15 - Rebellion

 

 

»Faith, ich halte das für eine wirklich miese Idee!«

»Ich lass mich von diesen Typen nicht einfach wegsperren!«, erwiderte sie zornig. »Wenn es dir hier so gut gefällt, dann geh doch wieder zurück in deine Zelle!«

»Die Zelle hatte bequeme Betten und aus der Wand kam klares Wasser!«

Caiden und Faith lagen hintereinander in einem Wartungsschacht unter den Gängen der Biosphäre. Sie befanden sich im Wohn- und Erholungssegment. Zumindest behauptete Faith das, denn sehen konnten sie die Räume nicht. In den von Kabeln und Rohren durchzogenen Schächten gab es kein Licht, doch zum Glück hatten sie ihre Taschenlampen behalten dürfen.

»Und was willst du machen, wenn wir draußen sind? Die Schlucht ist sicher hunderte Kilometer entfernt!«

»Genau dreiundachtzig, die Straße entlang.«

»Woher weißt du das nun wieder?«

»Shhh!«, zischte Faith plötzlich und schaltete das Licht aus. Über ihnen vernahmen sie die schnellen Fußtritte mehrerer Männer sowie deren Gebrüll. Eine Alarmsirene heulte auf.

»Na toll!«, grollte Caiden im Flüsterton. »Jetzt sitzen wir hier fest!«

Faith verharrte völlig regungslos und würdigte ihn keiner Antwort. Erst als die Wachen weitergezogen waren, schaltete sie die Taschenlampe wieder ein und riss einen der Knöpfe von ihrem Lederkorsett. Der hatte offensichtlich keine tragende Funktion, besaß dafür aber rasiermesserscharfe Kanten, mit denen sie eins der fingerdicken Kabel durchschnitt. Sie wickelte es sich um die Hüften und robbte davon.

Zwei Minuten lang krochen sie den engen Wartungsschacht entlang, was einer Strecke von etwa zwanzig Metern entsprach. Die Biosphärenbewohner schienen fieberhaft nach ihnen zu suchen, denn die Fußtritte auf den Laufgittern nahmen zu. Glücklicherweise sorgte die Alarmsirene dafür, dass Caidens Fluchen und erschöpftes Stöhnen niemandem auffielen.

Als Faith endlich stoppte, war er kurz davor aufzugeben und nach Hilfe zu rufen. Die Klimaanlage war nicht an die Wartungsschächte angeschlossen und die Luft darin trotz der kalten Nacht ungeheuer stickig.

»Was jetzt ...?«, keuchte er und leuchtete Faith hinterher.

»Jetzt verschwinden wir von hier«, erwiderte sie und legte einen Hebel an der Wand um. Im selben Moment öffnete sich eine Klappe im Boden direkt unter Caidens Kopf und Schultern.

»Woah! Vorsicht!«, rief er entsetzt und klammerte sich an den seitlichen Rohren fest. »Was ist das?«

»Ein Wartungszugang«, antwortete Faith. Sie zerrte das Kabel aus dem Schacht und ließ es durch die Luke fallen.

»Woher wusstest du davon?«, fragte Caiden und blickte dabei auf die dunkle Steppe unter ihm. Ein mäßiger Sandsturm fegte an der Biosphäre entlang und ließ das improvisierte Seil im Wind herumwehen.

»Das ist nicht mein erster Militärkomplex«, entgegnete sie schulterzuckend. »Außerdem stand es auf den Schildern hinter uns.«

Faith nahm die kleine Stabtaschenlampe zwischen ihre Zähne, klammerte sich an dem Kabel fest und rutschte in die Tiefe. Die Verankerungen der Datenverbindung sprangen dabei aus ihren Halterungen und ließen das improvisierte Seil schubweise nachgeben. Kurz bevor Faith hart auf dem sandigen Boden aufschlug, riss der äußere Schutzmantel.

»Beeil dich!«, hörte Caiden sie von unten rufen. Mit geschlossenen Augen verkrampften sich seine Hände um das Kabel, bis er bereits zwischen Biosphäre und rettender Erde merkte, wie ein Draht nach dem anderen zerriss. Ehe er sich versah, stürzte er zu Boden und landete in Faiths Armen. Die konnte ihn zwar nicht auffangen, aber zumindest seinen Fall verlangsamen, so dass er nach einigen Flüchen unverletzt aufzustehen vermochte.

»Und was jetzt?«, rief er ihr mit zusammengekniffenen Augen zu. Der Sandsturm beschränkte die Sicht auf weniger als zehn Meter. »Die werden nicht lange brauchen, um darauf zu kommen, wo wir sind!«

Kaum hatte er den Satz beendet, öffneten sich die massiven Fahrstuhltore des Zugangsturms. Faith ignorierte Caidens frustrierten Ausbruch ging seitlich des Aufzugs in Deckung.

»Die können nur aus dem Wohnsegment kommen«, hörten sie eine Männerstimme rufen. »Du übernimmst A ...«

Weiter kam der Soldat nicht. Faith hatte kurzerhand um die Ecke gegriffen und die völlig überrumpelte Wache mit einem gezielten Handkantenschlag auf das Nasenbein außer Gefecht gesetzt. Sein Kamerad war nun vorbereitet und schlich sich mit angelegtem Gewehr und heruntergeklapptem Nachtsichtgerät heran, fand jedoch nur seinen bewusstlos am Boden liegenden Partner vor.

Caiden kannte Faiths Vorgehensweise inzwischen und sprintete geistesgegenwärtig einmal um den Zugangsturm. Mit einem kräftigen Tritt in die Kniekehlen brachte er den zweiten Soldaten zu Fall und riss ihm dabei das Gewehr aus den Händen.

»Keine Bewegung!«, rief er den beiden Männern zu. Faiths Opfer war mittlerweile wieder zu sich gekommen.

»Aufstehen und dann her mit eurer Ausrüstung!«, befahl Caiden, als Faith hinter dem Zugangsturm hervorgetreten kam. Die Soldaten erhoben sich und begannen widerwillig, ihre Nachtsichtgeräte und Waffen abzulegen. Faith blieb die ganze Zeit in ihrem Rücken und bückte sich erst, als die militärischen Kampfdolche der Wachen auf dem Boden lagen. Sie ergriff die Klingen mit beiden Händen und rammte sie blitzschnell in die Nieren der Soldaten. Faith wusste genau, wo sie die Männer treffen musste, um sie ohne Aufschrei tot auf die Erde fallen zu lassen.

»Was verdammt nochmal soll das?«, fuhr Caiden sie an.

»Keine Zeugen«, erwiderte sie kalt. »Die hätten sich bemerkbar gemacht und uns verraten.«

»Du bist doch verrückt! Jetzt werden die uns mit allem jagen, was sie haben!«

»So wie Scarlet?«, giftete Faith zurück und zeigte ihm dabei den schwarzen Ring an ihrem Finger. Gemeinsam mit Caiden ergriff sie die Ausrüstung und verschwand in der stürmischen Nacht.

 

***

 

»Ende der Aufzeichnung«, drang es aus den Lautsprechern in Cassidys Gefängniszelle und das Bild blieb stehen. Sie war nach ihrer Ankunft sofort hierher gebracht worden und hatte seit Stunden nur Amy als Gesprächspartnerin gehabt. Drei Mal hatte sie sich die Flucht ihres Bruders inzwischen angesehen und verstand immer noch nicht, warum Faith plötzlich zustach. Es stand außer Frage, dass sie eine ebenso kaltblütige Mörderin wie Jade war, doch es machte einfach keinen Sinn, die Biosphärenbewohner ohne Grund derart gegen sich aufzubringen. Schon gar nicht, während sie mit Jiao unterwegs und ihr Team versorgt war.

»Wo ist Caiden jetzt?«, fragte Cassidy und vergrub dabei ihr Gesicht beschämt unter ihren Handflächen.

»Unbekannt.«

»Was meinst du mit unbekannt? Ist ihnen die Flucht gelungen?«

»Diese Information ist für dich nicht zugänglich.«

Cassidy nahm die Hände von ihrem Gesicht und rollte mit den Augen.

»Und wo sind die anderen? Butch und Kim?«

»Diese Information ist für dich nicht zugänglich.«

Cassidy knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste.

»Was ist mit Sharon?«

»Die Vitalzeichen der Patientin liegen innerhalb normaler Parameter. Sie befindet sich auf Anweisung von Doktor Karen Webb auf der Krankenstation und ist seit ihrer Einlieferung bewusstlos.«

Cassidy seufzte erleichtert. Wenigstens eine gute Nachricht. Sie nahm ihren Plastikbecher vom Tisch und lief zum Wasserspender. Noch vor ein paar Tagen hätte sie diesen Raum für ein Paradies gehalten. Frische, saubere Luft und klares Wasser, das schier unaufhörlich aus der Wand zu kommen schien. Und doch blieb es eine Gefängniszelle, wenn auch ohne Gitter, ohne Gestank, ohne die Aussicht auf eine baldige Hinrichtung oder ein Leben in Sklaverei. Stattdessen umgab sie lähmende Ungewissheit. Durch die schwere Stahltür drangen kaum Geräusche von draußen herein. Es gab keine Fenster oder sonstigen Öffnungen, nur den Lüftungsschacht der Klimaanlage an der Decke, in den nicht einmal ihr Kopf passen würde.

