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EIN LEICHENWAGEN AUS SCHWEDEN

 

Verwalter Aaro Korhonen und Leichenwagenfahrer Oskari Mättö fuhren mit dem Schiff nach Stockholm und von dort weiter mit dem Zug zum Volvo-Montagewerk Torslanda in Göteborg. Sie hatten die Aufgabe, für das Bestattungsinstitut Lindell einen neuen Leichenwagen zu testen und zu kaufen, da der bisherige in Ostbottnien unbrauchbar geworden war.

Unterwegs im Zug bekam Oskari auf dem Mobiltelefon eine kurze Textnachricht: Kauft gleich zwei Wagen, ich ahne voraus, dass es in Südfinnland einen guten Leichensommer gibt. Lindell.

Inspiriert durch diese Botschaft entwickelten die beiden eine großartige Idee. Sie würden zunächst in Torslanda einen Leichen-Volvo kaufen und anschließend nach Deutschland weiterfahren, um dort beispielsweise einen entsprechenden Mercedes zu erwerben. Nach Absolvierung der Testfahrten würden sie schließlich mit zwei Sargschlitten nach Finnland heimkehren.

Die beiden Freunde checkten in einem Hotel in Torslanda ein. Dann fuhren sie mit dem Taxi zu den Volvo-Werken, die in diesem Stadtteil von Göteborg beheimatet sind. Man erwartete sie dort bereits. Es war Nachmittag. Nach der langen Bahnfahrt mundeten ihnen ein Göteborger Hummersandwich und zum Hinunterspülen ein helles Bier. Dann kam man zur Sache. Nils Westermarck, der Produktionschef der Autofabrik, hatte die Präsentation des Leichenwagens gewissenhaft vorbereitet. Er erzählte den beiden Vertretern des Bestattungsinstituts Lindell, dass der Konzern in letzter Zeit die Produktentwicklung seiner Spezialfahrzeuge vorangetrieben habe. Zum Beispiel seien die Radkappen an den Leichenwagen neuerdings schwarz und nicht mehr aus hell glänzendem Aluminium. Die Fahnenstange auf dem linken Kotflügel lasse sich über einen Schalter am Armaturenbrett einholen und könne so auch, das war das Beste, automatisch auf Halbmast gesetzt werden. Besonders bei strengem Frost habe sich diese kleine, aber feine Erfindung großartig bewährt. Dieselbe Technik werde bei Staatslimousinen angewendet, nur dass es dort die Halbmastbeflaggung nicht standardmäßig gebe.

Was die technischen Eigenschaften anging, so berichtete der Produktionschef stolz, dass es sich um das neueste V-70-Modell handle, dessen Federung stabil, aber wiederum so beschaffen sei, dass das Modell auch als Krankenwagen eingesetzt werden könne – bei einem Patienten mit schwerer Gehirnerschütterung zum Beispiel sei es wichtig, dass der Wagen nicht nur schnell, sondern auch gleichmäßig und erschütterungsfrei fahre. Aaro Korhonen verstand dies sofort.

»Natürlich sind solche Speziallösungen nicht billig, aber ich kann garantieren, dass dieses Fahrzeug bei der Nutzung als Leichenwagen unbedingt zuverlässig ist und in seinem dunklen Erscheinungsbild wirklich stilvoll wirkt.«

Produktionschef Westermarck erwähnte noch, dass es beim Automatikgetriebe des Wagens eine spezielle Kriechstufe gebe, die im Hinblick auf Trauerfeiern entwickelt worden sei, der Fahrer brauche sich also nicht um die langsame Fahrgeschwindigkeit zu kümmern, dafür hatten die Ingenieure von Volvo fachmännisch gesorgt.

Oskari Mättö ergriff kurz das Wort, er sprach gut Schwedisch, denn seine aus Salla gebürtige Mutter war einst als Kriegskind in Skåne gewesen und hatte die dort erlernte Sprache des lieben Nachbarlandes auch ihren Kindern beigebracht.

