13

 

 

Fweygos aus Stahl gewobener Kreis des Todes verhinderte, daß ich neben ihm kämpfen konnte. Während er umherwirbelte und Blut aufspritzen ließ, wich er gleichzeitig langsam zurück. Ich lief zu ihm hin und wurde sofort in einen wilden Kampf mit vier Wächtern verwickelt, vier häßlichen Kerlen, deren rote Umhänge bei jeder Bewegung durch die Luft wehten.

Sie mußten schnell ausgeschaltet werden. Ich nahm dem ersten den Braxter ab, der bereits beim zweiten Schlag in zwei Teile zerbrach.

Dem nächsten Angreifer schleuderte ich den Schwertstumpf ins Gesicht.

»Hast du es?« stieß Fweygo hervor.

Ich schickte einen Gegner zu Boden, duckte mich und brachte seinem Kameraden einen tiefen Schnitt bei, bevor ich knurrte: »Nein, in dem Kästchen steckte nur ein Skorpion.«

Der Kildoi gab keine Antwort, aber sein überragendes Fechthandwerk nahm noch an Schnelligkeit zu. Wir hatten gerade die offene Tür erreicht, als sich die Wächter wie ein Rudel hungriger Werstings auf uns stürzten.

»Geh schon!«

Jetzt war keine Zeit für eine Diskussion, also gehorchte ich und begab mich rückwärtsgehend in die Öffnung. Ich ging ein paar Schritte, um Fweygo Platz zu verschaffen, und nahm den Rand der Tür in einen festen Griff.

Fweygos Gestalt zeichnete sich vor dem hellen Lampenlicht des Tempels wie die Marionette eines Schattenspiels ab. Seine Schwerter blitzten rot auf. »Komm schon!« Er kämpfte weiter. »Mach dich bereit! Ich ziehe dich herein!«

Ich packte den dickeren oberen Teil seines Schwanzes, als er sich gerade zwischen seinen Beinen zu einem tödlichen Stoß zusammenrollte, und riß kräftig daran.

Er schoß so schnell an mir vorbei, daß ein Wächter das Pech hatte, ihm zu folgen. Ich versetzte dem Mann einen Hieb in den Nacken und schlug dem nächsten Dokerty-Söldner die Tür ins Gesicht. Vermutlich war seine Nase zu Brei geschlagen worden.

Dann schob ich die Riegel vor; ich schätzte die Tür als stabil genug ein, daß sie eine Zeitlang hielt. Fweygo brüllte: »Du hast an meinem Schwanz gezogen!«

»Aye.« Natürlich war mir durchaus bekannt, daß es die Diff-Rassen, die über einen Schwanz verfügen, überhaupt nicht schätzen, wenn man sich an diesem Fortsatz vergreift. Das ist verständlich. Es ist eine Demütigung. Es verlangt eine sofortige Vergeltung.

Und so fügte ich trotz der noch immer in mir schwelenden Wut ganz leise hinzu: »Ich bitte dich um Verzeihung, Fweygo. Es war nötig.«

Er rollte mit den Schultern; der dumpfe rote Lichtschein aus der Ferne verlieh dem goldenen Schimmer einen stumpfen Glanz. »Nun ja.« Es klang ziemlich widerstrebend. »Du hast mich vorher gewarnt.«

»Und das verflixte Kästchen enthielt kein Prisma, sondern einen opazverfluchten Skorpion.«

»Die Everoinye ...« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Unmöglich.«

»Dem stimme ich zu. Der Skorpion sollte als Wächter dienen. Wohin führt uns das?«

Mittlerweile eilten wir den Gang entlang. Das Licht wurde heller. Zweifellos war das ein Weg, der von Priestern benutzt wurde.

»Also wo ist es?«

Die Antwort darauf lag auf der Hand, ohne uns weiterzubringen.

»San Cuisar ist entkommen und hat das Prisma der Macht mit sich genommen. Darum haben ihn die Mörder auch verfolgt.«

»Aye.« Fweygo wischte im Laufen seine Klingen sauber. »Du hast behauptet, er wollte zu W'Watchun.«

»Das hat er gesagt.«

»Ich muß darüber nachdenken. Sieh nur, da vorn ist eine Tür.« Der Kildoi blieb seiner verblüffenden Art treu und hielt mit dem Schwertreinigen nicht inne, während er gleichzeitig die Tür öffnete und das andere Schwert vorschnellen ließ. »Bloß ein Vorraum.«

Haken an den Wänden trugen rote Gewänder.