Sie fühlte sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben. Warum holte Jiao sie hier nicht raus? Warum waren Caiden und Faith so überstürzt geflüchtet, obwohl Angel und Cassidy bereits einen hervorragenden Kontakt zu den Bewohnern aufgebaut hatten? Wie waren sie überhaupt in den Zugangsschacht gelangt? Was war mit den anderen geschehen? Bis auf Sharons unveränderten Zustand verweigerte Amy eisern die Auskunft.

Plötzlich wurde es stockdunkel. Die Deckenbeleuchtung schaltete sich zusammen mit dem Bildschirm ab.

»Was ist los? Was soll das?«, fragte Cassidy verwirrt. Sie stand noch immer am Wasserspender und tastete sich vorsichtig zurück zum Bett.

»Es ist zweiundzwanzig Uhr«, antwortete Amy »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

Zehn Uhr abends. Sie hatte bereits den ganzen Tag in der klaustrophobischen Zelle verbracht und bis auf einen Wärter mit einer kargen Essensration keinen Menschen zu Gesicht bekommen. Seufzend hockte sich Cassidy auf das Bett. Angel hatte ihr nach der Gefangennahme durch die Sicarii ein paar Überlebenstipps für vergleichbare Situationen beigebracht. Seit Stunden kaute sie auf einem Knopf herum, den sie vom Bettbezug abgerissen hatte. Dazu versuchte sie, ihre Kopfrechenkünste aufzufrischen, und plante in Gedanken die unterschiedlichsten Expeditionen in die Steppe. Batterien, Munition, Treibstoff, Wasser; das alles musste berechnet werden, wenn man erfolgreich sein wollte. Eine Weile hatte sie gezögert, ihre Nahkampfübungen fortzusetzen, da ihr garantiert ein Wachsoldat an irgendeinem Monitor zusah, bis ihr Stolz nach ein paar Stunden kapitulierte. Am Ende wünschte sie sich sogar ihre staubigen Bücher zurück, um sich die Zeit vertreiben zu können. Aber auch ohne sie hatte Angel mit ihren Tipps Recht behalten und Cassidy den Tag überstanden. Nun war sie zum Glück so müde, dass sie binnen weniger Minuten einschlief.

 

***

 

Cassidy wusste nicht, wie lange sie schon im Halbschlaf auf ihrer Liege verbracht hatte, als sich plötzlich die Zellentür einen Spalt breit öffnete. In der tiefen Dunkelheit überkamen sie Erinnerungen an die verfluchte Militärbasis. Die Stahlwände und das kalte, eiserne Bettgestell trugen ihr übriges dazu bei, um das Schreckensbild zu vervollständigen. Sie wollte fliehen, doch wohin?

»Cassidy?«, flüsterte eine Stimme. »Bist du wach?«

Eine kleine Taschenlampe suchte die Zelle ab und entdeckte das verängstigte Mädchen zusammengekauert in der Ecke hocken. Mit einem amüsierten Kichern leuchtete sich Jiao in ihr eigenes Gesicht und schloss die Tür.

»Ich bin‘s!«

Cassidy hatte die ganze Zeit die Luft angehalten und atmete erleichtert aus.

»Wozu dieser Aufstand?«, fragte sie. »Wieso machst du nicht einfach das Licht an?«

»Um Amy zu deaktivieren, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, musste ich alle umliegenden Systeme abklemmen.« Jiao blickte lächelnd auf die unverkleideten Kabelschächte vor der Tür, so als würde sie sich an eine Anekdote aus ihrer Vergangenheit erinnern. »Der Computer wird von so vielen notdürftig geflickten Kabeln zusammengehalten, dass Amy einige Stunden mit der Fehlersuche beschäftigt sein dürfte«, fügte sie hinzu.

»Und warum hast du sie abgeschaltet?«

Jiaos unbeschwertes Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Ernst half sie Cassidy zurück auf die Beine und setzte sich mit ihr auf das Bett.

»Weil ich ein paar ehrliche Antworten brauche«, erwiderte sie nachdenklich und reichte ihr einen Schokomuffin vom Vortag zur Stärkung. »Deine Freunde sind weg. Nach der Flucht von Faith und deinem Bruder hat sie mein Vater den Sicarii übergeben.«

Cassidy schluckte schwer. Sowohl an dem leckeren Muffin, den sie nach Brot und Wasser zum Abendbrot sofort zu verschlingen begonnen hatte, als auch aufgrund der schockierenden Neuigkeiten.

»Sharon etwa auch?«, fragte sie besorgt. Eventuell war Amy ja darauf programmiert worden, sie zu belügen.

»Die ist noch hier«, antwortete Jiao kopfschüttelnd. »Karen hat sich mit Händen und Füßen gegen ihre Auslieferung gewehrt und nicht mal mein Vater kann es sich leisten, sie einfach so zu übergehen.«

»Was ist mit Caiden und Faith? Habt ihr sie gefasst?«

Jiao schüttelte erneut den Kopf.

»Ich weiß nicht wie, aber sie sind offenbar tatsächlich entkommen. Unsere Drohnen haben das Gebiet bis zur Schlucht den ganzen Tag über abgesucht, ohne das geringste Lebenszeichen zu entdecken. Wir sind noch nicht mal sicher, wie sie überhaupt unbemerkt in den Wartungsschacht gelangen konnten.«

»Hast du deinem Vater von Faith erzählt?«, fragte Cassidy vorsichtig.

»Ich wollte, aber irgendwie ...«

Jiao verschränkte die Arme und schien einen Augenblick lang in Gedanken zu versinken, ehe sie antwortete.

»Ich hab versucht ihn davon abzuhalten, deine Freunde an die Sicarii zu übergeben. Karen und ein paar andere teilen meine Meinung und argumentierten, dass wir sie nicht einfach wegschicken sollten, ohne zu wissen, was da drüben eigentlich vorgeht.«

Jiao rollte die Taschenlampe angespannt zwischen ihren verschwitzten Handflächen entlang.

»Er ist davon überzeugt, dass unser Abkommen mit den Sicarii wichtiger sei, als einer Horde Barbaren aus der Wüste zu helfen, die sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden könnten. Die Vereinbarung besagt, dass wir uns in keine ihrer sogenannten Feldzüge einmischen dürfen. Einige eurer Namen, allen voran Angel, lösten bei den Sicarii geradezu Begeisterungsstürme aus. Sie verlangten die sofortige Auslieferung, und als mein Vater zögerte, boten sie großzügige Geschenke an, anstatt uns wie üblich zu drohen.«

»Geschenke? Für uns?«

»Kostenlose Getreidelieferungen oder Fleisch und Öl. Waren, die wir normalerweise gegen Medikamente oder Technik tauschen.«

Cassidy rieb sich niedergeschlagen über ihr Gesicht. Ihr Wert wurde also inzwischen in Steaks bemessen.

»Das war noch nicht alles«, fuhr Jiao fort. »Ich war kurz davor ihm von Jades Hinterhalt und Faiths Identität zu berichten, weil ich dachte, das würde ihn vielleicht davon überzeugen, dass mehr hinter eurem plötzlichen Auftauchen steckt.«

»Und warum hast du es nicht getan?«

»Ich hab ihn zunächst nach Scarlet gefragt, die sich angeblich in genau dieser Gefängniszelle das Leben genommen hat«, antwortete Jiao und zeigte mit dem Finger an die Zellendecke. »Er wurde zornig und behauptete, dass mich euer Einfluss bereits korrumpiert hätte. Dann bekräftigte er seine Befehle und beendete die Diskussion.«

Sie vergrub ihre Stirn unter ihren Handflächen und massierte sich frustriert die Kopfhaut.

»Das ergibt für mich alles keinen Sinn mehr. Seit sechs Monaten hat sich unser Drohneneinsatz vervierfacht. Angeblich aufgrund von Unruhen jenseits der Schlucht, die sicariianische Handelskonvois auf dem Weg zu uns bedrohen würden, die ebenfalls stark zugenommen haben. Als Angel mir von den Aufklärungsdrohnen über euren zerstörten Siedlungen erzählt hat, hab ich noch gehofft, dass es sich um einen Zufall handeln würde. Auch wenn sich meine Leute gern das Gegenteil einreden, sind wir bestimmt nicht die einzigen mit Zugang zu hochentwickelter Technologie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass im Jahr 2048 nicht alle Nationen untergegangen sind. Und inzwischen bin ich davon überzeugt, dass mir mein Vater etwas verschweigt.«

Jiao blickte Cassidy ernst an.

 »Wenn es noch irgendetwas gibt, was du mir sagen willst, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt.«

»Was meinst du damit? Ich hab dir alles gesagt, was ich über Faith weiß!«

»Was ist mit Angel? Ist sie auch eine von denen?«

Cassidy starrte sie verdutzt an.

»Wie kommst du darauf?«

»Sie benimmt sich wie eine typische Bacchae!«, sagte Jiao und sprang dabei mit erhobenen Armen vom Bett auf. »Sie hat zum Beispiel Jades Hinterhalt nach ein paar Minuten durchschaut gehabt. In Arnac wusste sie genau, wie sie das Amulett einsetzen musste. Anschließend erteilt sie plötzlich Befehle und verfolgt Nadims Mörder allein in einer angeblich für sie völlig fremden Stadt!«

Cassidy hörte ihr aufmerksam zu und nickte instinktiv. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie Jiao vermutlich sogar zugestimmt.

»Sie war jahrelang eine Kommandeurin der Vultures«, sagte Cassidy etwas zögerlich. »Jade hat behauptet, die stünden jetzt auf Seiten der Sicarii.«

»Das würde zumindest deren gesteigertes Interesse an ihr begründen«, antwortete Jiao. »Die waren völlig aus dem Häuschen, als sie von Angel erfahren haben. Und das ist wirklich alles?«

Cassidy nickte erneut und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Hat dir Jade etwas anderes erzählt?«

Jiao zog einen kleinen Zettel hervor, auf dem nichts als eine Zahlenreihe geschrieben stand.

