Kapitel 16 – Zeit der Ernte
Der Raps verblühte
und mit ihm verschwand der penetrante Geruch, den die Pollen in der
gesamten Gegend verbreitet hatten. Als feines Pulver lag das Zeug
überall und jeder Luftzug erzeugte einen feinen Nebel, der
besonders die aufregte, die auf dieses Zeug allergisch
reagierten. Ich war dagegen allergisch.
In dieser Zeit litt ich stets unter geschwollenen
Nasenschleimhäuten, was dafür sorgte, dass ich durch die Nase kaum
Luft bekam. Das Atmen fiel schwer. Jeder Luftzug wurde zu einer
Last, die man in sich aufnahm und speicherte und das in der
Hoffnung, dieses Zeug irgendwann wieder schnellstens los zu werden.
Im Normalzustand funktionierte das auch nach einiger Zeit unter
quälenden Hustenanfällen, doch der Normalzustand stellte sich von
Jahr zu Jahr mit wachsender Verzögerung ein. So sah sie eben aus,
die Karriereleiter eines Allergikers. Irgendwann war nun mal
Schluss.
Dieses Jahr fiel mir diese Zeit der Belastung leichter. Vielleicht
half das Wissen, dass es wohl das letzte Mal sein könnte, dass
gelbe Rapsfelder die Luft verpesteten. Was, wenn sich das Zeug nach
der Blüte selbst wieder aussäte? Ich mochte nicht daran denken. Mit
Erleichterung begrüßte ich jeden Regenguss, der den Pollenstaub von
den Dächern und vor allem von den
Rapsblüten wusch. Dann landete die gelbe Last in der Regentonne und
richtete keinen Schaden mehr an.
Entgegen der Befürchtung unseres Sohnes ließen uns die Städter in
Ruhe. Offenbar hatte die Anziehungskraft des Einkaufscenters seit
der Seuche merklich nachgelassen. Wie wir kannten auch die Anderen
die Reserven dieser Konsumtempel, - es gab nämlich keine.
Belieferung `just in time´ sorgte dafür, dass leicht verderbliche
Ware nicht hier gelagert worden war, sondern in den Kühl-LKW´s auf
Deutschlands Autobahnen. Dorthin verlagerte diese Art
der Belieferung die ehemals vorhandenen Lager.
Lager kosteten.
Kühlen kostete.
Der Transport kostete auch, aber den bezahlten die Kunden über den
Verkaufspreis.
Den Transportschaden, also die defekten Autobahnen und Straßen
bezahlten auch die Kunden, jedoch nicht über den Preis, sondern
über Steuern. Damit war der globale Handel aus dem Schneider und
`Otto Normalverbraucher´ der Dumme, was bedeutete, die Welt wieder
in Ordnung.
Wegen Nahrungsmitteln suchten wir also das Center nicht mehr auf,
weil es schlicht und ergreifend inzwischen dort keine mehr gab. Wir
bauten unsere Nahrungsmittel selbst an und ernteten inzwischen
unser eigenes Gemüse. Das machte richtig Spaß und vor allem, - es
schmeckte. Sobald eine persönliche Beziehung zu den Dingen
hergestellt werden konnte, änderte sich alles, vor allem die
Achtung vor dem Produkt, das da dem Boden entnommen
wurde.
Die frühere Teilung von – hier mein schwer verdientes Geld – und –
dort die irgendwoher stammende Ware, war mit einem Schlag
aufgehoben worden. Geld bedeutete nichts mehr, - die Ware alles. So
schnell stellte sich die Welt auf den Kopf. Es machte schon einen
gewaltigen Unterschied, wenn eben noch 1 Milliarde Menschen auf
Kosten von 6 Milliarden Menschen lebte und sich trotz aller noch so
medienwirksamen Beteuerungen einen Dreck darum scherte, wie es
diesen 6 Milliarden in ihrem Alltag erging und wie unser Leben das
Leben dieser Erzeuger prägte. Nun war diese 1 Milliarde auf einen
vernachlässigbaren Rest geschrumpft und musste sehen, wie sie
allein über die Runden kam.
Wir waren über die Runden gekommen. Das lag vor allem an der
Vorsorge, die sich jetzt auszahlte. Es war eben immer gut, wenn man
einen Plan hatte. Dadurch ersparte man sich spontane
Entscheidungen. Spontanität war nett, mehr aber auch nicht.
Spontanität bereitete dem Zufall den Boden und Zufälle konnten wir
nicht gebrauchen.
Aus diesem Grund verfolgten wir wieder einmal einen neuen Plan. Wir
bauten an unserer Festung!
Gerd hatte sich entschieden, mit seiner Familie zu uns auf den Berg
zu ziehen. Er wohnte jetzt im Haus der Kontschaks, also direkt
neben uns. Die ständigen Schießereien im Stadtgebiet hatten ihn
doch mehr und mehr beunruhigt und so suchte er Schutz in der
Gemeinschaft, was uns sehr freute, nicht nur, weil er ein prima
Kerl und Nachbar war, sondern weil er und seine Familie unsere Zahl
vergrößerte und damit unsere Überlebenschancen stiegen. Je größer
die Gemeinschaft, desto größer wurden Freiräume der Betreuung, wenn
beispielsweise jemand durch eine Erkrankung ausfiel.
