11

 

 

Glücklicherweise hatte der Regen aufgehört. Gelegentlich fanden ein paar rosige Strahlen der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln ihren Weg bis aufs Kopfsteinpflaster, was bedeutete, daß der Himmel langsam aufklarte. Eine Nacht, wie geschaffen für verstohlene Schurkereien.

Es kam zu einer Szene aufgeregten Treibens, als die Zuschauer das Haus verließen. Der Ruf »Loxo!« hallte unentwegt durch die Luft, und Linkmänner mit an Stangen befestigten Lampen eilten herbei, um den Nachtschwärmern den Weg zu leuchten. Als der Regen versiegt war, hatten einige der Linkmänner bereits Fackeln entzündet. Das Licht spiegelte sich auf dem nassen Straßenbelag. Aus den Ställen hinter dem Gebäude brachte man Reittiere. Zweiräderige Kutschen wurden vorgefahren; diesen Hochwohlgeborenen fiele es nicht im Traum ein, in einem vierräderigen Wagen zu fahren. Ich hielt in dem Gewimmel nach meinem Mann Ausschau.

Die Anhänger von Diproo dem Flinkfingerigen gingen ihrem Handwerk nach. Straßenhändler priesen lautstark ihre Waren an, in der Hauptsache Früchte und Süßigkeiten, leckere Kleinigkeiten, um nach dem heisermachenden Gebrüll bei den Boxkämpfen den Mund zu befeuchten. Für den normalen, leichtfertigen jungen Burschen, der abends zu seinem Vergnügen unterwegs war, bot sich das entzückende Bild guten Lebens. Jemand wie ich, dessen Lebensaufgabe für Vergnügungen keinen Platz ließ, zog seine Freude aus der Tatsache, daß das Menschengewirr eine vorzügliche Deckung bot.

Meine Nase erschnupperte aus den unzähligen Düften das köstliche Aroma von Muskuchen. Sofort mußte ich an meinen Kameraden Inch denken. Nun, wie würde der lange Kerl sagen: Kein Zeitpunkt ist besser als die Gegenwart, um den inneren Mann zu stärken. Natürlich würden die ihm heiligen Tabus kurz darauf verlangen, daß er sich auf den Kopf stellte oder etwas ähnlich Lächerliches tat.

Ein paar Kupferstücke sicherten mir ein ordentliches Stück Muskuchen, und während ich die Delikatesse dankbar verspeiste, behielt ich die Menge im Auge.

Der Kauf erinnerte mich an den Stand meiner Finanzen. Das Geld, das ich den Söldnern mit den roten Umhängen abgenommen hatte, würde reichen, um eine Kutsche zu mieten, sollte Khon der Mak fahren oder reiten. Ein kräftiger junger Gon, dessen Kopf sparsam mit Butter eingerieben war, schien der richtige Mann zu sein. Er zog einen leichten Zweiräder mit Korbsitz und zerschlissenen Kissen. Nach kurzem Feilschen übergab ich ihm vier Silberbhins als Anzahlung, damit er mir den Wagen reservierte.

Während der ganzen Zeit hielt sich das nagende Gefühl in meinem Voskschädel, daß das Flutubium durchaus im Schutz des Tempels aufbewahrt werden konnte. Vielleicht hatte Fweygo recht. Trotzdem, dieser Yetch Khon der Mak konnte sehr überzeugend sein. Nach dem letzten Bissen Kuchen holte ich tief Luft und beschloß, bei meinem ursprünglichen Plan zu bleiben.

Schließlich trat er mit seinen Helfershelfern heraus und blieb erst einmal kurz stehen, um die frische Nachtluft einzuatmen; ein wichtiger Mann, von seinem Gefolge umgeben. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er mich im Ring erkannt hatte. Um die Wahrheit zu sagen, war es eine echte Überraschung gewesen, eine so kalte und asketisch wirkende Person bei einem Boxkampf anzutreffen. Ostler brachten Zorca heran. Khon der Mak legte die Hand auf die Nüstern seiner Zorca und streichelte sie. Er beugte sich näher heran, um dem Tier etwas ins Ohr zu flüstern.

