber warum war Claudine gerade Dillon erschienen und nicht ihrem Bruder? So taktvoll, wie es irgend ging, fragte ich Claude danach.

»Der Geist erscheint dem Nächstälteren«, erklärte Claude steif. »Unsere Schwester Claudette erschien mir, weil ich ein paar Minuten älter war als sie. Und Claudine vollzog ihr Todesritual vor unserem Vater, da sie älter war als ich.«

»Dann hat sie deinem Vater erzählt, dass sie ihren Anteil an den Clubs dir hinterlassen will?« Da hatte Claude aber ziemlich Glück gehabt, dass Claudine ihre Wünsche noch jemandem mitgeteilt hatte. Was mochte wohl passieren, wenn der älteste Elf der Familie derjenige war, der starb? Diese Frage hob ich mir lieber für später auf.

»Ja. Und ihren Anteil am Haus. Und ihr Auto. Obwohl ich schon eins habe.« Aus irgendeinem Grund wirkte Claude verlegen. Und schuldbewusst. Warum um Himmels willen sollte er schuldbewusst wirken?

»Wie fährst du denn damit?«, fragte ich abgelenkt. »Ihr Elfen habt doch solche Probleme mit Eisen.«

»Ich trage die unsichtbaren Handschuhe, um meine Haut zu schützen«, sagte er. »Überhaupt ziehe ich nach jedem Duschen eine Schutzschicht über. Und mit jedem Jahrzehnt, das ich in der Welt der Menschen lebe, habe ich etwas mehr Toleranz entwickelt.«

Ich wandte mich wieder dem Brief zu. »Es gibt vielleicht noch mehr, das ich für Dich tun kann. Ich werde es Dich wissen lassen. Claudine hat Dir ein Geschenk hinterlassen.«

»Oh, ich erbe auch etwas von Claudine? Was denn?« Ich hob den Blick und sah Claude an, der nicht so richtig erfreut wirkte. Er hatte anscheinend nicht gewusst, was genau in dem Briefstand. Und wenn Niall mir Claudines Testament nicht bekannt gemacht hätte, hätte Claude es wohl auch nicht getan. Elfen lügen zwar nicht, aber sie sagen auch nicht immer die ganze Wahrheit.

»Sie hat dir das Geld auf ihrem Bankkonto hinterlassen«, sagte er schicksalsergeben. »Da sind ihre Arbeitslöhne aus dem Kaufhaus drauf und ihr Anteil aus den Einkünften der Clubs.«

»Oh ... das ist ja unglaublich lieb von ihr.« Ich musste ein paar Mal blinzeln. Ich versuchte immer, mein Sparkonto nicht anzurühren, und auf meinem Girokonto sah es nicht so rosig aus, weil ich in letzter Zeit öfter nicht hatte arbeiten können. Außerdem hatten meine Trinkgelder gelitten, weil ich immer so deprimiert gewesen war. Lächelnde Kellnerinnen verdienten mehr als traurige Kellnerinnen.

Ein paar Hundert Dollar konnte ich also prima gebrauchen. Vielleicht könnte ich mir etwas Neues zum Anziehen kaufen, und im großen Badezimmer unten brauchte ich dringend eine neue Toilette. »Wie macht ihr solche Überweisungen denn?«

»Du bekommst einen Scheck von Mr Cataliades. Er verwaltet den Nachlass.«

Mr Cataliades - falls er einen Vornamen hatte, so hatte ich ihn noch nie gehört - war Anwalt und außerdem (fast) ein Dämon. Er kümmerte sich um die Rechtsangelegenheiten vieler Supranaturaler in Louisiana. Ich fühlte mich gleich besser, als Claude seinen Namen erwähnte, denn ich wusste, dass Mr Cataliades kein Hühnchen mit mir zu rupfen hatte.

Tja, und nun musste ich entscheiden, ob ich Claude als neuen Hausgenossen haben wollte.

»Ich muss mal eben telefonieren«, sagte ich und deutete auf die Kaffeekanne. »Wenn du noch welchen willst, kann ich frischen machen. Hast du Hunger?«

Claude schüttelte den Kopf.

