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Am folgenden Tag stand ich vor einer schwierigen Entscheidung. Sollte ich über die Interstate 90 zurück nach Wyoming fahren und mir die Kleinstadt Cody ansehen, oder sollte ich in Montana bleiben und das Custer National Battlefield besichtigen? Cody verdankt seinen Namen Buffalo Bill Cody, der sich dort unter der Bedingung begraben ließ, dass man die Stadt nach ihm benennen würde. Vermutlich hat er den Bürgern noch zwei weitere Auflagen gemacht: dass sie 1. mit seiner Beisetzung warteten, bis er gestorben war, und dass sie 2. das Städtchen mit so viel Touristenkitsch voll stopfen sollten, wie sie auftreiben konnten. Die Bürger witterten ihre Chance, das große Geld zu machen, willigten ein und schlagen seither aus Codys Ruhm kräftig Kapital. Heute lockt das Städtchen mit einem halben Dutzend Cowboy-Museen und anderen unterhaltsamen Einrichtungen, und natürlich hat der Besucher jede Menge Gelegenheit, seine Dollars für alberne Souvenirs auszugeben.
Die Bürger von Cody möchten die Welt glauben machen, Buffalo Bill sei das Fleisch und Blut ihrer Stadt gewesen. In Wirklichkeit, und ich erwähne das nicht ohne Stolz, stammte er aus Iowa. Er wurde 1846 in der Kleinstadt Le Claire geboren. Fest entschlossen, seinen Namen in klingende Münze zu verwandeln, kauften die Einwohner von Cody Buffalo Bills Geburtshaus und bauten es in Cody wieder auf. Doch wenn sie behaupten, er sei ein Sohn ihrer Stadt, so ist das eine glatte Lüge. Dabei hat die Stadt tatsächlich einen berühmten Sohn. Jackson Pollock, der Künstler, wurde in Cody geboren – ein Umstand, dem man dort keinerlei Bedeutung beizumessen scheint. Vermutlich, weil Pollock im Erlegen von Büffeln eine absolute Niete war.
Das war also Möglichkeit Nummer eins. Als Alternative bot sich mir, wie ich schon sagte, eine Fahrt durch Montana nach Little Bighorn, wo General Custer auf die Nase fiel. Ehrlich gesagt fand ich keine der beiden Möglichkeiten besonders berauschend – ich hätte ein großes Glas Bier auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer bevorzugt –, aber in Wyoming und Montana darf man nicht allzu wählerisch sein. Ich entschied mich schließlich für Custer’s Last Stand, was mich selbst überraschte, denn im Grunde habe ich etwas gegen Schlachtfelder. Ich kann ihnen keinen Reiz mehr abgewinnen, wenn die Leichen weggeschafft und alle Spuren des Gemetzels beseitigt sind. Mein Vater liebte Schlachtfelder. Mit seinem Reiseführer und einer Karte in der Hand schritt er sie ab und verfolgte begeistert das Auf und Ab in der Schlacht von Lickspittle Ridge oder wie sie eben geheißen haben mag.
Einmal stand ich vor der Wahl, mit meiner Mutter in ein Museum zu gehen und mir die Kleider der Präsidentengattinnen anzusehen oder bei meinem Dad zu bleiben. Ich entschied mich unüberlegterweise für Letzteres und verbrachte den ganzen langen Nachmittag damit, hinter ihm herzutrotten, während ich mir immer gewisser wurde, dass mein Dad den Verstand verloren hatte. »Dies muss die Stelle sein, an der General Goober sich aus Versehen in die Achselhöhlen geschossen hat, woraufhin er das Kommando an Oberstleutnant Bowlingalley übergeben musste«, sagte er, während wir uns einen steilen Hang hinaufschleppten. »Dann müssten sich Pillocks Truppen also bei den Bäumen dahinten neu formiert haben.« Er zeigte auf eine drei Hügel entfernte Baumgruppe und marschierte los. Während seine Unterlagen vor mir im Wind flatterten, seufzte ich »Wo geht er jetzt wieder hin?« Später erfuhr ich dann sehr zu meiner Empörung, dass die Besichtigung des Museums mit den Kleidern der First Ladies ganze zwanzig Minuten gedauert hatte und dass meine Mutter, mein Bruder und meine Schwester den Rest des Nachmittags in Howard Johnson’s Restaurant verbracht und Schokoladeneis gegessen hatten.