O ja, es gab noch eine andere Seite in ihm. Natürlich mag jede zu Gefühlen fähige Person Zorcas. Khons Privatleben war möglicherweise regelrecht idyllisch, obwohl es da anderslautende Gerüchte gab. Menschen sind nicht nur böse. Nein, das Problem mit Hyr Kov Khonstanton war sein allesverschlingender Hunger, ganz Tolindrin zu beherrschen; dafür würde er morden und ganze Städte in den Ruin stürzen.

Außerdem beschwor er Dämonen aus der Hölle, um seinem Ziel näher zu kommen.

Die Gruppe blieb bei den Reittieren stehen und unterhielt sich. Gurnely die Räder, der junge Ghon, dessen Dienste ich gemietet hatte, würde unter Umständen in dieser Nacht ganz schön laufen müssen. Wenn man es genau nahm, wurden die Ibmanzys gar nicht von den Dokerty-Priestern erschaffen, die Khon dem Mak hörig waren; man beschwor sie aus den Abgründen des Jenseits. Aber ob nun erschaffen oder beschworen, mir war das gleichgültig. Man mußte sie aufhalten.

Schließlich überließen die Männer ihre Reittiere der Obhut der Stallburschen und spazierten im Licht der Sterne und Monde los.

Es war etwa ein halbes Dutzend Personen, alles Wichtigtuer, die selbstzufrieden ihren Lebensstil genossen. Von dem Malfsim mit dem Lebkuchenmanngesicht und der Rüstung unter dem Gewand fehlte jede Spur. Der frettchenhafte kleine Polsim war ebenfalls verschwunden. Vermutlich war er ausgesandt worden, um Khons Wettschulden zu bezahlen, natürlich nur vorausgesetzt, daß der Hyr Kov überhaupt seine Schulden bezahlte.

Sie schlenderten die Straße entlang, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ich zögerte und dachte über meinen nächsten Schritt nach. Der kleine Wagen gäbe eine nützliche Deckung ab, andererseits war er jetzt eher eine Last. Soviel zur Vorausplanung!

»Hier, Gurnely die Räder«, sagte ich scharf. »Vier Silberstücke. Das dürfte reichen. Du kannst gehen.«

Er rieb sich mit der Hand über den mit Butter eingeriebenen Kopf. Er sah zugleich verblüfft und belustigt aus. Dann nahm er das Geld. »Eine Bezahlung für eine nichterfolgte Arbeit. Nun, wie San Blarnoi sagte: Ich habe nichts dagegen, keinen Schweiß vergießen zu müssen.« Er spuckte auf die Münzen und steckte sie weg. »Vielen Dank, Horter. Helle Monde.«

»Helle Monde«, erwiderte ich mechanisch und sah Khon und seinen Kumpanen hinterher, wie sie in den vom flackernden Mondlicht durchsetzten Schatten verschwanden.

Obwohl Langro der Alumsetter eine klebrige Tinktur auf meine Beulen geschmiert hatte, schmerzten meine Rippen von den Schlägen, die Chandrurs gewaltige Chulikfäuste ausgeteilt hatten. Als ich mich in Bewegung setzte, flammten die Schmerzen wieder auf. Vielleicht hätte ich doch die Dienste Gurnleys die Räder und seines kleinen Zweiräders in Anspruch nehmen sollen.

Aber jetzt blieb keine Zeit für Klagen. Die Männergruppe, die sich inmitten vieler anderer Gruppen bewegte, bog rechts in eine Straße ein. Ich lief bis zur Abzweigung – nicht ohne dabei mehr als nur einmal zusammenzuzucken – und spähte vorsichtig an der Hauswand vorbei. Da waren sie, spazierten gestikulierend weiter. Eine Wolke zog am Himmel vorbei und tauchte sie in Dunkelheit. Ich hielt mich dicht an den rauhen Wänden und machte mich bereit, von der Ecke loszulaufen.

Als die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln wieder ihr verschwommenes rosarotes Licht aussandte, atmete ich erleichtert auf. Die Männer waren noch immer in Sicht.

Ich drückte mich in die Gebäudeecke und wartete einen Augenblick lang, bis ich die offene Fläche zum nächsten Haus überquerte. Da ertönte zu meiner Linken ein schmerzerfüllter leiser Schrei. Ich drehte mich um und blickte hin. In der Gasse wanden sich ineinander verschlungene Schatten.