»Das sind die Koordinaten einer Stelle gut hundert Kilometer nordwestlich von Arnac, wo ich sie treffen soll. Mehr hat sie mir nicht gesagt.«

»Was ist da?«

»Nichts als vertrocknetes Farmland«, erwiderte Jiao. »Seit Jahren haben wir keine Drohne mehr so weit in ihr Gebiet geschickt und ich hielt es für besser, meinen Vater nicht darüber zu informieren.«

»Und wie willst du dorthin kommen?«

»Da gibt es nur eine Möglichkeit. Fliegen. Ich glaube kaum, dass uns die Sicarii nochmal durch ihr Territorium fahren lassen würden, zumal ich wohl nicht länger auf die Hilfe von Charles zählen kann.«

Cassidy zog die Beine an ihre Brust und starrte auf den dunklen Metallfußboden.

»Mein Vater würde mir jedoch niemals die Erlaubnis dazu geben. Nach all meinen Fragen würde es mich nicht mal wundern, wenn er bereits einen Grund sucht, mir Flugverbot zu erteilen«, fuhr Jiao mit hochgerissenen Armen fort und drehte sich dabei zu Cassidy um. »Außerdem will er dich morgen ebenfalls von den Sicarii abholen lassen.«

Cassidy schluckte wie zuvor, als sie vom Schicksal ihrer Freunde erfahren hatte, und starrte Jiaos dunkle Silhouette erschrocken an. Sie erinnerte sich noch lebhaft an ihre erste Gefangenschaft und bekam furchtbare Angst, da sie diesmal wohl kaum innerhalb weniger Tage auf Rettung hoffen konnte.

»Es scheint, als bleibt uns beiden keine andere Wahl, als meinem Vater zuvorzukommen«, sagte Jiao, hockte sich vor Cassidy auf den Boden und blickte sie mit zusammengekniffenen Augenlidern an. »Sieh mir in die Augen und sag mir, dass ihr keine feindlichen Absichten gegen uns hegt.«

»Wir sind hier, weil Jade uns östlich der Schlucht Hilfe versprochen hat. Bis auf Sharons Aufeinandertreffen mit dir wussten wir nichts von euch!«, schwor Cassidy mit erhobenen Händen. Jiao blinzelte einen Augenblick lang und stand wieder auf.

»Ich glaube dir«, antwortete sie knapp, holte ein kleines Gerät hervor, das wie eine Heißklebepistole aussah, und hielt es Cassidy an die rechte Schulter. »Keine Sorge, das tut nicht weh.«

Bevor sie protestieren konnte, klickte das Gerät und Cassidy verspürte einen stechenden Schmerz auf der Haut, der aber schon nach einer Sekunde nachließ.

»Was war das?«, fragte sie erschrocken und rieb sich über den Oberarm.

»Ein Mikrochip, mit dem wir dich überall wiederfinden können, falls du uns verloren gehst. Jeder von uns trägt einen. Außerdem ...« Jiao holte eine ihrer taktischen Einsatzbrillen hervor und reichte sie Cassidy. »... funktioniert die jetzt mit deinen Biowerten.«

Tatsächlich zeigte die Brille nun Cassidys Blutdruck, Puls und Position an. Auf der Karte erkannte sie zudem gut einhundert Punkte um sie herum, da sie sich mitten in der Biosphäre befand.

Jiao zückte unterdessen ein kleines Funkgerät und flüsterte hinein. »Karen, Leon - grünes Licht! Ich wiederhole, grünes Licht!«

Cassidy atmete unglaublich erleichtert auf und ließ ihre Füße zurück auf den Boden sinken.

»Und was nun?«

Im selben Moment öffnete sich die Zellentür. Leon trat zusammen mit Sergej ein.

»Uns bleibt nicht viel Zeit. Die beiden werden dich zum Hubschrauber bringen«, erklärte Jiao und drehte sich zu den Soldaten um. »Ihr wisst, was zu tun ist. Ich muss noch ein paar Dinge aus meinem Quartier holen.«

»Und du bist dir absolut sicher?«, fragte Leon.

Jiao nickte ihm entschlossen zu und verließ die Zelle, ohne ihm eine verbale Antwort zu geben.

»Also los. Bringen wir‘s hinter uns. Aber setz die Brille wieder ab!«, brummte Sergej und reichte Cassidy die Hand.

Leon ging mit schnellen Schritten voraus und schien den Augen der Biosphärenbewohner auszuweichen, denen sie über den Weg liefen. Cassidy spürte die neugierigen Blicke, die sie bis vor den zentralen Zugangsturm verfolgten, wo die drei von einem Wachposten aufgehalten wurden.

»Wir sollen sie für die Übergabe vorbereiten, damit unsere Viola morgen keinen Aufstand machen kann«, bluffte Leon mit einem sarkastischen Grinsen. Der Wachsoldat schaute ihn argwöhnisch an, gab sich aber mit der Erklärung zufrieden und ließ sie mit einem ebenso zynischen Gesichtsausdruck passieren. Der Weg führte sie an dem großen Fahrstuhlschacht vorbei in die nördlichen Segmente der Biosphäre, in denen die Gewächshäuser lagen. Nach einer kurzen Odyssee durch ein Labyrinth von Zugangsröhren stoppten sie vor einem massiven Stahlschott.

»Karen«, hauchte Leon in sein Funkgerät. »Wir sind vor dem Tor.«

Einen Augenblick später öffneten sich die schweren Türen und gaben den Blick auf die riesige Halle frei, in der beide Etagen zu einem gigantischen Gewächshaus vereint worden waren.

»Da seid ihr ja endlich!«, rief ihnen Doktor Webb zu. Sie beugte sich zusammen mit Sergejs Bruder Jurij über das Geländer eines Servicegangs in der Mitte der Halle und wirkte ausgesprochen nervös.

»Jiao wollte wohl auf Nummer sicher gehen«, erwiderte Leon und schloss die Schotten hinter sich mit einem kräftigen Schlag auf den angrenzenden Schalter. Anschließend eskortierten sie Cassidy über eine eiserne Treppe auf den Wartungsgang bis zu einer Leiter, die zu einer Luke in der Decke der Biosphäre führte.

»Alles bereit?«, rief ihnen Jiao entgegen, die zur selben Zeit aus einem Nebengang auftauchte. Sie war inzwischen in ihre Fliegermontur geschlüpft und hielt das Foto ihrer Mutter in der rechten Hand.

»Und du bist dir absolut sicher, dass das der einzige Weg ist?«, fragte Doktor Webb besorgt.

»Ihr habt meinen Vater doch erlebt«, erwiderte Jiao entschlossen und zog ihren Reißverschluss zu. »Irgendetwas stimmt hier nicht und wir werden herausfinden, was es ist.«

Die hochgewachsene Ärztin nahm Jiao in die Arme und drückte sie fürsorglich an ihre Brust.

»Pass auf dich auf, meine Kleine!«

Kaum hatte sie den Satz beendet, ertönte plötzlich eine Alarmsirene aus den Lautsprechern, die von roten Rundumleuchten an den Wänden unterstützt wurde.

»Das hat ja nicht lange gedauert«, brummte Leon frustriert und legte mit Sergej seine Einsatzmontur an. Gemeinsam setzten sie die schwarzen Panzersegmente an Schultern, Brust und Beinen mit Klickverschlüssen zusammen. Nach nicht einmal dreißig Sekunden hatten sie mehr Ähnlichkeit mit Eishockeyspielern als den uniformierten Rangern, die Cassidy aus Silver Valley kannte. Trotzdem schien ihre Bewegungsfreiheit dank der federleichten und teilweise elastischen Module kaum eingeschränkt zu sein. Kaum waren sie abmarschbereit, echote Amys künstliche Stimme aus den Lautsprechern:

 

»Alarm! Gefangenenausbruch in Segment Gamma, Sektion eins. Sicherheitsprotokoll Rot aktiviert.«

 

Mit einem metallischen Krachen verschlossen sich sämtliche Türen des Gewächshauses.

»Damit haben wir gerechnet«, raunte Jiao und kletterte die Leiter hinauf. »Dafür hab ich Adam schließlich auf dem Dach geparkt, nachdem Gordon wieder alles verstellt hatte!«

Sie begann an dem Rad in der Mitte des Deckenschotts zu drehen, das als Notausgang nicht vom automatischen Verschluss aller anderen Ausgänge betroffen war. Jurij gab seinem Bruder zum Abschied die Hand und nahm ihn anschließend einmal kräftig in die Arme. Als Sergej ihm in die Augen sah, merkte er, wie Jurij seinem Blick auszuweichen versuchte. Bevor er jedoch nachfragen konnte, meldete sich Amy erneut zu Wort.

 

»Isolationsbruch in Segment Delta!«

 

»Jetzt wissen die, wo wir sind!«, mahnte Leon. »Beeilt euch!«

Zusammen mit Sergej half er Cassidy die Leiter hoch und reichte ihr anschließend zwei schwere Rucksäcke, die sie nur mit großer Mühe auf das Dach gewuchtet bekam. Kaum waren die beiden Männer durch die Luke gestiegen, öffneten sich die massiven Stahltore vom Haupteingang des Gewächshauses. Die eindringenden Soldaten riefen ihnen zu, sofort stehenzubleiben. Doktor Webb fiel es allerdings nicht mal im Traum ein, sich auf irgendeine Art zu fügen. Sie setzte einen selbstbewussten Gesichtsausdruck auf, verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und stolzierte die Treppe hinab, als wäre nichts geschehen. Jurij konnte seine Aufregung weniger gut verbergen und folgte der Ärztin so dicht wie möglich.

