18
Nath Javed – Nath der Verstockte, der alte Hieb-und-Stich – sagte: »Bei Vox, Jak! Endlich wieder losziehen und Abenteuer erleben! Diashum! Unzweifelhaft großartig!«
Seg warf dem Verstockten einen Blick zu, der ihn zum Verstummen brachte. »Äh ...«, sagte er. »Jak – ich meine Drajak ...«
»Genau.« Seg wandte das ausdrucksstarke männliche Gesicht ab und fuhr fort, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben. »Ich stimme dir zu, Verstockter. Aber wir sind eine beträchtlich größere Gruppe als sonst.«
Was mein Klingengefährte da sagte, entsprach der vollen Wahrheit. Der Flieger des vallianischen Luftdienstes schoß durch die frische kregische Luft. Mit ihm flog eine kleine Voller-Armada, die aus allen Winkeln zusammengesammelt und mit Freiwilligen bemannt war. Es waren die unterschiedlichsten Leute, und ich hoffte, daß sie miteinander auskamen. Und falls nicht, nun, bei Krun, dann würde ich sie eigenhändig mit den Köpfen zusammenstoßen.
Dimpy klammerte sich an der Reling fest und starrte auf das unter ihm vorbeirasende Land. Die Reise in einem Schweber war noch etwas Neues für ihn, so daß er die Erfahrung mit den empfänglichen Sinnen eines jungen Burschen genießen konnte. Durch die süße Luft Kregens zu schweben, während über einem Zim und Genodras ihr vermengtes, strömendes rubinrotes und smaragdgrünes Licht aussenden, ist eine Sache, die man genießen sollte – wie ich vielleicht früher schon gelegentlich erwähnt habe.
Selbst auf unserer Flughöhe konnte man den betäubenden Duft der Blumen riechen. Wir hatten die Gelben Wüsten Caneldrins hinter uns gelassen und überflogen jetzt Vaiwadrin, das Blumenland von Balintol. Das Ableygebirge würde bald in Sicht kommen. Zwischen seinen Gipfeln und Tälern lag unser Ziel – der Schädelberg.
Als W'Watchun in den Elendsvierteln Oxoniums auf dramatische Weise als Geistererscheinung aufgetaucht war, hatten sich unsere schlimmsten Befürchtungen als Tatsache herausgestellt. Jetzt war die Zeit nicht länger auf unserer Seite. Brory der Tapfere konnte nicht überredet werden, in Oxonium zu bleiben. Er hatte ein paar ausgesuchte Männer der Bande Nagzallas Böse Neemus mitgebracht. Zur Zeit nannten sie sich Drei N; sie hielten das für modisch. Man sah beinahe, wie ihre schurkischen Finger bei dem Gedanken an die erwartete Beute gierig zuckten.
Die Zwillingssonnen näherten sich dem Horizont, und Seg gab seine Meinung kund, daß wir den Schädelberg nicht vor Sonnenuntergang erreichen würden.
»Das macht keinen Unterschied«, sagte Fweygo.
Er hatte natürlich völlig recht. Wir waren hervorragend für die vor uns stehende Aufgabe ausgerüstet. Eregoins Antwort war ein schöner geräumiger Voller mit mächtigen Geschützen. Eines der folgenden vallianischen Flugboote war Wenhartdrins Jubel, ein passender Name für die Besatzung. O ja, bei Vox! Denn es trug Freiwillige aus den verschiedenen Regimentern meines Wachkorps. Da sich natürlich wieder alle freiwillig gemeldet hatten, waren die Glücklichen ausgelost worden.
Ein ernster Gedanke ließ mich die Stirn runzeln. Die Glücklichen? Während wir in eine Gefahr flogen, die so tödlich war wie kaum eine zuvor?
Nun, bei Kurins Klinge, die Jungs hatten das Gefühl, sich außerordentlich glücklich schätzen zu können, mit ihrem Kendur in ein Abenteuer zu fliegen. Auch wenn es eine Herrelldrinische Hölle war, verschwendeten sie doch keinen Gedanken an die Gefahr!
Nath Javed teilte diese Empfindung von ganzem Herzen. Im Rang eines Chuktars arbeitete er sich nun langsam nach oben, dennoch war er außer sich vor Freude gewesen, als mein Ruf ihn aus den Einheiten fortgeführt hatte, die sich dem Vorstoß der Regentin C'Chermina entgegenstellten. Er konnte sich noch gut an den Coup Blag erinnern. Das war natürlich auch der Grund, warum ich ihn eingeladen hatte, uns zu begleiten.