Wieder ertönten Schreie, und ich erkannte die undeutliche Gestalt eines Mannes, der eine Frau gegen die Wand drückte, während zwei andere Männer eine weitere Frau zu Boden schlugen.

Ich dachte nicht nach. Ich lief einfach in die Gasse, stieß wütende Rufe aus und zog das Schwert.

»Laßt sie los, ihr verdammten doppeläugigen Kleeshes!«

Ein vereinzelter rosafarbener Lichtstrahl spiegelte sich auf meiner Schwertklinge. Opaz allein weiß, welches Bild ich diesen Cramphs geboten habe. Sie fuhren herum, richteten sich auf, ließen die Frauen los und ergriffen die Flucht. Sie verschwanden in den tiefen Schatten.

Die Frau an der Wand, ein Apimmädchen, stand einfach reglos da und holte keuchend Luft. Mit einer Hand hielt sie den bunten Stoff ihres Kleides vor der Brust fest. Das Mädchen auf dem Boden, eine Sylvie, drehte sich schluchzend auf den Rücken.

Ich drohte den fliehenden Schurken mit dem Drexer und kam zum stehen. Das Weinen der Sylvie war herzerweichend.

»Ihr seid in Sicherheit«, sagte ich und bückte mich nach ihr. »Es ist alles ...«

Das Rascheln von Stoff, das Flackern eines unerwarteten Schattens über mir, und ich zuckte zurück. Doch es war zu spät! Die Keule traf meinen Kopf mit der ganzen Kraft eines muskulösen Mädchenarms. Ich sackte zu Boden, dabei hatte ich das Gefühl, als schlüge Chandrur noch immer auf mich ein. Vor meinen Augen blitzten Funken und Kometen auf. Ein ungeheurer Schmerz schoß mir vom Scheitel bis zu den Fußsohlen.

Hier in der Dunkelheit war der Boden noch immer feucht; er roch nach uralten Abfällen und anderen unaussprechlichen Dingen. Meine Nase landete im Schlamm. Ich versuchte mich so schnell zur Seite zu rollen, wie ich nur konnte, und die Keule grub sich mit einem bösartigen Laut unmittelbar neben meinem Ohr tief in den Boden.

»Bleib unten, du Blintz!« keuchte das Mädchen über mir.

Jetzt trat die Sylvie in Aktion. Sie warf sich auf mich. Das Schwert wurde zwischen unseren Körpern eingeklemmt. Beim nächsten verfluchten Hieb sprühten noch mehr Funken auf.

Eine Stimme, so scharf wie eine Klinge aus Eis, sagte: »Das reicht! Laßt ihn los!«

Gelbes Lampenlicht fiel auf den Boden. Ich rollte mich auf den Rücken. Die Mädchen standen auf und traten zurück. Das Licht zeigte ihre aufgeregten geröteten Gesichter. Sie keuchten. Die Lampen erhellten diese hübsche Szene, und ich begriff, welch ein Onker ich gewesen war, der Onker aller Onker, ein richtiger Get-Onker. Umgeben von seinem Gefolge starrte Khon der Mak auf mich herab, das leichenblasse Gesicht zu einem furchteinflößenden Lächeln der Genugtuung verzogen.

In meinem Kopf fingen die Glocken von Beng Kishi fröhlich an zu läuten. Sie waren nach Chandrur gerade verstummt, und jetzt hatten diese beiden Schlampen ...

»Hast du also gedacht, ich würde dich nicht erkennen!«

Ich machte mir nicht die Mühe, ihm zu antworten. Man hatte mich hereingelegt, nach Strich und Faden über den Leisten gezogen. Ich fühlte mich wie ein ausgelatschter Schuh.

»Nach allem, was du angerichtet hast, will ich mehr über dich wissen, Drajak der Schnelle. Oh, sogar viel mehr! Schnappt ihn euch!«

Ich erwischte einen der Männer mit der Faust am Auge und trat einen anderen in den Unterleib. Aber sie versetzten mir noch einen Schlag, und ich sackte zusammen; als ich einen Augenblick lang friedlicher war, fesselten sie mir die Hände zusammen. Khon hatte mit seinen Worten völlig recht. Die Fesseln waren nicht aus Lestenhaut, also mußte er tatsächlich noch viel über mich lernen. Man schleifte mich durch die verwinkelten Straßen. Ich merkte mir den Weg, so gut ich konnte, wobei ich die Gasse, in der man mich in die Falle gelockt hatte, als Ausgangspunkt nahm.