»Zwei Minuten!«, brüllte Leon Jiao zu, die bereits im Cockpit saß und die Turbinen angeworfen hatte. Cassidy rannte zusammen mit den beiden Männern auf den Hubschrauber zu, der von Jiao offenbar etwas umgebaut worden war. Doppelte Zusatztanks an den Außenträgern und ein paar improvisierte Kerosinkanister im Truppenabteil verdeutlichten, dass sie sich auf eine längere Reise vorbereitet hatten. Leon deutete auf den Copilotensitz und kletterte mit Sergej in die seitlichen Geschützstellungen.

»Wie sieht‘s aus?«, rief er nach vorn.

»Eine Minute«, antwortete Jiao angespannt. Sie setzte ihren Fliegerhelm auf und heftete das Foto ihrer Mutter auf das Armaturenbrett. »Macht die Türen zu!«

Leon hatte die Wachsoldaten etwas unterschätzt, denn schon in diesem Moment öffnete sich die Dachluke. Vier Männer kletterten nacheinander heraus und knieten sich mit angelegten Gewehren auf den Boden.

»Die werden nicht auf uns schießen, oder?«, fragte Cassidy unsicher. Mithilfe ihrer orangeglimmenden Brille konnte sie genau beobachten, wie die Soldaten auf sie zielten.

»Auf uns nicht«, antwortete Jiao. »Festhalten!«

Sie drückte den Schubregler auf das äußerste Maximum. Daraufhin heulten die Doppelturbinen auf und warfen die vier Soldaten beinahe um, als sich der riesige Hubschrauber langsam in die Luft erhob. Niemand von ihnen eröffnete das Feuer. Jiao schob den Steuerknüppel nach vorn, wodurch sich die Maschine in dieselbe Richtung neigte und an Geschwindigkeit zulegte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatten sie die Biosphäre hinter sich gelassen.

»Violet, Hawk-six!«, tönte es aus den Kopfhörern. »Du hast keine Starterlaubnis erhalten!«

Jiao antwortete nicht, sondern schien sich auf den nicht ganz ungefährlichen Streckenverlauf durch die kleine Schlucht vor der Biosphäre zu konzentrieren. Dabei brausten sie auch über den einsamen Ares hinweg, der wieder brav die Zugangsstraße bewachte.

»Jiao! Ich befehle dir, sofort umzukehren!«, hörten sie ihren Vater rufen. »Dein Hitzkopf bringt uns an den Rand eines neuen Krieges!«

Wieder schwieg die Pilotin. Cassidy konnte jedoch ein frustriertes Augenrollen unter ihrem Sichtschutz erkennen.

»Wenn du die Grenze überquerst, bist du auf dich allein gestellt!«, beschwor sie ihr Vater. »Ich werde dir keine Unterstützung mehr schicken!«

»Ich weiß«, antwortete Jiao und schaltete ihre Musik ein. »Violet, Ende.«

 

***

 

Gute zwei Stunden folgten sie dem Straßenverlauf, den der sicariianische Konvoi in der Nacht mit den Rangern genommen hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie die Dunkelheit für Truppenbewegungen nutzten. Die Gefangenen waren an der Brücke übergeben worden und auf imperialem Territorium schreckte eine Gruppe hell erleuchteter Mannschaftstransporter jeden dahergelaufenen Straßenräuber ab.

Jiao und ihre Kameraden verließen sich auf ihren unerschütterlichen Glauben an die eigene technische Überlegenheit und erklärten Cassidy während eines Tankstopps, bei dem sie die leeren Kerosinkanister aus dem Truppenabteil herauswarfen um Platz für Kim, Butch und Cole zu machen, ein paar Details des Hubschraubers. Angefangen mit der schusssicheren Bodenpanzerung bis hin zu den 1500 PS starken Doppelturbinen, die das fliegende Schlachtschiff auf nahezu dreihundert Stundenkilometer beschleunigen konnten. Aufgrund des extremen Treibstoffverbrauchs verzichteten sie jedoch auf eine Demonstration und begnügten sich mit einer Reisegeschwindigkeit von zweihundert. Der Gefangenenkonvoi war nicht in Eile und würde ebenso sparsam unterwegs sein. Laut Jiaos letzten Berechnungen sollten sie die Truppentransporter im Morgengrauen fünfzig Kilometer vor Arnac einholen.

»Was meinte dein Vater mit einem neuen Krieg?«, fragte Cassidy, während sie über die schier endlose, nächtliche Steppe hinwegfegten. »Werden euch die Sicarii angreifen, weil du uns hilfst?«

Jiao starrte ausdruckslos auf die Armaturen und suchte nach den passenden Worten. Die Unsicherheit über ihre eigene Rebellion konnte selbst ein Blinder sehen.

»Ach was«, raunte Sergejs russischer Akzent aus den Kopfhörern der Flughelme. »Nach dem Chaos in Arnac werden die ganz andere Sorgen haben!«

Leon löste sich von seinem Bordgeschütz und lehnte sich an die Wand zum Cockpit.

»Yuen hat nicht von den Sicarii gesprochen.«

»Nicht? Von wem denn dann?«, wunderte sich Cassidy.

»Das Imperium hat mehr als einen Feind«, erklärte Jiao. »Einige davon würden nur zu gern eine Destabilisierung der Sicarii sehen. Allen voran die Ragnars im Norden. Auch die Neces könnten binnen kurzer Zeit ganze Provinzen im Chaos versinken lassen, wenn die Legionen die Kontrolle verlieren.«

»Aber was hat das mit euch zu tun?«, fragte Cassidy. »Das hört sich ja fast an, als würdet ihr euch Sorgen um die Sicarii machen!«

»Denk doch nur mal an Charles!«, fuhr Jiao sie beinahe zornig an. »Vor den Sicarii musste er jeden Tag ums Überleben kämpfen. Jetzt genügen ein paar Patrouillen an seinen Zäunen.«

»Das hat ihm gestern aber nicht geholfen.«

»Daran sind wir ... bin ich schuld«, sagte Jiao bedrückt. »Hätte ich ihn nicht ständig in meine Missionen hineingezogen ...«

»Charles kannte das Risiko«, unterbrach sie Leon. »Genauso wie Sam und jeder andere auf der Farm. Wie vielen von denen hat Karen im Gegenzug das Leben gerettet? Wie oft haben wir ihnen mit Gas und Medikamenten ausgeholfen? Direkt an den Sicarii vorbei!«

»Trotzdem sollten wir die Sache klären und dafür sorgen, dass die Legion ihn in Zukunft in Ruhe lässt!«, mahnte Sergej.

»Jade wird diesen Offizier zur Rechenschaft ziehen«, versprach Jiao eisern. »Das schuldet sie mir.«

 

***

 

Als die Sonne den neuen Tag einläutete, kam ihr Ziel wie geplant in Sichtweite. Der Konvoi aus zwei Truppentransportern und einem Geländewagen als Eskorte verriet sich schon aus weiter Ferne durch eine hohe Staubwolke.

»Und was nun?«, rief Cassidy nervös. Die lauten Motorengeräusche machten ihr seit dem Aufbruch schwer zu schaffen und dank der Brillenanzeigen konnte sie genau sehen, dass ihr Herz mehr als hundertzwanzig Mal pro Minute schlug. »Halten die einfach für dich an?«

»Das werden wir gleich herausfinden«, antwortete Jiao und überflog die drei Fahrzeuge so tief, dass sie die Frisuren der beiden Männer im etwas vorausfahrenden Jeep durcheinanderwirbelte. Anschließend ließ sie den Hubschrauber einen Meter über der Straße schweben und zwang den Konvoi damit zum Anhalten. Sie schwenkte die Maschine so herum, dass die Steuerbordseite auf die Wagenkolonne zeigte und Leon sie am Maschinengewehr sofort unter Feuer nehmen konnte.

»Ihr habt zwei Minuten Zeit eure Gefangenen freizulassen und zu verschwinden!«, befahl Jiao den Sicarii über die Sprechfunkanlage des Hubschraubers.

Gebannt verfolgte Cassidy, wie die Soldaten ausstiegen und tatsächlich ihre Freunde von der Ladefläche des mittleren Lasters holten. Butch trug noch immer einen Verband an der rechten Hand. Cole und Kim wirkten den Umständen entsprechend gesund. Besonders die widerspenstige Wüstenprinzessin wehrte sich standhaft gegen die grobe Behandlung ihrer Wächter, die sie in einer Reihe vor dem Geländewagen aufstellten.

»Lasst sie laufen!«, schallte Jiaos Stimme aus dem Lautsprecher.

Cassidy zitterte vor Freude am ganzen Leib. Sie hatten es geschafft, ihr Team vor der Gefangenschaft zu bewahren! Der Kommandeur drehte sich zu seinen Männern um und schien ihnen den erhofften Befehl zu erteilen. Dabei fiel Jiao der blutgetränkte Verband an seinem rechten Oberarm auf.

»Das ist doch ...«, hauchte sie mit bebender Stimme. Plötzlich zog der Offizier ohne Vorwarnung seine Pistole und schoss Butch von hinten in den Kopf. Der breitschultrige Mechaniker brach leblos vor Cassidys Augen zusammen und ließ sie entsetzt aufschreien. Schockiert starrte sie auf die Leiche ihres Freundes, der sie vor zwei Monaten so herzlich in seinem orangefarbenen Pick-up aufgenommen hatte.

