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Ich, Dray Prescot, Vovedeer, Lord von Strombor und Krozair von Zy, habe nie behauptet, meinen Mitmenschen überlegen zu sein, und tue es auch jetzt nicht. Es stimmt schon, ich habe viele phantastische Dinge erreicht, aber ich bin auch oft gescheitert, wie Sie wissen. Als ich mich zum Palast begab, um der Dame Quensella gegenüberzutreten – Quensella und ihre Zwillingsschwester, die Regentin C'Chermina, verstanden sich nicht –, wandten sich meine Gedanken anderen Dingen zu.
Es bestand nicht der geringste Zweifel, daß meine Freunde mehr wert als alle Schätze Kregens waren. Seg Segutorio war der beste Klingengefährte, den sich ein Mann wünschen konnte. Der Gedanke an Quensellas und C'Cherminas Feindschaft erinnerte mich daran, wie gut Segs Frau Milsi, die Königin von Croxdrin und Herrscherin von Pandahem, mit ihrer Stieftochter Silda zurechtkam, der Herrscherin von Vallia und Draks Frau. Sie liebten sich, wie es sich für Mutter und Tochter gehörte. Natürlich würde Silda ihre leibliche Mutter Thelda nie vergessen – ach ja, Thelda, die es immer nur gut gemeint hatte!
Diese schmerzliche Erinnerung ließ mich an die Andeutung denken, die Delia über den König und die Königin von Hyrklana gemacht hatte. Mein jüngster Sohn Jaidur und Lildra hatten Eheprobleme. Ich konnte nichts weiter tun als zu hoffen, daß sich diese häßliche Situation wieder legen würde. Ich wußte nur zu gut, daß Jaidur, Vax Neemusbane, bei dem geringsten Wort von mir wie ein explodierender Vulkan aufbrausen würde.
Ich fühlte mich hilflos in dieser Lage. Mit den sich bekämpfenden Zwillingsschwestern stand ich vor einer ganz anderen schwierigen Situation. Zu meiner Überraschung entschlüpfte meinen Lippen ein Seufzer. Ich würde wohl der große, hochmütige, keinen Widerspruch duldende Herrscher sein müssen, den ich Fweygo versprochen hatte.
Und während ich mir völlig darüber im klaren war, daß man das Verbrechen und nicht den Verbrecher hassen sollte – worum ich mich in der Vergangenheit so oft bemüht hatte –, war das bei einigen der sogenannten ›bösen‹ Personen, die mir auf Kregen begegnet waren, so gut wie unmöglich. San Blarnoi zufolge ist das so, als wolle man einen Eisblock durch die Feueröfen von Inshurfrazz transportieren.
Bevor man die schicken Villen und Paläste am Flußufer erreichte, mußte man durch die Armenviertel der Stadt. Wie viele dieser bedauernswerten Menschen waren durch die Schurkereien anderer ins Elend gestürzt worden? An den Straßenecken scharten sich Bettler, die flehend die Arme ausstreckten, die Bettelschalen bereithaltend. Es war unmöglich, sich an diesen traurigen Anblick zu gewöhnen, dennoch hatte ich den Eindruck, daß es weniger Bettler als sonst waren. In der Stadt waren auch weniger Soldaten als früher unterwegs. Quensellas Palast kam in Sicht, und ich rückte in Gedanken den Schwertgurt zurecht und trat auf das Haupttor zu.
Ein kräftiger Hytak in einer hübsch verzierten Rüstung, wie sie von der Dame Quensella bevorzugt wurden, stieß den Knauf seiner Hellebarde auf den Boden und sagte: »Hai, Jik! Lahal!«
»Lahal, Ornol«, erwiderte ich. »Schön, dich zu sehen.«
Also würde es keine Schwierigkeiten geben, in den Palast zu gelangen. Die neue Leibwache der Dame war von den Befehlshabern der alten, nun zu mir gehörenden Wache zusammengestellt worden. Es war ein glücklicher Zufall, daß einer der wenigen neuen Swods, die ich noch kennengelernt hatte, zur richtigen Zeit am Eingang auf Posten stand.
