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Es war zehn vor sieben in der Frühe, und es war kalt. Ich stand vor dem Busbahnhof von Bloomsburg und konnte meinen Atem sehen. Die wenigen Autos, die zu dieser frühen Stunde unterwegs waren, zogen Rauchwolken hinter sich her. Verkatert wie ich war, würde ich in wenigen Minuten in einen Bus steigen, der mich in fünf Stunden nach New York bringen sollte. Lieber hätte ich Katzenfutter gefressen.

Mein Bruder hatte mir geraten, mit dem Bus zu fahren, weil mir auf diese Weise die Parkplatzsuche in Manhattan erspart bliebe. Das Auto könnte ich bei ihm lassen und es in ein, zwei Tagen wieder abholen. Um zwei Uhr nachts, nach ausgiebigem Biergenuss, schien es ein guter Plan zu sein. Doch nun, in der morgendlichen Kühle, wurde mir klar, dass ich im Begriff war, einen großen Fehler zu machen. In den Vereinigten Staaten setzt man sich nur dann in einen Überlandbus, wenn man sich entweder keinen Flug oder – und das ist in diesem Land wirklich das Allerletzte – kein Auto leisten kann. Wer sich in Amerika kein Auto leisten kann, ist nur noch einen Schritt von der Gosse entfernt. Folglich gehören die meisten Passagiere von Überlandbussen zu einer der folgenden Kategorien: Es sind entweder schizoide Menschen, bewaffnete und gemeingefährliche Typen, Drogensüchtige, frisch aus der Haft Entlassene oder Nonnen. Gelegentlich befindet sich auch ein Studentenpärchen aus Norwegen darunter. Dass es sich um norwegische Studenten handelt, ist unschwer an ihrem rosigen, kerngesunden Aussehen zu erkennen. Außerdem tragen sie grundsätzlich blaue Söckchen in ihren Sandalen. Im Großen und Ganzen verbindet eine Fahrt in einem amerikanischen Überlandbus fast alle Schattenseiten des Gefängnislebens mit denen einer Ozeanüberquerung an Bord eines Truppentransportschiffes. Als der Bus vor mir hielt, einen pneumatischen Seufzer ausstieß und seine Türen aufklappte, stieg ich daher mit einigem Unbehagen ein. Nicht einmal der Fahrer machte einen unbedingt soliden Eindruck. Mit seiner Frisur sah er aus, als hätte er gerade an einer Hochspannungsleitung herumgespielt. Von dem rund einem halben Dutzend Fahrgästen wirkten jedoch lediglich zwei ernstlich geistesgestört, und nur einer redete mit sich selbst. Ich setzte mich in den hinteren Teil des Busses und wollte ein wenig schlafen. In der vergangenen Nacht hatten mein Bruder und ich ohne Frage ein paar Bierflaschen zu viel geleert, und auch die scharfen Gewürze auf dem Jumbo-Sandwich zeigten ihre Wirkung. Sie blähten sich Unheil verkündend in meinen Gedärmen auf und würden in Kürze aus dem einen oder anderen Ende entweichen.

Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter. Durch den Spalt im Sitz sah ich hinter mir einen Mann indischer Abstammung.

»Darf man in diesem Bus rauchen?«, fragte er mich.

»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich rauche nicht mehr und bin in diesen Dingen nicht auf dem Laufenden.«

»Glauben Sie denn, dass man in diesem Bus rauchen darf?«

»Ich weiß es wirklich nicht.«

Für ein paar Minuten war er still. Dann lag seine Hand wieder auf meiner Schulter. Sie klopfte nicht, sie lag nur einfach da. »Ich kann keinen Aschenbecher finden«, sagte er.

»Ist nicht möglich«, gab ich geistreich zurück, ohne die Augen zu öffnen.