Der sicariianische Kommandeur trat einen Schritt auf die anderen beiden zu. Er drückte die rauchende Mündung seiner Pistole in Kims Nacken und winkte mit dem verletzten Arm in die Richtung des Hubschraubers. Die Botschaft war eindeutig. Würden sie die Straße nicht sofort freigeben, wäre der Rotschopf sein nächstes Opfer.

Jiao überlegte fieberhaft, wie sie darauf reagieren sollte. Sie durfte die Sicarii nicht damit durchkommen lassen, aber sie hatte auch keinerlei Zweifel daran, dass die Soldaten Kim und Cole vor ihren Augen exekutieren würden, wenn sie der Aufforderung nicht Folge leistete. Leon wartete nur auf ihren Befehl, das Feuer aus dem Bordgeschütz zu eröffnen. Für ihn und Sergej war die Sache klar. Sie hatten nichts zu verlieren. Cassidy starrte nach wie vor apathisch auf Butchs Leiche. Es erschien ihr so unwirklich, wie schnell sich die schon erfolgreich geglaubte Rettung in ein solches Trauma verwandeln konnte. Obwohl sie wie versteinert wirkte, zeigte die Pulsanzeige in ihrer Brille beinahe hundertfünfzig Herzschläge pro Minute an.

Dem Kommandeur dauerten die Überlegungen viel zu lang. Er streckte seinen linken Arm aus, um Jiao zu verdeutlichen, dass er jeden Moment abdrücken würde. Sie griff bereits nach dem Schubregler, da kam ihr Kim zuvor. Blitzschnell ließ sie sich gemeinsam mit Cole auf den Boden fallen und trat dem Anführer dabei die Pistole aus der Hand.

»Feuer! Feuer frei!«, brüllte Jiao, als sie die ungehinderte Schussbahn erkannte, doch Leon hatte die rotierende Minigun schon längst hochfahren lassen. Mit dem gefürchteten, ohrenbetäubenden Dröhnen sägte er eine Schneise quer durch die überraschten Soldaten, angefangen mit dem Kommandeur, der von den Geschossen buchstäblich zerfetzt wurde. Die Schockstarre der Sicarii dauerte jedoch nicht lange und Jiao musste sich beeilen, um an Höhe zu gewinnen und dem feindlichen Beschuss kein stationäres Ziel zu bieten.

»Wo willst du hin?«, rief Cassidy, die von dem lauten Bordgeschütz aus ihrer Trance gerissen worden war. »Wieder runter! Wieder runter! Wir müssen ihnen helfen!«

Jiao war viel zu beschäftigt, um ihrer unerfahrenen Freundin zu antworten. Sie ließ die starken Doppelturbinen aufheulen und blies dabei den Legionären tonnenweise Staub ins Gesicht. Anschließend kreiste sie um den Konvoi herum, wobei sie die Nase des Hubschraubers direkt auf das Ziel richtete, damit beide Geschütze gleichzeitig feuern konnten. Die Sicarii suchten hinter ihren Truppentransportern Deckung, aber weder vermochten sie die dünnen Panzerplatten vor dem Dauerbeschuss der beiden Miniguns zu schützen, noch brachte ihnen der Stellungswechsel irgendeinen Vorteil, denn Jiao hatte sich schon nach wenigen Sekunden wieder hinter ihre Rücken manövriert. Die Bodenpanzerung ihres Hubschraubers hielt dem unkontrollierten Abwehrfeuer hingegen problemlos stand.

»Sergej! Mikrowellenemitter!«, befahl Jiao. »Da unten sind immer noch Leute von uns!«

»Verstanden!«, bestätigte der Russe und ließ von seinem Geschütz ab, um stattdessen die Satellitenschüssel zu bedienen. Leon stellte seinen Dauerbeschuss ein und wählte seine Ziele nun mit Bedacht. Cassidy versuchte Kim und Cole in dem Chaos zu entdecken, doch inzwischen hatten die Geschosse und der Rotor so viel Staub aufgewirbelt, dass man nur noch aufrecht stehende Menschen erkennen konnte.

»Violet, Fletcher«, knisterte es plötzlich aus den Lautsprechern. Seine Stimme klang anders als die üblichen Funkmeldungen. Beinahe flüsternd, so als hätte er Angst, von jemandem in seiner Nähe abgehört zu werden. »Euch bleibt nicht viel Zeit. Eine zweite Kampfgruppe nähert sich aus Richtung Südwesten. Entfernung etwa dreißig Klicks. ETA zehn Minuten.«

»Fletcher? Fletcher!«, antwortete Jiao, doch die Kopfhörer schwiegen. In diesem Moment schlugen plötzlich ein paar Geschosse im und über dem Cockpit ein, gefolgt von lauten Warnsignalen des Bordcomputers. Jiao hatte sich von der Funkmeldung ablenken lassen und war einen Augenblick lang beinahe zum Stillstand gekommen. Außerdem fehlte ihr die gewohnte Deckung des zweiten Hubschraubers, der sie bisher in jedem Gefecht unterstützt hatte.

»Verdammt!«, fluchte sie. »Backbordturbine getroffen. Sie brennt!«

Cassidy hatte keine Ahnung, dass backbord links bedeutete, aber sie konnte den schwarzen Rauch über ihrem Fenster deutlich sehen.

»Sergej!«, brüllte Leon. Der russische Schütze rutschte an der Bordwand zusammen und drückte mit beiden Händen auf eine blutende Wunde am Hals.

»Sergej hat‘s erwischt! Bring uns endlich hier weg!«, rief Leon nach vorn.

»Was ist mit Kim und Cole?«, entgegnete Cassidy erschrocken. »Wir können sie nicht einfach zurücklassen!«

»Die hatten ihre Chance abzuhauen!«, erwiderte Leon gereizt.

»Er hat Recht«, stimmte Jiao nach einem verstörten Blick auf ihren schwerverletzten Kameraden zu. »Die beiden haben zu Fuß bessere Aussichten als mit uns.«

Sie hatte die Treibstoffzufuhr der zerstörten Turbine getrennt und versuchte nun mit halbem Schub so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die herannahenden Sicarii zu bringen. Zurück zur Biosphäre würden sie es nie im Leben schaffen, daher gab es nur noch eine Richtung: Jades Koordinaten. Und damit tiefer in feindliches Territorium hinein. Als Leon erkannte, was Jiao vorhatte, kniete er sich hinter den Pilotensitz und starrte misstrauisch auf die Armaturen.

»Hält die Kiste bis dahin?«

»Vielleicht«, antwortete sie und studierte unschlüssig die Cockpitanzeigen. »Treibstoff sieht okay aus, aber der Öldruck fällt gewaltig. Die müssen auch die zweite Turbine getroffen haben.«

Ein paar Minuten lang vermochte sie den angeschlagenen Hubschrauber auf Kurs zu halten, doch dann blinkten auf einmal zwei weitere Warnleuchten zusammen mit einem Konzert von durcheinander schrillenden Sirenen auf. Das stählerne Ungetüm begann zu rütteln und neigte sich gefährlich zur Seite.

»Es hilft nichts. Wir müssen runter. Sofort!«, übersetzte Jiao. »Haltet euch irgendwo fest!«

Cassidy krallte sich an ihre Kopflehne, als sie die vertrockneten Bäume des Ödlands auf sich zukommen sah. Die Gegend war übersät mit aufgesprengten Felsbrocken und widerspenstigen Sträuchern. Vor ihnen nahm eine kleine Gruppe von Antilopen Reißaus, die vermutlich gerade den Schock ihres Lebens erfuhren, als das qualmende Himmelsschlachtschiff dröhnend auf sie herabstürzte. Jiao gelang es im letzten Moment, die Nase vor dem Aufprall hochzuziehen, so dass sie ein paar Meter auf der Erde entlangschlitterten, bevor sie der Hauptrotor zur Seite warf und sich in den staubigen Boden grub. Ein Rotorblatt nach dem anderen zersplitterte und zischte als tödliches Geschoss davon, ehe die verbliebene Turbine endgültig den Dienst einstellte. Das Hubschrauberwrack neigte sich nach backbord und Jiao war bei der Bruchlandung nur durch ihre Gurte im Sitz gehalten worden.

»Leon!«, rief sie nach hinten, während sie sich zu befreien versuchte. »Seid ihr noch da?«

»Sergej. Sergej!«, brüllte er und schüttelte an seinem russischen Kameraden, doch der Bordschütze hatte den Absturz nicht überlebt. Schnaufend rieb sich Leon den Schweiß aus dem Gesicht und riss die Steuerbordluke auf. »Wir müssen hier weg. Wie weit sind wir gekommen?«

Jiao antwortete ihm nicht, sondern starrte fassungslos auf ihren toten Freund. Selbst während des Krieges mit den Sicarii gehörten Verluste unter den Biosphärenbewohnern zur absoluten Ausnahme - und diesen Tod hatte sie allein zu verantworten.

»Komm wieder zu dir!«, rief ihr Leon zu. »Wie weit sind wir gekommen!«

»Vielleicht zehn ... fünfzehn Kilometer«, sagte Jiao apathisch, aber dann schüttelte sie innerlich den Kopf und löste ihren Sicherheitsgurt. Eigentlich hatte sie sich mit den Füßen am Boden abstützen wollen, doch ein stechender Schmerz im linken Knöchel ließ sie laut aufschreien und im freien Fall auf Cassidy hinabstürzen.