Susanne und der Doc hielten sich nun noch mehr auf der Schaumburg
auf als in unserer Siedlung und so nahmen wir es ihnen nicht übel,
dass sie sich unseren Baumaßnahmen nicht anschlossen. So blieb es
bei den 2 Doppelhäusern, die wir nun anstelle des Zierzaunes am
Gehweg mit einer 2m hohen Wand aus mit Bohlen verstärkten
Sichtschutzelementen umgeben hatten. Auf die Krone dieser Wand
setzten wir eine Wendel des bei mir in zweiter Reihe vorhandenen
Rasierklingen-Drahtes.
Wir wussten nicht, was diese Maßnahme im Ernstfall bringen würde.
Tobias hielt natürlich nicht viel davon, machte aber mit, weil wir
es wollten und weil er ganz einfach seine Eltern unterstützen
wollte so wie früher, als er gemeinsam mit uns beiden auf unserer
Baustelle als 13-jähriger wie ein Mann geschuftet hatte.
So wie mir der nahe gelegene Baumarkt in der zeit davor wie ein Paradies erschienen war, so liebte ich diesen
Ort jetzt, da er uns all´ die Materialien lieferte, die wir für
unsere Festung benötigten. Die Zugänge zu den einzelnen Parzellen
sicherte die beste Verschlusstechnik aller Zeiten, - ein einfacher, schwenkbarer Querbalken. An den
vier Ecken dieser Einfriedung standen jetzt kleine Wachtürme, von
denen aus unser Anwesen auch nach außen hin übersehen, bewacht und
wenn nötig auch verteidigt werden konnte. Eine dicke
Balkenbalustrade bot hoffentlich ausreichenden Schutz gegen
Beschuss von außen.
Den Lärmschutzwall gegenüber hatten wir von Strauchwerk und Bäumen
bereinigt. Wer von dort aus etwas im Schilde führte, wurde von uns
nun sofort gesehen und konnte bekämpft werden.
Anstelle des früheren Zierzauns zur Straße hin umgab die
Grundstücke jetzt ein 1,8m hoher Zaun aus verschweißtem
Drahtgeflecht. Die Krone des Zauns bildete wieder die Rolle
aus Rasierklingen-Draht.
Früher hatten wir uns bemüht, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Unsere Existenz sollte möglichst verborgen bleiben. Jetzt wussten
die Anderen da draußen, dass hier der `Alte Mann vom Berge´ lebte
und dass der keinen Spaß verstand. Gewohnt, einfache Beute zu
machen, sollten die Anderen ruhig sehen, dass wir uns wehren
würden. Hier wartete keine einfache Beute.
Als letzte Zuflucht blieb uns für den Fall der Fälle
unser
Panik-Room, wie wir die ehemalige Tiefgarage des Hauses nannten.
Dieser Raum konnte vollkommen vom übrigen Haus isoliert und durch
die ohnehin bereits vorhandene Stahltür verschlossen werden. Um
hier nicht ausweglos eingesperrt zu sein, hatten wir die
aneinanderliegenden Garagen durch eine neue Verbindungstür
miteinander verbunden. So verblieb uns im Bedarfsfalle immer noch
eine letzte Fluchtmöglichkeit, von der ein bereits im Haus
befindlicher Angreifer nichts wusste.
Das musste reichen, dachten wir. Irgendwann war mal Schluss, dachte
und sagte Manuela und ich dachte es dann schließlich auch, -
widerstrebend.
Mahnen musste der ´Alte Mann vom Berge´ niemanden von uns. Die
häufigen nächtlichen Schießereien bewiesen allen, wie ernst die
Lage um uns herum war. Andererseits machte die handwerkliche Arbeit
Spaß und am Ende fühlten wir uns alle doch sicherer als
vorher.
In kleinen Gruppen fuhren wir nun hinaus, um die Ernte
einzubringen. Das Getreide stand gut. Unwetter hatte es nicht
gegeben und so füllten wir Beutel um Beutel nicht wie früher mit
Gartenabfällen, sondern mit Ähren dessen, was davor angebaut worden war und es schien uns egal zu sein, ob
es sich um Roggen oder Weizen handelte. Hauptsache, wir hatten dann
das Mahlgut, aus dem wir Fladen und Brot backen konnten, sowie das
Saatgut für das nächste Frühjahr.
So weit dachten wir inzwischen wieder und das war gut so. Wer sich
über das Heute freut, braucht sich um das Morgen keine Sorgen
machen. Wer aber nicht an das Morgen denkt, dem ist im Heute nur
eine kurze Freude beschieden! War das von mir? Ich wusste es nicht.
Jedenfalls stimmte es. Allmählich kehrte wieder Lebensfreude
ein.
Es fehlte dazu nur noch Lana und die lebte immer noch im Schloss.