Augenzwinkernd erklärte Oskari, dass das Bestattungsinstitut Lindell zu den Branchenführern in Nordeuropa gehöre und dass der Preis kein Hindernis beim Kauf darstelle, sofern denn das Fahrzeug den hohen finnischen Anforderungen entspreche. Er erzählte, dass er mit Leichenwagen verschiedenen Typs etwa siebenhundert Tote zu Grabe gefahren habe, und er glaube mit Fug und Recht sagen zu können, dass es trotz der allgemein niedrigen Dienstgeschwindigkeit des Fahrzeugs außerordentlich auf die Beschleunigung und vor allem auf die Leistung der Bremsen ankomme, beide mussten Spitzenklasse sein. Ebenso sei die Schallisolierung des Motors von enormer Wichtigkeit. Ein dieselbetriebenes Fahrzeug komme also in heutiger Zeit nicht mehr infrage, denn es erfülle nicht die Ansprüche der trauernden Angehörigen, auch werde die Friedhofsruhe aufs Empfindlichste gestört. Ein Begräbnislaster, der über die Kieswege rattere und an einen Dampfhammer erinnere, entspreche nicht den Erfordernissen einer Andacht.

»Wenn der Wagen Ihrer Fabrik unseren Erwartungen gerecht wird, sind wir bereit, über weitere Lieferungen zu verhandeln, auch werden wir Ihre Fahrzeuge den Rettungsdiensten überall in den nordischen Ländern empfehlen«, versprach Oskari Mättö beflissen und zwinkerte wieder unwillkürlich.

Nun begaben sie sich nach draußen aufs Vorführgelände, um den nagelneuen Leichenwagen in Augenschein zu nehmen. Es war ein schwarzer, prachtvoller Volvo, am Kühlergrill anstelle des Fabriksymbols ein silbernes Kreuz, das Dach hoch, in den Seitenfenstern dunkelgraues Glas, zwei Hecktüren. Sie zogen die Türen auf, um sich den Innenraum anzusehen. Er war geräumig genug, Oskari Mättö kroch hinein und bat den Produktionschef auszumessen, wie viel Raum über seinem Kopf und seinen Füßen blieb.

»Diese Maße sind wichtig. Hier hätte zu Versuchszwecken ein leerer Sarg stehen müssen, aber gut, es geht auch ohne, messen wir eben am Lebenden«, sagte Oskari.

Der Produktionschef zog ihn auf der mit Laufschienen ausgerüsteten Lafette heraus. Als aufmerksamer Experte inspizierte Oskari die Struktur der Schienen und stellte sofort fest, dass die Räder ziemlich klein waren, bei der gewerblichen Nutzung würden sie nicht lange genug halten. Er erklärte, dass heutzutage in Finnland wie auch in den anderen entwickelten Industrieländern übergewichtige Tote zum Friedhof kutschiert wurden, sodass die Räder stabiler sein mussten. Die beiden Profis sahen sich die Rollschienen an und stellten fest, dass Oskari recht hatte. Der Produktionschef versprach, die Rollschienen in der kommenden Nacht austauschen zu lassen.

Am Morgen war der Wagen fertig, und nachdem Oskari eine Zahlungsverpflichtung unterschrieben hatte, schwang er sich ans Steuer. Produktionschef Nils Westermarck übergab ihm außer dem Wagen auch eine mit Glasfiber verstärkte schwedische Trauerflagge, die Oskari auf Halbmast setzte. Die Automatik funktionierte!

Die beiden Freunde fuhren zum Hotel, holten ihre Koffer ab und warfen sie auf die Sarglafette, dann ging es los in Richtung Dänemark. Aaro Korhonen versuchte herauszufinden, wo sie einen Leichenwagen deutschen Fabrikats kaufen könnten.