»Mein Fuß!«, heulte sie und zog ihr linkes Bein an die Brust.

»Auch das noch«, erwiderte Leon. Er schnappte sich sein Gewehr und spähte aus dem geöffneten Hubschrauber hinaus. »Alles ruhig. Kommt raus!«

Er schleuderte seine Waffe auf den Boden und reichte Jiao die Hand. Erst zog er sie aus dem Cockpit, dann kletterte er mit ihr auf dem Rücken aus dem Wrack heraus. Dabei riss sie das Foto ihrer Mutter vom Armaturenbrett und versteckte es in einer Innentasche ihrer Fliegermontur. Cassidy war bis auf ein paar Kratzer unverletzt geblieben, stand aufgrund des Absturzes jedoch unter Schock und folgte den beiden völlig stumm.

»Die werden nicht lange brauchen«, brummte Leon, während er Jiaos Knöchel untersuchte. Er war nicht gebrochen, schien aber bereits anzuschwellen und war vermutlich beim Aufprall verstaucht oder gezerrt worden. »Hast du einen Plan B?«

»Nein!«, zischte Jiao, als ihr der Schuh vom Fuß gezogen wurde. »Jade. Wir müssen zu Jade!«

Mit ein paar Handgriffen holte Leon das Gepäck mitsamt Sergejs Ausrüstung aus dem Hubschrauber und drückte Cassidy einen der Rucksäcke in die Hand.

»Dann folgen wir dem alten Plan«, entschied er widerwillig. »Zurück schaffen wir es ohnehin nicht.«

»Und was wird aus Kim und Cole?«, versuchte Cassidy leise zu protestieren. Nach der misslungenen Rettungsaktion fühlte sie sich mehr als je zuvor für das Schicksal ihrer Freunde verantwortlich.

»Du hörst dich an wie eine kaputte Schallplatte!«, erwiderte Leon. »Sieht das für dich etwa so aus, als wären wir in der Lage eine Rettungsmission durchzuführen?« Er schulterte seinen eigenen Rucksack und tippte ein paar Mal auf einem glänzenden E-Paper herum, bis er mit der Nase nach Norden zeigte. »Da vorn verläuft eine Straße. Etwa fünf Klicks. Von da aus reisen wir per Anhalter weiter!« Er atmete einmal tief durch und fügte hinzu, »Und nimm endlich die verdammte Brille ab. Du verbrauchst nur unnötig Strom!«

Anschließend half er Jiao beim Aufstehen, legte ihren linken Arm um seine Schultern und lief los, ohne sich weiter um Cassidy zu kümmern. Nach gut einhundert Metern stoppte er und drehte sich zusammen mit der ächzenden Asiatin zu dem Hubschrauberwrack um.

»Willst du? Oder soll ich?«

Jiao funkelte ihn erbost aus den Augenwinkeln an und griff nach einer kleinen Fernbedienung in seinen Händen. Ehe Cassidy verstand, worum es den beiden ging, drückte sie auf einen der Knöpfe und einen Sekundenbruchteil später explodierte der abgestürzte Hubschrauber plötzlich.

»Verzeih mir«, hauchte Jiao.

Cassidy war sich nicht sicher, ob sie Sergej oder ihr zerstörtes Himmelsschlachtschiff Adam meinte, das ihr über viele Jahre wie ein geliebtes Haustier ans Herz gewachsen war. Wahrscheinlich galten ihre Worte beiden zugleich.

 

***

 

Fünf Kilometer hatten nach einem gemütlichen Spaziergang geklungen, aber fünf Kilometer durch die unebene Steppe mit ihren verholzten Sträuchern und scharfkantigen Steinen dauerten gleich viermal so lang. Fünf Kilometer durch die unwirtliche Landschaft mit einem verstauchten Fuß und es wurden schnell ein paar Stunden daraus, ehe Cassidy erschöpft neben der aufgeplatzten Landstraße zusammenbrach. Leon hatte mittlerweile seinen Rucksack um den Bauch gehängt und trug Jiao auf dem Rücken, um zügiger voranzukommen. Als auch er endlich die Straße erreichte, folgte er Cassidys Beispiel, ließ seine Passagierin im Straßengraben absteigen und legte sich anschließend keuchend neben den heißen Asphalt.

»Und jetzt?«, ächzte Cassidy, während sie blind in ihrem Rucksack nach den Wasserflaschen suchte.

»Wir warten ...«, antwortete Leon hechelnd. »... bis uns ... mitnimmt.«

»Einfach so?«, erwiderte Cassidy ungläubig.

Die abgehackten Sätze machten deutlich, wie entbehrungsreich die vergleichsweise kurze Wanderung durch die heiße Steppe gewesen war. Jedes Wort schmerzte in ihren ausgetrockneten Kehlen.

»Einfach so«, bestätigte Leon. Er löste die Träger seines Rucksacks und stieß das schwere Gepäck von seiner Brust. »Wie geht‘s dem Fuß?«

»Eis. Ich brauch Eis!«, hörte er Jiao aus dem Straßengraben rufen. Leon begann leise zu lachen.

»Ich auch!«, rief er zurück. »Maxwell! Drei Mal Eis!«

Es dauerte nicht lange, da lachten Jiao und Leon lauthals und zeigten gen Himmel, wo mit Sicherheit eine Aufklärungsdrohne über ihnen kreiste, die ihre Bestellung aufnehmen sollte.

Sie wussten nicht, ob sie erst Minuten oder bereits Stunden regungslos in der heißen Sonne lagen, als Cassidy verträumt den Kopf zur Seite legte und mit den Augen blinzelte.

»Hey«, hauchte sie heiser aus ihrer trockenen Kehle. »Da kommt was auf uns zu!«

Leon kniff die Augenlider zusammen und versuchte, die verschwommenen Bilder der spiegelnden Straßenoberfläche zu deuten. Sie hatte Recht! Es näherte sich tatsächlich ein Auto. Stöhnend kniete er sich auf den Boden, griff nach seinem Gewehr und zwang sich aufzustehen.

»Du gibst mir Deckung!«, befahl er Cassidy und zeigte auf einen Strauch im Straßengraben.

»Warte mal!«, warf sie protestierend ein. »Wolltest du die nicht einfach nur fragen?«

»Deckung!«, wiederholte Leon grollend seine Anweisung. Der uralte Pritschenwagen hatte sie beinahe erreicht und Cassidy versteckte sich widerwillig hinter dem Gebüsch. Leon stellte sich unterdessen mitten auf die zweispurige Straße. Er entsicherte sein Sturmgewehr, gab drei Schüsse in die Luft ab und zielte anschließend auf den langsamer werdenden Transporter. Durch die Frontscheibe konnte er zwei aufgeregt miteinander gestikulierende Passagiere erkennen, die sich schließlich darauf einigten, mit erhobenen Händen auszusteigen. Im Freien wirkten sie wie ein altes Ehepaar, so als hätte Leon Paul und Martha gestoppt. Selbst der Gewehrlauf vor ihnen schien die beiden nicht von ihren Streitereien abhalten zu können.

»Du und deine Abkürzungen!«, giftete die ältere Dame. »Ich hab dir gesagt, du sollst die Hauptstraße nehmen!«

»Damit diese Halsabschneider uns auch noch die letzten Sicar bei ihren sogenannten Zollkontrollen abnehmen können? Niemals!«, fluchte der Fahrer zurück.

»Die lassen uns wenigstens den Wagen! Wie sollen wir jetzt über den Winter kommen?«

»Genauso wie über den Sommer! Da gibt‘s doch gar keinen Unterschied mehr!«

Während Leon den beiden zuhörte, rollte er zunächst mit den Augen und senkte kurz darauf sein Gewehr. Von diesen Rentnern ging zumindest keine körperliche Gefahr aus, auch wenn ihm das Gezeter bereits Kopfschmerzen bereitete. Er winkte Cassidy zu, die daraufhin Jiao aus dem Graben half und sie zur Beifahrertür des klapprigen Lasters führte. Die beiden ließen es sich nicht nehmen, Leon für seinen großen Fang hinter vorgehaltener Hand auszulachen.

»RUHE JETZT!«, brüllte er die Alten an, die nicht mal mit Streiten aufhörten, als Cassidy und Jiao schon abfahrbereit im Führerhaus saßen. »Wohin sollen wir den Wagen zurückbringen?«

Schlagartig kehrte Ruhe ein. Verdutzt schaute ihn das alte Ehepaar an.

»Zurückbringen?«, fragte der Mann nach einer kurzen Atempause. »Aber wir dachten, ihr ...«

»Halt doch deinen Rand, Arthur!«, fauchte seine Frau dazwischen. Anschließend setzte sie ein gespieltes Lächeln auf und wendete sich Leon zu. »Zum alten Bergwerk in Guntherville, bitte!«

»Hey!«, rief Jiao aus dem Wageninneren und winkte Leon heran. »Du lässt die beiden hier nicht stehen!«

Zähneknirschend warf er einen Blick auf die leere Ladefläche und beorderte anschließend Cassidy auf den Fahrersitz.

»Du fährst!«

Er befahl der alten Frau wieder einzusteigen und half Arthur auf das Heck des Lasters. Die schwarzen Armeerucksäcke dienten als Sitzpolster und so konnte er den Rentner im Auge behalten. Außerdem hielt er es für eine gute Idee, den beiden etwas Abstand voneinander zu gönnen.