»Glauben Sie, das bedeutet, dass man hier drin nicht rauchen darf?«

»Ich weiß es nicht. Und es interessiert mich auch nicht.«

»Aber glauben Sie denn, dass das bedeutet, man darf hier drin nicht rauchen?«

»Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre Hand von meiner Schulter nehmen, werde ich mich darüber erbrechen.«

Er zog schnell seine Hand zurück und schwieg vielleicht eine Minute lang. Dann hörte ich ihn sagen: »Würden Sie mir helfen, einen Aschenbecher zu finden?«

Es war sieben Uhr morgens, und es ging mir wirklich miserabel. »WÜRDEN SIE MICH BITTE IN RUHE LASSEN!«, schnauzte ich ihn eine Spur zu heftig an. Zwei Reihen hinter mir beobachtete ein norwegisches Studentenpärchen schockiert die Szene. Ich warf ihnen einen Blick zu, der besagen sollte: »Das gilt auch für euch, ihr gesunden kleinen Dinger!« Ich sank in meinen Sitz zurück. Es würde ein harter Tag werden.

Ich fiel in diesen unruhigen, unbefriedigenden Halbschlaf, in dem man die Dinge, die um einen herum passieren, in seine Träume aufnimmt – das Knirschen des Getriebes, das Geschrei von Babys, das Hin- und Herschlingern des Busses, wenn der Fahrer sich nach einer heruntergefallenen Zigarette bückt oder eine Phase seelischer Störungen durchlebt. Meistens träumte ich, der Bus würde über eine Felswand stürzen und ins Nichts entschweben. In meinem Traum fielen wir Hunderte von Meilen in die Tiefe. Wir segelten friedlich durch die Wolken, und nur das Geräusch der vorbeirauschenden Luft war zu hören. Und dann hörte ich den Inder sagen: »Hätten Sie was dagegen, wenn ich jetzt eine rauche?«

Als ich erwachte, war meine Schulter voll gesabbert, und ein neuer Fahrgast saß mir gegenüber, eine hagere Frau mit strähnigen, grauen Haaren, die eine Zigarette nach der anderen rauchte und beachtlich rülpste. Es waren Rülpser, wie Kinder sie machen, um sich zu belustigen – satte, volltönende Rülpser in tiefem Bass. Die Frau war sich der Töne, die sie von sich gab, nicht im Geringsten bewusst. Sie sah mich an, öffnete den Mund, und heraus kam ein Rülpser. Es war faszinierend. Dann zog sie an ihrer Zigarette und rülpste eine große Rauchschwade in die Luft. Auch das war faszinierend. Ich schaute hinter mich. Der Inder war noch da und sah jämmerlich aus. Als er mich erblickte, beugte er sich langsam nach vorn, wohl um noch eine Frage loszuwerden, doch als ich ihm mit erhobenem Zeigefinger drohte, lehnte er sich wieder zurück. Ich starrte aus dem Fenster und fühlte mich krank. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich mir noch unangenehmere Situationen als diese vorzustellen versuchte. Doch außer tot zu sein oder ein Konzert der Bee Gees über mich ergehen lassen zu müssen fiel mir nichts ein.


Am Nachmittag kamen wir in New York an. Ich nahm ein Zimmer in einem Hotel in der Nähe des Times Square. Das Zimmer kostete 110 Dollar pro Nacht und war so klein, dass ich auf den Flur treten musste, um mich umdrehen zu können. Ich war noch nie in einem Zimmer gewesen, in dem ich alle vier Wände gleichzeitig berühren konnte. Ich tat all das, was man in Hotelzimmern so tut – ich spielte an den Lichtschaltern und am Fernseher herum, sah in die Schubladen, packte alle Handtücher und Aschenbecher in meinen Koffer –, und ging dann hinaus, um mir die Stadt anzusehen.

Ich war das letzte Mal in New York gewesen, als ich sechzehn war. Damals besuchten mein Freund Stan und ich meinen Bruder und seine Frau, die zu der Zeit in einem eigenartigen, kafkaesken Viertel von Queens lebten. Das Viertel hieß Lefrak City und bestand aus etwa einem Dutzend hoch aufragender Wohnblocks, die um eine Reihe von einsamen Innenhöfen gruppiert waren. Es war diese Art von Innenhöfen, in denen sich die Regenpfützen wochenlang halten und in deren Blumenbeeten verwaiste Einkaufswagen herumstehen. Dort wohnten rund 50 000 Menschen. Ich hatte nicht mal geahnt, dass auf so wenig Raum so viele Menschen leben konnten, und verstand nicht, warum die Leute in einem so großen und offenen Land wie Amerika freiwillig in solche Gegenden zogen. Doch für all diese Menschen war dies das Zuhause. Dort verbrachten sie ihr Leben, ohne jemals einen eigenen Garten zu besitzen. Niemals würden sie ein Barbecue veranstalten oder zu mitternächtlicher Stunde aus ihrer Hintertür treten, um in die Büsche zu pinkeln oder die Sterne zu zählen. Ihre Kinder würden in dem Glauben aufwachsen, Einkaufswagen wucherten wild wie Unkraut.