Obwohl wir keinen direkten Kontakt zu ihr herstellen konnten,
sorgte Tobias durch seine regelmäßigen Besuche bei Anke dafür, dass
wir ausreichend informiert waren. Es musste ein ziemlich
langweiliges Dasein sein, welches Lana seit mehreren Wochen dort
oben fristete. Vom Dach unseres Hauses konnten wir hinüber zur
Stadt und zum Schlossberg mit dem gewaltigen Gebäude darauf blicken
und dann weilten unsere Gedanken bei ihr.
Irgendwann hörten die nächtlichen Schießereien auf. Zunächst nahmen
wir das gar nicht mal so deutlich wahr, derartig hatten wir uns an
die nächtliche Ballerei bereits gewöhnt. Als dann schließlich die
Ruhe für mehrere Tage anhielt, wunderten wir uns schon. Immerhin
bedeutete dies, dass sich in der Stadt etwas verändert hatte. Hatte
plötzlich die Vernunft gesiegt und war Friede zwischen den
streitenden Parteien eingekehrt? Wohl eher nicht. Nach allem, was
wir immer wieder von Anke erfahren hatten, befanden sich ihre
Brüder inzwischen in einem
hoffnungslosen Kampf gegen die Nordgang.
Sie konnte sich nicht erklären, was die andere Seite dazu bewog,
derart verbissen um ein Stadtgebiet zu kämpfen, in dem es doch
mittlerweile so gut wie nichts mehr zu holen gab, was eine größere
Clique wie diese Gang interessiert hätte. Ihre Brüder konnten das
übrigens auch nicht. Trotzdem wehrten sie sich. Eigentlich
ging es nur um das uralte Spiel – Meins und Deins – und sie hielten
an dem Ihren fest wie an einem Spielzeug, das einen Kind weg
genommen werden sollte.
Alles, was mit der Nordgang zu tun hatte, interessierte uns
inzwischen immens. Tobias hatte absolut Recht damit, dass wir
irgendwann ebenfalls Ziel solcher Auseinandersetzungen sein würden.
Eigentlich rechnete ich jeden Tag mit einem Kontakt zu diesen
Leuten und wunderte mich allmählich schon, dass dieser noch nicht
zustande gekommen war.
Irgendwas ging da vor sich, von dem wir nichts wussten. Jemandem,
der wie ich gern alle Schritte im Voraus zu planen wünschte, jagte
das eine gehörige Angst ein. Ich wusste nicht, mit wie vielen
Gegnern wir es dann zu tun hätten. Was ich aber genau wusste war,
dass wir hier zu wenige waren, um den Anderen etwas entgegen setzen
zu können, wenn diese es wirklich ernst meinten.
Bisher meinten sie gar nichts. Jedenfalls ließen sie uns in Ruhe.
Das resultierte sicher nicht aus Respekt vor unserer
Wehrhaftigkeit. Leuten, die sich durch Plünderungen am Leben
erhielten, bedeutete Respekt nichts, wenn er ihren Zielen im Weg
stand. Ich ahnte etwas anderes. Wir waren für die da schlicht und
ergreifend uninteressant! Das war es!
Wie lange reichten unsere Reserven für einen zusammengewürfelten
Haufen von gewalttätigen Männern, die in ihrem Wesen auf den
Zustand eines Zeitalters vor jeder Art von Zivilisation
herabgesunken waren? Jedenfalls nicht allzu lange.
Was sollte dann der Aufwand?
Weshalb einen Kampf auf längere Distanz führen, der im Siegesfalle
nichts an der bestehenden Situation änderte?
Alles, was es bei uns zu holen gab, existierte in deren Umkreis
ebenfalls.
Ich witterte Strategie dahinter. Es musste einen Kopf hinter den
Aktionen der Nordgang geben, der alles steuerte. Ohne diesen Kopf
zerfiel doch sonst ein Haufen dreinschlagender Idioten innerhalb
weniger Tage, indem sie sich selbst die Schädel einschlugen.
Derjenige, der das bisher verhindert hatte, musste intelligenter
als die anderen sein und brutaler, um sich auch körperlich
durchzusetzen, - so eine Art Wolf Larson aus „Der Seewolf“, stellte
ich mir vor.
Dieser Anführer war bisher immer im Hintergrund geblieben. Für die
Drecksarbeit hatte er seine Leute. Doch was sollte das Rätselraten?
Das brachte nichts und zermürbte nur.
Inzwischen hatten wir unsere Vorräte soweit aufgefüllt, dass es für
alle über den Winter bis hin zur nächsten Ernte, die dann unsere
eigene sein würde, reichen sollte.
Wenn ich jetzt an Berichte von früher dachte, in denen es um den Verbrauch von Nahrungsmitteln
oder anderen Gütern pro Person und Jahr gegangen war, dann
erinnerte ich mich an das damals eintretende
Erstaunen über die Unmengen, die dabei angeführt wurden. Das zu
bevorraten, schien mir so gut wie unmöglich und jetzt hatten wir es
getan, - jeder für sich und nach seinen Lagermöglichkeiten. Säcke
nähten die Frauen aus der Bettwäsche, die in den Schränken der
anderen Häuser lag. Damit keine Feuchtigkeit die Körner verdarb,
lief in den Lagerräumen täglich für mehrere Stunden ein
Entfeuchter. Wir würden früh genug sehen, ob das ausreichend
war.
