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Gara Petothel vergewisserte sich noch einmal, daß der Code richtig war, wobei ihr Blick über mehrere Bildschirme wanderte, dann sandte sie den Befehl ab, der bewirken würde, daß sich das wirre Durcheinander aus Daten und Eingabeaufforderungen in eine abschließende Version ihres Programms verwandeln würde.
Es war ein Kunstwerk, das stand für sie außer Zweifel. Das Programm würde eine Anzahl von als Buchhaltungsdaten getarnten chiffrierten Datenpaketen von ihrem Terminal in den untersten Tiefen der Slums des Stadtplaneten Coruscant in öffentliche Computerbänke übermitteln. Sobald die Spur, die zu Garas Terminal zurückführen konnte, abgekühlt war, würde das Programm die Daten über das HoloNet der Neuen Republik weiterleiten, an HoloNet-Adressen, die sich Gara Wochen zuvor eingeprägt hatte… Adressen, die am Ende zu der Kommunikationsstation des Kriegsherren Zsinj führen würden.
Wenn er klug ist, dachte sie, und nach allem, was ich weiß, ist er das, dann werde ich innerhalb weniger Wochen wieder gegen angemessene Vergütung beschäftigt sein. Werde diesen widerwärtigen Planeten und die Rebellenpolizei und die Abwehragenten der Neuen Republik hinter mir lassen können –
Es klopfte laut an der Tür. Sie zuckte zusammen. Schlechtes Gewissen dachte sie und gab sich alle Mühe, ihren Gesichtszügen wieder einen Ausdruck unschuldiger Wißbegierde zu verleihen. Sie schaltete ihren Bildschirm ab.
Während sie aufstand und zur Tür ging, warf sie einen Blick in den Spiegel, um sich zu vergewissern, daß ihr Aussehen der Rolle gerecht wurde, die sie spielte. Ihr flaumiges, weißblondes Haar, das ganz kurz geschnitten war, kam ihr immer noch fremdartig vor, ebenso wie das Fehlen des Muttermals, das sie seit ihrer Kindheit am Kinn gehabt hatte – ein Muttermal, das sie sich hatte entfernen lassen, als sie sich auf diese Identität vorbereitet hatte. Nein, mit dieser neuen Identität hatte die von Gara Petothel nur die fein geschnittenen Gesichtszüge gemein, während ihr Haar und ihr Make-up so stark verändert waren, daß sichergestellt war, daß niemand sie erkennen würde, wenn es an der Zeit war, den Planeten wieder zu verlassen.
Sie öffnete die Tür.
Draußen standen zwei Piloten der Rebellen, beide in Pilotenkombinationen mit durchsichtigen Regenmänteln darüber, die bei den häufigen Gewittern auf Coruscant notwendig waren. Einer der beiden hatte finstere Züge und eine prothetische Gesichtsplatte über der linken Gesichtshälfte, aus der es aus der Stelle rot glühte, wo sich sein linkes Auge hätte befinden müssen. Den anderen mit seinem üppigen dunklen Haar, den intelligent blickenden Augen und Gesichtszügen, bei denen einem jungen Mädchen das Herz schneller schlagen mußte, hätte auffallend gut ausgesehen, wäre da nicht die schreckliche Narbe gewesen – ein Blasterstreifschuß vermutete sie –, die von der linken Wange bis zu seiner rechten Stirnhälfte führte.
Den mit der Gesichtsplatte kannte sie, und er war es auch, der zuerst das Wort ergriff. »Lara Notsil.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Ja«, sagte sie und blickte an den beiden vorbei auf den Fußgängerverkehr im Flur des Wohnsilos. Obwohl ihr winziges Apartment sich im vierzigsten Stock des Gebäudes befand, war dieser Korridor Teil eines Rohrsystems, in dem man sich in dieser Höhe kilometerweit bewegen konnte, und es herrschte stets dichter Verkehr. In ihrem Flur gab es häufig Überfälle und Diebstähle, aber zugleich bot er ihr auch die Möglichkeit, schnell in der Menschenmenge unterzutauchen, und deshalb hatte sie sich für diese Wohnung entschieden.
Ihre Aufmerksamkeit wandte sich wieder ihren Besuchern zu. »Lieutenant Phanan, nicht wahr? Aus dem Lazarett in Borleias? Kommen Sie doch bitte herein, ehe Ihnen jemand eine Vibroklinge in den Rücken stößt.« Sie trat zur Seite, ließ die beiden eintreten und schloß dann die Tür vor dem endlosen Strom von Menschen draußen.