»Und wenn ich Amelia angerufen habe, müssen wir beide uns noch mal unterhalten.«

Ich benutzte das Telefon in meinem Schlafzimmer. Amelia stand früher auf als ich, mich hielt schon mein Job abends einfach länger wach. Nach dem zweiten Klingeln ihres Handys nahm sie ab. »Sookie!« Amelia klang nicht so bedrückt, wie ich erwartet hatte. »Was ist los?«

Mir wollten keine lockeren Worte einfallen, die zu meiner Frage hinführten, also kam ich gleich zur Sache. »Mein Cousin Claude will eine Weile bei mir wohnen. Er könnte das Schlafzimmer gegenüber von meinem benutzen, aber wenn er oben wohnt, hätten wir beide etwas mehr Privatsphäre. Falls du demnächst zurückkommst, wird er seine Sachen natürlich in das Schlafzimmer unten räumen. Ich wollte nur nicht, dass du zurückkommst und plötzlich jemand anderen in deinem Bett vorfindest.«

Langes Schweigen. Ich wappnete mich bereits innerlich.

»Sookie«, begann Amelia schließlich. »Ich liebe dich. Das weißt du. Und ich habe sehr gern bei dir gewohnt. Es war ein Geschenk des Himmels, dass ich nach der Sache mit Bob zu dir kommen konnte. Aber jetzt werde ich erst mal eine Weile in New Orleans bleiben. Ich bin gerade... mittendrin in so vielem.«

Genau so etwas hatte ich erwartet, aber hart war es dennoch. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie zurückkommt, sondern gehofft, sie würde in New Orleans schneller über alles hinwegkommen - und es stimmte ja auch, sie hatte Tray nicht mal erwähnt. Es klang so, als wäre sie dort nicht nur mit Trauern beschäftigt. »Geht's dir gut?«

»Ja«, sagte Amelia. »Und ich habe wieder ein paar Stunden bei Octavia gehabt.« Octavia, ihre Mentorin in der Hexenkunst, war mit ihrem lange verlorengeglaubten Liebsten nach New Orleans zurückgekehrt. »Und ich wurde endlich... verurteilt. Jetzt muss ich die Strafe zahlen für - du weißt schon - die Sache mit Bob.«

»Die Sache mit Bob« war Amelias charmante Art, zu sagen, dass sie einen ihrer Liebhaber aus Versehen in einen Kater verzaubert hatte. Octavia hatte Bob in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, aber Bob war natürlich nicht gerade erfreut gewesen über Amelias Tat, und Octavia auch nicht. Amelia hatte zu der Zeit zwar schon einige Übung in der Hexenkunst gehabt, aber die Transformationsmagie hatte ihre Fähigkeiten doch deutlich überschritten.

»Dann werden sie dich also nicht auspeitschen oder so was?«, fragte ich in einem Tonfall, als würde ich Witze machen. »Na, er ist ja schließlich auch nicht daran gestorben.« Sondern hatte nur ein ganzes Stück seines Lebens versäumt und Katrina vollkommen verpasst, einschließlieh der Möglichkeit, seine Familie darüber zu informieren, dass er den Hurrikan überlebt hatte.

»Einige der anderen würden mich gern auspeitschen, wenn sie dürften. Aber so läuft das nicht bei uns Hexen.« Amelia versuchte zu lachen, aber es klang nicht überzeugend. »Zur Strafe muss ich so eine Art gemeinnützige Arbeit machen.«

»So was wie Müll einsammeln oder Kindern Nachhilfestunden geben?«

»Nun... Zaubertränke mischen und Tüten mit den üblichen Ingredienzien vorbereiten, damit sie immer zur Hand sind. Überstunden machen im Laden für Magie, gelegentlich ein Huhn schlachten für Rituale. Eben eine Menge Zuarbeiten erledigen. Und das alles ohne Bezahlung.«

»Das ist echt scheiße«, sagte ich, denn Geld ist für mich fast immer ein heikles Thema. Amelia war in reichem Hause aufgewachsen, ich nicht. Wenn mir jemand mein Einkommen streitig macht, werde ich stinksauer. Einen flüchtigen Augenblick lang fragte ich mich, wie viel Geld wohl auf Claudines Bankkonto liegen mochte, und ich pries sie dafür, dass sie an mich gedacht hatte.