Alles sah nach einem sonnigen Herbst aus. Sonne, - dass hieß
Energie und die Speicher waren gut gefüllt. Alles funktionierte
prima und ich war zu diesem Zeitpunkt richtig stolz auf mich und
meine Technik. Jetzt, wo Gerd als ehemaliger Elektriker mein
Nachbar war fürchtete ich auch nicht mehr Ausfälle in der
elektrischen Anlage, die ich möglichst selbst nicht
anrührte.
Jeder Mensch hatte was, wovon er einfach nichts verstand und
bei mir war das bis auf triviale Reparaturen alles, was mit Strom
zu tun hatte. Davor steckte in mir ein Heiden-Respekt und das war
auch gut so. Mit Strom sollte man nicht spaßen.
Der Winter konnte kommen, dachte ich mir, während ich unseren
Garten abschritt. Ich freute mich jedes Mal, wenn alles aussah wie
geleckt.
Genau in diese zufriedene Stimmung des anbrechenden Abends fielen
kurz hintereinander zwei Schüsse. Das war so lange nicht mehr
passiert, dass ich regelrecht zusammenzuckte. Manuela musste das
ähnlich ergangen sein, denn sie stürzte sofort auf die Terrasse, um
mich zu fragen, ob sie richtig gehört hatte. Sie hatte richtig
gehört und wir konnten uns beide keinen Reim darauf machen, was da
in der Stadt wieder passierte. Die Hoffnung auf Frieden schien doch
nicht aufzugehen.
Diesmal war jedoch alles anders als noch vor wenigen Wochen. Früher
wurde das Feuer der einen Seite immer wieder erwidert. Dabei
handelte es sich ausschließlich um Handfeuerwaffen. Das konnten wir
inzwischen deutlich unterscheiden. Gewehre hallten viel lauter zu
uns herauf. Diesmal war aus einem Gewehr gefeuert worden aber
niemand schoss zurück. Nach den zwei Schüssen blieb es still und
diese Stille hielt bis zum nächsten Morgen an.
Trotz unserer Warnungen machte sich Tobias wieder auf seine
Info-Tour zu Anke auf den Weg. Die Schüsse von Vortag nahm er nicht
so ernst. Gegenüber dem, was vorher abgegangen war, mutete das
bisschen vernachlässigbar an. So fasste er das auf. Er hatte nun
mal so eine Frohnatur. Ich hingegen blieb dann eher der Typ,
der in solchen Situationen vorsichtshalber „die Zugbrücke“
einholte. Als er dann am frühen Nachmittag, viel eher als sonst
üblich, zurückkehrte, wurde alles anders.
Die Jungs waren erschossen worden! Ihnen hatten die Schüsse
gegolten und die hatten gesessen. Anders als zu vorangegangenen
Schusswechseln hatte es diesmal gar keinen Kontakt der verfeindeten
Gruppen gegeben. Sie überprüften ihr Revier und liefen prompt in
den Hinterhalt, den man ihnen gestellt hatte.
Anke hatte die Schüsse gehört und wusste sofort, dass etwas
passiert sein musste. Auf ihr Drängen hin suchte Tobias dann die
Stadt ab und fand beide nebeneinander an der Brücke über den
Fluss.
Hier gab es ein prima freies Schussfeld für jemanden, der sich auf
die Bahnüberführung auf der anderen Seite legte und über die
richtige Waffe verfügte. Das traf offensichtlich zu. Jeder von den
Brüdern war auf der Stelle tot gewesen. Beide Male Kopfschuss. Der
Schütze verstand sein Handwerk und das war das Neue!
Irgendwie musste sich die Nordgang ein weit tragendes Gewehr mit
Zielfernrohr beschafft haben. Das änderte die bisherige Situation
mit einem Schlag. Jetzt gehörte die Stadt ihnen!
Tobias machte, dass er von der Brücke fortkam, informierte noch
Anke, dass da nichts mehr zu retten gewesen war und machte sich
umgehend auf den Weg nach Hause.
Wir hörten ihm gebannt zu. Ich hatte schnell Gerd und dessen Frau
hinzu gebeten, denn nun konnte es auch für uns ernst werden. Wenn
die Anderen über einen Scharfschützen verfügten, konnte sich
tagsüber niemand mehr sicher sein, nicht ins Visier zu geraten. Mit
einem Schlag war unsere so angenehme, wieder zurück gekehrte
Unbekümmertheit dahin. Wir nahmen uns vor wieder vorsichtiger zu
sein und mehr auf unsere nähere Umgebung zu achten. Auch wenn ich
versuchte, mit meinen Argumenten die allgemeine Furcht vor einem
Anschlag zu besänftigen, fassten wir den Entschluss, auf dem den
Häusern gegenüberliegenden Lärmschutzwall einen Beobachtungsposten
einzurichten. Von dort aus konnte die Straße und die Zufahrt zum
Center sowie der Hang zur Stadt hin eingesehen werden. Allerdings
würde jemand, der sich unserer Siedlung näherte ebenfalls den
Beobachtungsposten sofort entdecken und sich dementsprechend
verhalten. Deshalb richteten wir den Ausguck so ein, dass
wenigstens unser Beobachter von außen nicht zu erkennen
war.
