EPILOG

 

Die Burg Juval thronte hoch über dem Tal auf der gegenüber liegenden Seite des Städtchens Naturns am Eingang zum Vinschgau in Tirol. Schon von weitem zu sehen, galt sie  jahrzehntelang als Symbol für das Wirken des Bergsteigers Reinhold Messner. So hoch und schwer zugänglich gelegen hatte sie aber auch immer etwas von einem Refugium des Rückzuges vor dem Rest der Welt gehabt, - erst für ihren Besitzer und dann, danach, für die Begründer der `Neuen Alpenrepublik´, die sich hier aus ganz Europa zusammengefunden hatten.

Groß war sie nicht, diese Republik und viele Einwohner hatte sie auch nicht. Schließlich konnte kaum noch eine Region der Welt mit einer großen Einwohnerschaft aufwarten. Immerhin fanden sich heute im Burghof an die 200 Menschen, um wieder einmal einen neuen Jahrestag ihrer Republik zu feiern.
Die Burg hatte ihnen den Anfang ermöglicht, zunächst als Unterschlupf, der sie aufnahm, mit Energie versorgte, so dass sie über die ersten Winter kamen. Möglich wurde das durch die große Voltaic-Anlage, die schon in den Zeiten vor der Pandemie den Burghof überspannt hatte.
Diese Energiequelle bildete die Keimzelle für den technischen Neubeginn. Hier befanden sich die ersten Werkstätten der Gründer, die zunächst für sich und ihre Angehörigen, später dann für die Überlebenden im Tal arbeiteten.
Im Vergleich zu
früher schien es wenig zu sein aber es war besser als nichts, besser als das Chaos, die Verzweiflung und die Stille, die schließlich von den ehemals dicht besiedelten Regionen Besitz ergriffen hatte.
Stille herrschte nun auch im Burghof. Ein Scheinwerfer beschien eine kleine Bühne, auf der ein noch sehr gut erhaltener Flügel stand. Aus dem dunklen Hintergrund kommend, betrat nun ein Junge die Bühne. Er wirkte sehr zierlich, geradezu zerbrechlich und mochte höchstens 6 oder 7 Jahre alt sein. Im Scheinwerferlicht leuchteten seine hellblonden Haare und verliehen ihm in seinen weißen Sachen etwas Unwirkliches, Magisches.
Unter den Zuschauern saßen auch Lana und Tobias. Beide blickten voller Stolz auf den Jungen dort vorn. Zuerst war es noch
Lanas Sohn gewesen und es hatte gedauert, bis Tobias begann, sich in die Vaterrolle hinein zu finden., auch wenn oder weil er nicht der leibliche Vater des Jungen war.
Als sie hier gestrandet waren, erschöpft von ihrem Weg nach Süden, weg von all´ den Erinnerungen, dem Verlust des Vaters, dem schier ewig andauernden Kampf um jeden Zentimeter des Lebens, um ihr Zuhause, - bis sie es dann doch verloren hatten, nahmen sie die Menschen auf Burg Juval warmherzig auf.
Zwei junge Menschen mit einem kleinen, blonden Säugling dabei und eine still gewordene Manuela. Niemand der zumeist dunkelhaarigen Tiroler Bergbauern störte sich an dem etwas seltsamen Aussehen des Jungen, das so gar nicht zum Erscheinungsbild der Eltern oder der Großmutter passte. Es gab Wichtigeres als die kleinen Unregelmäßigkeiten im Aussehen und Verhalten des Jungen, der von klein auf eine hohe Begabung für alles Musische, vor allem für das Klavierspiel an den Tag legte.
Als der Junge nun schüchtern am Flügel stand, so ganz allein auf der Bühne, mitten im Scheinwerferlicht, ertönte der Beifall für einen von ihnen, für ihr aller Wunderkind, auf das sie so stolz waren.
Der Junge setzte sich an das Instrument, klappte es auf und legte sich die Noten zurecht. Das Klavierkonzert von Tschaikowski wollte er spielen. Er wusste, dass es zum heutigen Anlass passte und er wusste ebenso, dass sich niemand mehr wunderte, dass dieses Werk ein Sechsjähriger Junge zum Vortrag brachte.

Stille herrschte auf dem Burghof, als der erste Anschlag erklang und sich seine zwölf Finger wie von allein über die Tastatur bewegten. Die Musik erfüllte den Hof, klang über das Tal und verkündete allen die Kunstfertigkeit des wahrscheinlich Letzten seiner Art.

 

 

 

 

 

 

 

-       ENDE -



                                

 

Impressum

1. Auflage

Copyright Alexander Rainer, Januar 2015

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