»Tatsächlich bin ich lediglich Flight Officer Phanan«, korrigierte ihr Besucher sie. »Mein gutaussehender Kollege, Garik Loran, ist der Lieutenant.«
Sie erstarrte förmlich, während sie gerade dabei war, Phanan die Hand zu schütteln, und ihr Blick wandte sich dem anderen Piloten zu. Er war es tatsächlich, und das beschwingte Gefühl, das sie plötzlich erfüllte, war ihr peinlich. »The Face? Sie leben noch?«
Face sah sie lächelnd an. Sie wußte, daß es das Lächeln eines Schauspielers war, sorgfältig eingeübt, um leichte Amüsiertheit, ein Gefühl der Kameradschaft, der Anziehung zu erzeugen, aber obwohl ihr das bewußt war, spürte sie doch, wie es Gefühle in ihr auslöste, die sie zu überwältigen drohten. Sie atmete tief durch und ließ sich vor ihrem Bildschirm auf einen Stuhl sinken.
»Ja, der bin ich«, bestätigte Face. »Ich bekomme das oft zu hören. Nein, die Geschichte meines Todes war ein Propagandatrick, den sich das Imperium ausgedacht hat, damit die Leute denken sollen, die Rebellenallianz bestünde aus lauter Bösewichten, die nicht davor zurückschrecken, einen Kinderstar zu töten. Jetzt bin ich Pilot.«
»Ja, das ist nicht zu übersehen.« Sie mühte sich ab, ihre Beherrschung wiederzufinden. Nicht vergessen, dachte sie. Du bist jetzt Lara Notsil. Ein Mädchen vom Lande, von Aldivy. Ehemalige Gefangene von Admiral Trigit. Deshalb sind die beiden hier, weil sie dich weiter über Trigit ausfragen wollen. Phanan war dabei gewesen, einer der Rebellen, die auf die Implacable geschossen haben – also auch auf mich. »Bitte, setzen Sie sich doch. Tut mir leid, daß es hier so aussieht – man schafft es hier einfach nicht, die Wohnung sauberzuhalten. Wie haben Sie mich gefunden?«
Phanan setzte sich auf die Bettkante. Face nahm sich den einzigen Stuhl, der in dem kleinen Apartment noch zu finden war.
»Wenn man hier irgendwo hintreten kann, ohne klebenzubleiben, oder sich gar setzen kann, dann ist das nach den Begriffen von Coruscant doch sehr hygienisch«, meinte Phanan. »Glauben Sie mir, wir wissen das. Und wie wir Sie gefunden haben – nun, wir haben uns bei der Abwehr erkundigt. Die haben gesagt, man hätte Sie entlassen, und Sie hätten darauf verzichtet, daß man Sie auf Ihre Heimatwelt zurückbringt. Dann haben wir im Worldnet nach Ihrem Namen und nach Bewerbungen der letzten Zeit gesucht. Sie arbeiten als Datenverarbeiterin für eine Speditionsgesellschaft?«
»Ja. Damit kann ich all das hier« – sie deutete auf das geordnete Chaos, das sie umgab – »bezahlen.«
»Hätten Sie denn gern einen besseren Job?« fragte Face. »Ich meine einen, der Ihnen die Gelegenheit gibt, in einer besseren Umgebung zu leben?«
»Allerdings. Was müßte ich dafür tun?«
»Eine Pilotenausbildung der Neuen Republik durchmachen. Den kompletten Akademiekurs.«
Nein, vielen Dank. Wie war’s statt dessen mit einem Ticket zur Flotte von Kriegsherrn Zsinj? Aber sie durfte nicht aus der Rolle fallen. »Das wäre… nett. Aber das geht leider nicht.«
Face ließ wieder ein Lächeln aufblitzen, diesmal ein Lächeln, das voll Zuversicht und Vertrauen war. »Warum nicht?«
Lara bemühte sich, die nächsten Worte wehmütig klingen zu lassen. »Als ich noch auf der Farm auf Aldivy war, habe ich mir das jeden Tag gewünscht. Fliegen lernen, meine ich. Mit den Gleitern, die wir auf der Farm hatten, bin ich recht gut zurechtgekommen. Und dann habe ich Basic gelernt und an meiner Stimme gearbeitet, damit ich nicht wie ein Mädchen vom Lande klinge.«
»Das merkt man«, sagte Face. »Sie haben fast keinen aldivyanischen Akzent mehr.«
Wenn sie wüßten, daß ich keine hundert Kilometer von hier aufgewachsen bin, würden sie vielleicht abschätzen können, wie mühsam es ist, mit der Andeutung eines Akzents zu sprechen, dachte Gara. »Aber dann ist die Implacable gekommen und hat New Oldtown vernichtet, und mich hat man mitgenommen. Danach habe ich irgendwie das Interesse verloren. Es war mir nur noch wichtig, daß die Implacable zerstört wurde. Und dann, als Admiral Trigit mich als« – sie senkte den Blick, ließ ihre Stimme heiser klingen und eine Träne aus ihrem Augenwinkel quellen – »als Geliebte nahm, war mein einziger Wunsch sein Tod.