Eigentlich sah das Ding dann aus wie eine übergroße Tonne,
gefertigt aus dicken Holzbalken mit Schlitzen darin. Es hatte etwas
Mittelalterliches an sich. Eine Blechverstärkung besaßen wir nicht.
Deshalb setzten wir auf Dicke und hofften, das es ausreichen würde.
Alle mussten mitmachen, da drei Männer einen
24-Stunden-Dienst auf Dauer nicht durchhalten würden. Der Doc
befand sich ohnehin mehr auf der Schaumburg als in unserer
Siedlung.
Gerd hatte irgendwoher ein Signalhorn besorgt, auf dessen Signal
alle in die Häuser stürzen würden.
`Zu den Waffen! Zu
den Waffen!´
Das war besser gesagt als getan. Wir verteilten das, was wir
besaßen auf die drei Häuser und harrten dann der Dinge die von nun
an kommen würden. Nichts ist grässlicher als Warten!
Die nächsten Tage vergingen und nichts passierte, bis uns im
Morgengrauen ein Schuss aus dem Schlaff riss. Alle waren sofort
draußen. Wir standen beieinander und diskutierten, denn keiner
konnte sich erklären, was nun dort drüben in der Stadt vor sich
ging. Die Brüder lebten nicht mehr und die Überlebenden in der
Siedlung hinter der Tankstelle meines Bruders besaßen unseres
Wissens nach keine Schusswaffen.
Gegen Abend gab es dann einen gewaltigen Knall. Das hatte nichts
mehr mit einem Schuss zu tun. Das war eine Explosion gewesen. Wie
zur Bestätigung stand über der Südstadt wenig später eine gewaltige
Rauchsäule, die offensichtlich von einem starken Feuer genährt
wurde. Mehrmals hintereinander folgten nun erneut heftige
Explosionen, die Rauchwolken in den Abendhimmel bliesen. Mit der
untergehenden Sonne sahen wir von den Dächern unserer Häuser aus
die Flammen darunter lodern. Ich wusste sofort was da brannte, -
die Tankstelle meines Bruders!
Gebannt sahen wir der Feuersbrunst zu, die sich auf die Explosionen
hin ausbreitete.
Es brannte die ganze Nacht. Am Morgen stand immer noch eine
Rauchwolke über der Südstadt. Es war gespenstisch und ernüchternd
zugleich. Niemand löschte. Niemand kämpfte gegen die Flammen und
verhinderte deren Ausbreitung. Niemand flüchtete. Kein Geschrei,
keine Aufregung, keine Feuerwehr, keine Sirenen, - Nichts! All´ das
wäre früher eingetreten.
Heute passierte es einfach und alles ringsherum hatte es passiv zu
ertragen, bis es sich von selbst erledigt hatte.
Der Brand erfasste die Nachbarhäuser und breitete sich über die
ausgetrocknete Vegetation aus, bis er die Hauptstraßen erreichte,
die dann den Brandherd begrenzten. Ein ganzes Stadtviertel brannte
einfach so ab.
An einem der folgenden Tage tauchte dann Anke bei uns auf. Sie
hatte sich ein Fahrrad besorgt und sich auf den Weg zu uns gemacht.
Dass sie allein hier aufkreuzte war neu. Selbst Tobias, den sonst
nichts so leicht aus der Ruhe bringen konnte, war völlig aus dem
Häuschen, als er seine Cousine am Zaun stehen sah.
Auch Anke wirkte sehr aufgeregt. Ihr Atem ging schwer. Sie schien
schnell gefahren zu sein, obwohl dazu überhaupt keine Veranlassung
bestand. Das war eine der guten Seiten der Zeit danach, wir hatten im Prinzip für alle Dinge alle Zeit der Welt.
Unser Leben wurde davon bestimmt, etwas zu erledigen, das notwendig
war und nicht, weil es zu irgend einer Zeit fertig zu sein hatte.
Das nahm allem die Hast, die unseren Alltag früher ständig bestimmt hatte.
„Alles ist aus!“, platzte sie heraus, als wir zu ihr
eilten.
Wir versuchten, sie zu beruhigen. Das gelang uns aber nicht. Es
brauchte nicht lange, bis wir verstanden hatten, dass die Zeit der
Ruhe beendet worden war.
Mein Bruder, ihr Vater war tot.
