13
Das schöne gelbe Holzgebäude des Pensionats Warfsholm lag auf der anderen Seite der Fußgängerbrücke über den Klinteviken. Früher, zur Zeit der Kalkfabrikanten, hatte es auf der Halbinsel einen alten Kalkofen und eine Schiffswerft gegeben. Gerade badete das Gebäude mit seinem charmanten Turm und der großen weißen Veranda in der warmen Abendsonne, als gäbe es nichts Böses auf der Welt – und doch hatte man sich gerade hier versammelt, um über die unangenehmen Dinge zu reden, die den ganzen Ort erschütterten. Über die Vogelgrippe und die Kinder, die mit Hilfe der Polizei in der Schule von Klinte eingesperrt wurden. Man hatte die Autos gesehen, die uniformierten Männer, die Hunde und das Absperrband, das die Grenze darstellte, die sie bewachten. Die Gerüchteküche brodelte. Es hieß, die Köchin Berit Hoas sei tot, und sie sei von ihrem Nachbarn Ruben, dem alten Mann mit den Brieftauben, angesteckt worden. Wahrscheinlich war etwas daran, denn Rubens Grundstück war auch abgesperrt worden, und Männer, die wie Astronauten angezogen waren, waren beschäftigt, die Tauben bei den anderen Brieftaubenbesitzern in Klintehamn und Umgebung zu töten. Angeblich waren auch die Geflügelfarm von Bengtssons und die Truthahnfarm in Fröjel in Gefahr.
Maria Wern ließ den Blick durch die Sprossenfenster zum Meer hinuntergleiten und versuchte, ihre heftige Atmung und den schnellen Herzschlag zu beruhigen. Tiefenatmung. Der Saal füllte sich schnell. Die Atmosphäre unter den Eltern der betroffenen Kinder war aggressiv, als die Seuchenschutzärztin Åsa Gahnström auf das Podium kam und verkündete, dass das für diesen Abend geplante Konzert eines Liedermachers abgesagt worden sei, damit sie Zugang zu dem Saal bekämen und dieses wichtige Treffen zum Thema Vogelgrippe abhalten könnten. Ein Blitzlicht flammte auf und dann noch ein paar weitere, und die Fotografen wurden freundlich, aber bestimmt gebeten, den Saal zu verlassen, ebenso die Journalisten, die sich, obwohl die Einladung zu dem Treffen persönlich gewesen war, Zugang verschafft hatten. Es war kein öffentliches Treffen, sondern eine private Zusammenkunft für Eltern der Kinder, die jetzt unter Beobachtung gehalten wurden. Doch der Grillabend war offenbar nicht abgesagt worden. Appetitweckende Düfte drangen von der Bar herein, wo die Terrassentür einen Spaltbreit offen stand. Maria konnte neben dem Tresen eine alte Jukebox erkennen.
»Wir wollen unsere Kinder mit nach Hause nehmen«, schrie eine Frau mit wuscheligem Haarschopf, die in der ersten Reihe saß, und ein zustimmendes Gemurmel ertönte, als sie sich erhob. Drei Männer in der mittleren Reihe standen ebenfalls auf, und im Saal breitete sich ein bedrohliches Stimmengewirr aus. Die Seuchenschutzärztin sah ängstlich aus. Sie versuchte, sich hinter dem Rednerpult möglichst klein zu machen, und hielt sich daran fest wie ein Ertrinkender an einer Holzplanke. Maria sah von ihrem Platz ganz rechts außen, dass der Frau die Beine zitterten. Sie wurde von Mitgefühl erfasst. Die Leute konnten doch wenigstens zuhören.