»Nein«, sagte ich düster, »das wird nicht gelingen.«

»Schade. Dann komm.«

Wir mußten damit rechnen, in weitere Kämpfe verwickelt zu werden. Doch ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß die Wächter, die einen anderen Weg gehen würden, um uns beim Verlassen dieses Ganges abzufangen, nicht so ohne weiteres Zugang zu diesem Teil des Palastes hatten. Dies war das Territorium der Priester. Dennoch würde man die Wachen nach einigen Diskussionen einlassen. Selbstüberschätzung ist eine Todsünde. Manchmal kann die mit ihr einhergehende Kleinlichkeit sehr hilfreich sein. Wir marschierten weiter, bereit für den nächsten Kampf.

Ein aufblitzendes Licht ließ mich blinzeln. Fweygo ging voran, die Schwerter bereit. Das silbrige Funkeln verblaßte nicht, sondern wurde größer und verwandelte sich in einen Stern mit vielen Zacken, der meine gesamte Sicht ausfüllte.

Was in Zairs Name war das? Ich drehte den Kopf, und der funkelnde Stern machte die Bewegung mit, was mir bestätigte, daß er sich tatsächlich in meinem Auge befand und nicht in dem Gang.

Die Mitte des Sterns wand sich in unbestimmter, nebelhafter Weise. Die vier Himmelsrichtungen waren viel ausgeprägter als die anderen Spitzen, aber ich konnte nicht erkennen, wie viele Strahlen sich genau zwischen ihnen befanden. Sie veränderten ständig Größe, Länge und Anzahl. Ich schloß die Lider, aber der silberne Stern blieb.

Fweygo drehte sich um; er stand in einer Tür und winkte mich heran. »Was ist?« fragte er scharf.

»Nichts. Geh weiter.«

»Du siehst ...«

»Es ist nichts!«

»Gut.«

Wir gingen weiter. Meiner beschränkten Erfahrung nach sind alle Kildoi sehr klug. Sie sind mit allen Wassern gewaschen, wie man in Clishdrin sagt. Dieser großartige Vertreter der Rasse der Kildoi würde das, was er meinem Gesicht abgelesen hatte, nicht so ohne weiteres vergessen. O nein, bei Krun!

Der rätselhafte Stern funkelte und blitzte in meinem Auge, während wir ein paar Gemächer durchquerten, in denen eine gewisse Unordnung die Hast verriet, mit der die Bewohner sie verlassen hatten. Wir verließen den Teil des Palastes, der der Tempelarbeit gewidmet war, und betraten vorsichtig – sogar sehr vorsichtig, bei Vox! – eine Anzahl von Räumen, in denen sonst die Dienerschaft arbeitete.

Plötzlich blähte sich der Stern zu seiner dreifachen Größe auf. Im gleichen Augenblick hörte ich – oder bildete mir es zumindest ein – ein helles Lachen, das an das plätschernde Wasser eines Springbrunnens erinnerte. Das Gelächter verwandelte sich in Worte, die ich jedoch nicht verstand. Ein schwarzer Stern schob sich über den silbernen wie ein schwieliger Finger und Daumen, die eine Kerzenflamme löschen. Ich blinzelte. Stern und Stimme waren verschwunden.

Die Stimme meines Kameraden holte mich aus meiner Erstarrung. »Ah!« Fweygo hörte sich sehr zufrieden an. »Ich glaube, wir sind im Geschäft.«

Ich schob das Rätsel des Silbersterns beiseite, der im Auge eines Menschen Gestalt erlangt, und sah, was die Zufriedenheit des Kildoi ausgelöst hatte. Vor uns schlichen zwei Dokerty-Söldner. Offenbar hatte man den Palast geräumt, damit die Suche nach den Eindringlingen einfacher zu bewältigen war.

Die beiden Wachen bekamen gar nicht mit, was sie da traf.

Wir legten die roten Umhänge an und zogen sie zurecht. Dann überprüften wir gegenseitig unser Erscheinungsbild. Fweygo hielt die beiden unteren Arme und den Schwanz in den Falten des Umhangs versteckt.

Er würde als Apim durchgehen, solange kein neugieriger Wächter ihm zu nahe kam. Wir marschierten mit der dazugehörigen Hochnäsigkeit los. Ich hatte den Umhang eines Deldars erwischt; Fweygo war ebenfalls ein Deldar.

Als wir von einem Hikdar und seinen Männern angehalten wurden, erstattete Fweygo Bericht; er war knapp und militärisch. Der Hikdar nickte und gab seine Befehle, die Fweygo mit einem schneidigen »Quidang, Hik!« kommentierte.

Wir marschierten los, um den Befehl des Hikdars zu befolgen, bis wir außer Sichtweite waren. Dann gingen wir weiter in Richtung Ausgang.