In kürzester Zeit stand ich im Vorzimmer zu Quensellas Privatgemächern. Bei unserer letzten Begegnung hatte sich hinter diesen verzierten Türen eine lächerliche, zugleich höchst unangenehme Szene abgespielt, an die ich mich nur ungern erinnerte.
Der Majordomus Tal der Strenge war noch fetter geworden und führte mich mit seinem Watschelgang hinein; er bemühte sich nicht, die Verachtung auf seinem Gesicht zu unterdrücken.
Nun, sie erfreute sich bester Gesundheit und sah aus wie das blühende Leben. Bei meinem Eintreten blieb sie auf dem Diwan sitzen. Sie war ganz die große Dame, ein Seidenschal baumelte zwischen ihren schlanken Fingern herab; ihre ganze Haltung drückte Güte und Vornehmheit aus. Sie würde sich anhören, was Leute von geringerem Stand zu sagen hatten.
Sie trug einen blauen Shamlak von betörendem Schnitt. Ihre Züge blieben beherrscht, aber zwischen den Augenbrauen ragten steil zwei tiefe Falten auf. O ja, bei Vox, sie war wie eine aufgezogene Feder, dazu bereit, ihre ganze Wut und Verbitterung hervorbrechen zu lassen.
Wir begannen mit dem Austausch höflicher Lahals, und sie bot Erfrischungen an. Bezeichnenderweise verzichtete sie darauf, mir einen Platz anzubieten.
»Ich bin überrascht, daß du die Frech ... daß du zurückgekehrt bist.« Ihre Brust geriet nicht in Wallung, aber während wir sprachen, trat auf jeder Wange ein feuerroter Fleck zum Vorschein. Und dann sagte sie – vermutlich, weil sie nicht anders konnte, die arme Frau – atemlos: »Du bist zu mir zurückgekommen!«
Mit geziemendem Ernst raubte ich ihr diese Illusion. Nun konnte sie jeden Augenblick nach ihren Wachen rufen und den Befehl geben, mich einen Kopf kürzer zu machen. Diese Macht hatte sie. Die Situation war trotz der Höflichkeiten äußerst gefährlich. »Mich führen politische Angelegenheiten her.«
Sie ließ sich gegen die Lehne des Diwans sinken und schob die Unterlippe vor und dann in die Höhe, bis sie die Oberlippe bedeckte. Sie verdrehte das Seidentuch. »Politik!« stieß sie hervor. »Du – du weißt, was du mir angetan hast?«
Das war natürlich genau der Punkt, bei Krun! Ich hatte nichts getan, als sie keuchend und bettelnd zu meinen Füßen gelegen hatte. »Du kennst meine Meinung. Ich würde dich als Freundin wirklich schätzen ...«
»Als Freundin!« Brüsk setzte sie sich auf, und jetzt bebte ihre Brust. Ihr Gesicht glühte. Im nächsten Augenblick würde sie nach den Wachen rufen. Sie fuhr mit der Hand vor dem Gesicht herum, die Seide flog durch die Luft wie der Schwanz eines Kometen. »Du ... du Bestie! Ich habe dir angeboten, mein ... Und jetzt kommst du her und schwafelst etwas von Politik!«
»Es gibt viele Gefahren ...«
»Das ist wahr! Das ist nur zu wahr! Du verschmähst mich – warum sollte ich nicht den Befehl geben, dir den Kopf abzuschlagen und ihn an meiner Schlafzimmerwand aufzuhängen? Warum?«
Ich machte geduldig weiter. »Die Bedürfnisse Caneldrins ...«
»Oh, hör doch mit diesem Unsinn auf!« Sie stand auf und schritt umher. Ja, sie sah aus wie eine große Katze, geschmeidig und tödlich. »Was weißt du schon von Politik? Ein kleiner Paktun. Den ich zu meinem Cadade gemacht habe! Du tätest gut daran, Dinge, die dich nichts angehen, denjenigen zu überlassen, die über dir stehen!«
Das war natürlich genau die Art und Weise, mit der die Mächtigen der Welt ihre Untertanen betrachten. Quensella sah nichts Falsches daran.