Maria nahm ihren Mut zusammen und sagte mit lauter Stimme: »Ich finde, wir sollten uns anhören, was sie zu sagen hat. Wir haben viele Fragen. Wenn wir jetzt zuhören, können wir Antworten darauf bekommen. Und dann hoffe ich, dass wir hinterher die Gelegenheit zur Diskussion erhalten.«
Åsa Gahnström warf ihr einen dankbaren Blick zu und begann ihren Vortrag mit Worten, die sie eine Stunde lang ausgewählt und auf die Goldwaage gelegt hatte.
»Heute Abend habe ich ein erstes Ergebnis vom Seuchenschutzinstitut in Solna erhalten, das besagt, dass es sich um die Vogelgrippe handelt. Die Köchin, die das Essen der Kinder zubereitet hat, war infiziert, und Ihre Kinder werden jetzt unter Beobachtung gehalten. Sie erhalten Tamiflu, ein Medikament, das Virusinfektionen hemmt. Aus Sicherheitsgründen befinden sich die Kinder getrennt voneinander in Einzelzimmern. Wenn jemand das Zimmer verlassen muss, trägt er einen Atemschutz, um andere nicht anzustecken oder angesteckt zu werden. Die Kollegen, die sich um Ihre Kinder kümmern, sind in der Infektionspflege speziell ausgebildet. Wir werden viermal täglich die Temperatur der Kinder kontrollieren, und von jedem Kind werden Blutproben genommen werden, um zu sehen, ob sie sich infiziert haben.«
»Warum können sie denn nicht zu Hause sein!«, rief die Frau in der ersten Reihe. »Sie haben kein Recht, sie festzuhalten!« Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und wandte sich beifallsheischend um, wurde aber zum Schweigen gebracht.
»Weil wir dann keine Kontrolle mehr darüber hätten, wer das Virus übertragen kann. Die Vogelgrippe ist eine gefährliche Krankheit. Die Geschwister der Kinder oder Sie selbst könnten angesteckt werden. Es ist wichtig, schon früh die Anzahl infizierter Patienten zu begrenzen, damit die Ressourcen für die Krankenversorgung reichen, sowohl für die, die an der Influenza erkranken, als auch für die Patienten, die schon in den Krankenhäusern sind. Die Kinder erhalten die denkbar beste Pflege.«
»Warum kann nicht die ganze Familie die Medikamente bekommen? Warum kann man nicht an die ganze Bevölkerung von Gotland Medizin austeilen?«, fuhr die Frau fort, die die Rolle der Elternsprecherin übernommen hatte, ohne eigentlich ein Mandat von jemandem zu erhalten zu haben.
Åsa Gahnström erwog einen Augenblick lang, die Wahrheit zu sagen: Wir haben nicht ausreichend wirkungsvolle Medikamente, als dass es für alle reichen würde. Doch dann nahm sie davon Abstand, weil ein solcher Satz zum Chaos führen würde. »Dann würden wir mit Sicherheit mehr Fälle von Ansteckung bekommen, und zwar mehr, als wir pflegen können. Und wenn viele Menschen das Medikament über eine längere Zeit nehmen, dann besteht die Gefahr, dass es bald nicht mehr wirkt. Wir hoffen, dass wir innerhalb einer Woche die Personen, die wir unter Beobachtung haben, für gesund erklären und die Gefahr als gebannt betrachten können.« Außerdem hatte Tamiflu wie die meisten Medikamente Nebenwirkungen, doch auf die wollte sie lieber nicht eingehen.
