Weinberg, 20:30 Uhr
»Guck dich bloß nicht um, hier wohnt ein Junggeselle«, warnte Kalla sie, als er die Haustür des Altbaus aufschloss. Fliesenboden im Flur, verbeulte Blechbriefkästen und ausgetretene Holzstufen, die nach oben führten.
»Nicht schlimm, das bin ich von Stefan gewöhnt«, lächelte Heike und folgte ihm.
Die Tür zum kleinen Hinterhof stand offen, ein Nachbar war damit beschäftigt, die Platten zu fegen. Staub wirbelte in der Abendsonne umher. Kalla bewohnte die Wohnung Parterre links. Er schloss auf und führte Heike in das gut zehn Quadratmeter große Wohnzimmer, das zur Straße hinaus lag. Auf dem Sofa stand ein Korb mit ungebügelter Wäsche, das dazugehörige Bügelbrett stand aufgeklappt vor dem Wohnzimmertisch. Im Sessel lagen zig einzelne Socken herum. »Ich hab eigentlich Waschtag heute«, entschuldigte sich Kalla mit Blick auf die Wäsche. »Und das da«, er deutete auf die frischen, aber einzelnen Socken, »das sollte mein Sockenspiel werden. Aber normalerweise kaufe ich immer neue Socken, wenn sich das Gegenstück nicht mehr auffinden lässt. Ich brauche dringend eine neue Waschmaschine - die alte frisst immer Socken, die mir dann fehlen.«
»Das kenne ich«, lächelte Heike. »In meiner Waschmaschine wohnt auch ein Sockengeist.«
Kalla zog ihr einen Stuhl heran und bat sie, sich zu setzen. Heike ließ sich nieder und blickte sich um. Auf einem Eckschreibtisch neben dem Fenster befand sich der Computer. Der Tisch schien unter der Last des riesigen Monitors zu ächzen. Kalla machte sich am Rechner zu schaffen. »Was zu trinken?«
»Hast du Cola?«
»Sogar eisgekühlt. Nach dem langen Treck haben wir uns das verdient.« Während das System bootete, verschwand er in der Küche und holte ihnen eine Flasche Cola und zwei Gläser. Er schenkte ihnen ein. Sie tranken schweigend. »Danke«, sagte Heike schließlich.
Er musterte sie mit fragender Miene. »Danke - wofür?«
»Dass du dir mit mir den freien Tag um die Ohren gehauen hast. Im Auto sitzt du doch sonst auch den ganzen Tag, das war doch keine Erholung für dich!«
»Unsinn.« Er winkte ab. »Es ist schon was anderes, wenn ich Fahrgäste vom Hauptbahnhof zur Gathe fahre, oder von Oberbarmen zum Dönberg. Es war doch eine landschaftlich schöne Tour. Ich bin schon lange nicht mehr so weit in der Weltgeschichte herumgekommen. Außerdem haben wir viel erreicht.« Er zog den USB-Stick mit Peter Borns verschlüsselten Daten hervor. »Und mit etwas Glück wissen wir gleich sogar noch viel mehr!«
»Ich wage kaum daran zu glauben«, erwiderte Heike.
Kalla machte sich am Computer zu schaffen, schob den Datenträger in den USB-Hub und klickte auf das Icon. Nachdem er eine Datei aufrufen wollte, erschien ein Dialogfenster auf dem Monitor.
Ein Passwort war gefragt.
»Garfield.« Kalla tippte das Kennwort, das sie von Corinna Ückesheim in buchstäblich letzter Minute bekommen hatten, im Einfinger-Suchsystem ein. Heike fragte sich, wie lange er wohl brauchte, wenn er mit diesem Adlersystem einen ganzen Brief schreiben müsste.
Nachdem er einen Moment lang mit dem ausgestreckten Zeigefinger über der Tastatur gekreist war, sauste der Finger auf die Enter-Taste. Die Spannung stieg. Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete sich die Datei. »Sesam öffne dich«, strahlte Kalla und stand auf. Er zog Heike den Bürostuhl zurecht. »Hier, setz dich. Vielleicht kannst du mit diesem Fachchinesisch mehr anfangen als ich. Eines steht fest: Dieser Kommissar Verdammt hat was gut bei dir, wenn du ihm diese Daten zur Verfügung stellst, Mädchen.«
»Das will ich hoffen, er kann nämlich auch recht ungemütlich werden.« Heike nahm vor dem Monitor Platz und studierte Peter Borns Aufzeichnungen. Was sie las, bestätigte das, was sie von Stefan gehört hatte. Jetzt hatten sie es schwarz auf weiß. Es sah schlecht aus für den hoch angesehenen Doktor Brechtmann.