Viivi rief an und erzählte, dass das Büchercafé inzwischen recht gut besucht sei. Zweimal benutzte sie das Wort »schrecklich« in unterschiedlichen Zusammenhängen. Irgendwie hatte sie schreckliche Sehnsucht nach Aaro, und Fräulein Nuutinen hielt sie in vielerlei Hinsicht für einen schrecklichen Menschen.

Als die Männer die Brücke über den Großen Belt überquerten, beschlossen sie, auf der Rückfahrt auszuprobieren, wie die Leichenwagen im Ernstfall beschleunigten und fuhren. Aber zunächst ging es, mit der Flagge auf Halbmast, gen Berlin, denn es galt, für Lindell einen zweiten Wagen zu besorgen, zur Abwechslung ein deutsches Modell.

Die schwedischen und dänischen Beamten kassierten für den Leichenwagen keine Brückengebühren, und Zollformalitäten gab es ebenfalls nicht.

 

Zwischen den Frauen in der Mechelininkatu herrschte eine an einen Stellungskrieg erinnernde latente Feindschaft, aber sie waren gezwungen, irgendwie miteinander klarzukommen. Als Viivi Aaros Wohnung putzte, entschied sie, dass es Zeit fürs Teppichwaschen wäre. Fräulein Nuutinen lud verdrießlich die Teppiche in den Kofferraum eines Taxis, zugleich aber sagte sie sich, dass es an dem schönen Sommertag vielleicht sogar Spaß machen würde, draußen zu waschen und Aaro zu helfen. Sie fuhren an den Strand von Kaivopuisto, wo bereits etliche Frauen und Männer, sogar ganze Familien, bei der Arbeit waren.

Die Stadt hatte auf Druck der Naturschützer die Teppichstege vom Meer weg auf die Uferfelsen verlegen müssen. Die Kernseife verschmutzte angeblich den Strand. Die Allgemeinheit fand, dass die Waschzeremonie dadurch ihren besonderen Reiz verloren hatte. Was machte es denn schon, wenn an den Strand einer Großstadt ein paar Tropfen Seifenwasser flossen?

Sulo Auvinen war derselben Meinung, und er beschloss, sich der Sache anzunehmen. Auf den Uferfelsen lungerten mehrere Obdachlose herum und sonnten sich. Der Engel gewann zehn von ihnen für die Aufgabe, die Stege wieder ins Wasser zu tragen.

»Hau ruck! Hau ruck!«

Bald waren die Stege im Meer. Aber die Männer hatten versäumt, sie rechtzeitig an ihren neuen Standorten zu verankern. Eine leichte Brise wehte die Pontons mitsamt den Wäschern und Teppichen zur nächsten Insel. Erst abends gelang es den Arbeitern aus dem städtischen Park gemeinsam mit der Feuerwehr, die Stege über die schmale Bucht wieder zurückzuholen.

Obwohl ein kleines Malheur passiert war, war Sulo Auvinen dennoch froh, dass die Wäsche jetzt sauber war und nach frischem Meerwasser roch.

Fräulein Nuutinen und Viivi Ruokonen kehrten mit ihrer Fuhre in die Mechelininkatu zurück, wo sie die Teppiche zum Trocken auf den Dachboden brachten. Ritva Nuutinen dachte bei sich, dass damit ein guter Anfang gemacht war. Aaros Flickenteppiche waren jetzt sauber. Für das Zusammenleben waren gute Voraussetzungen geschaffen. Mit der Zeit würde das auch Viivi verstehen und aufhören, sich bei dem alten Mann Chancen auszurechnen.

Schutzengel Sulo Auvinen seufzte schicksalsergeben und sagte sich, dass Fräulein Nuutinen dann also, zumindest vorläufig, in Helsinki bleiben mochte. Nicht mal die geistigen Kräfte eines Engels reichten aus, um die verliebte Frau nach Lieksa zurückzuschicken.