»Das heißt, wir dürfen unsere Kinder eine Woche lang nicht sehen?«, rief eine wohlbekannte Stimme ganz hinten im Saal, und Maria drehte sich um. Es war Krister. Sie mussten sich verpasst haben, als sie hineingingen. »Ich bin nämlich nächste Woche dran, mich um den Jungen zu kümmern, und ich wollte mit ihm auf die Gotska Sandön fahren. Das ist doch nicht zu fassen! Da hat man eine furchtbare Scheidung durchlebt und darf seinen Sohn nur jedes zweite Wochenende und ein paar kurze Ferienwochen lang sehen, und dann klappt es wieder nicht. Es ist schon schlimm genug, so einen Konflikt durchzustehen, da braucht man keine zusätzlichen Quälereien!«
Maria spürte, wie sie glühend rot wurde und die Röte sich über den Hals ausbreitete. Musste er unbedingt vor Menschen, die nicht das Geringste damit zu tun hatten, über ihre Scheidung reden? Die meisten Regelungen hatten sie gemeinsam beschlossen. Wie typisch für Krister, jetzt so dramatisch zu werden. Warum konnte er nicht einfach ruhig bleiben, wie ein ganz normaler Mensch? Hatte er sich schon immer so benommen? So distanzlos und rücksichtslos? Jetzt wünschte sie ihn ans Ende der Welt.
»Ich möchte, dass wir genau das hier und jetzt besprechen.« Åsa Gahnström wagte ein kleines Lächeln. »Ich werde dafür sorgen, dass jedes Kind ein Handy bekommt, oder wäre es besser, wenn Sie per E-Mail kommunizieren könnten? Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass die Kinder in ihren Zimmern bleiben und einen Atemschutz anlegen, wenn es erforderlich ist. Das ist keine einfache Aufgabe, aber ich denke, dass wir es gemeinsam schaffen werden.«
Maria Wern konnte sehen, wie die Seuchenschutzärztin ausatmete. Ein gut durchdachter Einstieg. Jetzt hatte sie Boden unter den Füßen gewonnen, und die Eltern konnten in einer Frage von untergeordneter Bedeutung, nämlich dem Telefon- und E-Mailkontakt, mitentscheiden. Diese Frau wusste, was sie tat. Eine Strategin bis in die Haarspitzen. Bald würden sie über Telefone oder Computer diskutieren können, aber erst gab es andere Sachen, die vordringlicher waren.
»Wenn es nun Infizierte gibt, von denen wir nichts wissen? Sollte man nicht allen auf der Insel vorbeugend Tamiflu geben?« Dieses Hirngespinst hatte Maria während ihrer schlaflosen Nacht beschäftigt. Wenn es nun Fälle gab, die noch nicht entdeckt waren?
»Wir achten weiter darauf. Man sollte aber wirklich nur Medikamente geben, wenn es notwendig ist, und deshalb bin ich der Meinung, dass nur diejenigen, die in Kontakt mit Infizierten waren, derzeit Tamiflu bekommen sollen. Wenn die Ansteckung außer Kontrolle gerät, kann dieser Beschluss immer noch geändert werden. Aber eins ist sicher: Wenn es eine Ansteckung außerhalb der Absperrung gibt, dann sind Ihre Kinder in bester Weise geschützt.« Eine kleine Zornesfalte tauchte an der Nasenwurzel der Seuchenschutzärztin auf. Diese Frage war ihr unangenehm gewesen. Maria Wern nahm an, dass es etwas gab, das sie ihnen nicht erzählen wollte, etwas, das nicht in Ordnung war. Aber die Situation war nicht geeignet für allzu provozierende Fragen. Vielleicht sollte sie besser mit Jonatan Eriksson an der Hotline über die Sache sprechen, anstatt beim Elterntreffen den Volkszorn auszulösen.
Als das Treffen zwei Stunden später beendet war, wollte Maria schnell nach Hause zu Linda. Das Mädchen war ihren Papa und den Wohnwagenurlaub schon leid und hatte darum gebeten, früher als abgesprochen nach Hause kommen zu dürfen. Was in der Praxis bedeutete, dass heute Maria und nicht Krister den Babysitter für den Abend besorgt hatte. Als Maria nach Warfsholm aufbrach, hatte Linda sich bereit erklärt, bei Marianne Hartman zu bleiben, nachdem ihr ein Video versprochen worden war. »Mio, mein Mio« hatte sie ausgewählt und eine große Tüte Süßigkeiten, letztere war wahrscheinlich schon längst alle.