Abends, wenn mein Bruder und seine Frau ausgegangen waren, griffen Stan und ich zu einem Fernglas und nahmen damit die Fenster der Nachbarhäuser in Augenschein. Wir hatten Hunderte von Fenstern zur Auswahl, und hinter jedem flackerte gespenstisch ein Fernseher. Natürlich hielten wir nach nackten Frauen Ausschau, die wir zu unserem Entzücken auch gelegentlich zu Gesicht bekamen. Das führte dann jedoch meistens zu handgreiflichen Auseinandersetzungen um das Fernglas, so dass die Frauen längst ihre Abendgarderobe angelegt und das Haus verlassen hatten, wenn wir ihre Fenster wieder im Visier hatten. Hauptsächlich entdeckten wir allerdings andere Männer mit Ferngläsern, die ihrerseits die Fenster unseres Gebäudes inspizierten.

Besonders gut kann ich mich daran erinnern, wie beklommen uns zu Mute war, wenn wir das Haus verließen. Überall hingen Gruppen von Jugendlichen in Lederjacken herum und beobachteten jeden, der vorbeiging. Ich rechnete jedes Mal damit, dass sie hinterrücks über uns herfallen, uns unseres Geldes berauben und uns anschließend die Messer, die sie in den Gefängniswerkstätten gebastelt hatten, in die Rippen stoßen würden. Doch sie ließen uns in Ruhe und glotzten nur. Es war trotzdem beängstigend. Schließlich waren wir bloß zwei schmächtige Jungs aus Iowa.

New York machte mir noch immer Angst. Als ich nun zum Times Square schlenderte, empfand ich die Stadt als ebenso bedrohlich wie damals. Ich hatte so viel über Morde und Gewaltverbrechen auf den Straßen gelesen, dass ich mich jedem, der mir begegnete, ohne mir etwas anzutun, zu Dank verpflichtet fühlte. Ich trug mich mit dem Gedanken, Kärtchen mit der Aufschrift »Danke, dass Sie mich am Leben lassen!« zu verteilen. Die Einzigen, die über mich herfielen, waren die Bettler. In New York gibt es 36 000 Stadtstreicher. Im Laufe der zwei Tage, die ich dort verbrachte, hat mich jeder Einzelne von ihnen um Geld angebettelt, manche sogar zweimal. Viele New Yorker fahren nach Kalkutta, um sich von der Bettelei zu erholen. Ich begann zu bedauern, nicht in einer Zeit zu leben, in der ein Gentleman solche Leute noch mit seinem Spazierstock zurückstoßen konnte. Ein Typ, der Raffinierteste von allen, kam auf mich zu und fragte, ob ich ihm einen Dollar leihen könnte. Das haute mich glatt um. Ich wollte schon sagen: »Einen Dollar leihen? Na klar. Sagen wir, zu einem Prozent über dem Leitzinssatz? Und nächsten Donnerstag treffen wir uns wieder und begleichen die Angelegenheit.« Ich gab ihm keinen Dollar, natürlich nicht – ich würde nicht einmal meinem besten Freund einen Dollar geben aber ich drückte ein Zehncentstück in seine schmuddelige Pfote und zwinkerte ihm angesichts seiner Hinterlist freundlich zu.

Der Times Square ist unglaublich. So viele Lichter und ein solches Gedränge sieht man nicht alle Tage. Ganze Häuserseiten hat man in Werbeflächen umfunktioniert. Alles blinkt und wogt, wie bei einem Sturm auf einem elektronischen Meer. Von diesen großflächigen Aufrufen zum Kommerz gab es vielleicht vierzig, und bis auf zwei stammten alle von japanischen Firmen: Mita Copiers, Canon, Panasonic, Sony. Mein mächtiges Heimatland war nur durch Kodak und Pepsi Cola vertreten. Der Krieg ist vorbei, alter Yankee, ermahnte ich mich.

