Böses Erwachen

Neldo hatte so tief geschlafen wie lange nicht mehr. Vielleicht lag es daran, dass er sich auch zum ersten Mal seit langer Zeit sicher gefühlt hatte. Zusammen mit Sona, Forry und den anderen Halblingen aus der Dichtwaldmark hatte er noch lange an dem nun heruntergebrannten Feuer gesessen. Der Lagerplatz lag genau zwischen zwei gewaltigen Wurzelsträngen eines besonders großen Riesenbaums. Diese Wurzelstränge überragten jeden Halbling und selbst die meisten Orks oder Menschen. Das Feuer würde man also nicht sehen können. Davon abgesehen war das Unterholz in dieser Gegend so dicht, dass Forry das Risiko für vertretbar hielt. Sie hatten gut nach Halblingart gegessen, und Neldo lauschte dabei den Gesprächen der anderen. Sie erzählten von den Toten, die sie zu beklagen hatten, und davon, wie schön ihr Leben früher gewesen war und dass es nie wieder so werden konnte wie einst.

All das, was geredet worden war, hatte Neldo noch im Ohr gehabt, als er schließlich eingeschlafen war. Wachen waren eingeteilt worden, und das beruhigte ihn. Auch er war für eine Wache vorgesehen gewesen, und es hatte die Absprache gegeben, dass man ihn wecken würde.

Doch das war nicht geschehen. Und vielleicht war das auch der Grund, weshalb er bereits beim Erwachen ahnte, dass etwas nicht stimmen konnte.

Neldo schreckte hoch. Ein Wurfdolch drang dicht neben ihn in das Wurzelholz des Riesenbaums. Der flackernde Schein Dutzender Fackeln erhellte die Nacht, und schattenhafte Gestalten drangen von überall her aus dem Wald. Orks! Der schwere Schritt ihrer Stiefel war auf dem weichen Waldboden sehr gedämpft und kaum zu hören. Lauter waren die Speere, Wurfdolche und Äxte, die durch die Luft flogen. Ein Speer durchbohrte Sona. Ein Wurfbeil spaltete fast im selben Moment ihren Schädel. Forry kam noch dazu, einen Alarmschrei auszustoßen, bevor ihm ein Dolch in die Brust fuhr, noch bevor er zu seinen Waffen greifen konnte. Neldo griff zu seinem Rapier, das neben ihm lag. Er riss die Waffe empor, als ein Ork von der Wurzel des Riesenbaus aus auf ihn hinabsprang und dabei eine Keule mit Obsidianspitzen zum Schlag erhoben hatte.

Neldos Rapier spießte den Ork regelrecht auf. Der Schlag mit der Obsidiankeule ging ins Leere. Röchelnd starb der Ork. Aber sein Körper lastete so schwer auf Neldo, dass dieser sich nicht so einfach davon befreien konnte.

Das Rapier steckte noch bis zum Heft im Orkfleisch, als der tote Körper mit einem kräftigen Ruck einfach fortgerissen wurde. Ein Ork stand über Neldo und hob seine große Streitaxt zum Schlag. Ein zweiter stand mit einer Fackel in der Hand daneben und machte einen gurgelnden Laut.

Ohne Waffe in der Hand lag Neldo da – dem Axtschlag wehrlos ausgeliefert. Gleichzeitig hörte er das Geräusch zerberstender Knochen. Aus den Augenwinkeln heraus konnte er erkennen, wie ein anderer Ork Forrys blutigen Kopf in seiner Pranke hielt und gierig betrachtete.

Neldo schrie, als die Axt seines Gegners auf ihn niedersauste. Blitzschnell wandte er sich zur Seite. Sein Fuß hakte sich hinter den Stiefel des Orks. Haarscharf schlug die Axtklinge neben ihn in den Waldboden, und der Ork taumelte. Aber er konnte sich auf den Beinen halten und riss die Axt empor, um noch einmal zuzuschlagen.