Nach dem Treffen hatte Maria schnell noch ein paar Worte mit Krister gewechselt. Kurz und höflich, als ob sie sich gerade kennengelernt und nicht zehn Jahre lang zusammengelebt hätten. Er fand, dass die ganze Sache hochgespielt würde. »Wir leben doch nicht im 19. Jahrhundert, als der Arzt allmächtig war und sein Wort Gesetz«, meinte er. »Die Patienten sollten informiert werden und ihre Zustimmung geben.«
»Ja«, hatte Maria zu bedenken gegeben, »aber Viren nehmen keine Rücksicht darauf, ob man seine Zustimmung gibt. Ich finde, die Seuchenschutzärztin wirkt kompetent. Wir sollten uns darauf verlassen, dass sie das tut, was am klügsten ist, auch wenn mein Herz natürlich sagt, dass ich am liebsten meinen Sohn zurückholen würde.«
Maria war tief beunruhigt und wollte ihren Sohn sehen, wollte sicher sein, dass es ihm gut ging. Krister sagte, es gehe ihm ebenso. Bei näherem Hinsehen war das Wohlergehen der Kinder das Einzige, worüber sie sich in den vergangenen Monaten einig gewesen waren. Marias Standardsätze lauteten inzwischen: »Du rufst mich abends nicht mehr nach zehn Uhr an« und: »Du lässt die Kinder nicht unbegrenzt Limonade trinken, wenn sie bei dir sind.«
»Hast du manchmal Sehnsucht nach mir?«, hatte Krister gefragt, als sie eben nach rechts zur Brücke abbiegen wollte und er geradeaus zum Parkplatz ging. Sie hatte innegehalten, und er hatte sich an ihren Rücken gedrückt und ihren Arm in einer zärtlichen Bewegung umfasst.
»Nur, wenn ich das Gurkenglas nicht aufkriege«, hatte sie geantwortet, und da hatte er angeboten, vorbeizukommen und ihr zu helfen. Dann hatte er völlig die Kontrolle verloren. Warum musste er die Kommunikationsebene zerstören, die sie mühsam zustande gebracht hatten?
»Könnten wir uns nicht manchmal treffen und Sex haben? Ich meine, einfach etwas Sex ohne Erwartungen und Verpflichtungen? Ich weiß, was dich anmacht, Maria, ich weiß immer noch, wie du riechst …«
»Hau ab! Es ist Schluss, Krister, kannst du das nicht in dein morsches Gehirn bringen? Lass mich in Ruhe!«
Die Sondersendung der Fernsehnachrichten beschäftigte sich erwartungsgemäß fast ausschließlich mit der Seuche, die Gotland heimgesucht hatte. Der Mann, der ermordet in Värsände in Klintehamn aufgefunden worden war, wurde nur ganz kurz erwähnt. Die Polizei bat die Bevölkerung um Mithilfe. Linda, die zufällig schon die frühere Nachrichtensendung gesehen hatte, konnte nur schwer zur Ruhe kommen.