Und das haben Sie dann getan. Sie haben ihn getötet. Ihre Staffel und die anderen. Vielen Dank.« Ihr Tonfall veränderte sich erneut, klang jetzt so, als müßte sie sich Mühe geben, ihren Schmerz zu verdrängen und gleichgültig zu klingen. »Aber ich denke, mir ist nichts geblieben. Kein Ehrgeiz mehr.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
»Und außerdem würde die Neue Republik mir nicht mehr vertrauen, wo ich doch… wo ich doch in Verbindung mit Admiral Trigit gestanden habe.« Sie zuckte fatalistisch die Achseln.
»Man hat Ihnen nie irgendwelche ungesetzliche Handlungen vorgeworfen. Sie sind vollkommen rehabilitiert.«
Sie nickte. All die Wochen zuvor war es mühsam genug gewesen, die Lara-Notsil-Identität aufzubauen und sorgfältig vorauszuplanen für den Fall, daß ihre Beziehung zu Trigit nicht ausreichte; ihre neue Identität mußte mit einem Ereignis in Verbindung gebracht werden können, das tatsächlich stattgefunden hatte: Trigits Bombardement einer Farmgemeinschaft, die sich geweigert hatte, ihm Proviant zu liefern. Sie hatte die jämmerlich wenigen Aufzeichnungen finden müssen, die sich auf ein Farmmädchen bezogen, von dem nur verkohlte Überreste auf einem aldivyanischen Weizenfeld übriggeblieben waren, hatte dort Garas Bild einspeisen müssen, dazu Garas Fingerabdrücke und Garas Zellcode. Dann hatte sie sich eine Geschichte über geheime Räumlichkeiten auf der Implacable ausgedacht – so geheim, daß plausiblerweise die übrigen Überlebenden der Implacable keine Kenntnis davon gehabt haben konnten – wo Trigit angeblich seine »Geliebte« gegen deren Willen festgehalten und sie mit Glitterstim und anderen Drogen gefügig gemacht hatte. Und die hatten das alles geschluckt, das ganze Bündel, hatten sich besonders interessiert mit den skandalösen Einzelheiten ihrer Gefangenschaft und Trigits Gemeinheit auseinandergesetzt… Lügen, die sie, von Wut und Zorn über den Mann erfüllt, mit dem größten Vergnügen aufgetischt hatte. Trigit war bereit gewesen, seine ganze Mannschaft in den Tod zu schicken, obwohl das gar nicht nötig gewesen war, eine Mannschaft, die ihm treu ergeben gewesen war.
Aber diese ganze Lara-Notsil-Intensität hatte nur ein Ziel, nämlich das, sie aus dem Gewahrsam der Neuen Republik zu befreien und ihr die Möglichkeit zu geben, wieder in die Dienste des Imperiums zurückzukehren – oder zumindest in Dienste, die eines Tages vom Imperium anerkannt werden würden.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen helfen kann.« Dann runzelte sie die Stirn. »Warten Sie. Sie erwarten doch sicherlich eine Gegenleistung – was müßte ich denn für Sie tun?«
Phanan beugte sich vor. »Ah. Das ist ein wenig verzwickt. Wir würden es gerne sehen, wenn Sie sich bei der Pilotenausbildung ein wenig ungeschickt anstellen würden. Sie müßten dafür sorgen, daß Sie gerade noch mitkommen, sich gelegentlich Fehler leisten, sozusagen das Schlußlicht bilden.«
»Warum? Warum sollte ich mir nicht alle Mühe geben?«
Phanan grinste. »Weil wir glauben, daß jemand an Sie herantreten und Ihnen anbieten wird, Ihnen behilflich zu sein, Ihre Ergebnisse zu verbessern… um dann zu versuchen, Sie in irgendeine illegale Sache hineinzuziehen.«
»Sie wollen also dem Betreffenden eine Falle stellen. Und ich wäre der Köder.«
Face nickte. »Er gehört zu der Art von Leuten, die andere Leute benutzen, Lara. So wie Admiral Trigit es mit Ihnen getan hat. Wir dachten, Sie könnten die Rache, die Sie sich für Trigit ausgedacht haben, vielleicht auf ihn verlagern.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht dasselbe, und ich würde niemals…«
Und dann war ihr plötzlich, als würde ein Protonentorpedo in ihrem Bewußtsein explodieren. Ein Plan, ein einfacher Plan, der ihren Wert in den Augen von Kriegsherrn Zsinj oder jedem imperialen Offizier, dem sie ihre Dienste verkaufen wollte, um das Hundertfache steigern würde. Die Idee machte sie ebenso benommen wie lange vergessen geglaubte Teenagerschwärmerei für einen Schauspieler namens Garik Loran.