Da ertönte ein durchdringendes Geräusch. Es erinnerte an ein Signalhorn, nur war es sehr viel tiefer und schmerzte in den Ohren. Der Ork stieß daraufhin einen ärgerlich klingenden, gurgelnden Laut aus und senkte die Axt. Er trat ein Stück zurück. Neldo kauerte am Boden. Von der Gruppe von Halblingen um Sona und Forry schien keiner mehr am Leben zu sein. Wie aus dem Nichts und vor allem viel leiser als sonst waren die Orks aufgetaucht, hatten wohl zuerst fast lautlos die eingeteilten Wächter getötet und dann binnen Augenblicken alle anderen im Lager. Selbst im weichen Schein der Fackeln war das Grauen nicht zu übersehen. Und überall hatten sich die Orks gleich über die Leichen hergemacht. Dass sie ihre wenige Habe plünderten, war dabei noch das Harmloseste gewesen.

Aber seit diesem tiefen, durchdringenden Ton waren sie alle nahezu wie erstarrt.

Neldo sah eine Gestalt, die zunächst nur als dunkler, undeutlicher Schemen für ihn zu sehen war. Auf jeden Fall war es ein Reiter, wie Neldo sofort erkannte. Aber die Hufe verursachten keinen Laut, so als würden sie gar nicht den Boden berühren. Der Reiter näherte sich, und der Schein der Fackeln in den Händen der Orks schien die Finsternis dieser Gestalt kaum erhellen zu können. Aber immerhin traten die Umrisse seines Kopfes jetzt deutlicher hervor.

Ein Vogelreiter, durchfuhr es Neldo mit eisigem Entsetzen.

Der Reiter kam heran. Dunkler Rauch drang aus den Nüstern des Pferdes. Die dämonisch leuchtenden Augen des Vogelkopfes waren auf Neldo gerichtet. Der Vogelreiter stieß einen weiteren, sehr tiefen Laut aus. Es klang beinahe so, als würde er Worte sprechen. Die Orks schienen ihn jedenfalls zu verstehen. Sie wichen zur Seite. Auch jener Ork, der gerade noch die Axt gegen Neldo erhoben hatte, zog sich zurück, auch wenn er sich ein weiteres ärgerliches Knurren nicht verkneifen konnte. Er bleckte die Zähne, sodass nicht nur die sowieso unübersehbar aus dem Maul herausragenden Hauer, sondern auch der Rest des raubtierhaften Gebisses gut sichtbar wurde.

Für Augenblicke war es vollkommen still.

Die Orks schienen abzuwarten, was der Vogelreiter als Nächstes tun oder anordnen würde. Er näherte sich Neldo noch etwas mehr.

Der Halbling war wie gelähmt und vollkommen unfähig, sich zu bewegen. Der Vogelreiter streckte einen Arm aus, an dessen Ende sich eine klauenartige Pranke befand. Er umfasste Neldos Stirn. Die Klauen stachen schmerzhaft in beide Schläfen. Neldo wollte sich wehren und diesen grausamen Griff abschütteln. Aber er hatte längst keine Kontrolle mehr über seinen Körper.

Er spürte plötzlich, wie eine Flut fremder Gedanken seinen Geist erfasste und durchdrang. Ein Mahlstrom von Bildern, Stimmen und Eindrücken durchraste ihn. Es waren alles Erinnerungen. Erinnerungen an ein ganz gewöhnliches Halblingleben, das erst in dem Augenblick eine dramatische Wendung genommen hatte, als er sich Lirandil angeschlossen hatte. Davon flimmerten besonders viele Eindrücke durch seine Gedanken. Er hatte das Gefühl, dass der Vogelreiter seine Seele genau danach durchsucht hatte. Und noch jemand schien ihn besonders zu interessieren.

Arvan!

All diese Eindrücke durchrasten Neldo in immer schneller werdender Geschwindigkeit, sodass schließlich alles nur noch zu einem wirbelnden Mahlstrom aus Farben, Formen und Tönen verschmolz. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn gleichzeitig, als wäre sein Kopf eine einzige blutende Wunde.

Der Vogelreiter beugte sich tiefer. Seine zweite Pranke berührte ihn an der Schulter. Eisige Kälte durchfuhr Neldo daraufhin. Es kam ihm vor, als würde er innerhalb eines Augenblicks innerlich gefrieren. Der Schmerz in seinem Kopf ließ dafür nach, aber es wurde jetzt schwierig, überhaupt noch einen eigenen Gedanken zu fassen. Neldo hatte das Gefühl, sich aufzulösen. Für einige Augenblicke fragte er sich, wer er eigentlich war, und ihm wollte nicht einmal mehr sein Name einfallen. Dann sank er in sich zusammen und blieb reglos auf dem weichen Waldboden liegen.