»Warum hat die Polizei Emil ins Gefängnis gebracht?«
»Das hat sie nicht. Sie passen nur auf, damit niemand hereinkommen kann.«
»Mein Frosch Helmer ist traurig und einsam.«
»Vermisst er Emil?« Es fiel Maria schwer, die Tränen zurückzuhalten, die unter ihren Augenlidern drückten. Erst jetzt wurde das Schreckliche so konkret und nicht zu bewältigen. Wenn die Seuchenschutzärztin sich nun täuschte? Wenn die Medizin nicht half und Emil sich drinnen im Zentrum der Infektionsherde befand? »Ich vermisse Emil auch, aber ich glaube, dass er am nächsten Wochenende nach Hause kommt, und da werden wir uns etwas Schönes vornehmen. Wir können ins Wikingerdorf fahren, da könnt ihr einen Tag lang das Wikingerleben ausprobieren, Mehl mahlen und Brot backen und Äxte werfen und Garn spinnen. Das wäre doch toll, nicht?«
»Nur wenn Emil mitkommt. Sonst ist es für Helmer langweilig. Weißt du was, Mama, Onkel Hartman hat Kirschen gekauft und mir welche davon gegeben, aber ich wollte sie nicht essen, denn die Vögel hatten davon gefressen. Ich habe gesagt, dass Helmer allergisch ist. Es ist doch total eklig, dass die Vögel an den Kirschen gepickt haben, man isst doch nichts, woran schon jemand anders geleckt hat. Vielleicht haben sie diese Grippe, und dann suchen sie Würmer. Igitt! In einer Kirsche war ein Wurm. Der hat rausgekuckt und mit dem Kopf geschüttelt. Iss mich nicht auf, iss mich nicht auf, hat er gepiept.« Und dann sang sie mit ihrer schönen kleinen Stimme: »Niemand mag mich, keiner liebt mich, nur weil ich Würmer fresse. Beiße den Kopf ab, sauge den Schleim raus, werfe die kleine Haut weg.« Am Ende war sie dann doch mit all ihren Kuscheltieren im Bett eingeschlafen.
Als Maria sich auf dem Sofa im Wohnzimmer niedergelassen hatte, wurde sie erneut mit dem Gesicht der Seuchenschutzärztin auf dem Fernsehschirm konfrontiert, am anderen Ende des Tisches saßen der Gesundheitsminister, ein Vertreter der Sozialverwaltung und einige lokale Politiker. Es ging um Prioritäten. Die Politiker, die sich zu ihrer Tagung in Almedalen versammelt hatten, hatten am Abend eine zusätzliche Zusammenkunft zum Thema Vogelgrippe anberaumt. Dort diskutierte man über Prioritäten. Welche Personen in der Gesellschaft als Erste Zugang zu Tamiflu erhalten sollten. Der Plan, den die Krisenstäbe und die Sozialverwaltung ausgearbeitet hatten, wurde stark kritisiert, weil er so wenig detailliert war. Was geschah, wenn man die bevorzugten Gruppen gegeneinanderstellen musste, weil die Medikamente nicht ausreichten? Warum sollten Menschen über fünfundsechzig Jahre Medikamente bekommen, hingegen nicht Kinder in Tagesstätten oder Schulkinder, die sich in einer Umgebung aufhielten, wo leicht Infektionen übertragen wurden? Warum wurden sie nicht bevorzugt?
»Zunächst einmal müssen die Infizierten Hilfe bekommen, dann diejenigen, die einer Ansteckung ausgesetzt waren oder aus irgendeinem anderen Grund ein herabgesetztes Immunsystem haben, herz- oder lungenkrank sind, alt oder auf andere Weise geschwächt«, meinte Åsa Gahnström. Doch die Liste der Politiker sah anders aus. Zunächst sollten Regierung, Reichstag, Landes- und Kommunalpolitiker und die Beamten der Landesregierungen Zugang zu den Medikamenten bekommen und dann die Personen, die im Krankenhaus arbeiteten, das Ambulanzpersonal und diejenigen, die in der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und bei der Müllabfuhr arbeiteten. Auch die Leute, die Lebensmittel produzierten und transportierten, mussten geschützt werden.
»Als die Spanische Grippe herrschte, waren die meisten, die starben, im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Muss man bei der Vogelgrippe dieselbe Entwicklung befürchten?«, fragte der Moderator und wandte sich an die Seuchenschutzärztin.
»So wie es aussieht, haben wir die Situation unter Kontrolle. Wenn wir es schaffen, diese Linie konsequent durchzuhalten, glaube ich, dass das Risiko für eine weitere Verbreitung in der Gesellschaft recht klein ist. Im Moment gibt es keinen Grund zur Besorgnis.« Maria sah, wie sich die Röte über Åsa Gahnströms Wangen ausbreitete. Offenbar fühlte sie sich unter Druck gesetzt.