Das Custer Battlefield National Monument war jedoch eine angenehme Überraschung. Das Visitors’ Centre beherbergte ein kleines, aber interessantes Museum mit Relikten sowohl der Indianer als auch der Soldaten. Auf einem topographischen Modell des Schlachtfeldes wurde mit Hilfe von kleinen Glühbirnen der Hergang der Schlacht veranschaulicht: Eine Kette blauer Lichter marschierte voller Zuversicht einen Hügel hinab, um ihn dann, verfolgt von einer weitaus größeren Anzahl roter Lichter, wieder hinaufzueilen. Auf dem Hügel drängten sich die blauen Lichter dicht aneinander, blinkten eine Weile wütend auf und wurden dann eins nach dem anderen von den heranstürmenden roten Lichtern ausgelöscht. Auf dem Modell war die Schlacht nach ein paar Minuten vorüber; im wirklichen Leben hat sie nicht viel länger gedauert. Custer war ein Idiot und eine Bestie. Er hat sein Unglück verdient. Sein Plan war es, die Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Cheyenne und der Sioux in ihrem Lager am Ufer des Little Bighorn River abzuschlachten, doch sie waren zahlreicher und besser bewaffnet, als er erwartet hatte. Custer und seine Männer flohen den Hügel hinauf, auf dem heute das Visitors’ Centre steht, fanden dort aber keinen Schutz vor ihren Verfolgern und wurden innerhalb kürzester Zeit überrannt. Ich verließ das Visitors’ Centre und ging den Hang hinauf zu der Stelle, an der Custer sein letztes Gefecht verlor.
Das ehemalige Schlachtfeld befindet sich auf einem öden, baumlosen Hügel, um den unentwegt der Wind fegt. Vom Gipfel konnte ich fünfzig oder sechzig Meilen weit blicken, doch in dieser Weite stand nicht ein Baum. Vor mir breitete sich eine Hügellandschaft aus gelblichem Grasland aus, die bis zum weißen Horizont reichte. Es war eine so leere und einsame Gegend, dass ich den Wind kommen sah, bevor ich ihn fühlte. Das Gras weiter unten am Hügel begann zu wogen, kurz darauf fuhr mir ein Windstoß durch die Haare, dann war es wieder ruhig.
Das Gelände, auf dem Custers Widerstand endgültig zusammenbrach, ist von einem schwarzen, gusseisernen Zaun umgeben. Custer’s Last Stand umfasst ein Areal von zirka fünfzig Metern Durchmesser. Weiße Steine markieren die Stellen, an denen die einzelnen Soldaten gefallen sind. Ungefähr fünfzig Meter hinter mir, auf der anderen Seite des Hügels, standen zwei weiße Steine dicht beieinander. Bis dahin waren offenbar zwei Soldaten gekommen, als sie um ihr Leben rannten, bevor sie niedergestreckt wurden. Niemand weiß, wo und wie viele Indianer bei dieser Schlacht gefallen sind, denn die Sioux und Cheyenne nahmen ihre Töten und Verletzten mit sich fort. Genau genommen weiß niemand so recht, was überhaupt an jenem Tag im Juni 1876 geschehen ist, denn die Indianer machten durchweg widersprüchliche Angaben, und von den weißen Soldaten hat keiner die Schlacht überlebt. Sicher ist jedenfalls, dass Custer gründlich Mist gebaut hat, was ihn und seine 260 Männer das Leben kostete.
Wie sie da in dieser gottverlassenen windigen Gegend herumlagen, boten die Steinblöcke einen unerwartet, beinahe unangenehm ergreifenden Anblick. Man konnte sie nicht betrachten, ohne sich vorzustellen, welch einen fremdartigen und schrecklichen Tod die Soldaten dort gestorben sein müssen. Und einmal mehr befand ich mich in nachdenklicher Stimmung, als ich den Hügel hinab zurück zum Auto ging und auf den endlosen Highway zurückkehrte.
Durch eine moosig braune Hügellandschaft fuhr ich nach Buffalo, Wyoming. Die Weite und Leere von Montana ist überwältigend. Der Staat ist noch größer und noch leerer als Nevada, denn er hat keine Städte von nennenswerter Größe. In Helena, der Hauptstadt von Montana, leben nur 24 000 Menschen. Die Gesamtbevölkerung dieses 145 000 Quadratmeilen großen Staates beläuft sich auf nicht einmal 800 000 Einwohner. Dennoch ist das Land mit seinen endlosen, menschenleeren Ebenen und dem weiten Himmel von einer Art schwermütiger Schönheit. Montana nennt sich das Land des Big Sky – zu Recht. Bisher hatte der Himmel für mich immer eine feste, unveränderliche Größe gehabt, aber hier schien er mindestens um das Zehnfache gewachsen zu sein. Der Chevette war ein winziges Staubkorn unter einer gigantischen weißen Kuppel. Dieser gewaltige Himmel ließ alles zwergenhaft erscheinen.
Der Highway führte durch ein großes Reservat der Crow-Indianer, doch von Indianern war weit und breit nichts zu sehen. Hinter Lodge Grass und Wyola passierte ich zum zweiten Mal die Staatsgrenze von Wyoming. Die Landschaft blieb unverändert. Allerdings schien man hier mehr Viehzucht zu treiben, und auf der Karte wimmelte es wieder von so unterhaltsamen Namen wie Spotted Horse, Recluse, Crazy Woman Creek und Thunder Basin.