Der Vogelreiter stieß einen seiner sehr tiefen Töne aus. Dabei zeigte er nacheinander auf zwei der wie erstarrt dastehenden Orks, die gebannt das Geschehen verfolgt hatten.

Ein durchdringender Krächzlaut folgte anschließend aus dem langen, nach unten gebogenen Schnabel des Vogelreiters. Dieser schien dessen Willen genügend Nachdruck zu verleihen.

Die beiden Orks, auf die er gedeutet hatte, näherten sich, zuerst scheu und vorsichtig, dann jedoch entschlossener. Sie nahmen Neldo sein Langmesser und die Schleuder sowie die Tasche mit den Herdenbaumkastanien ab. Außerdem durchsuchten sie die Taschen seines Wamses. Dann hoben sie ihn hoch und hievten ihn hinter den Vogelreiter auf dessen Pferd. Einer der Arme des Vogelreiters bog sich auf eine Weise nach hinten, wie es keinem Ork und keinem Menschen möglich gewesen wäre, und umfasste Neldo. Etwas Blut sickerte aus dessen Wunden, die er an der Schläfe davongetragen hatte.

Der Vogelreiter preschte vollkommen lautlos davon. Augenblicke später war er nur noch ein Schatten in der finsteren Nacht der Dichtwaldmark. Nur einmal sah man ihn noch, als er den Blick kurz zurückwandte und das dämonische rote Leuchten seiner Augen selbst durch das dichte Unterholz hindurch zu sehen war.

Die Orks warteten noch einige Augenblicke, bis sie sicher waren, dass der Vogelreiter wirklich fort war.

Dann erst stieß derjenige unter ihnen, der gegen Neldo seine Axt erhoben hatte, einen durchdringenden, triumphierenden Schrei aus. Für die anderen war er das Signal, sich nun ungehemmt über ihre Beute hermachen zu können.

Neldo wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er erwachte. Er hatte wirre Träume gehabt. Jetzt fand er sich hinter dem Vogelreiter im Sattel wieder, fest umfasst von einem Arm, dessen Klauen ihm schmerzhaft in den Rücken stachen. Aber dieser Schmerz war nichts gegen das, was sein Kopf durchgemacht hatte. Er fühlte sich noch immer benommen, und sein Wille war auf seltsame Weise geschwächt. Ich bin Neldo, dachte er und war sich für einen Moment doch nicht vollkommen sicher, ob das überhaupt zutraf. Neldo. Neldo, vor dem ein einfaches Leben als Hersteller von Schnitzwerk nach Art der Halblinge gelegen hätte. Neldo, der sich ein abenteuerliches Leben wünschte und den der Fluch traf, dass sich dies schließlich auf eine ganz andere Weise erfüllte, als er erwartet hatte. Neldo, der sich Lirandil angeschlossen und ihn wieder verlassen hatte. Neldo, der Gefährte von Arvan Aradis, dem Schlächter des siebenarmigen Zarton

Zuerst hatte Neldo das Gefühl, dass diese Gedanken ihm halfen, sein Inneres wieder zu ordnen. Aber das änderte sich, als immer wieder zwei Namen darin auftauchten – zwei Gesichter. Zwei Personen – ein Halbling und ein Elb. Arvan und Lirandil. Diese vogelartige Bestie manipuliert meine Gedanken noch immer, erkannte er dann. Und das einzige Ziel dabei ist es, alles über Lirandil und Arvan und den großen Plan zu erfahren, an dessen Ende Ghool nicht mehr existieren sollte!

Ein Krächzen drang in diesem Augenblick aus dem Schnabel des Vogelreiters und veränderte sich so, dass es beinahe wie ein höhnisches Gelächter klang.

Mit einer Stimme, die so tief war, dass Neldo sie zuerst kaum zu verstehen vermochte, sprach das Geschöpf dann zu ihm. »Es scheint dir ja wieder besser zu gehen.«

Der Vogelreiter hatte bestes Relinga gesprochen.

Neldo war nicht in der Lage zu antworten. Seine Zunge schien ebenso gelähmt zu sein wie sein restlicher Körper, und noch immer erfüllte ihn eine innere Kälte, wie der junge Halbling sie nie zuvor gefühlt hatte.

Nach und nach begann der Gefangene, seine Umgebung wahrzunehmen. Der Vogelreiter ritt über eine weite, grasbewachsene Ebene, wie sie für die Graslande des südlichen Rasal typisch war. In der Ferne waren ausgebrannte Gehöfte und Siedlungen zu sehen.

