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DER TEUFEL UND DER
ENGEL IM AUGE DES STURMS
Es war bereits Abend, als der Schutzengel im Fischereihafen der Kapverdischen Hauptinsel São Vicente niederging. Der Teufel war schon da. Er gab sich anlässlich der erneuten Begegnung mit Sulo Auvinen freudig überrascht und versuchte sich damit herauszureden, dass die jüngsten Ereignisse ein pures Versehen gewesen seien. Er sei nicht so durch und durch schlecht, dass er Frauen und Kinder einfach mir nichts, dir nichts aus dem Flugzeug schmeiße.
»Na gut, glauben wir es, Versehen passieren schon mal.«
Rauno Launonen brannte darauf, das Schiff zu besteigen, die japanische MS Maru Shinjugu, deren Zielhafen Rio de Janeiro in Brasilien war.
»Nicht so hastig, lass uns erst die Startvorbereitungen treffen.«
Der Teufel beklagte, dass es im Hafen nach verfaultem Fisch stank, er sehnte sich nach dem frischen Wind auf dem Ozean. Feuerland wartete.
Sulo Auvinen machte sich daran, für Launonen besonders kräftigen Rückenwind zu fabrizieren. Man befand sich vor dem westlichen Afrika und im Einflussbereich der Sahara. Es war einfach, den Luftdruck so zu verstärken, dass aufsteigende Luftströmungen und unter ihnen Quellwolken entstanden. Die Folge war ein heftiges Gewitter, es donnerte, blitzte und goss in Strömen. Da die Luftmassen über der Meeresoberfläche heiß waren, stiegen sie rasch auf und wirbelten von West nach Ost, also im entgegengesetzten Uhrzeigersinn. Durch das Unwetter verstärkten sich die Luftströmungen noch mehr, und es entwickelte sich ein Sturm, der aufs offene Meer hinauszog. Zur selben Zeit verließ das japanische Frachtschiff den Hafen, um nach Brasilien zu fahren. Der Wetterbericht warnte nicht vor dem aufziehenden Sturm, den Sulo Auvinen gerade erst hatte entstehen lassen. Das japanische Schiff traf also keine Vorsorge, sondern fuhr hinaus im Vertrauen auf die früheren Wetterprognosen. Launonen huschte im letzten Moment an Bord, er kroch in ein Rettungsboot und versteckte sich unter der Plane. Sulo Auvinen flog über dem Schiff und behielt den draußen bereits wild tobenden Sturm im Auge.
»Es stürmt ziemlich heftig«, rief der Teufel, indem er die Plane lüftete.
»Das ist erst der Anfang«, antwortete Sulo von oben.
Sulo Auvinen fand es spannend, aus einem gewöhnlichen Gewitter einen richtigen Orkan zu entwickeln. Wenn der Luftstrom erst mal im Gang war, bewegten sich die Wirbel immer schneller, und gleichzeitig verbreiterte sich der Ring des rotierenden Sturms, eine Stunde später bedeckte er bereits dreißig Kilometer. In der Nacht verbreiterte sich das Zentrum des Sturms auf hundert Kilometer, die Windgeschwindigkeit stieg auf fünfzig Knoten. Die Wellen waren mehr als zehn Meter hoch. Im Zentrum des zu einem Orkan anschwellenden riesigen Kessels war es fast ruhig, es war das Auge des Sturms. Der Teufel lag im Rettungsboot, ohne Böses zu ahnen.
Im Morgengrauen wurde der Sturm so wild, dass die Wellen mehr als fünfzehn Meter hoch schlugen. Sie brachen sich an Deck des Frachtschiffes und zerrissen die Trossen, mit denen das Rettungsboot befestigt war. Das Boot wurde von den Wassermassen ins Meer gerissen, und mit ihm der finnische Teufel. Die Wellen warfen Launonens Boot hin und her. Der Teufel lugte unter der Plane hervor, er war vor Angst außer sich. Er beschwor alle existierenden Teufel, ihm zu Hilfe zu eilen, aber im tobenden Orkan waren keine hilfreichen Artgenossen zu sehen. Schließlich betete er sogar weinend zu Gott und zu Jesus. Auch sie eilten nicht herbei, um den Unglücklichen zu retten.