Ich erreichte Buffalo. 1892 war die Stadt der Schauplatz des berühmten Johnson County War – der Krieg, der als Vorlage für den Film Heaven’s Gate diente. Die Bezeichnung »Krieg« ist allerdings eine maßlose Übertreibung der Geschehnisse. Die einheimischen Rancher hatten damals über die Viehzüchtervereinigung von Wyoming eine Schlägerbande angeheuert und sie beauftragt, einige der Heimstättensiedler zusammenzuschlagen, die seit kurzem auf legale Weise in das Johnson County strömten. Als die Schläger einen Mann töteten, setzten sich die Siedler zur Wehr. Sie trieben die Bande zu einer Ranch außerhalb der Stadt, die sie so lange umzingelten, bis die Kavallerie erschien und die zerknirschten Raufbolde sicher aus der Stadt geleitete. Und das ist auch schon die ganze Geschichte: Ein Mann starb, und kaum eine Kugel wurde abgefeuert. So ging es damals wirklich im Westen zu, im Großen und Ganzen jedenfalls. Es waren eben alles Bauern.
Als ich Buffalo erreichte, war es kurz nach vier am Nachmittag. Ich hatte gehofft, mir in der Stadt das Museum ansehen zu können, das sich mit dem Johnson County War beschäftigt, musste aber feststellen, dass es nur von Juni bis September geöffnet ist. Ich fuhr im Geschäftsviertel herum und spielte mit dem Gedanken, in Buffalo zu übernachten. Es war jedoch ein so schäbiges Kaff, dass ich beschloss, weiter zum siebzig Meilen entfernten Gillette zu fahren. Gillette war noch schlimmer. Ich fuhr ein Weilchen durch die Straßen und fand die Aussicht, einen Samstagabend dort verbringen zu müssen, so abschreckend, dass ich geradewegs weiterfuhr.
So kam es, dass ich in Sundance landete, weitere dreißig Meilen östlich. Sundance ist die Stadt, deren Namen Sundance Kid annahm, und allem Anschein nach gab es sonst nichts, das sich in dieser Stadt zu nehmen lohnte. Sundance Kid wurde nicht in Sundance geboren, er verbrachte dort lediglich ein paar Jahre im Gefängnis. Es war ein kleiner, reizloser Ort mit nur einer Ein- und einer Ausfahrtsstraße. Ich nahm ein Zimmer im Bear Lodge Motel an der Main Street. Auf seine bescheidene Weise war das Zimmer recht komfortabel. Das Bett war weich, der Fernseher war an den privaten Spielfilmkanal HBO angeschlossen, und an der Toilettenbrille prangte ein Papierstreifen mit der Aufschrift »Zu Ihrem Schutz desinfiziert«. Auch das Restaurant an der gegenüberliegenden Straßenseite machte einen akzeptablen Eindruck. Natürlich würde ich dort nicht den Samstagabend meines Lebens verbringen, aber es hätte schlimmer kommen können. Und es kam schlimmer.
Ich sprang unter die Dusche. Als ich mich anschließend wieder anzog, schaltete ich den Fernseher ein. Reverend Jimmy Swaggart erschien auf dem Bildschirm, ein Fernsehprediger, den man erst kürzlich mit einer Prostituierten beim Schäkern erwischt hatte, der alte Schlingel. Diese Affäre stellte seine Glaubwürdigkeit auf eine harte Probe, so dass er nun mehr oder weniger ständig damit beschäftigt war, über den Äther um Vergebung zu bitten. So auch jetzt. Er flehte um Geld und Gnade in dieser Reihenfolge. Tränen rollten ihm glitzernd über die Wangen, als er mir beichtete, dass er ein elender Sünder sei. »Ganz deiner Meinung, Jimbo«, sagte ich und schaltete das Gerät aus.
Ich trat auf die Main Street hinaus. Es war zehn vor sieben. Der Abend war mild, und aus dem Restaurant an der anderen Straßenseite wehte der Duft von gebratenen Steaks herüber und verfing sich in meiner Nase. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und erst diese Duftwolke machte mich darauf aufmerksam, wie hungrig ich war. Ich strich glättend über meine nassen Haare, sah unnötigerweise in beide Fahrtrichtungen – auf diesem Highway rührte sich in beiden Richtungen innerhalb von 100 Meilen rein gar nichts – und überquerte die Straße. Ich öffnete die Tür und stellte erstaunt fest, dass das Restaurant bis unters Dach mit Shrinern gefüllt war.
Die Shriner sind eine gesellschaftliche Vereinigung aus Männern mittleren Alters, die allesamt eine gewisse Veranlagung und Geisteshaltung vertreten – diese Art Männer, die immer zu Streichen aufgelegt sind und mit Vorliebe Kellnerinnen in den Hintern kneifen. Sie betrinken sich gern und lassen mit Wasser gefüllte Ballons aus Hotelfenstern fallen. Ihre Vorstellung von Humor trifft man am ehesten, wenn man sich die flache Hand unter die Achsel presst und furzähnliche Geräusche erzeugt. Ein Shriner ist leicht zu erkennen, denn er trägt stets einen roten Fes und zwei ungleiche Socken. Angeblich tun sich die Shriner zusammen, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Wenigstens erzählen sie das ihren Frauen. Hier zwei Zahlen, die die Dinge in ein anderes Licht rücken: Laut Harper’s Magazine belief sich der von ihnen 1984 aufgebrachte Geldbetrag auf 17,5 Millionen Dollar; davon haben sie ganze 182 000 Dollar karitativen Einrichtungen zukommen lassen. Mit einem Wort, Shriner tun sich nur aus einem Grund zusammen – um sich danebenzubenehmen. So erklärt sich die Unruhe, die mich bei der Aussicht überkam, inmitten einer Gruppe von fünfzig kahlköpfigen Männern zu Abend zu essen, die mit Butterklumpen um sich werfen und sich gegenseitig die Speisekarten in Brand stecken.
