Autohaus Klinke, 10:30 Uhr
Als sie den Verkaufsraum durchquerte, strafte Jan Rüben sie mit Nichtbeachtung, und Heike wurde den Verdacht nicht los, dass der Verkäufer an der Tür das Gespräch mit Klinke belauscht hatte. Erst als sie durch die Glastür nach draußen trat, schickte er ihr einen Blick hinterher, den sie aber nicht zu deuten vermochte. Kalla wanderte rauchend auf und ab und betrachtete die Luxusschlitten. In seinem Mundwinkel klemmte ein Zigarillo. Er bemerkte Heike nicht, die sich ihm von hinten näherte.
»Ja«, sagte sie, als sie ihn erreicht hatte. »Das sind Autos, was? Da kommt dein alter Bock nicht ganz mit, fürchte ich.« Sie kicherte. Kalla fuhr herum, nahm einen tiefen Zug an seinem Zigarillo und schüttelte den Kopf. »Luxus ist vergänglich, weißt du. Ich will nicht wissen, wie diese vornehmen Schlitten aussehen, wenn sie mehr als eine Million Kilometer auf der Uhr haben und Tag und Nacht im Einsatz waren.« Er winkte ab. »Die wären ein Fall für die Schrottpresse, kannste glauben. Nee, lass mal. Da lob ich mir meine alte Droschke.« Dann wurde er ernst. »Und, was erreicht?«
»Und ob.« Heike berichtete dem Taxifahrer, was sie im Gespräch mit Klinke erfahren hatte. Auch den eigenartigen Verkäufer ließ sie nicht aus.
»Unter dem Strich aber nichts als heiße Luft«, brummte Kalla. »Vielleicht sollten wir…« Er brach ab, als er sah, dass Heike an ihm vorbeischaute, und drehte seinen massigen Körper um. Ein dunkler Opel Vectra mit Wuppertaler Kennzeichen führ soeben auf den Hof des Autohauses. Der Wagen passte genauso wenig hierher wie Kallas Taxi, dachte Heike und rollte mit den Augen. Sie kannte den Vectra allzu gut. »Was will der denn hier?«, fragte sie seufzend. Kalla betrachtete sie mit fragendem Blick. »Wer isses?«
»Das ist Hauptkommissar Ulbricht von der Kripo. Er leitet die Ermittlungen in unserem Fall. Und er wird bestimmt Ärger machen, weil ich vor ihm hier war. So was kann er nämlich überhaupt nicht leiden.«
»Ah, der berühmt-berüchtigte Kommissar Verdammt?«
»Leider ja. Kannst dir ja selber mal einen Eindruck verschaffen.«
»Sollen wir abhauen?«
»Zu spät.« Heike schüttelte den Kopf. Ulbricht hatte den Vectra abgeschlossen und stapfte nun mit wütendem Gesicht über den Platz, geradewegs auf sie zu. Den zerknitterten Sommermantel hatte er aufgrund der angenehmen Temperaturen weggelassen. »Darf man fragen, was Sie hier zu suchen haben?«, bellte er.
Ganz der Alte, dachte Heike und fragte sich, ob sein Angebot, das er ihnen gestern in Baumgarts Haus gemacht hatte, bereits wieder vergessen war. »Guten Morgen, Herr Kommissar«, versuchte sie es auf die freundliche Art. Sie hatte nicht vor, sich von Norbert Ulbrichts mieser Laune anstecken zu lassen. »Vermutlich der gleiche Grund, aus dem Sie hier sind. Aber vergessen Sie es. Klinke wäscht seine Hände in Unschuld.«
»Na prima, war zu befürchten.« Ulbricht zog die verbeulte Zigarettenpackung aus der Hemdstasche und steckte sich eine an. Kalla zückte das Zippo und gab ihm Feuer. Ulbricht bedankte sich mit einem Nicken. »Aber ich habe schon gesehen, unser gesuchtes Fahrzeug steht in einer der Hallen.«
»Allerdings«, bestätigte Heike.
»Ich habe gestern Abend Heinrichs zu Klinke geschickt. Er sollte ihm auf den Zahn fühlen, was er anscheinend auch getan hat. Aber er war so blauäugig und hat sich mit dem zufriedengegeben, was Klinke ihm erzählt hat.«
»Und jetzt?«
»Jetzt werde ich den Wagen sicherstellen und zur KTU bringen. Dann sollen die Kollegen sich den BMW mal aus der Nähe ansehen. Sicherlich gibt es an den Bedieninstrumenten Fingerabdrücke des Fahrers. Haare in den Sitzpolstern, Schuppen, Fußabdrücke auf dem Teppich, was weiß ich.« Ulbricht zuckte die Schultern.
»Das können Se vergessen, Meister.« Kalla schnippte den Stumpf seines Zigarillos auf den Boden und trat die Glut mit dem Absatz seiner ausgelatschten Turnschuhe aus. »Anscheinend hatte Klinke nichts Besseres zu tun, als einen seiner Sklaven auf den Wagen anzusetzen. Während du drinnen warst, Heike, hat der Junge die Kiste auf Hochglanz gebracht. Und zwar von innen und außen.« Kalla machte ein vielsagendes Gesicht. »Der hat gewienert, als wollte Klinke den Schlitten als Neuwagen verkaufen.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich an den Kommissar. »Wenn Sie mich fragen, sind da keine Spuren mehr zu finden.«
»Wie meinen Sie das?« Ulbricht war fassungslos.
»Na, so wie ich es sage, Meister.« Kalla lachte. »Der hat innen feucht durchgewischt, wenn Se so wollen. Stundenlang mit dem Staubsauger war er zugange, hat das Armaturenbrett gereinigt und neu imprägniert. Da finden Sie bestimmt nichts mehr, was interessant sein könnte.«
»Verdammt«, zischte Ulbricht und machte seinem Spitznamen einmal mehr alle Ehre. Er trat die Zigarette wütend aus und ließ Heike und Kalla stehen. Aufgebracht marschierte er in den Verkaufsraum - und prompt dem übereifrigen Verkäufer Jan Rüben in die Arme.