»Ja, nun, Katrina hat in New Orleans ganze Hexenzirkel ausgelöscht. Auch wir haben einige Mitglieder verloren, die nie wiederkommen werden; daher fehlen uns natürlich Einkünfte, und ich stecke nie Geld von meinem Dad in den Hexenzirkel.«

»Und was heißt das nun alles?«, fragte ich.

»Dass ich hier unten bleiben muss. Ich weiß nicht, ob ich je nach Bon Temps zurückkehre. Und das tut mir wirklich leid, denn ich habe sehr gern mit dir zusammengewohnt.«

»Und ich mit dir.« Ich holte tief Luft, entschlossen, nicht verloren zu klingen. »Und was ist mit deinen Sachen? Nicht, dass noch viele hier wären, aber trotzdem.«

»Die lasse ich erst mal bei dir. Ich habe hier alles, was ich brauche, und der Rest steht dir zur freien Verfügung, bis ich es mal organisieren kann, alles abzuholen.«

Wir unterhielten uns noch eine Weile, aber alles Wichtige war gesagt. Ich vergaß allerdings, Amelia zu fragen, ob Octavia einen Weg gefunden hatte, Erics Blutsbande mit mir zu lösen. Vermutlich interessierte mich die Antwort nicht allzu sehr. Als ich schließlich aufgelegt hatte, war ich traurig und froh zugleich: froh, dass Amelia ihre Schuld dem Hexenzirkel gegenüber abarbeitete und jetzt glücklicher war als zuletzt in Bon Temps nach Trays Tod; und traurig, weil mir klar geworden war, dass sie nie mehr zurückkehren würde. Nachdem ich einen Augenblick schweigend Abschied von ihr genommen hatte, ging ich in die Küche und sagte zu Claude, dass das obere Stockwerk ihm gehöre.

Nachdem ich sein dankbares Lächeln aufgesogen hatte, wandte ich mich einem anderen Problem zu. Weil ich nicht wusste, wie ich mich dem Thema nähern sollte, fragte ich ihn ganz einfach. »Sag mal, warst du in dem Wald hinter meinem Haus?«

Claudes Miene wurde völlig ausdruckslos.

»Was sollte ich dort zu suchen haben?«, fragte er zurück.

»Ich habe nicht nach deinen Gründen gefragt. Ich habe gefragt, ob du dort warst.« Ich merke, wenn man versucht, mir auszuweichen.

»Nein«, sagte er.

»Das sind schlechte Neuigkeiten.«

»Warum?«

»Weil die Werwölfe mir erzählt haben, dass erst vor Kurzem ein Elf dort war.« Ich hielt den Blickkontakt mit ihm aufrecht. »Und wenn du es nicht warst, wer war es dann?«

»Es gibt nicht mehr viele Elfen«, sagte Claude.

Wieder wich er aus. »Wenn es noch andere Elfen gibt, die vor der Schließung der Portale nicht in die Elfenwelt zurückgekehrt sind, könntest du dich doch mit denen treffen«, erwiderte ich. »Dann müsstest du nicht bei mir wohnen, bei einem Menschen mit nur einem kleinen Spritzer Elfenblut. Dennoch bist du hier. Und irgendwo da draußen in meinem Wald ist noch ein anderer Elf.« Ich musterte seinen Gesichtsausdruck. »Du scheinst gar nicht gespannt darauf zu sein, den anderen - wer immer es ist - aufzuspüren. Was ist los? Warum rennst du nicht hinaus, suchst nach dem Elf, verbindest dich mit ihm und bist glücklich?«

Claude sah zu Boden. »Das Portal, das als Letztes geschlossen wurde, war in deinem Wald«, erzählte er. »Vielleicht ist es nicht richtig zu. Und ich weiß, dass Dermot, dein Großonkel, vor diesem Portal war. Wenn der Elf, dessen Fährte die Werwölfe gewittert haben, Dermot ist, dann würde er sich gar nicht freuen, mich zu sehen.«

Es kam mir so vor, als hätte er noch mehr zu erzählen, doch an dieser Stelle brach er ab.