Fweygo hatte nicht vor, den Palast durch den häßlichen Innenhof zu verlassen, durch den man mich mit gefesselten Händen gezerrt hatte.

O nein, bei Krun! Das war nicht sein Stil! Die Stille des Palastes kam mir seltsam, wenn nicht sogar unheimlich vor. Normalerweise waren Gänge und Gemächer vom Geschnatter der Stimmen, den Geräuschen der Arbeit und dem Schlurfen von Sandalen auf marmornem Boden erfüllt. Fweygo hatte eine kleine, dennoch verzierte Seitentür gewählt. Wir huschten wie Geister durch die letzten verlassenen Korridore. Die Tür schwang auf geölten Angeln zurück. Die Wachhäuschen waren leer.

»Er bringt auf diese Weise seine Favoritinnen hinein«, kommentierte Fweygo und betrat die Straße. Die Nachtluft war frisch und das Funkeln der Sterne zwischen den Wolken beruhigend.

Hinter uns ertönte ein Ruf. Wir beachteten ihn nicht und begaben uns in den Schatten des gegenüberliegenden Hauses, das in einem seltsamen Winkel zu den Palastmauern stand. Der Ruf ertönte erneut. Es war unverkennbar die Stimme eines Deldars. Wir traten tiefer in die Schatten hinein und verschwanden aus seiner Sicht.

»Sollten sie uns verfolgen, werden sie keinen Erfolg haben.« Fweygo klang belustigt.

Die blutigen Auseinandersetzungen hatten die Wut in meinem Innern ein wenig besänftigt. Der Groll auf das Schicksal brodelte noch immer vor sich hin. Der nächste Schritt lag klar auf der Hand.

»Du redest doch immer davon, ich sei der Herrscher von Paz«, sagte ich mit einer Stimme, die ich zu zügeln versuchte und die deshalb einen harten, metallischen Klang hatte. »Nun gut. Du sagst, die Everoinye haben dich beauftragt, mich dabei zu unterstützen, dieser Herrscher zu werden ...«

Er wollte mich unterbrechen, aber ich ließ es nicht zu. »So sei es! Ich werde wie ein verdammter Herrscher handeln. Komm!«

Der Herrscher von Vallia hatte seine Vertreter in Balintol kürzlich in den Rang von Botschaftern erhoben. Der neue Botschafter in Nerlinium war Strazab Erlinen, den man Erlinen den Mürrischen nannte. Er war ein aufrechter, bodenständiger Mann, der sich in der Zeit der Unruhen prächtig verhalten hatte; er machte sein Geld mit der Lieferung von Reittieren an die Armee. Filbarrka hatte mir mitgeteilt, daß dieser Erlinen ehrliche Preise verlange. Zu ihm führte ich nun Fweygo, ohne mich auf eine Diskussion einzulassen.

Die Botschaft stand auf eigenem Grund und Boden; die Mauern standen in einem seltsamen Winkel zu den vorbeiführenden Straßen. Die Wächter – ich kannte nicht einen von ihnen – sahen in ihrer vallianischen Tracht sehr schneidig aus; man ließ mich eintreten, nachdem ich das Kennwort gesagt hatte. Wie Sie wissen, lagern in allen vallianischen Botschaften von mir bezahlte Ausrüstungsgegenstände, die ein Abenteurer brauchen könnte.

Strazab Erlinen war die Höflichkeit in Person und äußerst gewissenhaft, was die Einhaltung des Protokolls anging. Er begrüßte Fweygo förmlich. In seinem Arbeitsgemach kamen wir dann sofort zur Sache.

»Ein Flugboot, Majister? Aber natürlich – wie groß?«

»Es muß schnell sein. Höchstens ein Viersitzer.«

Im Handumdrehen war alles organisiert. Ich glaube, sein Erster Stylor wurde in den Schweberdrom geschickt, um das Flugboot zu kaufen. Es war ein schlankes, auf Hochglanz poliertes Gefährt. Es war neu und trug den Namen Duftende Palines.

»Hm!« machte Fweygo, als er das hörte.

Wir verließen den Botschafter nach einer umfangreichen Mahlzeit, einem Bad und einem höchst willkommenen Kleiderwechsel. Wir wollten abwechselnd schlafen. Ein Dolch wurde geworfen, und der Kildoi zog die erste Wache.

Als ich die mit Fellen gepolsterte Flugseide anzog, sagte ich ihm, er solle einen neuen Namen auswählen, falls ihm der alte nicht gefalle. Als er mich weckte, hatte er sich wirklich etwas Tolles einfallen lassen. »Roter Zerstörer. Aye, so soll der Flieger heißen.«

Ich dachte bloß: Zair, erbarme dich meiner!