Was die kleine Juruk betraf, die ich für Quensella aufgestellt hatte und die nun mir diente, so blieben die Männer unter sich. Trotzdem würde mein Inkognito nicht mehr lange halten, bei Krun!
W'Watchuns Richtungsanweisungen waren sehr genau gewesen. Die Sonnen sanken gerade in ihrer ganzen Pracht, als die Berge in Sicht kamen; tiefrotes und grünes Licht tauchte die Flanken in einen unheimlichen Schein. Nur wenige hohe Gipfel waren schneebedeckt. Unser Ziel befand sich auf der Flanke eines kleineren Berges. Wir würden ihn sofort erkennen, denn er ragte wie ein Schädel hervor, daher auch der Name Schädelberg.
Die letzten farbigen Sonnenstrahlen verblaßten am Himmel. Einen Augenblick lang schob sich eine undefinierbare Dunkelheit über die Welt, bis die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln aufging. Sterne, deren Konstellationen mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen waren, schmückten das Himmelszelt. Vierhundert Lichtjahre entfernt drehte sich die Welt meiner Geburt um ihre kleine gelbe Sonne und zog ihren einzigen silberfarbenen Mond mit sich. Das Lichtpünktchen war zu weit entfernt, als daß man es erkennen konnte.
»Bei dem leuchtenden Bridzilkesh!« machte Brory seiner lebhaften Brokelsh-Wut Luft. »Wo liegt dieser finstere Ort?«
»Finster ist richtig«, bemerkte Fweygo in seiner trockenen Art.
Alle starrten in die Dunkelheit. Unser Ziel mußte irgendwo dort unten sein, ob finster oder nicht.
»Da ist es!« rief Dimpy aus. Er streckte den Arm aus. »Nein, doch nicht – dieser Berg ist kein Schädel.«
Strahlendes rosarotes Licht stieg über die Gipfel, und die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln lächelte auf uns herab. Das Mondlicht ließ Felsspalten und Klüfte sichtbar werden und hob die Abhänge hervor.
Der alte Hieb-und-Stich starrte in die braun- und zinnoberrot befleckten Schatten und bot dabei das Bild einer reglosen Bronzestatue. »Mit Jak dem Bogandur und Seg dem Horkandur unterwegs! Bei Vox! Ich habe für diesen Tag gebetet!« sagte er leise zu Dimpy, der sich noch immer an der Reling festklammerte.
»Aber Drajak, den du Jak nennst, ist ...«
»Pst, junger Bursche! Er gibt die Befehle. Wir gehorchen!« Nath Javeds Tonfall war überraschend sanft. »Das ist alles, was du zu wissen brauchst.«
»Nun, das mag schon sein, bei Ferzakl. Aber sag mal, warum hast du drei Namen?«
Nath Javed brachte einen spöttischen Seufzer zustande. »Das, mein Junge, ist eine ganz andere Geschichte!«
An Bord von Eregoins Antwort fanden noch andere, leise geführte Unterhaltungen statt, aber jedes Augenpaar – mit Ausnahme von Ob-Auge Larghos – starrte über die Reling und betrachtete die zerklüfteten Gipfel und geheimnisvollen Täler. Ich erwähnte im stillen die anatomischen Besonderheiten Makki-Grodnos und schob sofort eine feurige Beschreibung der grotesken Körperteile der Heiligen Dame von Belschutz nach. Bei allen Namen! Der Schädelberg mußte irgendwo unter uns sein, und wir mußten ihn sofort finden!
Ich hatte die altehrwürdige Sitte des Goldstücks für denjenigen erwogen, der als erster unser Ziel erspähte, es dann aber wieder verworfen. Das war nicht angebracht. Jeder hielt so angestrengt Ausschau, wie er nur konnte. Und dennoch ... Ich wollte gerade lauthals verkünden, daß der erste, der den Schädelberg entdeckte, ein dickes fettes Goldstück erhalten werde, als ich die schwarzzähnige Weinschnute wieder zuklappte.
Dem Ruf von vorn »Da ist es!« folgte ein ganzer Chor, der ihn gesehen hatte, und tatsächlich, vor uns ragte der Schädelberg auf.
Ich atmete nicht erleichtert auf. Ich war fest davon überzeugt gewesen, daß wir den verflixten Ort finden würden – was nun auch geschehen war.