Die Wirtin kam auf mich zu. Sie kaute auf einem Kaugummi herum und sah nicht gerade freundlich aus. »Sie wünschen?«, fragte sie.
»Ich möchte zu Abend essen.«
Unschön ließ sie ihren Kaugummi knacken. »Wir haben geschlossen.«
Ich staunte. »Ihr Lokal sieht aber ziemlich geöffnet aus.«
»Das ist eine geschlossene Gesellschaft. Die haben das Restaurant heute Abend reserviert.«
Ich seufzte. »Ich kenne mich hier nicht aus. Können Sie mir sagen, wo es in der Stadt ein anderes Restaurant gibt?«
Sie grinste und freute sich offensichtlich über die schlechte Nachricht, die sie für mich hatte. »Wir sind das einzige Restaurant in Sundance.« Einige über das ganze Gesicht strahlende Shriners an einem Tisch in der Nähe verfolgten mein zunehmendes Unbehagen mit einfältiger Heiterkeit. »Versuchen Sie’s an der Tankstelle weiter unten an der Straße«, fügte die Dame hinzu.
»Die Tankstelle hat einen Imbiss?«, wollte ich wissen. »Nein, aber Chips und Süßigkeiten sind zu kaufen.«
»Ich glaub’s einfach nicht«, murmelte ich.
»Oder fahren Sie eine Meile über den Highway 24 stadtauswärts. Dann kommen Sie zu einem Tastee-Freez Drive-in.
Na großartig. Das war ja zu schön, um wahr zu sein. Die Frau teilte mir soeben mit, dass ich an einem Samstagabend in Sundance, Wyoming, nichts anderes zu essen bekommen würde als Kartoffelchips und Eiskrem.
»Wie sieht’s in anderen Städten aus?«, fragte ich sie.
»Vielleicht finden Sie was in Spearfish. Das liegt einunddreißig Meilen entfernt an der Route 14 hinter der Staatsgrenze, in South Dakota. Aber da gibt’s auch nicht viel.«
Wieder grinste sie, als wäre sie stolz, in einem so beschissenen Kaff zu leben.
»Besten Dank. Sie waren mir eine große Hilfe«, sagte ich mit übertriebener Freundlichkeit und ging hinaus.
Und da haben wir den Unterschied zwischen dem Mittleren Westen und dem Westen, meine Damen und Herren. Die Menschen im Mittleren Westen sind nett. Im Mittleren Westen hätte die Wirtin es nicht übers Herz gebracht, mich hungrig vor die Tür zu schicken. Sie hätte in der hintersten Ecke des Restaurants einen Tisch für mich gefunden oder mir zumindest ein paar Roastbeef-Sandwiches und ein Stück Apfelkuchen mit auf den Weg gegeben. Und die Shriner hätten mir gern an einem ihrer Tische ein wenig Platz gemacht, egal wie beschränkt sie sonst auch sein mögen. Vermutlich hätten sie sogar ihre Buttergeschosse mit mir geteilt. Die Menschen im Mittleren Westen sind gute Leute, und sie sind freundlich zu Fremden. Aber hier, in Sundance, war die Freundlichkeit der Mitmenschen noch winziger als das Hirn eines Shriners.
Ich trottete die Straße entlang, in Richtung Tastee-Freez. Ich war schon eine ganze Weile gegangen, hatte das letzte der Häuser hinter mir zurückgelassen, und noch immer keine Spur von einem Tastee-Freez. Also kehrte ich um und latschte in die Stadt zurück. Ich wollte den Wagen holen, aber unterwegs verging mir die Lust. Für diese Läden habe ich noch nie viel übrig gehabt. Wahrscheinlich war es die Schreibweise von freeze, die mich abschreckte. Wie soll man auch einer Firma vertrauen, die nicht einmal in der Lage ist, ein einsilbiges Wort richtig zu schreiben. Ich ging zur Tankstelle und kaufte für sechs Dollar Kartoffelchips und Süßigkeiten und zog mich auf mein Zimmer zurück. Ich warf mich aufs Bett, schob mir einen Schokoladenriegel nach dem anderen ins Gesicht – wie Baumstämme in eine Sägemühle – und sah mir auf HBO eine handlungsarme, aber um so brutalere Hollywood-Produktion an. Dann lag ich voll gestopft und doch ungesättigt im Dunkeln, starrte die Decke an und lauschte dem Krakeelen der Shriner gegenüber und dem unaufhörlichen Rumoren meines Magens.