Das Spannendste an New York ist, dass dort alles passieren kann. Erst eine Woche zuvor hatte eine Rolltreppe eine Frau gefressen. Ist denn das zu fassen? Sie war auf dem Weg zur Arbeit, als plötzlich die Treppe unter ihr nachgab und sie in deren Innenleben stürzte, mitten in das dröhnende Getriebe, in all die Zahnräder, mit all den Konsequenzen, die Sie sich vorstellen können. In diesem Gebäude möchte ich nicht zum Reinigungspersonal gehören. (»Bernie, kannst du heute früher kommen? Aber bring eine Drahtbürste und jede Menge Ajax mit!«) Tag für Tag geschehen in New York erstaunliche und unvorhersehbare Dinge. Auf der Titelseite der New York Post las ich von einem aidskranken Perversen, der an diesem Tag verhaftet worden war, weil er kleine Jungs vergewaltigt hatte. Gibt’s denn so was? »Was für eine Stadt!«, dachte ich. »Welch ein Irrenhaus!«

Zwei Tage lang wanderte ich mit weit aufgerissenen Augen durch die Straßen und murmelte in unablässigem Staunen vor mich hin. An der Eighth Avenue taumelte ein großer schwarzer Mann aus einer Tür und teilte mir in einem Zustand beängstigender Verstörtheit mit: »Ich habe gerade Eis geraucht! Eine ganze Schüssel voller Eis!« Obwohl er nicht darum gebeten hatte, drückte ich ihm schnell einen Quarter in die Hand und machte mich davon. Ich ging in den Trump Tower, ein neuer Wolkenkratzer an der Fifth Avenue. Allmählich macht sich der Immobilienspekulant Donald Trump in ganz New York breit. Über die ganze Stadt verteilt baut er Wolkenkratzer, die seinen Namen tragen. Ich ging also in den Trump Tower und sah mich um. Eine so geschmacklose Eingangshalle habe ich noch nie gesehen. Alles war aus Messing und Chrom und aus rotweiß geschecktem Marmor, der wie das Zeug aussah, um das man einen großen Bogen macht, wenn man es auf dem Gehsteig liegen sieht. Hier war alles voll davon – der Boden, die Wände, die Decke. Mir war, als befände ich mich im Magen von jemandem, der gerade eine Pizza verspeist hat. »Unglaublich«, staunte ich und ging weiter. Nebenan, direkt an der Fifth Avenue, verkaufte ein Laden Pornovideos. Besonders interessant fand ich eine Kassette mit dem Titel Yiddish Erotica, Volume 2. Was wohl darauf zu sehen war? Rabbis mit heruntergelassenen Hosen? »Na großartig. Unglaublich«, murmelte ich und zockelte weiter.

Als ich am Abend zurück zum Hotel ging, fiel mein Blick auf das Fenster eines Stripteaselokals am Times Square, in dem Fotos der Stripperinnen aushingen. Es waren durchweg hübsche Mädchen. Auch ein Foto von Samantha Fox befand sich darunter. Da Ms. Fox damals jedoch rund 250 000 Pfund jährlich dafür kassierte, dass sie die Leser britischer Tageszeitungen wie The Sun einen Blick auf ihre wohlgeformten Brüste werfen ließ, schien es mir mehr als unwahrscheinlich, dass sie ihre Hüllen auch in einem verrauchten Kellerlokal am Times Square fallen lassen sollte. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass das Ganze ein einziger Schwindel war. Die Leute mit einer Person von betörender Schönheit zu ködern ist nichts weiter als ein billiger Trick.