Das war eine Menge schlechter Neuigkeiten auf einmal, und eine weitere mordsmäßige Ausweichtaktik. Ich war mir über seine Ziele immer noch nicht im Klaren, aber Claude gehörte zur Familie, und ich hatte herzlich wenig Familie übrig. »Na gut«, sagte ich und zog eine Küchenschublade auf, in der ich lauter Krimskrams aufbewahrte. »Hier hast du einen Schlüssel. Wir werden mal sehen, wie's so läuft. Ich muss übrigens heute Nachmittag arbeiten. Und eins müssen wir noch besprechen. Du weißt, dass ich einen Freund habe, oder?« Irgendwie war es mir jetzt schon peinlich.

»Mit wem bist du zusammen?«, fragte Claude mit einer Art professionellen Interesses.

»Also, nun... mit Eric Northman.«

Claude stieß einen Pfiff aus und wirkte beeindruckt, aber auch wachsam. »Und verbringt Eric die Nacht hier? Ich muss wissen, ob er sich auf mich stürzen wird.« Claude sah aus, als wäre ihm das nicht gänzlich unwillkommen. Das Problem war nur, dass Elfen völlig berauschend auf Vampire wirkten, etwa so wie Katzenminze auf Katzen. Eric würde es äußerst schwerfallen, nicht zuzubeißen, wenn Claude in seiner Nähe wäre.

»Das würde vermutlich schlimm enden für dich«, sagte ich. »Aber mit ein bisschen Umsicht kommt es gar nicht so weit.« Eric verbrachte nur selten die Nacht in meinem Haus, weil er gern vor dem Morgengrauen wieder in Shreveport war. Er hatte jede Nacht so viel Arbeit zu erledigen, dass er es besser fand, wenn er in Shreveport aufwachte. Ich habe in meinem Haus natürlich einen gut verborgenen Platz, an dem ein Vampir in relativer Sicherheit ruhen kann, aber er ist nicht gerade deluxe, kein Vergleich mit Erics Haus.

Ich machte mir eher Sorgen darüber, dass Claude mir fremde Männer ins Haus schleppen könnte. Wenn ich im Nachthemd auf dem Weg in die Küche war, wollte ich nicht irgendwem begegnen, den ich nicht kannte. Amelia hatte ein paar Mal Übernachtungsgäste gehabt, aber das waren immer Leute gewesen, die ich kannte. Ich holte einmal tief Luft und hoffte, dass das, was ich jetzt sagen wollte, nicht irgendwie schwulenfeindlich klingen würde. »Claude, ich möchte natürlich, dass du dich hier wohlfühlst«, begann ich und wünschte, ich hätte dieses Gespräch schon hinter mir. Ich bewunderte, wie cool Claude die Tatsache hingenommen hatte, dass ich ein Sexleben hatte, und konnte mir nur wünschen, dass ich die gleiche Nonchalance aufbringen würde.

»Wenn ich mit jemandem Sex haben will, den du nicht kennst«, warf Claude mit einem verruchten kleinen Lächeln ein, »fahre ich mit ihm zu meinem Haus in Monroe.« Er konnte also doch mitdenken, wenn er wollte, registrierte ich. »Oder ich sage dir im Voraus Bescheid. Ist das okay?«

