15
Aus der Kälte und dem wirbelnden Nichts heraus, durch das die Herren der Sterne mich schickten, sah ich, wie sich um mich herum die Umrisse von Roter Zerstörer formten. Fweygo war als erster eingetroffen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als die letzten Flecken blauen Lichts verschwanden. Sein ausdrucksstarkes Kildoi-Antlitz nahm zuerst einen Ausdruck der Überraschung an, dem kurz darauf tiefe Sorge folgte.
»Es ist schon gut«, sagte ich schnell. »Du hast ihn nicht gekannt. Er war ein alter und teurer Freund.« Selbstverständlich trug ich noch immer die dem Tod angemessene Trauerkleidung. Und genauso selbstverständlich hatte ich alle Waffen angeschnallt.
Nachdem ich meine Taten in Vallia kurz angerissen und erzählt hatte, wie außerordentlich schön es trotz des traurigen Anlasses gewesen war, die Familie zu sehen, berichtete Fweygo, daß auch er der Familie einen Besuch abgestattet hatte. Ihnen ging es gut in Kildrin, was mich aufrichtig freute. Uns beiden war klar, daß er mit der Familie beschäftigt gewesen war, während ich die Dinge in Bewegung gebracht hatte.
Der Schweber flog über Oxonium, die Stadt der Hügel und Gräben. Der Wiederaufbau war in vollem Gang, und viele der Seilbahnlinien hatten den Betrieb wieder aufgenommen. Wir landeten im Hof der Botschaft von Vallia.
Nachdem die aufmerksamen und äußerst tüchtigen Wachen uns den Weg freigegeben hatten, kam Elten Larghos Inverdun lächelnd und mit ausgestreckter Hand herbeigeeilt. »Lahal, Drajak!« Dann wurde er übergangslos ernst. »Du warst bei der Bestattung?«
»Aye.«
»Ein trauriger Verlust.« Er sah Fweygo an.
Also machte ich das Pappattu, und im nächsten Augenblick rannte ein vor Gesundheit und Schönheit strotzendes Mädchen über den Rasen, wobei es ihm in seiner Hast gelang, beinahe den halben Shamlak zu verlieren. Sie schob das Gewand zurück über die anmutige Schulter. »Drajak!«
»Lahal, Veda. Dir geht es gut?«
Sie warf sich mir nicht in die Arme, denn das war nicht Vedas Art im Umgang mit Männern, denen sie meiner Meinung nach noch immer nicht vertraute. Aber ich gewann den Eindruck, daß sie sich freute, mich zu sehen.
Fweygo starrte sie an, das erforderliche Pappattu nahm seinen Lauf, und wir alle begaben uns in die Botschaft, um eine ordentliche Mahlzeit zu uns zu nehmen. Es gab Neuigkeiten zu berichten.
Im Verlauf der Unterhaltung unterrichtete ich Elten Larghos über meine Pläne. Er nickte ernst und brachte seine Meinung zum Ausdruck, daß man hier Kämpfer brauchte und Vallia sich anscheinend die Verantwortung auf die Schultern laden wollte. Als ich sagte, ich würde die kleine Juruk benötigen, die ich beim letzten Besuch mitgebracht hatte, stimmte er zu. Ihr Sold war aus meiner Tasche gekommen, damit die grundsätzliche Anordnung, daß Vallia keine Söldner beschäftigte, nicht verletzt wurde.
Elten Larghos erzählte, sein Koch Meister Ornol der Braten werde nicht mit Meister Nath dem Schinken zurechtkommen. »Man kann nicht zwei Köche in derselben Küche haben«, sagte er und schüttelte den Kopf.
Nach dem Essen und der darauffolgenden kleinen Ruhepause zog ich einen dunkelblauen Shamlak an und verkündete, Hyr Kov Brannomar einen Besuch abstatten zu wollen. Der vallianische Botschafter schloß sich mir sofort an.
Fweygo, der sich offensichtlich nicht ausschließen lassen wollte, begleitete uns ebenfalls. Veda machte einen Schmollmund, zog den Träger zurück über die Schulter und bat Elten Larghos, vorsichtig zu sein. Ich verbarg ein Lächeln. Es hatte durchaus den Anschein, als würden sich diese beiden allen Hindernissen zum Trotz einer Übereinkunft nähern. Nun, bei Vox, und das beste vallianische Glück für das Paar!