Genauso haben sie uns in Iowa auf dem Jahrmarkt reingelegt. Die Stripteasezelte hinter den Karussells waren mit erotischen Bildern der schönsten Frauen bedeckt, Frauen mit den seidigsten Haaren, den prallsten Brüsten und den geschmeidigsten Körpern, die man sich vorstellen kann – Frauen, deren feuchte, schmollende Lippen zu sagen schienen: »Ich will dich – ja, dich da drüben, dich, mit den Pickeln und der Brille. Komm und erfüll mir meine Träume, kleiner Mann.« Vierzehnjährig und im Taumel der Sinne glaubt man diesen Bildern mit ganzem Herzen und vielen benachbarten Organen. Man zieht eine zerknitterte Dollarnote aus der Tasche und geht hinein in das staubige Zelt, in dem es nach Pferdemist und Alkohol stinkt, um dann eine lustlose Stripperin auf der Bühne zu erblicken, die der eigenen Mutter nicht unähnlich ist. Es war eine dieser Enttäuschungen, von denen man sich nie ganz erholt. Und nun war mein Herz bei den einsamen Matrosen und den japanischen Vertretern von Fotokopiergeräten, die da unten saßen, süße, lauwarme Cocktails tranken und eine Nacht kostspieliger Enttäuschungen verlebten. »Aber wir lernen ja aus unseren Fehlern«, sagte ich weise und mit reuevollem Lächeln zu mir selbst und gab einem Bettler zu verstehen, dass er sich verpissen soll.

Ich kehrte in mein Zimmer zurück und war froh, weder einem Raubüberfall noch einem Mordanschlag zum Opfer gefallen zu sein. Auf meinem Fernseher stand eine Karte, der ich entnahm, dass ich für 6,50 Dollar auf einem privaten Kabelkanal einen der folgenden vier Filme empfangen konnte: Freitag der Dreizehnte, Teil 19, in dem ein unter Persönlichkeitsstörungen leidender Mann mit Hilfe von Messern, Beilen und einem Schneepflug eine Reihe von jungen Frauen tötet, die gerade im Begriff sind, unter die Dusche zu steigen; Mann ohne Gnade, in dem Charles Bronson Michael Winner verfolgt und erledigt; Bimbo, in dem sich Sylvester Stallone als Rambo einer Geschlechtsumwandlung unterzieht und anschließend eine beachtliche Anzahl fernöstlicher Typen hopsgehen lässt; und schließlich, auf dem Kanal für Erwachsene, Heiße Höschen, eine einfühlsame Studie zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Konflikte im zeitgenössischen Dänemark, aufgelockert mit jeder Menge lüsternem Treiben. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ein wenig in letztgenannten Film hineinzuschauen – nur, um etwas zu entspannen, wie man in evangelischen Kreisen sagt –, konnte mich aber dann doch nicht entschließen, dafür 6,50 Dollar auszugeben. Zudem hege ich grundsätzlich den Verdacht, dass ein Hotelangestellter mir am Tag nach dem ich den entsprechenden Knopf am Fernseher betätigt habe (ich kann Ihnen sagen, der war vielleicht abgewetzt!) einen Computerausdruck unter die Nase halten und mich vor die Wahl stellen wird, ihm entweder umgehend 50 Dollar auszuhändigen oder mich damit abzufinden, dass er eine Kopie meiner Hotelrechnung an meine Mutter schickt, natürlich nicht, ohne vorher den Rechnungsposten »Verschiedenes: Abnormer Pornofilm, 6,50 Dollar« rot zu unterstreichen. Also zog ich es vor, mich aufs Bett zu legen und mir auf einem der regulären Kanäle eine Wiederholung des Comedy-Programms Mr. Ed aus den sechziger Jahren anzusehen. Es ging um ein sprechendes Pferd. Nach der Qualität der Witze zu urteilen, schrieb Mr. Ed seine Texte selbst. Wenigstens enthielten sie nichts, was mich potenziellen Erpressern ausgeliefert hätte.

Und so endete mein Tag in New York, der aufregendsten und anregendsten Stadt der Welt. Mir wurde klar, dass ich keinen Grund hatte, mich den einsamen Herzen in dem Striptease-Club zwanzig Stockwerke unter mir in irgendeiner Weise überlegen zu fühlen. Ich war nicht weniger einsam als sie. Tatsächlich gab es in dieser großen, herzlosen Stadt Tausende und Abertausende von Menschen, die ebenso mutterseelenallein waren wie ich. Was für ein melancholischer Gedanke.

»Aber ich wette, dass kaum jemand von ihnen das hier fertig bringt«, munterte ich mich auf und streckte Arme und Beine aus, um alle vier Wände meines Zimmers gleichzeitig zu berühren.