Doch die ganze Zeit über kam ich mir vor wie der größte Narr Kregens!

Nach einer ungemütlichen Reise erreichten wir ein bronzebeschlagenes Tor, das von zwei Wachtürmen eingerahmt wurde. Fackeln brannten in der Dunkelheit. Die Tore schwangen auf, und mit Khon an der Spitze betraten wir den Hof. Er wurde von allen Seiten von Wänden mit unzähligen Fenstern und blumenlosen Balkonen eingegrenzt. Es war sehr kalt hier, ein düsterer Vorbote der Dinge, die da kommen würden.

Die Stallburschen brachten die Zorcas, die die Mähnen schüttelten und mit den Hufen scharrten. Der Weg hierher hatte wenig Zeit in Anspruch genommen. Sonst wäre Khon der Mak geritten. Er verschwand in einem Torbogen und brüllte Befehle. Männer kamen herbeigeeilt, und kurz darauf fand ich mich in einem Gemach mit schmalen Fenstern, einer gewölbten Decke, zwei Stühlen und einem Tisch wieder. Auf dem Steinboden lag ein rotblauer Teppich, der nicht aus Walfarg stammte.

Die Tür schlug hinter mir zu, während ich auf die Nase fiel. Ich stand auf, befühlte die Prellungen und prüfte die Fesseln. Nun, bei Beng H'Lavini, dem Heiligen aller Knoten, sie würden keine großen Schwierigkeiten bereiten.

Es bestand kein Zweifel, daß die Spionlöcher in den Wänden alle besetzt waren, und so zog ich eine Grimasse, als wären die Fesseln zu stark, als daß ich sie zerreißen könnte.

Nun war diese Situation bei weitem gefährlicher als mein kurzer Abstecher in den sogenannten Kerker der Aragorn. Ich hielt mich hier in einem Palast auf, der vermutlich einem adligen Freund Khons gehörte. Oder, was wohl eher zutraf, in einem festungsähnlichen Palast, der einem verführten Narren gehörte, den Khon der Mak mit Versprechungen auf seine Seite gezogen hatte. Er würde im Augenblick wohl kaum mit Drohungen arbeiten, schließlich war er als Adliger aus Tolindrin in Enderli ein Fremder.

Wie dem auch sei, ich hatte gerade die düstere Lektion lernen müssen, daß der Hyr Kov ein wesentlich geschickterer Ränkeschmied war, als ich angenommen hatte.

Ich setzte mich auf einen Stuhl, bettete den Kopf auf die Arme und schloß die Augen. Sollte ich einschlafen, würden sie mich schon wecken, wenn sie mit ihrem Verhör beginnen wollten.

Kurz vor dem Einschlafen und vor dem üblichen letzten Gedanken staunte ich über mein Verhalten. Wo war der Dray Prescot, der vor nicht einmal einer Handvoll Perioden in dem Gemach herumgetobt wäre, wie ein Verrückter gegen die Tür gehämmert und wie ein Dämon gegen die Gefangenschaft gewütet hätte? Warum zerriß ich nicht einfach die Fesseln? Nun, die Stricke würden schon reißen, wenn die Zeit gekommen war. Ich hatte in jenen späteren Jahren auf Kregen eine wunderbare Veränderung durchgemacht. Doch trotz dieses alarmierend sanften Verhaltens war ich mir der traurigen Tatsache bewußt, daß ich noch immer zu einem unheiligen Dämon werden konnte, der gegen die Unterdrücker wütete. O ja, mochte Opaz mir vergeben, ich war noch immer derselbe Dray Prescot, der wie der wilde Clansmann über die Welt tobte, der er war.

Für kurze Zeit nahm mich der Schlaf gefangen, doch ich hörte sie, als sie vor der Tür stehen blieben. Männer in Rüstung, Wachen, die die geheiligte Person ihres Herren beschützten. Ich schüttelte den Schlaf ab und setzte mich auf.