»Lara?« fragte Face. »Ist Ihnen nicht gut?«
Sie fing zu weinen an. Das war ein äußerst nützliches Talent, von dem ihre Lehrer bei der imperialen Abwehr begeistert gewesen waren – sie konnte auf Kommando weinen. »Ich kann das nicht tun«, flüsterte sie. »Ich würde alles verlieren.«
Phanan beugte sich vor und ergriff ihre beiden Hände. »Was werden Sie verlieren? Was könnten Sie verlieren?«
»Zu Hause sind alle tot. Alles, was mir geblieben ist, sind die Leute, die ich seit meiner Befreiung kennengelernt habe. Ich hatte gehofft, eine Anstellung beim Militär zu finden, irgendeine zivile Position. Wenn ich das tue, was Sie sagen, wenn ich eine Pilotenausbildung mitmache, dann wird dieser alte Wunsch, die Sehnsucht, Pilotin zu werden, wieder in mir erwachen. Und wenn ich dann diesen Mann in Ihre Falle locke und ihn zerstöre, werden die Leute überall sagen: Das ist Lara Notsil. Die Verräterin. Niemand wird mich dann mehr haben wollen. Alle werden mir mißtrauen.«
»Das ist nicht wahr«, meinte Phanan. Aber Gara sah, wie Face sich zurücklehnte und ihre Worte auf sich einwirken ließ, und sie wußte, daß ihm klar war, daß sie die Dinge richtig sah.
»Doch, das ist wahr«, widersprach sie. »Wer würde mich als Pilotin in seine Staffel aufnehmen wollen? Jeder wird denken, daß ich ihn bespitzeln will, und die Freunde von dieser Person, der Sie die Falle stellen wollen, werden sich alle Mühe geben, mich fertigzumachen. Und das, was Sie von mir verlangen, wird zur Folge haben, daß meine Ausbildungsdaten ausgesprochen schlecht sind, und deshalb wird mich auch keine zivile Organisation als Pilotin einstellen wollen.« Sie sah die beiden Männer trotzig an, wobei ihr die Tränen über die Wangen rannen. »Sie wissen, daß es so ist. Und Sie sprechen hier nur für Ihre eigene Staffel und wissen ganz genau, daß Wedge Antilles mich nie aufnehmen würde, wenn ich das getan habe, was Sie von mir verlangen.«
Face wirkte immer noch beunruhigt. »Das wissen wir nicht.«
»Aber Sie können nicht für ihn sprechen.«
»Nein, das können wir nicht.«
»Sie verlangen also von mir, daß ich meine ganze Zukunft für ein bißchen Pilotenausbildung aufs Spiel setze. Vielen Dank für das Angebot. Da ist die Tür.«
»Warten Sie.« Faces Stimme klang jetzt völlig aufrichtig. »Was würden Sie sagen, wenn wir Ihnen eine Anstellung als Pilotin garantieren könnten? Irgendwo, wo man Sie nur nach Ihren Fähigkeiten beurteilt und wo die Folgen dessen, was wir von Ihnen erwarten, Ihnen Vorteile statt Nachteile bringen?«
»Und wo wäre das?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht darauf verlassen, daß der Commander so fair sein würde, wie Sie das annehmen. Ich glaube das einfach nicht.«
»Und was ist, wenn ich eine Zusage von Wedge Antilles liefern würde?«
Sie spürte, wie ihr der Atem stockte. Dann meinte sie: »Aber Sie haben doch gerade gesagt, daß Sie nicht für ihn sprechen können.«
»Jetzt noch nicht. Ich habe die Angelegenheit noch nicht im Detail mit ihm besprochen. Aber das werde ich. Und was ist, wenn er ja sagt?«
Sie zögerte. Eigentlich hatte sie ihre Entscheidung bereits getroffen, aber die beiden sollten glauben, daß sie noch überlegte. Schließlich sagte sie: »Wenn es eine Position unter Wedge Antilles’ Kommando wäre, entweder in der Sonderstaffel oder in dieser neuen, dieser Gespensterstaffel – ja, dann würde ich zusagen.«
»Ich werde noch heute mit ihm sprechen.« Face stand auf, und Phanan erhob sich ebenfalls. »Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich seine Antwort erhalten habe.«
Sie antwortete mit einem tapferen kleinen Nicken, sagte aber nichts.