Fweygo ging schlafen. Der Schweber sauste durch den Himmel, als der Morgen in seiner ganzen Pracht anbrach und rubinrotes und smaragdgrünes Licht zwischen den Wolken aufblitzte. Die Nacht floh. Die Luft war lebendig. Ich sah auf meinen schlafenden Kameraden hinab und erkannte, daß er trotz seiner gewöhnungsbedürftigen Kildoi-Eigenarten einen Platz in meinem Herzen neben all den anderen Klingengefährten gefunden hatte.

Wenn es hart auf hart ging oder, wie Seg Segutorio sagen würde, der Pfeil in die Sehne eingehakt wurde, würde Fweygo der Kildoi in der ersten Frontreihe mit dem Rest von uns stehen.

Unter uns flog der Boden vorbei. Ein See erschien und funkelte so silbern wie ein Stern. Als ich näher hinsah, blieb der See hinter uns zurück; der Stern funkelte weiterhin in meinem Auge.

»Verflixtes Ding!« Ich schüttelte den Kopf, schloß die Augen. Der Stern blieb. Wieder hörte ich das perlende Gelächter und die unverständlichen Worte. Und wieder löschte nach einiger Zeit der schwarze Stern die geisterhafte Erscheinung aus. Verlor ich mein Augenlicht? Oder gar den Verstand?

Die Reise nahm ihren Lauf. Fweygo erwachte, wir aßen und unterhielten uns – das Essen war reichlich und die Unterhaltung spärlich – und fühlten uns erfrischt. Roter Zerstörer erwies sich als schneller Flieger, und wir fraßen förmlich die Dwaburs.

Trotzdem verschwendeten wir viel Zeit, als wir zu dem gigantischen Abgrund und der Höhle flogen, in der der Wall aufrechterhalten wurde. San W'Watchun war nicht da, und die Wachen befahlen uns unmißverständlich zu verschwinden. Wir flogen in südwestlicher Richtung nach Winbium weiter.

Es kam zu weiteren Verzögerungen, da wir zuerst in Erfahrung bringen mußten, wo sich der Illusionszauberer aufhielt, und uns dann Zugang verschaffen mußten. Durch den Umweg in unserem Flugplan hatte alles dann doch mehr Zeit in Anspruch genommen als veranschlagt – wir hätten es in etwa einem irdischen Tag und einer Nacht schaffen müssen. Schließlich führte uns der Chulik Chekaran in das verdammte Gemach, wo ich W'Watchun das erste Mal in die unheimlichen glasigen Augen geblickt hatte.

Ich hatte nicht wissen können, welchen Empfang man mir bereiten würde, und so war ich angenehm überrascht, als der Zauberer uns freundlich empfing. Wir redeten nicht um den heißen Brei herum, sondern nannten W'Watchun den Grund unseres Kommens. Einen Augenblick lang spiegelte sich Furcht auf seinem Gesicht, die er dann aber rasch unter Kontrolle brachte. »San Cuisar ist hier. Er suchte meinen Schutz. Aber – ein weiteres Prisma der Macht! Das könnte eine Katastrophe sein!«

Man ließ San Cuisar kommen. So bleich und rundlich wie zuvor, schien er mit seinem Schicksal so weit zufrieden zu sein, wie das unter den Umständen möglich war.

»Horter Drajak«, sagte er ohne Umschweife. »Ich schulde dir mein Leben. Und die Dame Alyss ist ein Juwel unter den Frauen. Aber es gibt keinen Anlaß für deine Fragen. Ich glaube, du weißt mehr, als gut für dich ist.«

»Khon der Mak macht Jagd auf das Flutubium«, sagte ich schroff. Die Zeit für Artigkeiten war vorbei. »Sollte er es in die Hände bekommen ...«

»Aber das wird er nicht!«

»Warum nicht?«

Meine Grobheit ließ ihn die Stirn runzeln, und er sagte: »Es ist an einem Ort versteckt, an dem es sicher ist. Es wird gut bewacht.« Er kicherte. »Sehr gut bewacht, bei Dokerty!«

Wir konnten betteln und drohen, soviel wir wollten, er beharrte darauf, daß das schreckliche Ding in Sicherheit war. Er sagte, er verstehe von diesen zauberischen Dingen mehr als wir. Schließlich meinte W'Watchun, er werde Cuisars Beteuerungen Glauben schenken. Khon der Mak werde das Flutubium und den Schrecken, den es enthielt, nicht aufspüren. Damit müßten wir uns zufriedengeben.

»In diesem Fall habe ich andere Dinge zu tun, die das Wohlergehen von ganz Balintol betreffen«, sagte ich.