Wolkenfetzen trieben über das Antlitz des Mondes. Das unberechenbar flackernde Licht trieb mit den Schatten des Berges sein Spiel und verwandelte die Augen des Schädelberges in tiefe schwarze Löcher. Seg sagte in seinem neutralen Tonfall: »Wird schwierig werden, da unten zu landen, mein alter Dom.« Er holte tief Luft. »Delia würde es mit einer auf den Rücken gefesselten Hand schaffen.«
»Aye. Aber sie ist nicht da«, erwiderte ich und fügte leise hinzu: »Wofür ich Zair danke!«
Nun hätte der sprichwörtlich kleinliche und unangenehme Herrscher den Kapitän von Eregoins Antwort – Tyr Naghan ti Fromion – herbeizitiert und ihn über seine Pflicht belehrt, uns sicher hinunterzubringen. Es wären Fragen über das Können der an den Kontrollen befindlichen Piloten gestellt worden. Nun, bei Krun, ich bin manchmal ein unangenehmer Zeitgenosse – obwohl ich mich nicht für kleinlich halte –, und so ging ich zur Steuerkabine und steckte den Kopf hinein.
»Majister!« brüllte Tyr Naghan ti Fromion und salutierte schneidig.
»Kapitän«, sagte ich ruhig. »Bitte weitermachen.«
»Quidang!«
Das war also erledigt. Wir würden in einem Stück landen.
Und dann mußte sich natürlich der zweifelnde alte Dray Prescot zu Wort melden und zu bedenken geben, daß mein Erscheinen in der Steuerkabine den Piloten vermutlich verunsichert hatte. Vielleicht hatte ich mit dem Versuch, zurückhaltend zu sein, alles verdorben. Nun ja, jetzt befanden wir uns in den erfahrenen Händen von Ernithor dem Schnellen, der an den Kontrollhebeln stand – und in Opaz' fürsorglichen Händen.
Als wir vorsichtig tiefer gingen, stieg die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln höher in den sternenfunkelnden Himmel. Die Winkel der Schatten veränderten sich. Von der in der Gestalt eines Totenschädels geformten Felsmasse ging nun abgrundtiefe Bösartigkeit aus.
»Ferzakl!« flüsterte Dimpy.
Der Wind erstarb, als wir tiefer gingen; der Berg hielt ihn ab. Eine seltsame Stille hüllte uns ein. Das unheimliche Fehlen jeglicher üblicher Laute dauerte an, bis Seg mit seiner mächtigen Stimme rief: »Der dürre Kopf erinnert mich daran, daß ich eine vernünftige Mahlzeit brauche.«
Der Bann war gebrochen. Die Decks hallten vom Geschnatter der Männer wider. Manchen war es sogar fast peinlich, daß sie sich von einem zugegeben ungewöhnlich geformten Fels so hatten beeinflussen lassen. »Guter alter Seg«, murmelte ich.
Außerdem hatte er recht gehabt. Eine ordentliche Mahlzeit und ein guter Tropfen würden uns gegen die Strapazen und Gefahren stählen, denen wir in den Katakomben begegnen würden.
Wir sanken immer tiefer in die bedrohlichen Schatten des Tales. Der Totenschädel überragte uns, während der Pilot nach einem sicheren Landeplatz Ausschau hielt. Als ich in die nackte Kargheit der Augenhöhlen und der Nase blickte, fühlte ich, wie sich die dunkle Wut wie eine Schlange in meinem Innern wand. Dieses Gefühl mußte unterdrückt werden, aber der scheußliche Schädel schien meinen Haß zu erwidern; ich packte die Reling mit verkrampften Fäusten.
Plötzlich spürte ich Segs fragenden Blick und versuchte den Bann dieser Wut zu durchbrechen. Ich teilte meinen Klingengefährten mit, daß wir Segs Vorschlag befolgen und eine Mahlzeit zu uns nehmen würden.
Den offensichtlichen Gedanken, daß es die letzte Mahlzeit auf dem schrecklichen und zugleich wunderbaren Kregen sein könnte, verdrängte ich.
Eregoins Antwort setzte mit einem lauten Krachen und einem furchtbaren Ruck auf, der uns ins Taumeln brachte. Ein paar unglückliche Wichte fielen unter den rauhen Bemerkungen ihrer Kameraden sogar hin. Die Jungs hatten ihre Urängste überwunden und waren wieder guten Mutes. Der Rest der kleinen Armada landete. Essen und Trinken wurden ausgeteilt, die Waffen überprüft. Man holte die Grabungsausrüstung. Wir waren bereit – oder zumindest so bereit, wie wir es je sein würden –, uns den Schrecken des Schädelberges zu stellen.