Nachdem sie ihr Apartment verlassen hatten, preßte sie sich beide Hände auf den Mund, um ihren Triumph nicht laut hinauszuschreien.
Als sie sich ein paar Schritte von Lara Notsils Tür entfernt hatten, sagte Phanan: »Commander Antilles wird dich in Stücke reißen.«
»Ich weiß.« Face bahnte sich seinen Weg durch die Fußgängermenge.
»Ich wette, du schiebst Strafwachen, bis du vierzig bist.«
»Wahrscheinlich.«
»Wenn er das hört, wird er Feuer und Schwefel spucken und dich von Kopf bis Fuß verbrennen.«
»Bestimmt. Aber da ist etwas, was es erträglicher für mich macht.«
»Und das wäre?«
»Daß du mit mir verbrennen wirst.«
Phanan verdrehte die Augen. »Du bist wirklich ein guter Freund.«
Flight Officer Shalla Nelprin jagte im Sturzflug auf den Boden zu – soweit die immer enger werdenden Lücken in dem endlosen Gebäudemeer von Coruscant das zuließen. Sie konnte in den Fenstern verschwommene Objekte sehen, Objekte, bei denen es sich um verblüffte Gesichter handeln mußte.
Die beiden TIE-Jäger, die sich an sie angehängt hatten, verfolgten sie mühelos, vollzogen jedes ihres Manöver nach und feuerten immer noch mit ihren gekoppelten Laserkanonen auf ihr Heck. Sie ging in Waagerechtflug über, kippte nach links oder rechts ab, soweit das auf dem engen Raum möglich war, und die grünen Laserstrahlen ihrer Verfolger trafen die Gebäude, an denen sie vorbeiraste, oder ihre verstärkten Heckschilde.
»Ich kann sie nicht abschütteln, Kontrolle«, sagte sie. »Die beiden sind gut.«
Die Stimme von Knirps Ekwesh antwortete: »Shalla, warum glaubst du wohl, daß Kriegsherr Zsinj so viele ehemalige Abwehroffiziere beschäftigt? Implacable, Night Caller und weitere Schiffe und Offiziere, von denen wir hören…«
Ein Zittern ging durch Shallas Maschine, als ein weiterer Laserstrahl ihre Heckschilde traf und bis zur Hülle durchdrang. Sie warf einen Blick auf ihr Diagnosedisplay. Minimale Hüllenbeschädigung, keine Hinweise auf weitere Probleme. Bis jetzt noch nicht. »Kontrolle, macht es Ihnen etwas aus? Ich fliege hier um mein Leben.«
»Das ist nur ein Simulatorflug. Die Ergebnisse werden nicht aufgezeichnet.«
»Du mußt jeden Simulatorflug als echt betrachten, dann lebst du länger. Das hat mein Daddy immer gesagt.« Sie ging weitere zehn Meter tiefer, um unter einer Fußgängerbrücke durchzufliegen, die zwei Wolkenkratzer miteinander verband. Ein TIE-Jäger folgte ihr, der andere flog über das Hindernis hinweg. »Also gut. Zunächst einmal, weil sie verfügbar waren. Ysanne Isard, die Leiterin der Abwehr, wurde vor einigen Monaten von der Sonderstaffel getötet. Jetzt hat jeder ihrer Untergebenen die Wahl. Er kann entweder für diesen Rat arbeiten, der jetzt die Überreste des Imperiums führt, er kann für einen der Kriegsherren tätig sein, er kann Pirat werden oder er kann sich verstecken. Augenblick mal.«
Dicht unter ihr war ein weiterer Übergang; und dahinter, unmittelbar unter der Fußgängerbrücke, ragten zwei Gebäude so weit vor, daß zwischen ihnen kaum Platz war. Shalla ging erneut in Sturzflug über, zog ihre Maschine direkt unter dem Übergang wieder hoch und rotierte um neunzig Grad, so daß ihre Tragflächen jetzt zum Himmel und zur Erde zeigten, um so in dem enger werdenden Spalt zwischen den Gebäuden überhaupt Platz zu haben.