So verging die Nacht.
In aller Frühe wachte ich auf und warf zitternd vor Kälte einen Blick durch den Spalt in der Gardine. Es nieselte. Keine Menschenseele war zu sehen der beste Zeitpunkt, um eine Bombe in das Restaurant zu werfen. Bei meiner nächsten Reise nach Wyoming würde ich eine Ladung Plastiksprengstoff mitnehmen. Und Sandwiches. Ich schaltete den Fernseher ein, kroch zurück ins Bett und zog die Decke bis unter die Augäpfel. Jimmy Swaggart bat noch immer um Vergebung. Meine Güte, kann der Mann heulen. Er ist ein menschlicher Wasserfall. Ich sah ihm eine Weile zu, stand dann auf und schaltete um. Auf allen Kanälen war es die Stunde der Prediger. Meistens saßen ihre pummeligen Frauen an ihrer Seite, und ich verstand, warum sie allesamt elende Sünder waren. Im Allgemeinen trat in der Sendung auch der Schwiegersohn des Predigers auf, ein gestriegeltes Kerlchen, das ein Lied mit einem Titel wie »Jesus liebt dich, und bitte schick uns viel, viel Geld« zum Besten gab. Es kann nur wenige Erfahrungen geben, die noch entmutigender sind, als sonntagfrüh in einer Gegend wie Wyoming allein in einem schummrigen Motelzimmer zu liegen und fernzusehen.
Ich habe noch die Zeiten erlebt, als sonntags morgens im Fernsehen nur ein Testbild zu sehen war. So alt bin ich nun schon. Da schaltete man WOI ein, und alles, was man zu sehen bekam, war das Testbild. Man blieb trotzdem davor sitzen, denn etwas anderes gab es ja nicht. Irgendwann blendeten sie das Testbild dann aus und zeigten Sky King, was, verglichen mit dem Testbild, eine interessante und aufregende Sendung war. Heutzutage zeigt das amerikanische Fernsehen keine Testbilder mehr. Das ist eigentlich schade, denn hätte ich die Wahl zwischen einem Testbild und einem Fernsehprediger, würde ich mich ohne zu zögern für das Testbild entscheiden. Auf eine seltsame Weise waren diese Bilder entspannend, und natürlich baten sie nicht um Geld, und man musste sich auch nicht die Gesänge irgendeines Schwiegersohns anhören.
Kurz nach acht verließ ich das Motel und fuhr durch den Nieselregen zum etwa fünfundzwanzig Meilen entfernten Devils Tower. Devils Tower ist der Berg, auf dem in Steven Spielbergs Film Unheimliche Begegnung der Dritten Art die Außerirdischen landeten. Dieser Berg ist so einzigartig und ungewöhnlich, dass ich mich frage, welchen Berg Spielberg wohl genommen hätte, wenn es ihn nicht gäbe. Man sieht ihn schon von weitem, und je näher man ihm kommt, desto ehrfurchtgebietender wirkt er. Devils Tower ist ein 259 Meter hoher Kegelstumpf aus Stein, der aus einer sonst nichts sagenden Ebene ragt. Die wissenschaftliche Erklärung für seine Entstehung lautet, dass er als glühender Gesteinsklumpen vulkanischen Ursprungs aus der Erde geschossen kam und dann in seiner jetzigen Form erstarrte. Es heißt, im Mondlicht begänne er zu glühen. Selbst jetzt, an diesem verregneten Sonntagmorgen, während die Wolken über ihn hinwegzogen, wirkte er so übernatürlich, als wäre er vor Urzeiten dort hingestellt worden, damit irgendwann außerirdische Wesen auf ihm landen können. Ich hoffe nur, dass sie nicht essengehen wollen, wenn sie denn kommen sollten.
Ich stellte den Wagen ab und stieg aus. Durch den Regen blinzelnd betrachtete ich den Felsen. Neben der Straße verkündete ein Schild, dass er einst ein Heiligtum der Indianer war und dass er 1906 zum ersten Nationalmonument Amerikas erklärt wurde. Wie hypnotisiert von seiner erhabenen Würde – und von einem dringenden Bedürfnis nach Kaffee – starrte ich ihn an, bis der Regen durch meine Kleider drang. Dann ging ich zurück zum Auto und fuhr weiter. Da ich am Vortag auf mein Abendessen verzichten musste, beabsichtigte ich, heute der genussvollsten aller amerikanischen Essgewohnheiten zu frönen – einem sonntäglichen Frühstück im Restaurant.