In deutlich schärferem, beherrschtem Tonfall erklärte ich ihr die Situation. Dabei war ich mir die ganze Zeit der dunklen Wut in meinem Innern bewußt, die nur darauf wartete, in zerstörerischer Weise hervorzubrechen. Ich mußte sie unter Kontrolle bringen!
Ich sagte ihr, ich hätte eine diplomatische Botschaft für die Regentin. Ich würde sicheres Geleit zu C'Chermina brauchen. Und sie, die Dame Quensella, möge dafür sorgen.
Sie warf den Kopf in den Nacken, und diese eitle Geste machte mir Mut, denn ich hielt sie für ein Zeichen, daß sie zuhörte. »Warum sollte ich?«
»Ganz einfach, für das Wohl von ganz Balintol.«
»Eine diplomatische Botschaft?« Sie blieb stehen. »Wer schickt diese Botschaft? Und warum bist gerade du der Überbringer?«
»Weil man mir vertraut.«
Sie schnaubte verächtlich. »Nun? Sag schon, du Hulu, wer?«
»Der Herrscher von Vallia.«
»Ah!«
Sie hielt den Seidenschal an den Hals. »Vallia!«
»Du hast doch sicher gewußt, daß ich aus Vallia stamme.«
Das wischte sie mit einer unbestimmten Geste fort. »Da du über Politik plapperst ... Du mußt wissen, daß die Vallianer sich mit den Tolindrinern verbünden wollten, was aber gescheitert ist.« Sie wandte sich mir zu. »Du kennst die Botschaft? Sag sie mir, Drajak!«
»Oh, es ist kein Geheimnis. Vallia wird jedem Land Balintols beistehen, in das ihr einmarschiert. Und sollte jemand in euer Land einmarschieren, werden wir euch helfen.«
Quensella riß die Augen weit auf. Sie befeuchtete sich die Lippen. »Ja, ja. Ich verstehe. Meine liebe Schwester wird sich winden vor Wut. Ha!«
Jäh änderte sich ihre Stimmung, und sie sah mich an wie ein Leem ein Ponsho. Wieder befeuchtete sie sich die Lippen. »Warum sollte ich dir glauben? Es ergibt keinen Sinn. Der vallianische Botschafter würde normalerweise zu C'Chermina gehen – warum also du? Warum diese Geheimnistuerei?«
Ich winkte ab. »Es hat sich einfach so ergeben. Der Botschafter wird den ausformulierten Vertrag überbringen, sobald er fertig ist.«
Ihr gefühlsmäßiger Zustand war offensichtlich. Sie war ein brodelnder Vulkan, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Doch ich spürte eine Veränderung. Quensellas ganze Wünsche hatten sich auf die Leidenschaft konzentriert, jetzt schmiedete sie Pläne, um andere Begierden zu befriedigen. Meine Worte hatten etwas bewirkt. Der Blick, den sie mir jetzt zuwarf, glich mehr dem eines Zinswucherers, der ein potentielles Opfer einschätzt und dabei die einzunehmenden Zinsen errechnet.
»Vallia zieht dich ins Vertrauen?«
Sie umschrieb es; tatsächlich wollte sie wissen, ob mir vallianische Geheimnisse bekannt waren. Ich sagte, ich würde dem Herrscher einen Gefallen erweisen. Als sie das hörte, biß sie sich auf die Lippe und schlug eine andere Taktik ein.
Sie setzte sich wieder auf das Sofa und bot mir einen Platz an. Der vergoldete kleine Polsterstuhl war unbequem, aber ich setzte mich trotzdem.
Quensella war eine Dame von Adel, das durfte man nicht vergessen. Ihre Zwillingsschwester war die Regentin. Und so schwelte auch in ihrer Brust der Ehrgeiz.
Schließlich kam sie zur Sache. Sie konnte mir nicht mehr anbieten, als sie es bereits getan und ich abgelehnt hatte. Aber würde ich ihr trotzdem helfen? Es konnte gelingen. Viele Kämpfer waren bereit, ihr zu dienen. Die Idee war zwar nicht neu, hätte aber bei einem Erfolg sehr nützlich sein können, bei Krun!