Wie vorher nahmen die beiden TIE-Jäger sie wieder in die Mitte, der eine oben, der andere dicht hinter ihr. Aber das Profil eines TIE ist nicht so variabel wie das eines X-Flüglers; ein TIE-Jäger braucht wegen seiner Solarflächen, ganz gleich, wie man ihn auch dreht, nach allen Richtungen mehr als sechs Meter freien Raum.
Und die hatte ihr Verfolger in diesem engen Spalt nicht. Er raste in die Vier-Meter-Öffnung zwischen den Häusern, und die Gebäude schnitten beide Tragflächen ab, oben und unten. Der TIE-Jäger sackte durch, und sein kugelförmiges Cockpit hüpfte zwischen den Gebäudefassaden hin und her, bis es schließlich in der Tiefe detonierte.
Jetzt war eine neue Stimme zu hören – Shalla vermutete, daß es die von Kell Tainer war: »Gut gemacht, Nelprin. Nur noch einer übrig.«
»Vielen Dank.« Der Abstand zwischen den Gebäuden wurde wieder größer. Sie rotierte, bis sie wieder in der Horizontalen war. »Also gibt es plötzlich eine Menge Abwehrspezialisten und Schiffe. Das ist das Angebot.
Mit der Nachfrage ist es komplizierter. Zsinj sagt man nach, er sei ein zwanghafter Lügner. Warum also Leute engagieren, die dazu ausgebildet sind, seine Lügen zu durchschauen? Ich vermute, daß es ihm nichts ausmacht. Er lügt nicht, um die Leute zu täuschen – seine Feinde natürlich ausgenommen. Er lügt, um zu unterhalten. Um die Leute mit seiner Intelligenz zu beeindrucken.«
Der übriggebliebene TIE-Jäger eröffnete wieder das Feuer auf sie; Laserstrahlen blitzten an ihren Angriffsflächen vorbei, richteten Schaden an den Gebäudewänden unter ihr an, und ihre Heckschilde bekamen weitere Treffer ab.
Ein Stück vor und über ihr drängten sich eine Anzahl Gleiter – Luftverkehr auf einer der freigegebenen Routen. Aber diese Gleiter hier waren alle in den Farben der Polizei von Coruscant lackiert.
»Hey, Freiwild.« Shalla stieß mitten in die Wolke von Gleitern hinein und benutzte sie als Deckung.
Die Laser ihres Verfolgers trafen die Gleiter rings um sie herum. Einige detonierten und ließen einen Regen von Splittern und Bruchstücken auf sie herniedergehen.
Als ein Gleiter unmittelbar vor ihr explodierte, gab sie Gegenschub und spürte das Zittern, das durch ihre Maschine ging. Halb von ihren Hauptaggregaten getrieben, halb von den Repulsordüsen getragen, stieg sie über die Wolke aus Flammen und Trümmern in die Höhe –
Und als sie sie hinter sich gelassen hatte, sah sie den anderen TIE-Jäger vor sich dahinrasen – er hatte ganz offensichtlich nicht mit ihrem plötzlichen Bremsmanöver gerechnet. Jetzt wurde er langsamer und setzte zu einer jener unmöglich engen Kehren an, zu denen TIE-Jäger imstande waren.
Sie zentrierte den TIE-Jäger in ihrem Head-Display. Die Markierung wechselte fast unverzüglich von gelb auf rot, und sie feuerte, jagte einen Protonentorpedo ins Cockpit des imperialen Jägers. Der TIE detonierte – ein greller Lichtblitz, dann ein Trümmerregen.
Dann kreiselte Shallas Sichtfeld, und sie spürte, wie sie die Kontrolle verlor. Sie sah eine Gebäudewand auf sich zurasen, sah verängstigte Gesichter hinter den Sichtluken – und dann wurde alles schwarz.
Das Kanzeldach öffnete sich über ihr, ließ Licht herein. Knirps, Kell und Tyria standen alle mit Headsets davor. »Was ist passiert?« fragte Shalla mit klagendem Unterton.