Der Weg hinein führte durch die aufklaffenden Kiefer.
Nun, wie hätte es auch anders sein können?
Genausowenig überraschten die eingemeißelten Worte.
JEDE ENTWEIHUNG BRINGT DEN TOD
Das war keiner der blumigen rituellen Flüche, wie man sie so oft als schutzspendende Warnungen oder Drohungen bei Grabstätten findet. Von den Worten ging eine finstere, durchdringende Kälte aus. Sie waren ernst gemeint.
Da ich Dray Prescot war, rückte ich den Schwertgurt zurecht, drückte die Brust heraus und trat als erster in die Öffnung. Das hatte nichts mit Tapferkeit zu tun. Es geschah, weil es erforderlich war und getan werden mußte.
Hinter mir fand ein ziemliches Gedränge um die vorderen Plätze statt, als jeder von den Jungs der nächste sein wollte.
Eine helle Stimme sagte: »Halt mir deine verfluchte Fackel nicht ins Gesicht, Nath!« Ich fuhr erstaunt herum.
»Was zum Teufel tust du hier, Veda?«
Sie lachte durchtrieben und zog einen verrutschten Träger hoch. »Ich hatte mich an Bord geschlichen! Hast du etwa geglaubt, ich ließe mir das entgehen, Drajak?«
Ich schüttelte den Kopf. Frauen! Andererseits war sie eine Jikai-Vuvushi gewesen und eine gute Kameradin. Und sie hatte einen besseren Grund für ihre Anwesenheit als die meisten anderen. Sie war Teil des Ibmanzy-Programms gewesen.
Balla die Große trat vor und nickte Veda zu. »Wir werden uns gut schlagen.«
Ich seufzte. Wie lange würde es wohl dauern, bis Veda ihrer Kleider verlustig ging?
Die kleine Verzögerung verschaffte Brory dem Tapferen und seinen Schurken von Nagzalls Bösen Neemus ihre Gelegenheit. Sie waren auf Beute aus und stürmten wie jagende Werstings den Tunnel entlang, der von dem Skelettrachen ins Innere führte. Sie liefen nicht blindlings vorwärts. Jeder dieser Schurken war ein hartgesottenes Bandenmitglied aus den Armenvierteln. Sie verrichteten ihre Arbeit schnell und professionell. Wir schlossen uns ihnen an.
Der Tunnel stank. Als unsere Lampen grob aus dem Stein gemeißelte Wände beleuchteten, enthüllten sie in der reglosen Luft tanzende Staubkörnchen, und unseren angespannten Sinnen kam es so vor, als würden die den Gestank in jeden Winkel verbreiten. Der vorherrschende Geruch war der von Graberde. Er kratzte im Hals, war jedoch kaum der Gestank der Hölle. Mit flackernden Fackeln und schwingenden Lampen gingen wir weiter.
Viele Leute zwängten sich durch den Tunnel, was dazu führte, daß es an einigen Stellen zu einem Stau kam. Angehörige verschiedener Gruppen hielten es für ihr Recht, direkt neben mir an der Spitze zu gehen. Ich wollte diesem Unsinn gerade ein Ende bereiten, als ich wie angewurzelt stehenblieb. Fweygo streckte den Arm aus und sagte rauh: »Da! Da ist der erste!«
Die kopflose Leiche eines Kämpfers lehnte zusammengesunken an der Wand. Fackellicht erhellte die grausigen Einzelheiten. Blut leuchtete dunkel.
Die Wände enthielten Schlitze, und aus einem war eine Klinge geschnellt und hatte den unglücklichen Swod enthauptet. »Ein Köpfer!« sagte Fweygo. »Brecht ihn ab!«
Die Menge hinter mir machte viel zuviel Lärm. Das war kaum die richtige Methode, ein gefährliches Abenteuer in Katakomben zu bestehen, bei Krun! Eine energische Gestalt zwängte sich nach vorn, die zwei stabile Schilde in Kopfhöhe hielt. Der prächtige goldene Kildoi sah bestürzend ungehalten aus. Er trug eine Rüstung, strotzte vor Waffen, und stellte die Schilde mit einem lauten Ruck ab. Er sah mich böse an. »Da bist du ja! Ich kann wirklich nicht zulassen, daß du dich auf diese Weise davonschleichst, Dray ... äh ... Jak ... Das ist schlecht für meine Nerven.«
»Daß du Nerven hast, ist mir neu, Korero.«
In diesem Augenblick wurde aus der Atmosphäre kameradschaftlichen Spotts ein möglicherweise tödlicher Konflikt. Die beiden Kildoi starrten sich an. Sie standen da, als wären sie zu Stein erstarrt. Dann hoben sich langsam ihre Schwänze, die Hände ballten sich über den Köpfen zu Fäusten. Während das Ritual seinen Lauf nahm, zwängten sich die Angehörigen der verschiedenen Gruppen mit neugierigen Blicken vorbei und tiefer in den Berg hinein.