»Klar«, sagte ich, überrascht von Claudes bereitwilligem Entgegenkommen. Aber er hatte all die richtigen Worte gesagt. Ich entspannte mich etwas und zeigte ihm, wo sich die wichtigsten Küchenutensilien verbargen, gab ihm Tipps zur Waschmaschine und zum Trockner und sagte ihm, dass das große Badezimmer im Erdgeschoss allein ihm gehöre. Dann führte ich ihn in den ersten Stock hinauf. Amelia hatte sich sehr bemüht, das eine der kleinen Schlafzimmer schön herzurichten, und das andere hatte sie als Wohnzimmer eingerichtet. Ihr Notebook hatte sie mitgenommen, aber ihr Fernseher war noch da. Ich sah nach, ob die Bettlaken auch wirklich frisch waren und der Wandschrank bis auf die paar Reste von Amelia leer geräumt war. Schließlich zeigte ich Claude noch die direkt anschließende Tür, die auf den Dachboden führte, für den Fall, dass er dort irgendetwas unterstellen wollte. Claude zog die Tür auf, betrat den düsteren, vollgestopften Raum und sah sich um. Generationen von Stackhouses hatten dort Dinge verstaut, von denen sie glaubten, sie würden sie eines Tages vielleicht noch mal brauchen. Zugegeben, es herrschte ein ziemliches Chaos und Durcheinander dort.

»Du musst das Zeug mal durchsehen«, sagte er. »Weißt du überhaupt, was hier oben alles ist?«

»Überbleibsel der Familie«, erwiderte ich und sah leicht bestürzt hinein. Seit Großmutters Tod hatte ich es einfach nicht übers Herz gebracht, irgendetwas anzurühren.

»Ich werde dir helfen«, erklärte Claude. »Das ist dann die Miete für mein Zimmer.«

Ich wollte schon sagen, dass ich von Amelia immer Bargeld bekommen hatte, doch dann fiel mir wieder ein, dass er ja zur Familie gehörte. »Das wäre prima«, sagte ich. »Obwohl ich nicht weiß, ob ich schon so weit bin.« Heute Morgen hatten mir die Handgelenke wieder wehgetan, auch wenn sie definitiv besser geworden waren. »Und rund ums Haus müsste auch so einiges erledigt werden, das ich noch nicht selbst tun kann, falls du mir helfen willst.«

Er verbeugte sich. »Es wäre mir eine Freude.«

Das war wirklich eine ganz andere Seite des Claude, den ich bisher gekannt und dessen Verhalten ich immer unmöglich gefunden hatte.

Trauer und Einsamkeit schienen in dem wunderschönen Elf etwas wachgerufen zu haben. Offenbar hatte er verstanden, dass er den Leuten etwas freundlicher begegnen musste, wenn er selbst Freundlichkeit erwartete. Claude schien begriffen zu haben, dass er andere brauchte, vor allem jetzt, da seine Schwestern beide tot waren.

Als ich mich auf den Weg zur Arbeit machte, hatte ich mich mit unserem Arrangement schon etwas mehr angefreundet. Ich hatte Claude oben eine Zeit lang herumrumoren gehört, bis er schließlich mit einem Arm voller Haarpflegeprodukte herunterkam und diese im Badezimmer aufstellte. Frische Handtücher hatte ich ihm schon hingelegt. Das Badezimmer schien ihm zu gefallen, obwohl es sehr altmodisch war. Aber Claude war ja auch schon in Zeiten ohne fließendes Wasser am Leben gewesen, vielleicht sah er die Dinge aus einer anderen Perspektive. Und ehrlich gesagt, wieder jemand anderen im Haus zu hören, hatte tief in mir etwas gelöst, eine Art Anspannung, die ich bis dahin noch nicht mal wahrgenommen hatte.

»Hey Sam«, rief ich. Er stand hinter dem Tresen, als ich aus den hinteren Gefilden kam, wo ich meine Handtasche verstaut und meine Schürze umgebunden hatte. Es war nicht viel los im Merlotte's. Holly redete, wie immer, mit ihrem Hoyt, der sich mit seinem Abendessen alle Zeit der Welt ließ. Statt der üblichen schwarzen Hose trug Holly heute pink-grün karierte Shorts zu ihrem Merlotte's-Shirt.