Wir nahmen nicht die Seilbahn, sondern flogen in Roter Zerstörer. Ich unterrichtete Fweygo, daß sowohl Elten Larghos als auch Hyr Kov Brannomar meine wahre Identität kannten, mich aber als Drajak ansprachen. »Vielleicht muß ich mehr den hochmütigen und herrschsüchtigen Herrscher hervorkehren, als mir lieb ist. Aber ich glaube nicht, daß Brannomar Schwierigkeiten machen wird. Er regiert Tolindrin für König Tom und ist ein vernünftiger Mann.«
Man führte uns mit dem angebrachten Protokoll in eines von Brannomars kleineren Empfangsgemächern. König Tom stattete Brannomar gerade einen Besuch ab, was sehr nützlich war. Man brachte Erfrischungen, sorgte für Abgeschiedenheit, und ich teilte den Tolindrinern mit, was ich beabsichtigte.
Tom war noch immer ein Neuling im Königsgeschäft und sah Brannomar an. Der Hyr Kov nickte. »Ich danke dir, Majister«, sagte er. »Ich bin davon überzeugt, daß der König ohne Zögern zustimmt. Wie du nur zu gut weißt, wurde das Abkommen verzögert. Hyr Kov Khonstanton ...«
»Was denn, er?« stieß Fweygo hervor, um sofort wieder zu verstummen.
König Tom lachte. »Wie ich sehe, hat dein Freund Khon den Mak kennengelernt.«
Wir klärten sie über den Stand mit den Prismen der Macht auf. Mir gefiel die Situation noch immer nicht, da konnte Cuisar mir versichern, was er wollte.
Die Besprechung fand mit vielen guten Wünschen ihren Abschluß. Sie hatte nicht lange gedauert, aber eine gewaltige Bedeutung für die Zukunft Balintols. Und das wiederum hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Zukunft eines armen Wichtes namens Dray Prescot. Falls der Plan nicht durchzusetzen war, würden die Herren der Sterne sehr ungehalten sein, bei der tropfenden Nase und den schleimverkrusteten Augäpfeln Makki-Grodnos!
Der Botschafter sagte, er werde sofort die nötigen Papiere aufsetzen lassen, damit König Tom und Herrscher Drak ihre Unterschrift leisten könnten. Mit dem Gefühl, etwas Wichtiges erreicht zu haben, verabschiedeten wir uns. Beim Hinausgehen erinnerte ich die Tolindriner noch einmal daran, daß der Vertrag für beide Seiten galt. Sie nickten. Das war ihnen nur allzu klar.
Roter Zerstörer hob sich wieder in die Lüfte. Ich setzte Fweygo und Larghos an der Botschaft ab und flog weiter zum Schrein von Cymbaro.
Die Zwillingssonnen strahlten freundlich am Himmel, und ich nahm an, daß die Priester Cymbaros ein paar leichte Erfrischungen anbieten würden. Es waren durchwegs anständige Menschen, und wenn man die verdammten Dokerty-Freunde hätte bekehren können, wäre Balintol ein viel glücklicherer Ort gewesen. Ein schneller rotgrüner Zwillingsschatten kreuzte den Weg des Vollers.
Was wollte der Gdoinye denn jetzt schon wieder, um des süßen Willens der Sana Fayroa? Ich schaute auf. Die Überraschung, die ich verspürte, kam aus tiefstem Herzen. Dort oben schwebte ein Vogel, in langsamen Kreisen und drehte ständig den Kopf, um mich nicht aus dem Blick zu verlieren, ein Vogel so schwarz wie die Mitternacht. Allein die Krallen und der Schnabel hellten das düstere Bild etwas auf; sie funkelten golden.
Als ich zu dem seltsamen Raubvogel hinaufsah, schoß ein goldroter Blitz durch den Himmel. Der Gdoinye stürzte sich voll entschiedener Entschlossenheit auf den finsteren Eindringling. Einen Augenblick lang herrschte über meinem Kopf ein wüstes Durcheinander aus schlagenden Schwingen und durchdringendem Kreischen. Die beiden mächtigen Vögel hatten die gleiche Größe und kämpften mit äußerster Wildheit.
»Komm schon, Gdoinye! Na los, du Riesenonker! Schnapp ihn dir!« brüllte ich mit der Inbrunst eines Zuschauers im Jikhorkdun, der seinen Lieblingskaidur anfeuert. »Schlitz den Cramph auf! Mach schon!«
Ich kann nicht sagen, ob der Gdoinye mich hörte. Falls ja, ließ er es sich nicht anmerken. Aber einem atemberaubenden Flugmanöver folgte ein Regen schwarzer Federn. Das ließ schlimme Erinnerungen an den Schwarzen Chyyan lebendig werden! Das schrille Kreischen hallte bösartig durch die Luft. Flügel schlugen, Krallen hieben zu, Schnäbel hackten.