Vollkommen lautlos schnellte der Vogelreiter in einer Geschwindigkeit vorwärts, wie kein gewöhnliches Pferd sie hätte erreichen können. Er schwebte geradezu über die Ebene, denn die Hufe schienen nie wirklich den Boden zu berühren.

Was hat er mit mir vor?, ging es Neldo durch den Kopf. Namenlose Furcht kroch in ihm empor. Er dachte kurz an Sona, Forry und die anderen Halblinge, mit denen zusammen er durch die Wälder gezogen war, in der Hoffnung, den Schergen Ghools zu entkommen. Es war grauenvoll, was mit ihnen geschehen war. Aber inzwischen fragte Neldo sich, ob er sich nicht wünschen sollte, dass auch er von den Orks getötet worden wäre. Welche Teufelei hat man nur mit mir vorgesehen?, ging es ihm durch den Kopf.

Seine Erinnerungen gingen zurück zu der Schlacht auf der Anhöhe der drei Länder. Der zuvor im Kampf gegen Ghools Heer gefallene Herzog von Rasal war als untoter Wiedergänger dem Heer der Verbündeten entgegengeschickt worden. Und nun dachte Neldo daran, dass für ihn vielleicht ein ähnliches Schicksal vorgesehen war – als willenlose Marionette des Bösen.

Neldo sah etwas über den Horizont kriechen, das aus der Ferne einer gewaltigen, unglaublich langsamen Schlange glich. Als der Vogelreiter sich näherte, war zu erkennen, dass es sich um einen Heerzug von beispiellosen Ausmaßen handelte. Selbst jene Massen von Orks, Dämonenkriegern und anderen in Ghools Diensten stehenden Geschöpfen, die Neldo in der Schlacht an der Anhöhe der Drei Länder erlebt hatte, stellte dieser Zug noch einmal in den Schatten. Auffallend war, dass diesmal neben zu Fuß gehenden Orks und jenen, die zu zweit oder zu dritt auf dem Rücken von Hornechsen saßen, sich offenbar auch Skorpionreiterstämme am Feldzug beteiligten. Die riesenhaften Tiere, die vor allem in dem zum West-Orkreich gehörenden Gebiet zwischen dem Blutfluss und dem Gebirge mit dem Namen Riesenpranke beheimatet waren, trugen normalerweise ganze Dörfer mit Behausungen, die aus getrocknetem Skorpiondung errichtet waren.

Lirandil hatte unter den Skorpionreitern gelebt, und Neldo erinnerte sich dunkel an dessen Schilderungen. Allerdings trugen diese Riesenskorpione teilweise keine Dörfer auf ihren Rücken, sondern waren stattdessen mit Katapulten ausgestattet worden. Und anstatt von Dunghütten hatte man dasselbe Material dazu benutzt, um Brustwehren zu errichten. Jeder dieser Riesenskorpione glich daher einer wandelnden Festung. Wie klein und hilflos wirkte dagegen ein Kriegselefant, wie ihn Harabans Söldner verwendeten! Eine einzige ausholende Bewegung mit dem in einem spitzen Stachel endenden Schwanz hätte gleich Dutzende von ihnen samt ihren Treibern und Schützen einfach davonwischen können.

Die Orks stellten auch in diesem Heer die große Mehrheit.

Bei den anderen Geschöpfen, die an diesem Feldzug teilnahmen, handelte es sich vor allem um Wolfsmenschen. In großer Zahl marschierten sie in Kolonnen daher, die im Gegensatz zu den Fußkriegerverbänden der Orks sehr geordnet wirkten.

Affenkrieger waren wie üblich vor allem bei den auch diesmal in großer Zahl vorhandenen Katapulten, die zumeist von vielen Dutzend Hornechsen gezogen wurden. In Einzelfällen aber auch von Echsen, die Neldo während der vergangenen Schlachten noch nie gesehen hatte. Sie hatten die fünffache Größe einer Hornechse, nur winzige Köpfe, aber dafür einen massigen, muskulösen Körper. Da sie keine naturgegebenen Knochenpanzer besaßen, hatte man ihnen mit Platten aus Stahl die Flanken gesichert, wohl um zu verhindern, dass ein schnell ausgeführter Überraschungsangriff den Vormarsch zum Stillstand bringen konnte oder man danach sogar gezwungen war, das von dem Tier gezogene Katapult zurückzulassen.