Sonntags frühstückt jedermann in Amerika auswärts. Das ist ein so beliebter Zeitvertreib, dass man meistens für einen Tisch Schlange stehen muss. Aber das Warten lohnt sich immer. Außerdem ist man in Amerika so daran gewöhnt, ein aufkommendes Hungergefühl prompt zu befriedigen, dass das Schlangestehen das Vergnügen eher steigert. Natürlich will man nicht immer auf sein Essen warten müssen, aber einmal in der Woche zwanzig Minuten anstehen, das hat sogar einen gewissen Reiz. Was die Wartezeiten mit verursacht ist der Umstand, dass es allein dreißig Minuten dauert, bis die Kellnerin eine einzige Bestellung aufgenommen hat. Als Erstes gilt es zu klären, ob man sein Frühstücksei von einer oder von beiden Seiten angebraten, gerührt, pochiert, gekocht oder als Omelett serviert haben möchte. Entscheidet man sich für ein Omelett, steht man nun vor der Frage, ob es ein einfaches Omelett, ein Käseomelett, ein Gemüseomelett, ein pikantes Omelett oder ein Schokoladen-Nuss-Omelett sein soll. Dann will die Kellnerin wissen, ob man Weizen-, Roggen-, Vollweizen- oder Sauerteigtoast oder Pumpernickel bevorzugt und ob man darauf Schlagrahm, Butter oder cholesterinarmen Butterersatz streichen möchte. Nun beginnt eine Phase komplizierter Verhandlungen, in deren Verlauf man die Kellnerin fragt, ob es möglich sei, statt des Zimtbrötchens Cornflakes und statt der Pastete Würstchen zu bekommen, woraufhin sich die gerade sechzehnjährige und nicht besonders clevere Kellnerin zum Manager begibt und sich nach der Durchführbarkeit dieser Wünsche erkundigt, um dann mit der Antwort zurückzukommen, dass es leider nicht möglich sei, Cornflakes statt Zimtbrötchen zu servieren, dass man dem Gast aber sehr wohl Pommes frites statt Pfannkuchen und ein Milchbrötchen mit Speck statt Vollweizentoast anbieten könne, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er zusätzlich gebratene Kartoffelstreifen und ein großes Glas Orangensaft bestellt. Da sich der Gast damit nicht einverstanden erklären kann und nun doch lieber Waffeln bestellt, muss die Kellnerin alles bisher Notierte mit ihrem Radiergummiklümpchen ausradieren und noch einmal von vorn beginnen. Und währenddessen wird die Schlange auf der anderen Seite der Please-Wait-to-Be-Seated-Tafel länger und länger, doch das kümmert die Wartenden nicht, denn das Essen riecht so gut, und überhaupt hat die Warterei ja sogar einen gewissen Reiz.
Voller prickelnder Vorfreude folgte ich dem Highway 24 durch das hügelige Land. Innerhalb der nächsten zwanzig Meilen würde ich durch drei Ortschaften kommen, und ich war sicher, dass in einer von ihnen ein Restaurant am Straßenrand stehen würde. Ich befand mich kurz vor der Grenze von South Dakota. Das Land der Viehzüchter lag fast hinter mir, während sich vor mir herkömmliches Farmland ausbreitete. Und da Farmer nun einmal nur da leben können, wo alle paar Meilen ein Restaurant am Straßenrand steht, war ich sicher, dass ich gleich hinter der nächsten Kurve eines finden würde. Eine Ortschaft nach der anderen flog an mir vorbei – Hulett, Alva, Aladdin –, aber weit und breit war kein Restaurant in Sicht, nur schlafende Häuser. Nichts rührte sich. Was war das für eine merkwürdige Gegend? Farmer sind selbst sonntags schon im Morgengrauen auf den Beinen. Hinter Beulah kam ich durch das größere Städtchen Belle Fourche, dann durch St. Onge und Sturgis, und noch immer rührte sich nichts. Nicht einmal eine Tasse Kaffee konnte ich trinken.
Schließlich erreichte ich Deadwood, ein Städtchen, das vor allen Dingen der ersten Silbe seines Namens gerecht wurde. Nachdem man in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in den Black Hills auf Gold gestoßen war, zählte Deadwood für einige Jahre zu den lebendigsten und berühmtesten Städten des Westens. Es war die Heimatstadt von Calamity Jane. Wild Bill Hickock wurde in einem hiesigen Saloon beim Kartenspiel erschossen. Heute verdient sich die Stadt ihren Lebensunterhalt, indem sie Touristen säckeweise Geld abknöpft und ihnen dafür kitschige Souvenirs für ihren heimischen Kaminsims andreht. Fast jedes Geschäft an der Hauptstraße war ein Souvenirladen, von denen mehrere auch an diesem Sonntagmorgen geöffnet waren. Ich entdeckte sogar ein paar Cafés, doch die waren geschlossen.
Ich betrat die Golden Nugget Trading Post und sah mich um. Es war ein riesiger Raum, in dem es nichts als Souvenirs zu kaufen gab – Mokassins, mit Perlen bestickte indianische Taschen, Pfeilspitzen, Klumpen von Narrengold, indianische Puppen. Ich war der einzige Kunde. Da mich nichts in diesem Laden interessierte, ging ich in den World Famous Prospectors Gift Shop ein paar Türen weiter, wo das Angebot aus exakt demselben Zeug zu exakt denselben Preisen bestand, und wieder war ich der einzige Kunde. In keinem der Läden hatte man mich begrüßt oder sich nach meinem Befinden erkundigt. Im Mittleren Westen wäre das eine Selbstverständlichkeit. Ich trat wieder in den Nieselregen hinaus und schlenderte durch die Stadt, auf der Suche nach einem Lokal, in dem ich frühstücken konnte. Aber ich fand keines. Also stieg ich ins Auto und fuhr zum vierzig Meilen entfernten Mount Rushmore.