Kell lächelte. »Du bist von einem Gleiter getroffen worden. Er ist blind durch diese erste Explosion geflogen und hat dich von der Seite erwischt.«
Shalla gab einen angewiderten Laut von sich und kletterte aus dem Simulator. »Die sagen, die Stadt sei gefährlich.«
»Davon abgesehen, war es ein ausgezeichneter Flug«, fuhr Kell fort.
»Also«, meinte Knirps, »die Abwehrleute sind verfügbar, und Zsinj macht es nichts aus, daß sie einige seiner Täuschungsmanöver durchschauen. Was sonst noch?«
Shalla sah die anderen mit gespielter Verzweiflung an. »Knirps kann ganz schön hartnäckig sein, nicht wahr?«
Sie lachten. »Kann man wohl sagen«, meinte Kell. »Und du hast Glück, wenn nur eine seiner Persönlichkeiten dich bedrängt.«
»Ich verstehe.«
Das war zwar nicht der Fall, aber sie vermutete, daß es schon noch so weit kommen würde. Sie wandte sich wieder Knirps zu. »Vielleicht ist es nicht nur Zsinjs Gleichgültigkeit. Vielleicht mag er es, wenn man ihn bewundert. Wenn er jemanden um sich hat, der begreift, was er tut, und davon beeindruckt ist. Der Mann muß ganz schön von sich eingenommen sein.«
Knirps runzelte die Stirn. Es war kein richtiges, menschliches Stirnrunzeln, aber seine sehr beweglichen Augenbrauen schoben sich über seine großen ausdrucksvollen Augen, um Konzentration anzudeuten. »Er mag es, wenn man von ihm beeindruckt ist.«
»Ich denke schon.«
»Es würde ihm Spaß machen, den Helden zu spielen. Held des Imperiums.«
»Ganz bestimmt. Warum sollte er sonst diese auffälligen Angriffe auf Kolonien und Außenposten der Neuen Republik unternehmen? Es geht dabei nicht nur um den strategischen Wert, denn nicht alle sind von Bedeutung; und er könnte ganz sicher größeren Schaden anrichten, wenn er raffinierter vorgehen würde. Er tut das, um jemandem zu zeigen, daß er ein großer Krieger ist. Seinen Fans sozusagen, wer auch immer die sein mögen.« Sie beugte sich nach vorn, drückte den Kopf gegen die Knie und richtete sich dann mit ausgestreckten Armen wieder auf und wiederholte die ganze Prozedur noch einmal.
»Sie macht gymnastische Übungen«, seufzte Tyria. »Wir haben es hier mit einer zwanghaften Sportlerin zu tun.«
Shalla sah nicht auf. »Ich strecke mich bloß. Wenn ich zu lange im Cockpit sitze, bekomme ich Krämpfe in den Beinen.«
»Ihre Schwester ist auch so«, bemerkte Kell. »Ständig in Bewegung. Wißt ihr, womit man sie wütend machen kann? Man braucht sie bloß für eine Stunde an einen Stuhl zu binden.«
Shalla richtete sich auf und grinste. »Versuchen Sie es doch, Lieutenant.«
»Nein, vielen Dank.«
Wedge stand so ruckartig auf, daß sein Stuhl gegen seine Bürowand krachte. »Was haben Sie ihr versprochen?«
Phanan und Face standen bereits. »Wir haben ihr gar nichts versprochen«, antwortete Face. »Bloß, daß wir es uns überlegen würden.«
»Gentlemen, das ist eine Angelegenheit für die Spionageabwehr. Geben Sie die Sache an General Crackens Leute weiter.«
Face fühlte sich bei dieser Anordnung sichtlich nicht wohl. »Bei allem Respekt, Sir, Crackens Leute haben diesen Mann bisher noch nicht bemerkt. Das bedeutet, daß er möglicherweise einen Freund hat, einen Offizierskollegen bei der Abwehr, der ihn deckt. Wenn er schon früher Raumfahrzeuge gestohlen hat, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß er das nicht getan hat…«
»Aber auch keine Beweise, daß er es getan hat.«
»Das ist richtig. Aber, wenn er schon Raumfahrzeuge gestohlen hat, dann wäre ein Freund in Crackens Gruppe die Erklärung dafür, weshalb man bisher keine Beweise gegen ihn gefunden hat. Wenn wir die Angelegenheit der Abwehr übergeben, dann könnte das dazu führen, daß er vorzeitig gewarnt wird und alle Spuren beseitigt und ein, zwei Jahre den unbescholtenen Offizier spielen kann… um dann wieder mit dem Stehlen anzufangen und junge Offiziersanwärter zu erpressen.«