Der schwarze Vogel riß sich los und entfernte sich mit schwerfälligem Schwingenschlag. Er starrte in die Tiefe, dann wurden die Flügelschläge heftiger, und er strebte den Zwillingssonnen entgegen. Der Gdoinye verfolgte ihn nicht. Er ruckte mit dem Kopf herum, um mir einen Blick zuzuwerfen, stieg ebenfalls auf und verschwand am Horizont.
»Bei dem gewaltigen Bauch und den riesigen Oberschenkeln der Heiligen Dame von Belschutz! Was hatte denn das zu bedeuten?«
Ich bückte mich und hob eine mattschimmernde schwarze Feder vom Deck auf. Ich sah sie nachdenklich an und drehte sie hin und her. Also war der verdammte Vogel real und kein Trugbild gewesen.
Der seltsame und beunruhigende Zwischenfall hatte mich ernüchtert, und ich setzte meinen Flug zum Schrein von Cymbaro fort.
Als ich in dem blumenübersäten Hof aus dem Schweber stieg, begrüßte mich ein mir unbekannter Priester mit einem ernsten Llahal. Mitten in der Erwiderung sah ich aus den Augenwinkeln eine auf mich zustürzende Gestalt. Ein erfahrener alter Leem-Jäger reagiert erst und macht sich dann Gedanken, wenn überhaupt. Ich sprang zur Seite und fuhr herum. Eine geschmeidige, kräftige, nur aus Armen und Beinen bestehende Gestalt sprang mich an. »Drajak! Drajak!«
Ich befreite mich und hielt ihn auf Armeslänge fest. »Dimpy! Du Kobold aus den Toren Sicces!«
Wir begrüßten uns stürmisch. Er war gewachsen und hatte Muskeln entwickelt, war aber noch immer derselbe lebhafte junge Schurke. Natürlich erkundigte ich mich nach Tiri. Die junge Dame Tirivenswatha hielt sich noch immer in dem geheimnisvollen Seminar von Farinsee auf. Ihre Ausbildung machte schnelle Fortschritte, und ihre Tutorin, die Dame Janetha, hatte Dimpy unter vier Augen wissen lassen, daß ihre in der Cymbaro-Religion fußenden Kräfte mit jedem Tag mächtiger wurden.
Die heikle Frage nach ihrer Beziehung enthüllte, daß Tiri Cymbaro treu ergeben und es sehr unwahrscheinlich war, daß sie jemals heiraten würde. Was nun Dimpy betraf, so hatte er Prinzessin Nandishas Haushalt in gutem Einvernehmen verlassen und spielte mit dem Gedanken, ein Priester Cymbaros zu werden. Das verschlug mir dann doch die Sprache. Er lachte und sagte, er habe seine Meinung über die Religion sowie über gewisse Leute geändert, seit er die von Verbrechen und Gewalt verseuchten Gräben zwischen den Hügeln verlassen hatte. Doch er war für solch eine Aufgabe nicht geschaffen; das Leben eines Akoluthen war zu einschränkend. Die Priester behaupteten ohnehin, er sei viel zu wild und ungestüm. Und so suchte er nach ...
»Nun«, sagte ich und versuchte unparteiisch auszusehen. »Wir werden ja sehen.«
Er lächelte, in tiefem Vertrauen auf seine jungen, moralisch zweifelhaften Fähigkeiten.
San Drefendo, der Priester, bot die erwarteten Erfrischungen an, und wir schritten fröhlich in eine angeregte Unterhaltung vertieft durch die Kreuzgänge. Ein plötzliches silbernes Flackern in meinem Auge wuchs schnell zu dem pulsierenden Silberstern heran, der mich in letzter Zeit so oft heimgesucht hatte.
Ich fuhr ärgerlich mit der Hand über die Augen und schüttelte den Kopf.
Über Dimpys durchtriebenes Gesicht huschte ein verblüffter Ausdruck. »Was ist?«
»Nichts.« Mein Tonfall war ungehalten.
Mit Dimpy ging eine verblüffende Veränderung vor. Er drehte sich um und musterte mich genau. Dann riß er die Augen auf. »Ja«, sagte er leise, »er ist hier.«
Dimpy starrte mich weiterhin an. »Tiri sagt, du siehst gut aus.« Er hielt inne und lächelte, bevor er weitersprach. »Sie sagt, du hast das komplizierteste und verschlagenste Bewußtsein, das ihr bis jetzt untergekommen ist.«
»Tiri!« sagte ich wie ein Narr. »Der Silberstern! Das ist Tiri ...«
»Ja. Sie arbeitet noch daran. Eines Tages wird sie den Durchbruch schaffen.«
In der wundervollen und schrecklichen Welt Kregens können scheinbar unmögliche Dinge geschehen. Magie hat hier nichts mit Taschenspielereien zu tun. Tiri benutzte die Macht einer Religion, um mit uns Kontakt aufzunehmen. Ob sie wohl dieselben Jenseitswelten für ihre Botschaften benutzte wie die Zauberer? Oder geboten jede Disziplin und jede Religion über ihr eigenes kleines Stück Okkultismus?