Sie sagte uns das genauso emotionslos, wie sie auch sonst
danach von ihm
gesprochen hatte. Das Ende ihrer Brüder hatte sie viel mehr
mitgenommen. Mit ihnen verschwand ein Bestandteil ihres Lebens, der
sie an früher erinnerte, an
eine Kindheit als ältere Schwester, die für die Kleinen sorgen
musste, wenn die Eltern auf Arbeit weilten. Sie hatte aufzupassen,
damit die Zwillinge keinen Blödsinn anstellten und sie stellten
ununterbrochen Blödsinn an. Wenigstens musste sie sich deswegen
keine Vorwürfe ihrer Eltern anhören. Der Vater vertrat ohnehin die
Meinung, dass die Jungs aus irgendeinem unerfindlichen Grund
missraten seien und dass der Teufel in ihnen steckte.
Eine alte Weisheit besagte, - Schaue in die Augen eines neu
geborenen Kindes und Du blickst in die Augen Gottes - . Alles, was
später passierte, geschah nicht etwa aus angeborener Bosheit oder
Blödheit, sondern rein aus dem Einfluss der Umgebung heraus. Das
hatten weder Andreas noch unser beider Vater jemals
begriffen.
Beide hatten ihren Jähzorn an den wehrlosen Kindern ausgetobt, an
mir mehr, als an meinem Bruder und er trat voll in die Fußstapfen
unseres Vaters, in dem er dessen zerstörerisches Erziehungswerk an
seinen Jungs fortführte. Nachdem dieses Werk dann seine Früchte
trug, trug natürlich irgendein Teufel die Schuld daran, nur nicht
er selbst. Dann kamen solche hochintelligenten Sprüche wie -...von
mir haben die das nicht!-, was nun wirklich die Spitze
unglaublicher Einfalt war.
Dennoch entwickelten sich die Jungs entgegen aller Voraussagen viel
besser und anständiger, als das vom eigenen Vater jemals
vorausgesehen worden war, bis die Pandemie diese Entwicklung
beendete.
Die große Schwester hatte an ihren Brüdern gehangen. So verrückt
sie als kleine Jungs gewesen waren, stellten sie neben der Mutter
doch alles dar, was sie für Familie hielt. Diese Familie war mit
dem Ende der Jungs ausgelöscht worden. Der Tod des Vaters schloss
die Sache ab, mehr nicht.
Wütend und verletzt in seiner nun als Krüppel beendeten
Mannesehre gab er sich in den letzten Wochen alle Mühe, den Rest
der noch im Shop der Tankstelle vorhandenen Spirituosen leer zu
saufen. Die Jungs bewahrten ihn Tag für Tag davor, sich zu Tode zu
trinken. Außerdem verhinderte ihre Anwesenheit Übergriffe seitens
der Clique in unmittelbarer Nachbarschaft, die von ihnen immer
wieder brüskiert worden war.
`Gold oder Weiber!´, - das hatten sie ihm nie
vergessen.
Der Tod der Jungen beendete den Schutz des Vaters, der in seiner
Tankstelle nur noch vor sich hin vegetierte. In der Nacht waren sie
eingedrungen, überwältigten ihn und hängten ihn kurzerhand an einem
der in der Nähe befindlichen Kastanien auf. Danach tobten sie ihren
vermeintlichen Sieg über den alten Feind mit dem Alkohol aus, den
ihnen Andreas übrig gelassen hatte.
Als dann alle so richtig schön besoffen waren, kamen sie auf den
tollen Gedanken, mit Andreas auch alles auszulöschen, was mit ihm
zu tun hatte. Also zündeten sie seinen Shop an, völlig ignorierend,
dass sich in unmittelbarer Nähe die Tankanlage mit immer noch
Tausenden von Litern Kraftstoff befand. Als die in die Luft flogen,
nahm deren Explosion auch einige der Clique mit sich.
Danach herrschte nun Ruhe an einem der letzten Brennpunkte der
leeren Stadt, die von nun an der Nordgang gehörte.
Jetzt erfuhren wir auch den Hintergrund der vereinzelten Schüsse
nach dem Ende der Zwillinge und meine Ahnungen bestätigten sich.
Die Schüsse hatten den Wächtern im Schloss gegolten. Völlig
ahnungslos erwischte es in der ersten Nacht der folgenden Attacken
auf die Unit die zwei Torwächter.
Es kam zu keiner offenen Auseinandersetzung. Wie bei den Zwillingen
hatte sich die Nordgang ihr Vorgehen vom offenen Angriff auf den
Hinterhalt verlegt. Die Änderung der Möglichkeiten veränderte die
Taktik des Vorgehens und hier war es lediglich ein
Präzisionsgewehr, welches die gesamte Situation im Stadtgebiet
verändert hatte.
Auch wenn sich die Wächter nach den ersten Todesfällen vorsahen,
war das Ende einer Institution, des Wächters, der seine Funktion
als Posten nicht mehr wahrnehmen konnte, absehbar. Wenn sich
die Wächter zur Bewachung des Schlosses nicht mehr vor die Tür
trauten, konnten sie dieses auch nicht mehr richtig bewachen. Und
der Scharfschütze wurde dreister. Er hatte sich in den gegenüber
liegenden Häusern eingenistet und wechselte täglich seine Position.
