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Beyenburg, 22:55 Uhr

Sie hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen, lebten nebeneinander her. Aber keiner beklagte sich über diesen Umstand. Sie liebten sich auf ihre eigene Weise. Und sie genossen ihre Freiheiten. Schließlich kannten sie sich schon lange genug. Sie waren abgesichert und führten ein gutes Leben. Er hatte einen gut dotierten Job und sorgte für ihren Unterhalt. Urlaub leisteten sie sich dreimal im Jahr; und auch die Autos in der Garage stammten aus dem Hochpreissegment. Ihr hatte er einen VW Touareg mit allen erdenklichen Extras gekauft, während er sich vor wenigen Wochen das neueste Modell der BMW 7er-Reihe geleistet hatte. Seine ganze Liebe galt jedoch dem kirschroten Mercedes SL 190er Cabrio von 1956, das komplett restauriert in der beheizten Garage neben dem Haus stand. So ein Ding hatte die Nitribitt gefahren, diese Edelhure, die in den Fünfzigerjahren unter rätselhaften Umständen umgebracht worden war. Es war sicherlich eine der größten Verschwörungen gewesen, die Deutschland in der Adenauer-Ära erlebt hatte. Bis heute war ihr Mord nicht aufgeklärt, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, und trotzdem: Er war sicher, dass trotz Internet, trotz DNA-Analyse und modernster Ermittlungstechnik ein derartiger Mord auch heute nicht aufgeklärt werden würde, weil sicherlich dabei ans Licht käme, dass unzählige Bonzen aus Politik und Wirtschaft Dreck am Stecken hätten. Er grinste. Damit hatte er nichts zu tun.

Autos waren mehr als seine Leidenschaft, und solange er damit genügend Geld verdiente, tolerierte seine Frau, dass er ein großer Junge war, der gern mit schnellen Autos angab.

Ja, die Geschäfte liefen gut. Was immer ihr Herz begehrte - sie konnten es sich leisten. Das Haus am Rand von Wuppertal war groß und luxuriös, eingebettet in die malerische Umgebung des Bergischen Landes, ländlich und doch stadtnah. Natürlich arbeitete er viel für diesen Lebensstandard, doch nichts von alledem, was er sich hier erarbeitet hatte, wollte er jemals wieder missen. Er hatte sich in seinem Arbeitszimmer aufgehalten, sie hatte im Schein der Stehlampe im Wohnzimmer mit der großen Fensterfront auf der Couch gesessen und in einem ihrer heißgeliebten Hochglanzmagazine gelesen. Als er nun im Flur auftauchte und die Jacke vom Haken nahm, blickte sie überrascht auf. Sie trug einen bequemen Hausanzug. Das lange blonde Haar fiel locker auf ihre Schultern. Wieder einmal bewunderte er ihre Schönheit. Sie war für eine Frau ihres Alters noch immer atemberaubend attraktiv, fand er. Am liebsten hätte er sich jetzt zu ihr gesellt, doch der Anruf hatte ihn verunsichert. Jetzt galt es, die Nerven zu behalten. Er wollte Jeanette nicht in Dinge hineinziehen, die sie nichts angingen. Als er ihren Blick sah, schenkte er ihr ein aufmunterndes Lächeln.             

Jeanette ließ das Magazin sinken und legte es auf die Sofalehne. »Willst du noch mal weg?« Sie strich sich durch das lange Haar. Jede ihrer Bewegungen war pure Anmut.

»Ich muss kurz, ja.« Im Türrahmen lehnend, zuckte er die Schultern.

Der Schlüssel klimperte in seiner rechten Hand. »Ein Angebot, ich habe es eben im Internet gefunden. Das Auto muss ich mir natürlich ansehen. Aber es wird sicher nicht lange dauern.« Er wunderte sich nicht, dass sie ihn nicht genauer fragte, wohin er zu dieser späten Stunde noch wollte. Sie vertrauten sich blind. Meistens klappte das. Auch diesmal schien sie mit seiner Antwort zufrieden zu sein.

»Ist gut. Pass auf dich auf.«

»Versprochen.« Dann war er draußen. Er blickte sich nicht noch einmal zum Haus um und stieg in den dunklen BMW, der in der Einfahrt parkte. Seine innere Unruhe wuchs, als er die Limousine zur Straße hinablenkte. Nur das kalte Eisen in der Innentasche seiner Jacke verlieh ihm ein Gefühl von Sicherheit und Macht. Was sollte ihm schon passieren, dachte er mit einem triumphierenden Grinsen auf dem Gesicht, als er die Beyenburger Straße erreicht hatte und das Gaspedal bis zum Bodenblech durchtrat. Nichts würde ihm passieren.