Mount Rushmore liegt vor den Toren der Kleinstadt Keystone, die noch touristischer war als Deadwood. Aber zumindest hatten dort ein paar Restaurants geöffnet. Ich ging in das erstbeste und war ziemlich verblüfft, als man sofort einen freien Tisch für mich fand. Die Kellnerin reichte mir die Speisekarte und entfernte sich. Die Speisekarte umfasste zirka vierzig verschiedene Frühstücksgerichte. Ich hatte sie gerade bis Nummer 17 studiert, als die Kellnerin mit dem Bleistift in der Hand wieder an meinen Tisch trat. Ich war so hungrig, dass ich mehr oder weniger willkürlich das Frühstück Nummer 3 bestellte. »Könnte ich statt der gebratenen Kartoffelstreifen Würstchen bekommen?«, fügte ich hinzu. Sie tippte mit ihrem Bleistift auf eine Zeile der Speisekarte, der ich entnahm, dass man Sonderwünsche nicht berücksichtigen könne. So ein Mist. Dieses Hinundher war doch gerade das Lustigste am ganzen Frühstück. Kein Wunder, dass das Restaurant halb leer war. Ich wollte schon protestieren, doch dann meinte ich zu beobachten, dass sie in ihrem Mund Speichel zu sammeln begann, und brach ab. Ich lächelte nur und sagte fröhlich »O.k., kein Problem. Danke sehr.« Hätte ich nicht das Gefühl gehabt, sie dadurch nur zu ermutigen, hätte ich ihr nachgerufen: »Und spucken Sie bitte nicht in mein Essen!«
Nach dem Frühstück fuhr ich ein paar Meilen stadtauswärts zum Mount Rushmore. Den Mount Rushmore zu sehen, war schon immer mein Wunsch, ganz besonders, nachdem ich Cary Grant in Der unsichtbare Dritte (ein Film, der in mir das sonderbare Verlangen weckte, jemanden in einem Kornfeld aus einem niedrig fliegenden Flugzeug unter Beschuss zu nehmen) über die Nase von Thomas Jefferson klettern sah. Entzückt stellte ich fest, dass der Mount Rushmore keinen Eintritt kostete. Auf dem riesigen, stufenförmig angelegten Parkplatz stand kaum ein Auto. Ich stellte den Wagen ab und ging zum Visitors’ Centre. Dort konnte man das Denkmal hoch oben an einem benachbarten Berghang durch eine gläserne Wand betrachten. Doch es war von Nebel umhüllt. Wieder hatte ich Pech. Es war, als säße ich vor einem Dampfbad. Einmal meinte ich, Washington zu erkennen, aber ich war mir nicht sicher. Ich wartete lange, doch der Nebel verzog sich nicht. Und dann, als ich gerade aufgeben und zum Wagen gehen wollte, lichtete er sich plötzlich, und da waren sie – Washington, Jefferson, Lincoln und Teddy Roosevelt. Mit versteinerter Miene starrten sie auf die Black Hills hinaus.
Das Denkmal wirkte kleiner, als ich erwartet hatte. Das sagt übrigens jeder. Das Visitors’ Centre liegt etwa eine Viertelmeile von ihm entfernt und tief unter ihm. Von dort betrachtet sehen die vier Köpfe bescheidener aus, als sie sind, und sie sind in der Tat gewaltig. Washingtons Kopf misst gute achtzehn Meter in der Höhe, seine Augen sind über drei Meter breit. Auf einem Schild las ich, dass die Rushmore Figuren 142 Meter groß wären, wenn sie die dazugehörigen Körper hätten.
In einem Nebenraum veranschaulichte ein ausgezeichneter Film die Geschichte von Mount Rushmore. Er enthielt viele Angaben über die Gesteinsmengen, die bewegt werden mussten, und einen kurzen Stummfilm, der den Ablauf der Arbeiten zeigte. Zumeist waren darin lächelnde Männer zu sehen, die Dynamit an der Felswand befestigten, woraufhin eine große Explosion erfolgte. Hatte sich der Staub dann wieder gelegt, hatte sich das, was eben noch Felsen war, in Abraham Lincoln verwandelt. Es war beachtlich. Das Ganze ist eine außerordentliche Leistung, eines der großartigsten Denkmäler Amerikas und mit Sicherheit eine der bedeutendsten Skulpturen dieses Jahrhunderts.
Die Arbeiten am Mount Rushmore dauerten von 1927 bis 1941. Kurz vor der Fertigstellung starb Gutzon Borglum, der Mann, dem Amerika dieses Denkmal verdankt. Ist das nicht tragisch? All die Jahre hat er daran gearbeitet, und dann, als man fast so weit ist, die Sektkorken knallen zu lassen und kleine Häppchen auf Zahnstocher zu spießen, klappt er zusammen und ist tot. Auf einer Pechskala von 0 bis 10 ist das für meine Begriffe eine glatte 11.