Sulo Auvinen schwebte über dem Rettungsboot, stolz wie ein riesiger Sturmvogel. Er bot einen prachtvollen Anblick, wie er da mit ruhigen Schlägen seiner schwarzen Flügel über dem tobenden Meer dahinglitt. Launonen weinte und redete auf ihn ein, die Winde zu beruhigen. Der Schutzengel kannte keine Gnade. Erst drei Tage später dämpfte er den Sturm, der inzwischen bereits die Karibik erreicht hatte.
Der Leichnam des Teufels wurde in einem kleinen Fischerdorf am Südufer von Haiti angeschwemmt. Das Rettungsboot war zerbrochen und verschwunden. Wenn Rauno Launonen schon lebend nicht gut ausgesehen hatte, so bot er zerschmettert und aufgequollen einen ganz furchtbaren Anblick. Nur an einem Fuß steckte noch ein vom Salzwasser aufgeweichter Stiefel, der große Zeh des anderen Fußes war gebrochen und traurig umgeknickt. Die Stiefelhose war heruntergerutscht, der rechte Arm hatte sich komplett selbstständig gemacht.
Die ortsansässigen Fischer bekreuzigten sich viele Male, als sie den scheußlichen Kadaver auf der nahen Müllhalde zwischen den Fischabfällen vergruben, ohne dass sie es fertiggebracht hätten, die Behörden über den widerwärtigen Fund zu informieren.
Aarettis antiquarisches Büchercafé in der Mechelininkatu war wieder geöffnet, und oben auf dem Haus waren die Arbeiter dabei, das neue Blechdach anzustreichen. Oskari Mättö und Fräulein Nuutinen waren nach Joensuu gezogen. Wie es schien, wurde hier kein Schutzengel mehr gebraucht.
Viivi und Aaro planten einen Ausflug zur Ruskazeit in den Norden. Viivi stellte es sich toll vor, wenn sie in Lappland das Gold für die Ringe auswaschen könnten. In Savukoski gab es keinen Goldfluss. Dafür gab es jedoch den Ivalojoki und den Lemmenjoki. Über dieses Thema kam es zwischen den beiden fast zum ersten richtigen Streit.
Der Teufelstöter Sulo Auvinen drang in beider Köpfe gleichzeitig ein und versprach, im Värriöjoki tausend Kilo Goldsand auszustreuen. Für einen Engel, der höhere Positionen erreicht hatte, war diese Art Freigebigkeit ein Klacks.
»Das Goldfieber vom Värriö ist nur mehr eine Zeit- und eine Glaubensfrage.«
Sulo Auvinen beschloss, nach Kerimäki zu fliegen und sein Amt als Chef der Tausend Schutzengel anzutreten. Während er sich auf seine mächtigen Schwingen erhob, plante er glücklich, wie er den Schutz des finnischen Volkes im neuen Jahrtausend und vielleicht auch noch im nächsten regeln würde. Urlaub könnte er vielleicht irgendwann im Jahre 5000 machen, wenn überhaupt.
Als er sich über dem Friedhof von Hietaniemi in stolze Höhen schwang, entdeckte er zwei Engel mit weißen Flügeln, die gerade aus der Höhe herunterschwebten. Amalia Karhunen und Elsa Suhonen!
Das Wiedersehen war wunderbar. Alle drei setzten sich auf Kekkonens Grab. Ein wenig schüchtern sahen die Frauen ihren Fliegerhelden an. Was für eine Erscheinung, alles, was recht war. Sie äußerten eine persönliche Bitte:
»Wir sind gekommen, um dich zu unserer Beerdigung einzuladen. Sie findet morgen um 11.30 Uhr in Keikyä statt. Wir würden uns wünschen, dass du Zeit dafür findest.«
Gerührt und dankbar erzählten sie, dass die Leichen würdig gekleidet waren. Beider Augen seien geschlossen und auf den Wimpern ein wenig Mascara verteilt worden. Die Hände waren andächtig gefaltet.