Wedge überlegte. »Wenn Sie diese kleine Operation durchführen, dann könnte uns das bei Crackens Leuten recht unbeliebt machen. Weil wir uns damit nämlich in ihre Befugnisse einmischen.«
Phanan nickte. »Die Möglichkeit besteht. Andererseits ist es aber auch möglich, daß wir es schaffen, ohne daß jemand auch nur bemerkt, daß hier eine ›Operation‹ läuft. Nehmen wir doch einmal an, daß Lara Notsil auf Empfehlung eines schneidigen, ungemein attraktiven Piloten, den sie auf Borleias im Lazarett kennengelernt hat, in die Flugschule eintritt…«
»Einem der Piloten der Staffel Blau, nehme ich an.«
»Vielen Dank für dieses Vertrauensvotum, Sir. Jedenfalls fängt sie mit ihrer Ausbildung an, und Repness macht sich an sie heran. Lara wendet sich an ihren alten Freund aus dem Lazarett, und die beiden lassen Repness auffliegen. Das ist die Geschichte, und sie wird jeder Untersuchung standhalten.«
»Einer oberflächlichen Untersuchung vielleicht.« Wedge ließ sich finster blickend wieder in seinen Sessel sinken. Phanan und Face setzten sich um einiges erleichtert ebenfalls wieder auf ihre Stühle.
Wedge fuhr fort: »Aber aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir, wenn ihre Probleme mit Repness anfangen, irgendwo anders im Einsatz sein. Haben Sie die Absicht, Ihren Dienst bei der Gespensterstaffel aufzugeben, um hier in der Nähe dieser jungen Dame zu bleiben?«
»Nein, aber Face hat vor, ein paar Credits auf ihr Konto einzuzahlen, damit sie sich Zugang zum HoloNet verschaffen kann. Und wenn dann das passiert, was wir erwarten, kann sie mit uns praktisch unverzüglich Verbindung aufnehmen…«
»Immer unter der Voraussetzung, daß wir zu diesem Zeitpunkt nicht gerade verdeckt tätig sind.«
»Ja, unter dieser Voraussetzung, richtig. Ich werde ihr Anweisungen hinterlassen, was sie tun soll, falls sie uns nicht erreichen kann. Aber wenn sie Kontakt mit uns aufnehmen kann, werden wir uns jemanden auf Coruscant suchen, dem wir vertrauen können und auf den sie sich verlassen kann. So jemanden muß es geben. So jemanden gibt es immer.« Phanan zuckte die Achseln und sah seinen kommandierenden Offizier an. »Man könnte sich ja vielleicht sogar an Prinzessin Leia Organa wenden…«
»Unter gar keinen Umständen. Die hat Wichtigeres zu tun. Außerdem ist sie augenblicklich in geheimer diplomatischer Mission unterwegs.«
»Das war nur ein Vorschlag. Jedenfalls, wenn wir nicht hier sind, um Lara in der Endphase zu helfen, werden wir sie mit einem Freund in Verbindung bringen, der ihr behilflich sein kann. Und das ist das Ende der Angelegenheit.«
»Aber nicht das Ende ihrer Karriere.«
Die zwei Piloten nickten.
Wedge lehnte sich zurück. »Also schön, ihr beiden. Wenn diese Lara Notsil die Operation durchzieht, werde ich sie für die Versetzung in eine meiner Staffeln in Betracht ziehen. Und ob ich sie übernehme oder nicht, wird einzig und allein davon abhängen, wie ich ihre Fähigkeiten und ihren Charakter einschätze. Ich werde mich also weder um ihre Leistungsdaten von der Akademie noch um ihre Teilnahme an Ihrer Großoperation kümmern. Sie muß die Fähigkeit besitzen, in der Sonderstaffel oder bei den Gespenstern zu fliegen… und wenn das der Fall ist, werde ich sie, sobald ich eine freie Stelle habe, übernehmen. Das ist das Äußerste, was ich für sie tun kann.«
Die beiden verstanden den Wink und standen auf. »Mehr konnten wir auch nicht erhoffen«, meinte Phanan. »Vielen Dank, Sir.«
»Wegtreten.«
Als sie draußen waren, sagte Wedge wie im Selbstgespräch: »Wes, jetzt haben die es schon wieder geschafft.«