Die Schwanzhände der beiden Kildoi formten mit langsamen, bedächtigen Bewegungen Gesten. Dann näherten sich die Hände, noch immer mit der gleichen Bedachtsamkeit, ergriffen sich und wurden geschüttelt. Worte erschollen, magische Sätze aus grauer Vorzeit. Schließlich wurden zwei rechte Hände ausgestreckt und geschüttelt. »Lahal, Korero.«
»Lahal, Fweygo.«
Ich stieß die angehaltene Luft aus und schaffte es nur mühsam, mich einer sarkastischen Bemerkung zu enthalten. Was zwischen den beiden Kildoi geschehen war, war Teil ihrer Kultur. Das mußte man respektieren.
Korero den Schild hinter mir zu wissen, war ein beruhigendes Gefühl. Sollte es die höllische Maschine namens Köpfer auf mich abgesehen haben, würde sie einer von Koreros Schilden aufhalten. Und trotzdem, bei Vox! War das, was sich hier gerade abgespielt hatte, nicht ein deutliches Beispiel für die Schwierigkeiten, die mir meine Kameraden in den Weg legten, wenn ich mich allein den Gefahren stellen wollte?
Fweygo sagte: »Wir sollten weitergehen.« Er warf der Leiche des Swods einen Blick zu. »Khon wird Schwierigkeiten haben, die Katakomben zu durchqueren.«
Das stimmte. Als San Cuisar der Oblifex dem Zauberer San Quenlo, einem Angehörigen des Kultes von Almuensis, den Auftrag gab, das verborgene Flutubium und sein Prisma der Macht zu bewachen, hatte der Magier den Schädelberg mit unzähligen Fallen ausgestattet. Khon der Mak hatte einen Vorsprung und mußte sich durch die Fallen hindurchkämpfen. Wir hatten gute Aussichten, ihn einzuholen, bevor er es schaffte, sein Lebensziel zu verwirklichen.
Verzerrte Schatten huschten über die Wände, als wir weitergingen. Echos hallten. W'Watchun zufolge konnte der Verräter nur Narlin sein, der Dokerty-Priester, der nicht an dem Ort gewesen war, an dem er hätte sein müssen. Ich war nicht der Meinung, daß das noch eine Rolle spielte. Der Schaden war angerichtet. Khon war tiefer in den Schädelberg vorgedrungen als wir und erkämpfte sich den Weg mit Zauberei, um das Prisma der Macht in die Hand zu bekommen. Ich konnte nur hoffen, daß die Fallen ihn so lange aufhielten, daß wir den schwarzen Cramph in die Finger bekamen.
Ob San Quenlos Fallen den Vorstoß des Maks behinderten, vermochte ich nicht zu sagen. Uns legten sie auf jeden Fall Steine in den Weg. Der Tunnel endete in einer Höhle, wo Fackelschein das Zwielicht erhellte. Am Eingang befand sich ein Toter in einer zerrissenen Tunika, der im Griff einer Stahlfaust steckte.
»Kennst du ihn?« fragte Seg, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
»Aye. Das ist Naghan der Leichtsinnige. Einer von den Drei N.«
»Warum ist die Falle nicht schon früher ausgelöst worden?« fragte Nath Javed.
Als wir weitergingen, nahm diese Frage eine immer größere Bedeutung an. Wir verloren Männer – gute Männer. Im flackernden Licht unserer Fackeln und Lampen suchten wir uns den quälenden Weg durch die düsteren Säle und staubigen Gänge der Katakomben.
Vor unzähligen Jahren hatte man labyrinthartige Tunnel in den Schädelberg und die Nachbarberge gegraben. Der ganze Ort bestand aus einer Reihe von Mausoleen. Eine Gruft reihte sich an die nächste. Tiefe Nischen in den Wänden enthielten unzählige Särge. Angeblich waren es die Jünger von Enemath gewesen, die den Schädelberg erbaut hatten; das war eine Gottheit mit angeblich acht Armen und vier Augen, die mit der Gabe der Beserkerwut gesegnet war. Der Kult war schon lange tot, genau wie seine hier aufgebahrten Anhänger.