Ich fuhr quer durch South Dakota in Richtung Osten, vorbei an Rapid City. Eigentlich wollte ich mir auch den Badlands National Park ansehen, aber Nebel und Nieselregen waren inzwischen so stark geworden, dass es mir sinnlos erschien. Zu allem Übel meldete der Wetterbericht im Radio, dass mir ein weiteres Schlechtwettergebiet dicht auf den Fersen war. In den höheren Regionen der Black Hills würde es bald zu schneien beginnen. In Colorado, Wyoming und Montana waren nach den jüngsten Schneefällen bereits viele Straßen wieder gesperrt, unter anderem der Highway zwischen Jackson und Yellowstone. Wäre ich einen Tag später in Yellowstone gewesen, säße ich nun dort fest, und würde ich jetzt nicht durchfahren, musste ich damit rechnen, ein paar Tage in South Dakota festzusitzen. Auf einer Pechskala von 0 bis 10 würde ich das eine glatte 12 nennen.
Fünfzig Meilen hinter Rapid City liegt die Kleinstadt Wall, die Heimat von Wall Drug, dem berühmtesten Drugstore im Westen. Dieses Städtchen zu verfehlen war unmöglich, denn innerhalb dieser fünfzig Meilen wurde es ungefähr alle 100 Meter von einer großen Reklametafel angekündigt: STEAKS UND KUCHEN – WALL DRUG, 47 MEILEN; ROASTBEEFSANDWICHES – WALL DRUG, 36 MEILEN; KAFFEE FÜR FÜNF CENT – WALL DRUG, 25 MEILEN, und so weiter. Diese Art der Werbung erinnerte an die chinesische Wasserfolter. Es dauert nicht lange, und die stete Berieselung durch die Reklametafeln hatte das eigene Urteilsvermögen so geschwächt, dass man nicht anders konnte, als die Interstate zu verlassen und dorthin zu fahren.
Es ist ein schrecklicher Ort, eine der größten Touristenfallen der Welt, aber mir gefiel er, und ich möchte nichts dagegen gesagt haben. Wall Drug wurde 1931 von einem gewissen Ted Hustead aufgekauft. Auf dem Höhepunkt einer Wirtschaftskrise in einer Kleinstadt mit 300 Einwohnern in South Dakota einen Drugstore zu kaufen, muss so ungefähr das Dümmste gewesen sein, was ein Geschäftsmann damals tun konnte. Aber Hustead hatte erkannt, dass Durchreisende in Gegenden wie South Dakota vor lauter Langeweile so begierig auf unterhaltsame Abwechslung sind, dass es ein Leichtes sein würde, sie vom Highway zu locken. Also stellte er jede Menge Schnickschnack auf, etwa einen lebensgroßen Dinosaurier, einen ausgestopften Büffel und eine lange Stange, an der Pfeile die Richtungen und Entfernungen vom Wall Drug zu Städten in aller Welt angaben, nach Paris und Hongkong und Timbuktu. Vor allem verteilte er Hunderte von Reklametafeln über den Highway zwischen Sioux Falls und den Black Hills und füllte seinen Drugstore mit dem exotischsten und umfassendsten Sortiment von Touristenkitsch, das das menschliche Auge je gesehen hat. Und schon bald strömten die Leute in Scharen herbei. Heute nimmt Wall Drug den größten Teil der Stadt ein und ist von so riesigen Parkplätzen umgeben, dass ein Jumbo-Jet darauf landen könnte. Im Sommer kommen täglich bis zu 20 000 Besucher. Als ich dort eintraf, ging es allerdings wesentlich ruhiger zu. Ich fand sogar einen Parkplatz direkt vor dem Eingang an der Main Street.
Schwer enttäuscht stellte ich fest, dass Wall Drug nicht, wie ich erwartet hatte, ein übergroßer Drugstore war. Es war vielmehr ein Minieinkaufszentrum mit rund vierzig kleinen Geschäften, in denen es die verschiedensten Dinge zu kaufen gab – Postkarten, Filme, Westernkleidung, Schmuck, Cowboystiefel, Nahrungsmittel, Gemälde und Souvenirs in rauen Mengen. Ich kaufte eine sehr hübsche Petroleumlampe in der Form des Mount Rushmore. Der Docht und das Glas, das ihn umgibt, wachsen direkt aus dem Kopf von George Washington. An der Unterseite steht Made in Japan, und die vier Präsidenten haben einen entschieden asiatischen Zug um die Augen. Es gab noch viele andere Geschenke und Andenken dieser Art, aber keines war so schön wie dieses. Leider fand ich keine Baseballmützen mit Plastikkacke auf dem Schirm. Kinder machen einen großen Teil der Kundschaft von Wall Drug aus, daher sind derartige Dinge hier fehl am Platz. Schade, schade, denn dies war der vermutlich letzte Souvenirladen an meiner Reiseroute. Ein Traum mehr, der auf ewig unerfüllt bleiben würde.