»Wo kommt ihr drei eigentlich her? Ihr seht ja furchtbar aus!«, fragte die Großmutter neugierig, als Cassidy den alten Motor nach ein paar Fehlversuchen in Gang gesetzt bekam und davonrollte. Sie entschied sich, Jiao das Reden zu überlassen.

»Wir sind von den Neces überfallen worden«, antwortete diese geistesgegenwärtig. Wahrscheinlich war das ihre Standardausrede für den Kontakt mit der einfachen Bevölkerung, dachte Cassidy im Stillen.

»Dann seid ihr also gar keine ...?«, erwiderte die alte Frau mit einer Mischung aus Erleichterung und Überraschung. »Als Arthur und ich euren Freund breitbeinig auf der Straße stehen sahen, waren wir sicher, unser letztes Stündlein hätte geschlagen!«

Jiao versuchte sich in der Mitte der Sitzbank halbwegs bequem hinzusetzen, doch ihr Fuß schmerzte, sobald sie ihn länger als ein paar Sekunden aufliegen ließ. Die redselige Alte hatte sich scheinbar nur oberflächlich für ihr Schicksal interessiert und plauderte unentwegt über sich selbst. Ihr Name war Michelle und eigentlich war sie nur mit ihrem Mann durch die Wüste gefahren, da ihr Sohn Robert, dem das Bergwerk gehörte, krank im Bett lag. Die Ärzte aus Alexandria hatten sich für den morgigen Tag angekündigt, um nach seinem Bein zu sehen, das Robert sich während der Arbeit aufgeschlitzt hatte und seitdem an einer schweren Entzündung litt.

Mit jedem Satz regte sich die alte Frau mehr auf, bezeichnete ihren Sohn als ewigen Dummkopf und Arthur als nutzlosen Taugenichts, der einfach nur die Hauptstraße hätte nehmen sollen. Cassidy und Jiao sahen einander fassungslos über die Belanglosigkeiten an, an denen sich Michelle offenbar ununterbrochen hochziehen konnte. Die beiden überlegten, ob sie ihr einen Einblick in ihre eigene Welt mit echten Problemen gönnen sollten, entschieden aber, dass sie der Alten dadurch höchstens zu einem Herzanfall verhelfen würden.

Auf der Ladefläche blieb es unterdessen die ganze Zeit still. Leon und Arthur wechselten nicht ein Wort miteinander. Der Rentner schien die eintönige Ruhe unglaublich zu genießen, schloss die Augen und lehnte sich auf seinem Rucksack bequem zurück. Durch die Gesprächsfetzen, die hin und wieder aus der Fahrerkabine drangen, konnte sich Leon gut vorstellen, wie selten dem bemitleidenswerten Mann mit dieser Ehefrau etwas Frieden vergönnt war. Cassidy hatte inzwischen das Gaspedal bis aufs Bodenblech durchgetreten, um Michelle möglichst schnell zu entkommen. Jiao nahm die starken Erschütterungen der Schlaglöcher dabei billigend in Kauf.

Geschlagene zwei Stunden mussten die beiden Michelle zuhören, bis endlich die rettenden Koordinaten in Sichtweite kamen. Am Horizont tauchten die Ruinen einer Siedlung auf; nicht mehr als drei oder vier langgezogene, einstöckige Einfamilienhäuser mit längst davongewehten Heudächern, ein paar verfallene Scheunen, verrottete Traktoren, Erntemaschinen und Lastenanhänger. Das Farmland um sie herum war offenbar noch nicht vom Imperium erschlossen und vorerst dem Wildwuchs überlassen worden. Die Landstraße war vor einigen Kilometern abgebogen und der alte Feldweg, dem Cassidy langsam folgte, hatte schon jahrzehntelang kein Fahrzeug mehr gesehen. Niemand verlief sich zufällig an diesen Ort und zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch schwieg Michelle.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte Cassidy nervös.

»Nein«, antwortete Jiao, während sie geistesabwesend auf einem glänzenden E-Paper herumtippte. »Ohne die Satelliten haben wir nur Schätzwerte. Wir sind zumindest in der Nähe und andere Häuser seh ich nirgendwo.«

Die alte Frau schwieg noch immer, doch nun spitzte sie ihre Ohren. Worte wie Satellit hatte sie schon dreiundzwanzig Jahre lang nicht mehr gehört und hochentwickelte Technik wie Jiaos Zauberkarte kannte sie noch aus ihrer Jugend. Auf einmal erschienen ihr die einfachen Wegelagerer interessant genug, um ihrer Aufmerksamkeit würdig zu sein. Bevor sie jedoch die Frage nach ihrer Herkunft wiederholen konnte, stoppte Cassidy den Pritschenwagen vor einem Baumstamm, der ihnen mitten auf der Straße den Weg versperrte.

»Endstation«, murmelte sie und blickte argwöhnisch aus dem Seitenfenster. »Leon!«

»Ja ja«, brummte es von der Ladefläche.

Leon hatte seit ihrer Einfahrt in das verfallene Dorf aufrecht hinter der Fahrerkabine gestanden und war bereits im Bilde. Zusammen mit Arthur kletterte er vom Laster. Gemeinsam wuchteten sie den Baum von der Straße und nutzten die Chance, sich zu Fuß umzusehen. Dabei entdeckte Leon etwas, das er für ein Ortseingangsschild hielt, und das von verholzten Sträuchern verdeckt worden war. Zum Vorschein kam jedoch das Symbol einer Frau mit Augenbinde, das Cassidy bereits von Jades Amulett kannte. Als er es freilegte, stockte Michelle im Führerhaus der Atem.

»Wir müssen sofort umkehren!«, stammelte sie.

»Warum? Was bedeutet das?«, fragte Cassidy.

»Das hier ist eine verbotene Zone der Bacchae!«, raunte die alte Frau. »Wer sie betritt, wird vom Erdboden verschluckt!«

»Großartig!«, erwiderte Jiao. »Dann sind wir hier ja goldrichtig.«

Michelle starrte sie kreidebleich an. Arthur hingegen rollte Leon gegenüber mit den Augen und machte deutlich, dass er nichts von solchem Aberglauben hielt. Trotzdem blickte er misstrauisch auf die verfallenen Gebäude vor ihnen, während er mit Leon zu Fuß die Siedlung betrat. Cassidy folgte den beiden mit einigen Metern Abstand.

Die Fensterscheiben lagen zerbrochen im Inneren der Häuser und alle bis auf eines waren bei einem Brand zerstört worden. Nirgendwo ein Lebenszeichen. Der gesamte Ort schien seit vielen Jahren unangetastet geblieben zu sein. Auf ihrem Weg entdeckten sie drei weitere Bacchaesymbole, die Michelle das Blut in den Adern gefrieren ließen. Seit ihrer Ankunft hatte sie kein Wort mehr hervorgebracht, was inzwischen auch den anderen Sorgen bereitete.

»Oh ... verdammt!«, rief Leon beim Betreten einer Scheune plötzlich. »Was zum Henker haben die hier gemacht?«

Auf dem Boden stapelten sich ungefähr zwanzig Leichen, die nur noch anhand der verwesenden Knochen als Menschen identifiziert werden konnten. Ehe sie den Haufen jedoch genauer zu untersuchen vermochten, knackten überall um sie herum trockene Äste, klickten Gewehrsicherungen und raschelten schwerbewaffnete Kämpfer aus dem hohen Steppengras. Leon fühlte seine Kopfschmerzen zurückkehren und knurrte gereizt, während er sein Gewehr vom Hals nahm und an zwei Fingern zu Boden sinken ließ. Cassidy und Jiao folgten seinem Beispiel und stiegen vorsichtig aus dem Laster aus. Arthur stellte sich schützend vor seine Frau, die sich im Angesicht der sicariianischen Truppen zum Atmen zwingen musste, um nicht ohnmächtig zu werden.

»Dein Hubschrauber hat aber abgenommen!«, rief plötzlich eine bekannt hochnäsig klingende Frauenstimme. Kurz darauf trat Jade zwischen ihren Männern hervor, was bei Jiao einen Seufzer der Erleichterung auslöste. Arthur und Michelle hingegen wirkten nun noch eingeschüchterter als zuvor. Die Soldaten senkten die Gewehre und Jade blickte die Neuankömmlinge skeptisch an.

»Was ist passiert?«

»Die haben Butch ermordet!«, platzte es aus Cassidy heraus. Sie hatte inzwischen von Angel und Faith gelernt, dass die Bacchae auch nur Menschen waren und den direkten Kontakt langen Reden vorzogen. Jade zog zweifelnd die Augenbrauen hoch und nickte Jiao zu, die daraufhin erzählte, was seit ihrer Flucht aus Arnac geschehen war. Sie ließ kein Detail aus. Nicht mal den Mord an den beiden Soldaten durch Faith, für den sie Jade verantwortlich machte.

»Wieso? Wieso hast du sie zu uns geschickt?«, fuhr Jiao sie an. »Wir hatten ein Abkommen mit euch, verdammt nochmal!«

»Das Abkommen ist schon lange hinfällig. Dein Vater hat es selbst beendet, als er Scarlet für tot erklärt und dann weiterhin als Kriegsgefangene festgehalten hat. Es war das Papier nicht wert, auf dem er es unterzeichnet hat!«

»Ich hab die Aufzeichnungen der Überwachungskamera doch mit eigenen Augen gesehen!«, erwiderte Jiao erzürnt. »Sie hat sich selbst in ihrer Zelle umgebracht!«

»Und wer sorgt dann in ihrem Namen für Chaos!?« Jade schüttelte mit dem Kopf. »Du weißt genauso gut wie ich, dass da was nicht mit rechten Dingen zugeht. Warum bist du sonst hier?«

Jiao ballte die Fäuste und hätte am liebsten gegen den Pritschenwagen getreten. Da sie aber die ganze Zeit nur auf einem Bein zu stehen vermochte, biss sie sich notgedrungen auf die Unterlippe und schwieg.