»Siehst ja toll aus, Holly«, sagte ich, und sie warf mir ein strahlendes Lächeln zu. Hoyt strahlte auch übers ganze Gesicht, und Holly streckte mir eine Hand entgegen, damit ich ihren brandneuen Ring bewundern konnte.

Ich stieß einen Schrei aus und umarmte sie. »Oh, das ist ja wunderbar!«, rief ich. »Holly, der ist wunderschön! Habt ihr schon ein Datum ausgesucht?«

»Im Herbst wahrscheinlich«, sagte Holly. »Hoyt muss im Frühling und Sommer immer sehr viel arbeiten. Da herrscht Hochkonjunktur in seinem Job, deshalb denken wir, Oktober vielleicht oder November.«

»Sookie«, schaltete Hoyt sich ein. Seine Stimme wurde auf einmal tiefer und seine Miene ernster. »Jetzt, wo Jason und ich unseren Streit begraben haben, werde ich ihn fragen, ob er mein Trauzeuge sein will.«

Ich warf Holly einen raschen Blick zu, sie war nie der größte Fan meines Bruder gewesen. Doch sie lächelte noch immer. Und auch wenn ich die Vorbehalte, die sie hatte, entdecken konnte, Hoyt konnte es nicht.

»Da wird er sich riesig freuen«, erwiderte ich.

Und dann musste ich herumwetzen und die Runde an meinen Tischen machen, doch ich lächelte die ganze Zeit bei der Arbeit. Ob die Trauung wohl nach Einbruch der Dunkelheit stattfinden würde? Dann könnte Eric mich begleiten. Wie großartig! Das würde mich von der »armen Sookie, die noch nicht mal verlobt war« zur »Sookie, die mit diesem prachtvollen Kerl auf die Hochzeit kam« machen. Aber ich dachte mir auch einen Notfallplan aus. Sollte die Hochzeit tagsüber stattfinden, könnte ich mit Claude hingehen! Er sah haargenau so aus wie ein Cover-Model für Liebesromane. Er war ein Cover-Model für Liebesromane. (Schon mal >Die Lady und der Stallbursche< gelesen oder >Lord Darlingtons sündige Ehe<? Wuu-huu!)

Mir war leider nur allzu klar, dass ich in Bezug auf diese Hochzeit bloß an mich selbst dachte ... doch es gibt nichts Verloreneres auf einer Hochzeit als eine alte Jungfer. Ich wusste, wie albern es war, zu meinen, mit siebenundzwanzig wäre man noch ein verlockendes Angebot. Irgendwie hatte ich einige der besten Jahre verpasst, und das wurde mir immer bewusster. So viele meiner Highschool-Freundinnen hatten inzwischen geheiratet (manche sogar mehrmals), und einige von ihnen waren schwanger - wie Tara, die jetzt in einem übergroßen T-Shirt zur Tür hereinkam.

Ich winkte ihr zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich zu ihr kommen würde, sobald ich konnte, und servierte erst mal Dr. Linda Tonnesen einen Eistee und Jesse Wayne Cummins ein Michelob-Bier.

»Wie geht's, Tara?« Ich beugte mich zu ihr herunter und schlang ihr die Arme um den Hals. Tara hatte an einem der frei stehenden Tische Platz genommen.

»Ich brauche eine koffeinfreie Diät-Coke«, sagte sie. »Und einen Cheeseburger. Mit ganz vielen frittierten Essiggurken.« Sie blickte grimmig drein.

»Klar«, erwiderte ich. »Ich hol dir die Coke und geb deine Bestellung gleich auf.«

Als ich wiederkam, trank sie das ganze Glas in einem Zug leer. »In fünf Minuten wird's mir leidtun, weil ich wieder aufs Klo rennen muss«, sagte sie. »Ich tue nichts anderes mehr als pinkeln und essen.« Tara hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihr Teint war nicht der frischeste. Wo war das Strahlen der Schwangerschaft, von dem ich so viel gehört hatte?