Hatten ihn die Wächter in den ersten Tagen noch dort gesucht,
versteckten sie sich jetzt nur noch.
Die Unit starb.
Seit Lanas Eintritt in die Gemeinschaft war inzwischen genügend
Zeit vergangen, um den letzten Beweis anzutreten, dass die
ursprünglichen Annahmen über die Ursache der Fehlgeburten unter den
immunisierten Schwestern aus der Zeit davor offenbar der Wahrheit entsprachen. Alle Schwestern
hatten ihre `Kinder Noahs´ verloren, nicht nur hier in der Unit,
nein, in allen Units! Die Verzweiflung unter den Frauen, bis hin zu
den Oberinnen war derart groß, dass sie sich nicht einmal mehr
bemühten dies auch vor den noch verbliebenen wenigen äußeren
Betreuern zu verbergen.
Alles, was sie der Welt angetan hatten, entsprach dem Irrglauben,
mit den Mitteln einer angeblich beherrschbaren Genetik eine bessere
und vollkommene Welt zu begründen. Dieser Wahnsinn fiel nun auf sie
selbst zurück. Die absolute Steuerung entglitt ihren Händen. Die
Schwestern konnten kein neues Leben mehr begründen und die Neuen
stellten nicht mehr dar, als den spärlichen Rest des untauglichen
Versuchs, Gott zu spielen.
- Shit happens – und es war passiert.
Die Angriffe der Nordgang auf die Wächter lösten die Entscheidung
aus, die Unit in Reichenfels aufzugeben. Sie würden sich
zurückziehen, - überall, an allen Standorten, um einen neuen,
einsamen `Hort des Lebens´ auf heiligem Heimatboden zu begründen,
an dem die verbliebenen `Kinder Noahs´ aufwachsen sollten. Zu
diesem Zweck würden alle schwangeren Schwestern, deren gesunder
Empfängnis man sich nun sicher war, aus den Units evakuiert und in
die Heimat verbracht. Die technischen Möglichkeiten hierzu standen
ihnen immer noch zur Verfügung. Es würde ein Rückzug
sein, - die Implosion auf einen kläglichen Rest.
Anke wusste nicht, wann dies stattfinden sollte. Die Angriffe auf
die Wächter beschleunigten jedoch die Auflösung. Am Tag des
Abtransports würden wir Lana verloren haben, denn sie würden sie
als einen der so selten gewordenen Träger neuen Lebens für `Noahs
Kinder´ mit sich nehmen. Danach gab es keine Möglichkeit einer
Wiederkehr mehr.
Das machte Tobias nahezu wahnsinnig. Sie hatten sich das so einfach
vorgestellt. Hingehen, einpflanzen lassen, eine Zeit lang Mitglied
spielen und dann abhauen und das Kind mit sich nehmen. Schwierig
oder nicht schwierig, das spielte bei diesen Überlegungen nicht die
geringste Rolle. Es hatte schon etwas infantiles, anzunehmen, dass
immer alles so laufen würde, wie man es sich einfach so ausgedacht
hatte. Pläne waren stets auch dazu da, um schief zu
gehen.
Nun drängte die Zeit. Jetzt stand alles auf dem Spiel. Wir, die
bislang lediglich beobachtetet hatten,was da unten in der Stadt vor
sich ging, mussten handeln.
„Siehst Du eine Chance, Lana da raus zu holen?“, fragte ich Anke.
„Ich möchte da nicht reingehen und Gewalt anwenden.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Wird auch nicht viel Sinn haben“, gab sie zu bedenken. „Die
Wächter sind schwer bewaffnet und was habt ihr?“
Sie hatte recht. Wenn ich so unsere Möglichkeiten durchging,
besaßen wir gegen Männer mit automatischen Schusswaffen mit unserem
Bisschen nicht die geringste Chance.
„Stimmt, das können wir vergessen“, sagte ich. „Wenn es um Gewalt
gegen Gewalt geht, ziehen wir den Kürzeren. Wie viele Wächter gibt
es denn noch?“, wollte ich wissen.
„Jetzt sind es nur noch vier“, antwortete sie. „Alle anderen sind
beim Wachdienst am Tor erschossen worden.“
„Haben wir gehört“, meinte ich. „Aber auch gegen vier haben wir
keine Chance. Es muss anders gehen.“
Tobias hatte sich
während unseres Gespräches erhoben und lief aufgeregt hin und
her.
„Wir können sie nicht dort lassen“, sprach er besorgt. „Wenn die
sie mitnehmen, sehe ich sie nicht wieder. Das lasse ich nicht
zu!“
„Beruhige Dich“, redete ich auf ihn ein. „Wir finden schon eine
Lösung. Wenn alle Stränge reißen, gehe ich einfach rein und fordere
ihre Herausgabe und fertig!“
„Als ob die auf Dich warten“, meinte Tobias bissig. „Die denken nur
noch an sich. Die wollen sich in Sicherheit bringen. Inzwischen
fürchten sie jede Nacht, in der sie von der Nordgang belauert
werden. Du bist denen doch scheißegal.“
Jetzt mischt sich Anke wieder ein.