Natürlich lag ein Fluch auf den Örtlichkeiten – zusätzlich zu Quenlos Fallen.
»Ich dachte, dieser große Blintz Khon der Mak hätte alle Fallen ausgelöst«, meldete sich Dimpy zu Wort, der noch nie irgendeine Autorität respektiert hatte.
»Paß auf, was du sagst ...«, polterte Nath Javed in seiner groben Soldatenart los, hielt dann aber inne. »Bei Vox, der Junge hat eine wichtige Frage gestellt. Zweifellos!«
»Ich heiße Dimpy«, protestierte der Draufgänger heftig, »nicht Junge ...« Tobender Lärm aus Richtung der gegenüberliegenden Wand brachte ihn zum Schweigen. Die Mauer wölbte sich vor und spie einen tödlichen Ziegel- und Mörtelregen durch den Raum. Wir warfen uns schnell zu Boden. Staubwolken raubten uns den Atem, laute Schmerzensschreie ertönten, als Männer getroffen wurden. Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen in den Ziegelstaub und entdeckte dunkle Gestalten, die schnell auf uns zukamen – in Leichentücher gehüllte Gestalten, verfaulte Leichen, die schon lange tot waren.
Ein wilder Kampf entbrannte, als sich die Jungs dem durch Totenzauber heraufbeschworenen Angriff stellten. Gekrümmte schwarze Krallen und scharfe gelbe Reißzähne zielten nach unseren Hälsen. Schwerter blitzten auf und schlugen zu. Zwischen den Trümmern der Wand kam es zu einem wüsten Gerangel.
Der Kampf war hart, verbissen und von kurzer Dauer.
»Hieb-und-Stich!« Das wütende Gebrüll übertönte den Aufruhr. »Hieb-und-Stich!«
Ein wilder Schlag erledigte den zerfressenen Untoten, der sich auf mich stürzen wollte, und ich hatte Zeit, einen schnellen Blick in die Runde zu werfen. Dimpy stach mit dem Messer zu. Nath der Verstockte stand unmittelbar hinter ihm und beschützte ihn, während er die Ungeheuer mit zwei Schwertern in Stücke hieb. Dimpy und der alte Hieb-und-Stich, die zusammen kämpften. Beruhigt stürzte ich mich in die Aufgabe, den untoten Abschaum zu beseitigen. Wir mußten weiter!
Als wir schließlich das letzte Ungeheuer in die Hölle zurückgeschickt hatten, aus der es gekrochen war, schöpften wir erst einmal Luft. »Bei Erthyr dem Bogen«, sagte Seg und wischte sich schweißgetränkten Ziegelstaub aus dem Gesicht. »Wir müssen schneller vorankommen!«
Balla die Große säuberte ihr kurzes Schwert und sagte ziemlich unwirsch zu Veda: »Oh, um Ferzakls süßen Willen, Veda! Zieh dir was an!«
Veda schob die geputzte Klinge zurück in die Scheide, warf den Kopf zurück und machte den halbherzigen Versuch, die traurigen Überreste ihrer Kleidung zurechtzuziehen. »So kämpft es sich eben leichter«, sagte sie.
Kurze Zeit später eilten wir weiter durch das Labyrinth, die Schatten an den Wänden huschten uns auf unheimliche Weise voraus.
Aus dem Augenwinkel sah ich einen türkisfarbenen Lichtblitz. Im nächsten Augenblick erschien die Gestalt von San W'Watchun. Es gab eine Anzahl schneller Bewegungen, als viele Mitglieder der Expedition geheime Zeichen machten. Der große schwarze Zylinder, das schwarze Gewand, das war alles wie immer. Doch auf dem Gesicht des Illusionszauberers zeichnete sich tiefe Sorge ab.
Keiner sagte ein Wort; wir alle warteten gespannt. W'Watchun holte tief Luft – er mußte an dem Ort, an dem er sich gerade aufhielt, keine stinkende Luft einatmen.
»Ich bringe ernste Neuigkeiten. Khon der Mak hat San Quenlo mit in den Schädelberg genommen.« W'Watchun machte eine kleine Geste der Hilflosigkeit. »Er hat den Almuenser gezwungen. Quenlo schaltet die Fallen aus, so daß Khons Leute sie mühelos passieren können ...«
»Und dann schaltet der Zauberer sie wieder ein!« rief ich. »Und wir tappen in die teuflischen Geräte hinein!«