»Wie lange dauert es denn noch?«

»Drei Monate, eine Woche und drei Tage.«

»Dr. Dinwiddie hat dir also einen Geburtstermin genannt!«

»JB kann einfach nicht fassen, wie dick ich werde«, sagte Tara und verdrehte die Augen.

»Das hat er gesagt? Mit den Worten?«

»Ja. Hat er. Genau so.«

»Herrje. Der Junge braucht wirklich mal ein oder zwei Nachhilfestunden in der Kunst des Formulierens.«

»Mir würde es schon reichen, wenn er einfach mal die Klappe hält.«

Tara hatte JB in dem Wissen geheiratet, dass Intelligenz nicht gerade seine Stärke war, und jetzt erntete sie, was sie gesät hatte. Aber ich wünschte mir so sehr, dass die beiden glücklich waren. Ich konnte doch nicht einfach sagen: »Wie man sich bettet, so liegt man.«

»Er liebt dich«, sagte ich stattdessen und versuchte, besänftigend zu klingen. »Er ist nur...«

»JB«, sagte sie, zuckte die Achseln und brachte sogar ein Lächeln zustande.

Dann rief Antoine, dass meine Bestellung fertig sei, und der begierige Ausdruck in Taras Gesicht zeigte mir, dass sie das Essen mehr interessierte als die Taktlosigkeit ihres Ehemanns. Als eine glücklichere und gesättigte Frau kehrte sie zurück in ihre Boutique Tara's Togs.

Sobald es dunkel war, rief ich von der Damentoilette Eric auf meinem Handy an. Ich hasste es, mich während der Sam geschuldeten Arbeitszeit davonzuschleichen, um meinen Freund anzurufen, aber ich brauchte seine Unterstützung. Da ich jetzt seine Handynummer hatte, musste ich nicht mehr im Fangtasia anrufen, was gut und schlecht zugleich war. Einerseits hatte ich nie gewusst, wer abheben würde, und ich war nicht gerade jedermanns Liebling unter Erics Vampiren. Andererseits vermisste ich die Gespräche mit Pam, Erics Stellvertreterin. Pam und ich sind beinahe so etwas wie Freundinnen.

»Am Apparat, Liebste«, sagte Eric. Es fiel mir schwer, nicht zu erbeben, wenn ich seine Stimme hörte, doch die Atmosphäre auf der Damentoilette des Merlotte's war der Lust nicht unbedingt förderlich.

»Na, das bin ich auch, wie du merkst. Hör mal, ich muss dich dringend sprechen«, erwiderte ich. »Es sind da einige Dinge aufgetaucht.«

»Du bist beunruhigt.«

»Ja. Aus gutem Grund.«

»Ich habe in einer halben Stunde eine Besprechung mit Victor«, sagte Eric. »Und du weißt, wie angespannt es da voraussichtlich zugehen wird.«

»Ja, weiß ich. Und es tut mir leid, dich mit meinen Problemen zu belästigen. Aber du bist mein Freund, und eine Aufgabe eines guten Freundes ist es, zuzuhören.«

»Dein Freund«, wiederholte er. »Das klingt... seltsam. Ich bin doch viel mehr als bloß ein Freund.«

»Herrgott, Eric!« Ich war völlig entnervt. »Ich habe keine Lust, hier auf der Toilette auch noch Wortklaubereien zu betreiben! Wie sieht's jetzt aus? Hast du später Zeit oder nicht?«

Er lachte. »Für dich schon. Kannst du herkommen? Warte, ich schicke dir Pam. Sie holt dich um ein Uhr zu Hause ab, in Ordnung?«

Ich müsste mich wahrscheinlich beeilen, um bis dahin nach Hause zu kommen, aber es war machbar. »Okay. Und warne Pam, dass... Ach, sag ihr einfach, sie soll sich von nichts ablenken lassen, ja?«

»Oh, sicher. Diese sehr spezifische Nachricht gebe ich doch gerne weiter«, sagte Eric und legte auf. Tja, mit dem Verabschieden hatte er es nicht so, wie die meisten Vampire.

Das würde ein sehr langer Tag werden.