„Vielleicht wird alles ganz einfach“, meinte sie. „I c h werde Euch
helfen!“
„Und wie soll das aussehen?“, fragte Tobias und traute ihr dabei
nicht allzu viel zu.
Sie lächelte. „Ihr seid Fremde für sie. Mich kennen sie und zu
einem gewissen Grad vertrauen sie mir. Schließlich kümmere ich mich
seit ½ Jahr um die Schwestern. Dass die ganze Aktion letztendlich
scheiterte, ist nicht meine Schuld. Ich bin eine gute Deutsche. Ihr
gehört zu denen da draußen und alles was draußen ist, gehört für
Noahs Kinder zum Bösen. So einfach denken die.“
„Bescheuerte Amis!“, entfuhr es mir.
Ich musste
unwillkürlich an die Jahre denken, in denen ich selbst mal ein Ami
werden wollte. Das alles kam mir so unendlich weit weg vor, so als
gehöre es einem fernen Zeitalter an und irgendwie stimmte das ja
auch. Damals hatte ich fast alles dazu fertig eingefädelt, um
diesen Schritt auch in die Tat umzusetzen. Alles schien perfekt
kalkuliert. An so was wie eine Finanzkrise, die dann später alles
gehörig durcheinanderwirbelte, dachte damals niemand.
Wichtige Schritte beschlossen wir immer gemeinsam. Deshalb
machten Manuela und ich einen längeren Urlaub in den USA und
bewegten uns dort auch mal in Gegenden, die nicht so häufig von
Touristen aufgesucht wurden. Das rückte unseren Kopf schnell
zurecht. Zu dieser Zeit besuchten wir beide ein
Finanzierungsseminar, für Leute, die in den USA Immobilien erwerben
wollten, um so ihr Geld anzulegen. Was wir in diesem Seminar über
deren uns geradezu mittelalterlich anmutende
Vergleichsrechtsprechung, Finanzierung, Kreditwesen und
erforderliche Serviceleistungen erfuhren, korrigierte unsere
Meinung derartig, dass diese Option nach diesem Urlaub nie wieder
einen Gedanken wert sein sollte. Im Gegenteil! Von der rosaroten
Brille, durch die ich unsere Zukunft dort immer gesehen hatte,
wandelte sich meine Sichtweise mehr und mehr zu einer realistischen
und eher kritischen Betrachtungsweise, die mich immer stärker davon
entfernte, Bürger dieser angeblich besten aller Nationen zu
werden.
„Entschuldigung“, sagte ich trotzdem. „Ist mir so herausgerutscht.
Sind wir für die schon wieder mal Nazis?“
Diese Frage war gar nicht so abwegig. Für einen Großteil der, sagen
wir einmal `einfachen Menschen´ dort hatte sich seit dem
Zweiten Weltkrieg am
schlechten Bild des Deutschen nichts geändert. An alten Vorurteilen
hielten sie gern fest.
Nur sie machten alles richtig, - natürlich. An diese Sichtweise
eines Inselbewohners würde ich mich nie gewöhnen können. In
gewisser Weise waren sie da drüben Inselbewohner. Bis auf die für
sie vernachlässigbaren Kanadier umgab sie nur Chaos, Dreck und
Verbrechen. Dabei existierte das alles längst im eigenen Land.
Spätestens seit der Lehmann-Pleite war das Land fertig. Sie wollten
es nur nicht wahr haben, auch wenn sie es längst wussten.
„So weit würde ich nicht gehen“, erwiderte Anke. „Sie fühlen sich
in die Enge getrieben. Da kann es schon mal zu Überreaktionen
kommen.“
„Wie bitte?“, erboste sich Tobias. „Nachdem, was die der Welt
angetan haben, fühlen die sich in die Enge getrieben? Ist ja
Klasse! Mir kommen gleich die Tränen. Von mir aus können Deine
´Kinder Noahs´ zum Teufel gehen, aber ohne Lana!“
„Bleib´ ruhig“, sagte Anke. „Ich kriege das schon hin, - ganz ohne
Gewalt. Vertraut mir.“
Wir sahen uns ratlos an. Was sollten wir auch anderes machen, als
ihr zu vertrauen? Mit einer Schrotflinte und zwei Pistolen gegen
Maschinenpistolen, - das war Wahnsinn! Trotzdem waren wir zu allem
bereit. Sie würden Lana nicht mit sich nehmen!
Da wir weder den genauen Zeitpunkt, noch die Art und Weise des
Abzugs der Unit aus dem Schloss kannten, musste einer von uns
ständig vor Ort sein, um die anderen zu benachrichtigen. Anke
konnte kein Wechselsprechgerät mit sich nehmen.
Das wäre am Eingang zum Schloss sicherlich aufgefallen.
Tobias übernahm die erste Wache und ließ uns wieder mal in
Aufregung zurück.