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Ich blieb abrupt stehen, wütend. Bei den verfaulenden Reißzähnen und den kranken Ohrläppchen Makki-Grodnos! Wieso in aller Welt reagierte ich wie ein panisches junges Fohlen? Ich kehrte schnell zur Tür zurück und schob oben und unten die Riegel vor. Eine Kette gab es nicht, was ich stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm. Sollten sie doch einbrechen, schlechtes Cess für sie alle!

Ich rannte hinter Fweygo und seiner Last her.

Mein Kamerad hatte den Dokerty-Priester in den großen blauen Umhang gehüllt. Wir schritten schnell die gewundenen Straßen entlang. Es war ein wahres Labyrinth! Doch noch immer mußten wir an die armen toten Teufel denken, die wir in dem Haus zurückgelassen hatten, und die nervtötenden Gassen paßten zu unserer düsteren Stimmung.

Fweygo gab F'Farhan zu verstehen, daß das Versteck, zu dem er uns jetzt führte, vermutlich sicherer als das letzte sei.

Obwohl ich nicht besonders müde war, hätte ich eine ordentliche Mahlzeit und ein bequemes Bett willkommen geheißen. Was sich bestimmt mit dem Wunsch in Einklang bringen ließ, einen Weg in den Tempel Dokertys zu finden. Mit F'Farhans Hilfe würden wir diese kleine Nuß schon knacken.

Wir eilten durch den Abend, der von wenigen Lampen erhellt wurde, und verließen die unmittelbare Umgebung des Tempels. Der Himmel war dunkel und bewölkt, doch es fiel kein Regen. Der Priester machte eine verstohlene Geste mit zusammengekrümmten Fingern, die sich an den Spitzen berührten. Er murmelte etwas. Die meisten der heruntergeleierten Worte konnte ich verstehen. Am Himmel waren weder Mond noch Sterne zu sehen. Wie viele Kreger fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut, wenn das rosarote Licht der Monde oder das kalte Glitzern der Sterne fehlte. Seine Worte stellten zweifellos ein verkürztes, verzerrtes Gebet der Vorfahren dar, das die Schrecken abschwächen sollte, die sie ohne den Trost der Sterne und Monde befallen würden. Er wußte natürlich, daß die volkstümlichen Worte reiner Aberglauben waren, aber als guter Kreger wollte er sich nach allen Seiten absichern. Ich mußte innerlich lächeln; also galt dies sogar für den wichtigen Priester einer weitverbreiteten Religion.

Für Anhänger dieses exzentrischen Glaubens mußten die Nächte des Notor Zans eine schlimme Folter darstellen, bei Vox!

Natürlich fing es mit der Unausweichlichkeit des Vaol-paol zu regnen an. Wir huschten mit hochgeschlagenen Kapuzen zwischen dunklen Schatten an den vereinzelten trüben Straßenlampen vorbei. Ich dachte darüber nach, daß wir bei der Auseinandersetzung mit den Cramphs von Dokerty-Anbetern bereits auf einen Priester gestoßen waren, der ein anständiger Kerl zu sein schien. Vielleicht war F'Farhan der nächste.

Im Ernst: Die Welt wurde auf den Kopf gestellt!

Ein greller Lichtfleck trieb am Himmel über uns hinweg, und der Regen verschaffte dem Luftschiff einen glitzernden Heiligenschein. Die Ovverers, die sich mit Hilfe von Segeln durch die Luft bewegen, waren in Balintol und Persinia relativ neu. In Vallia waren wir gezwungen gewesen, diese Art von Gefährt zu entwickeln, da uns einige der entscheidenden Ingredienzien für die Silberkästen fehlten, die bei Flugbooten für Auf- und Antrieb sorgen. Ich schüttelte mit einer außerordentlich kleinlichen Geste Wasser von meiner Kapuze. Hier stolzierte ich in Balintol herum, während ich doch ... Ich rief mich zur Ordnung. Verflucht! Drak und Silda waren Herrscher und Herrscherin von Vallia. Sie kämpften mit dem rätselhaften Problem, den für die Aufrechterhaltung des Luftdienstes erforderlichen Nachschub zu besorgen. Meine Aufgabe war und blieb die Zerstörung dieser lästigen Prismen der Macht und der von ihnen erschaffenen monströsen Ibmanzys.

Sobald das erledigt war, erwarteten mich andere Aufgaben. Natürlich fragte ich mich, ob wir sicher sein konnten, alle Prismen zerstört zu haben. Das Prisma in Enderli, das Khon der Mak gerade soeben übernehmen wollte, war unter Umständen nicht das letzte. Mochte Opaz das verhüten!