»Was denken Sie, werden Lehrer und Erzieherinnen sagen, wenn Sie ihre Arbeit nicht für wichtig einschätzen?«, fragte der Moderator und sah die Seuchenschutzärztin und den Gesundheitsminister herausfordernd an. »Was glauben Sie, werden die Putzfrauen denken und die Journalisten? Woher sollen die Leute wissen, was geschieht, wenn ihnen niemand davon erzählt? Gibt es überhaupt eine Gruppe in der Gesellschaft, die keine Priorität haben sollte? Die Kulturschaffenden? Die Arbeitslosen? Die sozial Ausgegrenzten? Die Asylsuchenden? Gibt es überhaupt genug Medikamente, dass es für alle reicht? Gemeinsam mit dem schwedischen Volk verlange ich eine Antwort auf diese Frage. Wie gut sind wir vorbereitet?«
Die Seuchenschutzärztin errötete bis zu den Haarspitzen.
»Wir sind gut vorbereitet, und auf lange Sicht werden, wenn es erforderlich ist, alle Zugang zu Medikamenten haben. Momentan wollen wir mit einer übermäßigen Verwendung des Medikamentes vorsichtig sein, denn es besteht das Risiko, dass eine Resistenz entsteht. Eine allgemeine prophylaktische Behandlung ist nicht nötig, solange wir die Situation unter Kontrolle haben.«
Maria hatte das Gefühl, dass es sich hier nicht um die ganze Wahrheit handelte. Sie schaltete den Fernseher aus, als die Sendung in ein Gemurmel wütender Stimmen ausartete. Sie konnte nicht mehr zuhören. Konnte diese Leute einfach nicht mehr sehen, die konzentriert und entschlussfähig sein sollten, aber jetzt wie kleine Kinder herumstritten. Sie drehte eine Runde durchs Wohnzimmer, stand eine Weile bei Linda und sah, wie sie im Traum redete, drehte noch eine Runde durch die Wohnung. Als sie Emil anrief, hörte der sofort, dass sie sich Sorgen machte, obwohl sie versuchte, es zu verbergen.
»Mama, bist du traurig?«
»Ich wünschte, ich könnte bei dir sein, Emil. Das würde ich gern, weißt du?« Sie versuchte, ihn nicht merken zu lassen, dass sie weinte.
»Hör schon auf, Mama, ich komme klar. Ich chatte mit einem Typ, der Sebastian heißt, der ist total cool.«
Maria ging in die Küche und machte sich ein Brot, das sie dann nicht hinunterbekam. Die Bissen wurden im Mund immer größer. Sie stellte sich eine Weile ans Fenster. Die Straße war menschenleer. Nicht ein einziges Auto. Sie musste mit jemandem reden. Von ihren Sorgen erzählen. Bei Krister wollte sie nicht anrufen. Er würde augenblicklich angeschossen kommen und glauben, dass alles wieder so würde wie früher, das konnte sie nicht riskieren. Hartman schlief bestimmt schon, und Jesper Ek war zur Beobachtung im alten Sanatorium, und da durfte man nach 21 Uhr nicht anrufen. Mit wem konnte sie dann reden? Wie lange war wohl die Hotline besetzt? Maria wählte die Nummer und wartete. Jonatan Eriksson war sofort dran, als hätte er neben dem Telefon gesessen und auf ein Klingeln gewartet.
»Ich werde das hier nicht mit dir besprechen, solange du nicht bei dir bist. Das ist erniedrigend für uns beide. Jetzt leg dich schlafen, verdammt noch mal, und stör mich nicht länger.«
»Wie bitte?« Maria fragte sich, ob sie richtig gehört hatte. »Danke, dann habe ich keine weiteren Fragen mehr«, sagte sie und knallte den Hörer auf.