Die Tür flog auf, und sie stürmten herein. Für jemanden im Totengräbergeschäft hätten sie einen prächtigen Anblick abgegeben.

Der Malfsim sprang vor und riß mich dabei vom Stuhl.

»Nicht so grob, Nangro – für den Anfang!«

»Für den Anfang, Notor!« Nangro mußte kichern. Das Haar, das das Lebkuchenmann-Gesicht einrahmte, war schwarz, zottelig und strähnig.

Der mächtige Hyr Kov trat majestätisch vor und setzte sich. Er wurde flankiert von vier Wächtern. Nur einer von ihnen trug einen bronzenen Chavonthkopf. Der Polsim stand seitlich im Hintergrund, was viele Polsim-Charaktereigenschaften auf einen Nenner bringt. Die scharfen Augen in dem rattenähnlichen Gesicht schienen sich derart neugierig an mir festzusaugen, daß ich mich fragte, ob er sich von seinen Artgenossen abhob. Und dann bemerkte ich, daß er meinen Drexer an einem verzierten Gürtel um die schmale Taille trug, bei Krun!

Khon der Mak tupfte sich die Lippen mit einem gelben Tuch ab. Also hatte der Rast mit dem schwarzen Herzen eine Mahlzeit genossen, während ich hier gedarbt hatte. Hoffentlich waren die Palines schlecht gewesen. Er machte eine Geste. »Pilnor, schreib jeden Satz mit. Laß dir nichts entgehen.«

»Ja, Notor, ja.« Der Polsim holte seine Schreibutensilien hervor.

Bei Zair! Ich konnte mir nicht vorstellen, daß dieser hochnäsige kleine Polsim Pilnor viel zu schreiben bekam. Er würde tatsächlich gar nichts zu schreiben bekommen!

»Setz ihn wieder auf den Stuhl, Nangro.«

»Sofort, Notor!« Der Malfsim packte meinen Arm, um mich nach vorn zu stoßen. Die Fesseln um meine Handgelenke zerfetzten beim ersten Ruck. Ich fuhr herum, trat Nangro in die Eingeweide und warf mich, ohne innezuhalten, auf den Polsim. Er schaffte es, ein Quieken auszustoßen, bevor ich ihm einen Hieb gegen das Ohr versetzte. Er sackte sofort zu Boden, doch ich packte ihn mit der linken Faust und zog mit der rechten meinen Drexer aus der Scheide.

Als ich mich mit gezücktem Schwert herumdrehte, drangen die vier Wärter fluchend und mit erhobenen Klingen auf mich ein, wobei sie sich gegenseitig behinderten. Berserkerwut überkam mich. Ich kann meine Handlungen nicht entschuldigen. Das schreckliche Klirren aufeinanderprallenden Stahls hallte durch den kleinen Raum wie das Kreischen der verlorenen Hexen von Tricina, die in jeder Periode einen Tag lang die Flammenöfen von Inshurfrazz verlassen dürfen, in die sie für alle Zeiten eingesperrt sind. Von meiner Klinge tropfte Blut.

»Tötet ihn!« Die Stimme Khons hatte ihre eisige Ruhe verloren. Der erste Wächter ging zu Boden; ihm fehlte der Arm. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Khon auf die Tür zustürmte. Ein Mann stellte sich mir tapfer in den Weg, und als eine Finte mit folgendem Stoß ihn erledigt hatte, war der Hyr Kov verschwunden. Seine Lakaien Pilnor der Polsimstylor und Nangro der Leibwächter und Folterknecht hatten sich ihm angeschlossen. Die beiden übriggebliebenen Wächter zögerten. Ich drohte ihnen mit dem Schwert – und sie flohen.

Die Berserkerwut hatte mich also doch nicht vollständig in ihrem Griff gehabt, wofür ich Opaz dankte!

Jetzt stand nicht mehr die Flucht an erster Stelle, sondern die Suche nach dem Prisma der Macht. Es strömte noch genügend primitiver Zorn durch meine Adern, um jedem, der sich mir in den Weg stellte, das Leben sehr schwer zu machen.