Als hätte San Drefendo meine Gedanken gelesen, erklärte er mir, daß Tiri Hilfsmittel benutzte, die sich sehr vom Kharma eines Magiers unterschieden. Als wir in dem luftigen Refektorium saßen und die hausgemachten Erfrischungen genossen, konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, welch ein Gegensatz das zu den dunklen Mysterien Kregens war. Ich hatte mich während meiner Zeit hier bis zu einem gewissen Punkt an die Magie gewöhnt, aber man konnte die Zauberer und Geistlichen nie als etwas Normales betrachten. Die schiere Ungewöhnlichkeit solcher Dinge, das unterbewußte Unbehagen, die Taten, die sie auf solch geisterhafte Weise zustande bringen konnten – o nein, das Leben auf Kregen unterschied sich doch sehr von dem auf der Erde!
Schließlich setzte Dimpy seinen Willen durch, und während ich Remberee sagte, packte er seine Habseligkeiten in ein Tuch, hängte dies über das Ende eines Stocks und bestieg den Schweber. Er dachte daran, beim Einsteigen das Fantamyrrh zu beachten, was mir gefiel.
Nach den Katastrophen, die Oxonium heimgesucht hatten, herrschte ziemlicher Mangel an Flugbooten aller Art. Der vallianische Botschafter hatte beträchtliche Beziehungen. Er beschaffte uns einen Schweber, der eine Pastang Swods aufnehmen konnte – natürlich mußte er dafür eine beträchtliche Summe hinlegen, das versteht sich von selbst.
Die Jungs der kleinen Wachmannschaft, die ich aufgebaut hatte, waren froh, mich zu sehen – aber mit noch größerer Begeisterung erfüllte sie die Tatsache, irgendwohin zu fliegen und etwas zu tun, selbst wenn ihnen weder Ziel noch Mission bekannt waren. Wir flogen am nächsten Tag. Roter Zerstörer mit Fweygo, Dimpy und mir flog an der Spitze, Danis Freude mit der Juruk an Bord blieb dicht dahinter.
Der Silberstern materialisierte nicht. Tiri hatte sicher recht, mein Bewußtsein als kompliziert und verschlagen zu bezeichnen. Der Plan, den ich verfolgte, war hingegen einfach und geradlinig. Er war so offensichtlich, daß ich nur zu gut begriff, warum ich es nicht schon zuvor versucht hatte. Es war eine Sache umgekehrten Stolzes. Da ich den ganzen pompösen Ballast, den das Handwerk des Herrschers mit sich brachte, sosehr verabscheute, hatte ich davor zurückgeschreckt, mich der Machtmittel eines Herrschers zu bedienen. Es war schön und gut, Fweygo zu sagen, daß ich mich verdammt noch einmal wie ein Herrscher benehmen würde. Aber jetzt tat ich es tatsächlich, bei Vox! Ich steckte bis zum Hals in der Sache!
Diese verdrießlichen Gedanken beeinflußten meine Handlungen, als wir die Außenbezirke von Prebaya erreichten, der Hauptstadt Caneldrins.
Die Jungs erhielten den Befehl, sich ein komfortables Gasthaus zu suchen. Fweygo und Dimpy würden ihnen Gesellschaft leisten. Es gab Proteste. Die schmetterte ich mit dem Hochmut des geborenen Herrschers ab.
Dann zog ich mich um, legte die Waffen an und ging los, um der Dame Quensella einen Besuch abzustatten.
O ja! Es war durchaus möglich, daß sie mir die Augen auskratzen wollte. Eine unschöne Tatsache blieb bestehen. Es würde eine äußerst unbehagliche Unterhaltung werden. Sie hatte sich und ihre Stellung angeboten und war verschmäht worden. Die Wut über diese Zurückweisung – zumindest war es in ihren Augen eine Zurückweisung gewesen –, konnte meinen Plan in dem Augenblick zunichte machen, da wir uns begegneten.
»Bei dem pustelbedeckten, schwammigen Hintern und der deformierten, entzündeten Nase Makki-Grodnos!« Ich würde verdammt noch einmal zu ihr gehen und es herausfinden!