Was Quensella nicht wußte, war die Tatsache, daß ich bei dem Scheitern dieser ganzen Intrigen zur Bestrafung zurück zur vierhundert Lichtjahre entfernten Erde geschleudert werden würde. Dort konnte ich dann verfaulen, bis die Herren der Sterne entschieden, mich erneut für ihre unergründlichen Pläne zu benutzen.
Ich antwortete, ich müsse erst darüber nachdenken, da es hier um Dinge der Ehre ging, aber ich konnte sie davon überzeugen, daß ich auf jeden Fall ihr Freund bleiben würde.
»Wenn deine Schwester so dumm ist, sollte sie ... Nun, vielleicht wäre es besser für ganz Balintol und damit auch für Paz.«
»Ich vertraue dir in diesen ernsten Angelegenheiten, Drajak.«
Verflixt! Sie tat mir leid, von ganzem Herzen leid. Sie war völlig vernarrt in mich, was mir ein wirklich unbehagliches Gefühl bescherte, bei Krun. Sie hielt mich für einen einfachen Paktun, und doch wollte sie, daß ich ihr bei hohen Staatsgeschäften half. So klug und manipulierend sie auch sonst war, nur eine von der Leidenschaft geblendete Frau konnte so dumm sein.
Als alter Leem-Jäger war ich natürlich nicht so leicht zu übertölpeln. Aber ich müßte mich doppelt vorsehen. Es konnte alles auch nur der verschlagene Versuch sein, mit mir abzurechnen, denn eine verschmähte Frau ist sehr gefährlich. Sie konnte mich in ihre Verschwörung verwickeln und mich dann als verräterischen Schurken bloßstellen. Meine Hinrichtung würde ihren sadistischen Triumph vollkommen machen.
Schließlich hatte ich es hier mit einer Dame zu tun, die Schrepims als Meuchelmörder angeheuert hatte, um an jenen Vergeltung zu üben, die sie beleidigt hatten.
Wir unterhielten uns noch eine Zeitlang. Bis jetzt waren hauptsächlich Andeutungen gefallen, aber nun brachte Quensella ihre Absichten immer deutlich zur Sprache. Sie waren in ihren jüngeren Jahren unterdrückt worden. Jetzt brachen sie sich freie Bahn.
Was das Treffen zwischen C'Chermina und mir anging, nun, das spielte in ihren Plänen eine große Rolle. Die Vorbereitungen würden Zeit beanspruchen, wie sie es immer an Höfen tun, über die sich der Nebel der Intrige herabgesenkt hat. Aber Quensella sah diese Begegnung als den Ausgangspunkt ihrer Verschwörung an.
Sie verzichtete darauf, sich mir noch einmal an den Hals zu werfen, während das halb abgelegte Kleid über den Teppich schleifte. Sie streckte mir die Hand entgegen, die ich schüttelte, statt sie zu küssen. Als Tal der Strenge gerufen wurde, um mich hinauszubegleiten, nahm sie eine Pose eisigen Hochmuts ein. Er haßte mich, denn er hatte nicht vergessen, daß ich ihm einmal eine gewisse Lektion in Sachen Höflichkeit erteilt hatte – ganz kostenlos.
»Bis morgen, Drajak der Schnelle! Remberee!«
»Remberee, meine Dame.«
In den Straßen der Stadt herrschte helle Aufregung, als ich den Palast verließ. Atemlos brüllten Leute die Neuigkeit hinaus. Aufregung hing in der Luft. Der große Tag war angebrochen. Die glorreiche Regentin C'Chermina hatte zugeschlagen.
Die Nachricht ließ mich frösteln, als würde der Eiswind von Gundarlo schneidend durch mein Herz wehen und jede Hoffnung zerfetzen.
C'Chermina hatte tatsächlich den Befehl gegeben. Caneldrins Heere marschierten nach Süden, eine riesige Armee fiel in Tolindrin ein, ein unüberwindlicher Troß, der von Sieg zu Sieg eilte.
Was war der Bündnisvertrag jetzt noch wert?