»Der Wagen ist nicht gerade das, was ich erwartet habe«, philosophierte Jade unberührt und rümpfte angesichts des klapprigen Vehikels die Nase.

»Was hast du denn erwartet?«, giftete Jiao zurück.

»Na deinen Hubschrauber! Waffenstarrend und bestückt mit ein paar strammen Kerlen wie Leon hier!«

Dabei tänzelte Jade um den verschwitzten Soldaten herum wie bei einer Fleischbeschauung. Er runzelte die Stirn und rieb sich die schmerzenden Schläfen, bis Jade auf einmal das glänzende E-Paper aus Jiaos Händen riss. Dann wechselte sie plötzlich von einem Moment auf den anderen die Stimmlage, so als hätte sie einen Funkspruch bekommen und müsste ganz dringend aufbrechen.

»Ihr könnt mir hier nicht mehr helfen«, stellte sie ausdruckslos fest und tippte auf der Folie herum. »Da liegt das Gefangenenlager, das euer Freund Johnny übernommen hat.« Sie zeigte auf einen unscheinbaren Punkt fünfzig Kilometer südlich von Arnac. »Helft stattdessen ihm, aus dem Sauhaufen eine Armee zu machen, denn wir werden sie sehr bald brauchen.«

»Und was wird aus Kim und Cole? Die sitzen immer noch mitten in der Steppe fest!«, warf Cassidy ein. Sie kam sich wirklich langsam vor wie eine kaputte Schallplatte und blickte Jade an, als sei sie ihr letzter Strohhalm in einem vergifteten See. Die Bacchae zog die Mundwinkel hoch und blinzelte sie amüsiert an.

»Diese zweite Kampfgruppe, über die Fletcher euch auf einem ungesicherten Kanal informiert hat ...«, begann sie schmunzelnd. »Das waren keine Sicarii. Das war Johnnys zusammengewürfeltes Rettungskommando. Ich hab sie dem Konvoi entgegengeschickt, damit er sie noch vor Arnac abfangen kann.«

»Was!?«, platzte es aus Cassidy heraus. »Johnny arbeitet für dich?«

»Soweit würde ich nicht gehen«, antwortete Jade ausweichend. »Er ... hasst mich, seit ich mich zwischen ihn und sein Essen gestellt habe. Er weiß nicht, dass die Informationen von mir stammen, die ich ihm ab und an zukommen lasse.«

»Dann hätten wir uns diese ganze Rettungsaktion mit dem Hubschrauber sparen können?«, fuhr Jiao sie fassungslos an. »Sergej ist tot, nur, weil du wiedermal meintest, Gott spielen zu müssen?«

»Beruhig dich!«, erwiderte Jade mit zornig zusammengekniffenen Augen. Sie besaß einen großzügigen Sinn für Humor, verstand aber keinen Spaß, wenn jemand ihre Autorität vor ihren Untergebenen in Frage stellte. »Ich habe den Begriff Sauhaufen bewusst gewählt. Ohne euch wäre Johnnys Bande aus Kriegsgefangenen und Sträflingen bei einem Angriff auf die Legion kläglich gescheitert.«

»Hätten wir nur ein paar Minuten länger gewartet, wäre Butch vielleicht noch am Leben?«, fragte Cassidy apathisch. Ihre Worte waren eher an sie selbst als an Jade gerichtet.

»Daran kannst du jetzt nichts mehr ändern«, entgegnete sie ihr schroff. »Aber du kannst davon ausgehen, dass sich deine Freunde inzwischen auf dem Weg in Johnnys Lager befinden. Und dahin solltet ihr auch aufbrechen, wenn ihr heute noch ankommen wollt.«

Mit diesen Worten wendete sie sich zum ersten Mal an Arthur und Michelle.

»Da bleibt nur noch ein Problem.«

Ohne, dass sie einen Befehl dazu erteilt hätte, versammelte sich Jades sechsköpfiges Team eng um ihre Anführerin. Die beiden Alten klammerten sich eingeschüchtert aneinander.

»Das hier ist verbotenes Gebiet der Bacchae. Ihr habt unsere Warnungen missachtet«, sprach Jade langsam und deutlich, als ob sie sicher gehen wollte, dass die Alten sie verstanden. »Das können wir nicht dulden.«

»Du willst sie doch nicht etwa einfach so umbringen?«, fauchte Jiao, diesmal etwas leiser.

»Mir bleibt überhaupt keine andere Wahl«, antwortete Jade in einer Stimmlage, die nur als Grabesstille beschrieben werden konnte und Cassidy kalt den Rücken runterlief.

»Was ist mit uns? Wir gehören nicht zu den Bacchae! Uns bringst du auch nicht um!«

»Ihr arbeitet für mich.«

Bevor Jiao und Leon dagegen protestieren konnten, in Jades Diensten zu stehen, schien die Adelsdame bereits die Erleuchtung zu treffen.

»Es gibt da eine Möglichkeit«, murmelte sie und rieb sich das Kinn. »Ihr zwei sorgt dafür, dass meine Freunde ihren Bestimmungsort erreichen. Wenn ihr in dem Gefangenenlager eintrefft, verlangt mit Celine zu sprechen und sagt ihr, dass Jade euch den Auftrag gegeben hat, die beiden zu ihr zu bringen. Anschließend seid ihr frei, unter der Bedingung, bis zu eurem Tod Stillschweigen über diesen Ort und alles, was ihr hier gesehen oder gehört habt, zu bewahren.«

»Jawohl, Herrin!«, erwiderten Arthur und Michelle mit gesenktem Haupt im Chor, bevor die anderen überhaupt die Gelegenheit dazu bekamen, Einspruch zu erheben. Als sie den Laster bestiegen, war ihnen die Erleichterung deutlich anzusehen. Sie waren dem sicheren Tode entronnen und hatten dazu noch einen Auftrag von einer Bacchae höchstpersönlich erhalten. Es schien kaum eine größere Ehre für einen sicariianischen Bürger zu geben.

»Hättest du sie wirklich einfach erschossen?«, wollte Jiao flüsternd wissen, als die beiden Alten außer Hörweite waren.

»Nein«, wiegelte Jade fast schon beiläufig ab. »Das hier ist kein Lager oder geheimer Versammlungsort. Eher ... ein Familiengrab.« Anschließend wurde sie wieder ernst. »Aber etwas Furcht macht die Menschen gefügig. Nun triff dich mit Celine, kurier deinen Fuß und hilf Johnny beim Aufbau seiner Truppen.«

»Und was wirst du tun?«

»Cassidy und ich müssen eine gewisse Scharfschützin aufsammeln, bevor sie in die falschen Hände gerät«, antwortete Jade und blinzelte die Teenagerin dabei herausfordernd an.

»Angel! Was ist mit ihr passiert?«, fuhr es aus Cassidy heraus.

»Nachdem in Arnac alles Drunter und Drüber gegangen ist, musste ich sie allein ziehen lassen. Wie es scheint, hat sie meine Anweisungen ignoriert und ist damit weiter gekommen, als ihr lieb sein dürfte.«

Jiao hüpfte auf einem Bein zum Pritschenwagen und raufte sich vor dem Einsteigen die Haare. Ihr ganzes Leben hatte sich binnen weniger Tage in Luft aufgelöst. Nichts schien mehr einen Sinn zu ergeben. Ihr Vater hatte sie jahrelang belogen und war sicher nicht der einzige gewesen. Der Verrat innerhalb der Biosphäre musste viel tiefer sitzen, als Doktor Webb und sie es bei ihrer Flucht für möglich gehalten hatten. Leon half ihr stumm in das Führerhaus hinein. In seinen Augen spiegelte sich dasselbe Unbehagen, das tief im Inneren an Jiao nagte. Jade nickte ihr bei der Abfahrt zuversichtlich zu, doch Jiao begann zu verstehen, dass sie gerade erst die Oberfläche der Wahrheit über Geschehnisse der letzten Jahre angekratzt hatte.

Celine. Sie kannte diesen Namen. Während ihrer kurzen Zeit in Jades Gesellschaft hatte sie das stumme Mädchen als hilfsbereit und naturbedingt schweigsam kennengelernt. Angeblich fehlten ihr die Stimmbänder. Etwas jünger als Cassidy war sie nie von Jades Seite gewichen. Jiao hielt sie für eine Sklavin, die ihrer Herrin als stilles Gedächtnis diente. Sie musste Jades Verbindung zu Johnny darstellen. Aber warum ausgerechnet eine Sklavin, die nicht sprechen konnte?

Cassidy blickte ihrer neuen Freundin unterdessen sehnsüchtig hinterher. Nun befand sie sich allein unter Feinden, umstellt von Jades Elitekommando. Der enigmatischen Bacchae blieb ihr Unwohlsein nicht verborgen, doch anstelle aufmunternder Worte befahl sie ihren Untergebenen, die Fahrzeuge aus den Verstecken zu holen. Das hatte denselben Effekt und verschaffte Cassidy Raum zum Atmen.

»Ich hab es Angel gesagt, kurz nachdem dich die fünfte Legion entführt hatte«, hauchte Jade ihr zur.

»Was hast du ihr gesagt?«

»Dass ihr keine Ahnung habt, was hier begonnen hat ...«

 

 

Fortsetzung folgt