Als ich den Kopf aus der Tür steckte und auf den Korridor hinaussah, wurde mir bewußt, daß ich nur deshalb soviel erreicht hatte, weil mein Angriff so plötzlich und barbarisch gewesen war. Der Polsim wäre vermutlich auf jeden Fall geflohen. Der Lebkuchenmann war allem Anschein nach ein Kämpfer, aber seine erste Pflicht galt dem Schutz seines Herrn. Nun hielt ich Khon den Mak keineswegs für einen Feigling. Seinem Ruf nach traf das genaue Gegenteil zu. Es war meine plötzliche primitive Berserkerwut gewesen, die ihn auf so schmähliche Weise in die Flucht geschlagen hatte.

Opaz allein weiß, welchen Gesichtsausdruck ich in diesem Augenblick hatte!

Der Korridor lag verlassen da. Ich schritt ihn langsam und mit ausgestrecktem Schwert entlang und fühlte, wie das Nachbeben der entfesselten Wut mein Blut noch immer in Wallung brachte. Wächter liefen herbei; sie trugen Bronzerüstungen und schwangen Schwerter und Speere. Nach den ersten Hieben hatte ich meine Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Zwei Köpfe rollten über den Boden. Die restlichen Männer griffen tapfer weiterhin an. Ich versuchte meine Hiebe zu kontrollieren, meinen Schwertarm den Disziplinen der Krozair von Zy anzuvertrauen, doch die Klinge durchschlug Helm mitsamt dem darunter befindlichen Schädel und trat inmitten einer Wolke aus Blut und Knochen aus dem Kinn des armen Kerls wieder heraus.

Die übriggebliebenen Männer zögerten. Ich nicht. Ich griff an.

Die nächsten beiden Wächter gingen zu Boden; dem rechten drückte ich das Schwert mitleidslos zurück, bis die Klinge brach. Die anderen ergriffen die Flucht. Ich warf mich auf sie, jagte sie den blutigen Korridor entlang und hieb mit barbarischer Wut zu. Der letzte von ihnen warf die Arme in die Höhe und stieß einen Schrei aus, den man in den tiefsten Abgründen der Hölle hören mußte.

Ich hielt mit dem rücksichtslosen Töten inne und holte keuchend Luft. Das Keuchen wurde jedoch nicht von den vorangegangenen Anstrengungen verursacht. Der Teufel in meinem Kopf, der mich antrieb, zog aus jedem Hieb seine Nahrung. Ich war voller Blut, und der scharfe Gestank, den ich sonst als so ausgesprochen widerwärtig empfinde, war nun nicht schlimmer als der Geruch in einem Fleischerladen.

Ich bog rechts an der nächsten Abzweigung ab und stand vor einem Torbogen, in dem sich eine verschlossene Tür befand. Hinter mir führte der Korridor weiter. Die Tür war irgendwann in der Vergangenheit mit blauem Samt bespannt worden, nun war der Stoff verblaßt und verschlissen.

In einem ordentlich geführten Palast würde man einen solch schäbigen Eindruck nur an den unwichtigsten Orten dulden. Es war Zeit, weiterzugehen.

Ein flüchtiges Geräusch hinter der Tür zog meine sofortige Aufmerksamkeit auf sich; was befand sich hinter dem blauen Samt? Die Tür bewegte sich eine Handbreit nach innen und verharrte. Ich hörte undeutlich eine Person atmen, es waren tiefe, entschlossene Atemzüge. Ich wußte, was solches Atmen zu bedeuten hatte. Und ob, bei Krun!

Ich trat zurück, nahm einen sicheren Stand ein und hob das Schwert.

Der erste unglückliche Wächter, der durch diese Tür träte, Decke und Wände zu sehen, während sein Kopf über den Boden rollte.

Die Tür schwang auf, ein Schwert zuckte durch die Luft.

Ich ließ den Drexer in einer sensenförmigen Bewegung nach vorn sausen.

Und war im nächsten Augenblick dazu gezwungen, die gegnerische Klinge mit allem mir zur Verfügung stehenden Geschick abzuwehren.

»Wie ich sehe, steckst du mal wieder in Schwierigkeiten, Drajak«, sagte Fweygo und trat durch die Tür.