Auf den Rücken standen zumeist groß gewachsene Affenkrieger, die die massigen Zugechsen an Zügeln führten.

Der Vogelreiter zog so schnell in entgegengesetzter Richtung an Ghools Kriegern vorbei und schien immer noch zu beschleunigen. Er wurde so schnell, dass Neldo manchmal nicht einmal mehr Einzelheiten bei den Truppen erkennen konnte. Sie ziehen nach Westen, ging es ihm durch den Kopf. Die Waldgötter mögen denjenigen gnädig sein, die versuchen werden, diesen Zug des Grauens aufzuhalten … Sofern das überhaupt möglich ist.

Noch ehe der Vogelreiter das Ende dieses Zuges erreicht hatte, überkam Neldo eine ungeheure Erschöpfung. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie irgendetwas mit der Art und Weise zu tun hatte, in der der Vogelreiter seine Gedanken und Erinnerungen durchsucht hatte. Neldo hatte sich von diesem Angriff auf seine Seele – so hatte er das Empfinden – nicht im Mindesten erholt.

Außerdem fühlte er noch immer diese namenlose Kälte in sich, die von der Berührung durch die Pranke des Vogelreiters verursacht zu werden schien und ihn ganz ohne Zweifel auf eine Weise schwächte, die er nicht zu erklären vermochte.

Neldo kämpfte gegen diese unheimliche Müdigkeit an, aber das schien sinnlos zu sein. Noch ehe der Vogelreiter das Ende des Heerzugs erreicht hatte, war Neldo eingeschlafen. Dunkelheit umgab ihn, und er fühlte zunächst einmal gar nichts mehr.

Als Neldo das nächste Mal erwachte, hatte sich die Umgebung vollkommen verändert. Am Stand der Sonne konnte er erkennen, dass es früher Morgen sein musste und offenbar mindestens eine Nacht vergangen sein musste. Vielleicht aber auch mehr.

Wie eine glühende Kugel ging die Sonne im Osten hinter den Bergen auf, wie Neldo sie noch nie zuvor gesehen hatte. Berge aus Asche! Die Aschedünen!, durchfuhr es ihn. Er hatte von diesem Land gehört. Eine ödere Gegend war kaum vorstellbar, und obgleich es außer den Orks so gut wie niemanden gab, der diesen Teil der Orkländer jemals bereiste, hatte sich doch die Kunde über die Besonderheiten dieses Gebiets so verbreitet, dass man es in vielen Ländern als Sinnbild eines unfruchtbaren Landes oder des Totenreichs selbst ansah. Jemanden in die Aschedünen zu wünschen kam in der Sprache der Halblinge einer schlimmen Verwünschung gleich.

Es schauderte Neldo bei dem Gedanken, dass er sich offenbar bereits tief im Inneren der Orklande befinden musste.

Die Sonne stand schließlich im Zenit. Sie brannte nur so vom Himmel, aber Neldo konnte ihre Wärme nicht empfinden. Er zitterte vor Kälte und fragte sich schon, ob der Vogelreiter ihn vielleicht mit irgendeiner Art von magischem Fieber geschwächt hatte. Bevor der junge Halbling erneut in einen unruhigen, von quälenden Träumen durchsetzten Schlaf hinüberdämmerte, dachte er an Arvan. Wer hätte es gedacht, dass ich dem Schicksalsverderber wahrscheinlich eher gegenüberstehen würde als du.

»Ja, denk nur an deine Gefährten«, hörte er gerade noch die dröhnend tiefe Stimme des Vogelreiters, bevor der Schlaf ihn endgültig übermannte. »Je öfter du Narr von Halbling das tust, desto mehr erfahre ich über dich, deine Gefährten und eure Absichten!«

Abermals fiel Neldo in einen traumverwirrten Schlaf. Als er das nächste Mal erwachte, waren sie immer noch in einer Wüste. Aber es konnten nicht mehr die Aschedünen sein. Der Sand war rotgelb. Felsmassive ragten in der Ferne empor. Nachdem Neldo sich etwas an das grelle Licht gewöhnt hatte, bemerkte er einen dunklen Fleck in der Ferne.

Es dauerte noch ein wenig, bis er erkannte, was es war.

Eine schwarze Festung!