F'Farhan bog plötzlich in eine Gasse ein, zu deren Seiten sich gesichtslose Gebäude dem regengetränkten Himmel entgegenstreckten. In einer Ecke flackerte eine einsame Lampe. »Wo bringt er uns hin?« fragte ich Fweygo.

»Zu jemandem, der uns zu einem sicheren Unterschlupf bringen soll.«

Nun ja, ich hätte durchaus eine Mahlzeit und etwas Schlaf gebrauchen können, aber mein schlechtes Gewissen, mich nicht um Khon den Mak zu kümmern, trieb mich an. Genau wie die drängende Aufgabe, die Regentin C'Chermina, König Tom und San W'Watchun zu ergreifen, sie in ein Zimmer zu sperren und sie nicht wieder herauszulassen, bevor sie sich einverstanden erklärt hatten, ein Bündnis gegen die Shanks einzugehen. Dann fiel mir ein, daß ich König N'Norgad den Bauch von Enderli ebenfalls dorthin zerren mußte. Ich trat in eine Pfütze und machte mir nicht einmal die Mühe zu fluchen.

F'Farhan führte uns zu einem unauffälligen Gebäude, und ein großer Rapa stellte sich ihm mit finsterer Miene in den Weg. Draußen prasselte der Regen herab, und ich konnte nur wenige Worte aufschnappen. »Nur Kämpfer erlaubt.« – »Aber ich muß Nath die Nase sprechen.« – »Nur Kämpfer erlaubt«, lautete die mürrische Antwort.

F'Farhan schluckte eine Erwiderung hinunter. »Hier ist einer ...« Fweygo wurde herangewunken. Der Eingang war kaum erleuchtet, und die Schatten, der fallende Regen und die Nähe sorgten für ein starkes Unbehagen. Der Rapa war schroff. »Keiner mit mehr als zwei Armen.« F'Farhan war sichtlich der Verzweiflung nahe. »Also gut. Dann der hier.«

Der Rapa sah mich herablassend an. »Na gut, Dom. Nimm ihn. Möge Paranka der Muskel dem armen Fambly beistehen.«

Der muffige, derbe Geruch nach feuchter Kleidung hüllte uns ein, als wir den Gang entlangschritten. Grelle Bilder auf den Wänden zeigten unnatürlich muskulöse Männer und Frauen, die einander zu Brei schlugen. Ihre Knöchel waren nackt. Das schrille Geräusch, das uns entgegendröhnte, verwandelte sich in den Lärm einer aufgeregt brüllenden Menge.

Eine Galerie führte uns über die Köpfe der Menge, die sich unten in der Grube aufhielt. Es waren alle möglichen Leute, die die Vorstellung genossen, doch ein einziger Blick enthüllte eine Gemeinsamkeit, die ihnen allen eigen war. Sie alle waren reich. Das hier war keine Horde aus den Armenvierteln, die einen rauhen Faustkampf sehen wollten. Diese Schicht wollte Blut sehen; sie wollten sich von ihrem sogenannten Sport unterhalten lassen.

In dem von drei parallel gespannten roten Seilen abtrennten Ring hieben zwei Frauen aufeinander ein. Ich warf einen Blick hinüber, verzog angeekelt den Mund und ging weiter. Das hatte nicht einmal annähernd eine Ähnlichkeit mit dem Kampf zweier Jikai-Vuvushis, zweier Kriegsmädchen, die aus anderen Gründen als Gold kämpften.

»Da rein.«

Der Raum stand voller Tische, auf denen Männer und Frauen lagen und massiert wurden. Die Luft dampfte förmlich. Ein Hytak, dessen Gesicht nur noch eine blutige Masse war, bereitete dem behandelnden Nadelstecher offensichtlich Sorgen. Ein Chulik stand in der Nähe und rieb sich unablässig die Hände, wobei er den Knöcheln besondere Aufmerksamkeit widmete. Sein Gesicht war unversehrt. Er war groß. Nein, er war mehr als nur groß, er war ein wahrer Riese. Er überragte jeden der Anwesenden. F'Farhan sah sich unruhig um. Der Rapa war wieder auf seinen Posten zurückgekehrt, nachdem er zu einem Apim im Abendgewand gesprochen hatte. Der Mann trat auf uns zu.

»Du wirst gehen.« Sein gerötetes Gesicht sah müde aus. Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach F'Farhan ihn. »Ich muß mit Nath die Nase sprechen ...«

»Mit ihm! Oh, der nimmt gerade die Wetten ab. Ist später wieder da.«

»Aber ...«

Der Apim, der offensichtlich zu den Veranstaltern gehörte, wandte sich ab. »Naghan! Komm her! Da ist ein Neuer für dich.« Er ging zu dem Chulik hinüber.

Naghan kam herangewalzt; gebrochene Nase, Blumenkohlohren, rollende Schultern, es war alles da. Gelegentlich zuckte sein Kopf zur Seite. Er musterte mich.

»Nur die Fäuste, Dom. Hast du aber wohl schon öfter gemacht, was?«

Fweygo sagte ziemlich scharf: »Das ist keine gute Idee.«

»Wir müssen auf Nath die Nase warten.« Zu meiner Belustigung stellte ich fest, daß ich mit jener pseudoharten Heiserkeit sprach, deren sich diese Kerle so gern bedienen. Der Priester wollte etwas sagen, hielt inne und setzte dann noch einmal an. »Ich werde gehen und ...« Er wandte sich rasch ab und verschwand in der Menge.

»Da kommt Horter R'Raneed.« Naghan trat für den Veranstalter ehrerbietig beiseite. Der Mann sah noch müder aus als zuvor. Ehrlich gesagt war ich schon lange nicht mehr auf der Erde gewesen, aber diesem Boxveranstalter in seinem Abendgewand fehlte ein wesentliches Merkmal seines Handwerks. Zwischen seinen dicken Lippen steckte keine dicke Zigarre.

»Du kämpfst gegen Chandrur.« Er winkte mit der beringten Hand.

»Aber der hat gerade gekämpft, Horter ...«, sagte Naghan.

»Ja, er hat diesen Hytak ziemlich verunstaltet. Das wollen die Zuschauer sehen. Er ist schon wieder bereit. Also kümmere dich drum.«

Fweygo sagte: »Das reicht. Du wirst nicht ...«

»Muß ich aber, wenn der Priester Nath die Nase sprechen will.«

»Aber sieh dir den Chulik doch an! Der wird dich in Grund und Boden prügeln!«

»Ich stimme dir zu, daß es allein mit den Fäusten schwierig sein dürfte. Ein kräftiger Tritt an die richtige Stelle wird indessen wahre Wunder bewirken.«

Der laufende Kampf endete mit entfesseltem Jubeln der Menge, die zerschlagenen Überreste wurden hereingetragen und auf den Tischen abgelegt. Es war schwer zu sagen, wer der Sieger war. Der riesige Chulik kam heran und sah auf mich herab. Ich legte den Kopf in den Nacken, um zurückzustarren. Er sagte kein Wort, sondern grunzte nur, zog den prächtig gemusterten Morgenmantel enger um den muskulösen Körper und ging zusammen mit seinen Trainern. Meiner Einschätzung nach war er unglaublich stark und vermutlich langsam; auf jeden Fall war er muskulös.

Fweygo kratzte sich mit der Schwanzhand die Nase. »Du bist also entschlossen, gegen ihn anzutreten?«

»Aye.«

»Also gut. Ich gehe und schließe eine Wette ab.« Er schenkte mir einen nachdenklichen Blick und verschwand wie ein goldener Geist zwischen den Trainern, Masseuren und Boxern.

Danach nahm alles den hier üblichen Lauf; alle arbeiteten mit der professionellen Langeweile von Leuten, die schon alles gesehen hatten. Naghan, den man auch das Ohr nannte, übergab mich einem Apim, der beinahe genauso schlimm gezeichnet war wie er. Langro der Alumsetter stieß mich auf einen Tisch und ölte mich mit der lässigen Kunstfertigkeit eines geübten Masseurs ein. Er sagte nicht viel, versicherte mir aber, daß er sein Bestes geben werde, mich zusammenzuflicken, falls ich überlebte.

Als die Zeit gekommen war, führte man mich hinaus, mit nichts als dem guten alten scharlachroten Lendenschurz bekleidet. Die Menge buhte, ich machte eine geringschätzige Geste und stieg durch die roten Seile. Es gab keinen Schiedsrichter. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß es irgendwelche Regeln gab, abgesehen davon, daß man nur die Fäuste benutzen durfte.

Chandrur der Chulik wurde mit tumultartigem Beifall begrüßt. Er zeigte sich seinem Publikum, spannte die Muskeln an, machte ein paar Kniebeugen, polierte seine Hauer. Sie waren mit jeweils drei Goldringen geschmückt.

Der Gong durchdrang den Lärm und läutete den Kampf ein, der für diese kultivierten Menschen angenehme Unterhaltung bieten sollte.

Chandrur tänzelte mit überraschender Schnelligkeit auf mich zu und versetzte mir einen derartigen Schlag, daß ich rücklings auf dem mit Sand bestreuten Boden landete. Ich rappelte mich auf, doch da traf er mich über dem Ohr und schickte mich wieder zu Boden.

Er ragte mit gewölbter Brust über mir auf, bereit, sofort wieder zuzuschlagen. Dray Prescot, sagte ich mir, jetzt geht es dir an den Kragen!