48
Sobald alle versammelt sind, die Tür verriegelt ist und Velith einen Störsender installiert hat, damit niemand uns belauschen kann, erkläre ich den drei meine Pläne und was mit Constance passiert ist. Als ich fertig bin, sehen Hammer und Dina mächtig sauer aus. Nur Doc scheint verwirrt.
»Dieser Dreckskerl!«, knurrt Dina. »Ich werde ihm die Leber rausreißen und sie ihm in den Rachen stopfen.«
»Wissen wir, weshalb er es getan hat?«, fragt Saul.
Ich zucke mit den Schultern. »Bei allem Respekt, Doc, das interessiert mich nicht im Geringsten. Es geht um das, was er getan hat, nicht warum. Und von Ihnen brauche ich ein Betäubungsmittel, das selbst einen Rodeisier für eine Woche flachlegen würde.« Jael hat mein Vertrauen so bitter enttäuscht, dass ich auch nicht zögere, seines zu enttäuschen. »Sie müssen wissen, Saul, er ist ein Züchtling, und sein Stoffwechsel arbeitet unfassbar schnell. Er ist nahezu immun gegen Schmerz, und die schwersten Verletzungen heilen bei ihm, als wären es kleine Kratzer, wie Sie selbst gesehen haben. Die Chancen, ihn in einem Kampf zu überwältigen, stehen also schlecht.«
»Ich könnte es«, sagt Velith leise. »Aber es wäre eine unschöne Angelegenheit, und ich müsste ihn wahrscheinlich verstümmeln oder ihm andere irreparable Verletzungen zufügen.«
»Das könnte Jax’ Plan zunichtemachen«, widerspricht Hammer. »Und soweit ich es verstanden habe, bleibt uns nicht viel Zeit.«
»Hier also mein Vorschlag«, fahre ich fort. »Jael hat Schiss, wir könnten herausfinden, was er getan hat. Was er nicht ahnt, ist, dass wir es bereits wissen. Als er hörte, wir würden uns auf die Suche nach Constance machen, hat er das Liliana-Chassis verschwinden lassen, und jetzt glaubt er, er hätte alle Spuren verwischt. Er wird also nicht damit rechnen, dass wir ihn uns krallen. Deshalb müssen wir so tun, als wäre alles wie immer, wenn einer von uns ihm begegnet. Schaffst du das, Dina?«
Eine Weile hat sie sichtlich mit der Vorstellung zu kämpfen, weiterhin freundlich zu sein zu dem Kerl, den sie am liebsten umbringen würde, aber schließlich sagt sie: »Ja, schaff ich. Mach dir keine Sorgen wegen mir.«
»Sehr gut. Ihr beide müsst Folgendes tun: Jael hat oft mit euch rumgehangen, oder? Also ladet ihr ihn einfach zu einer Partie Charm ein. Aber drängt ihn nicht. Erwähnt nur beiläufig, dass ihr heute Abend eine Runde spielen würdet und er gern vorbeischauen kann.«
»Das übernehme ich«, murmelt Hammer.
Ich blicke zu Doc hinüber. »Können Sie die Daten, die Sie bei der Behandlung seiner Wunde gesammelt haben, benutzen, um das Betäubungsmittel zu synthetisieren?«
Saul nickt. »Das kann ich … Aber der Gedanke gefällt mir nicht, Jax. Sind Sie sicher, dass er es war? Haben Sie mit ihm gesprochen? Immerhin hat er sich für Sie beinahe umbringen lassen. Es ergibt keinen Sinn. Er rettet Ihnen das Leben, und gleichzeitig soll er ohne Grund einen Giftanschlag auf Scharis verübt haben?«
»Doc«, erwidere ich grimmig, »denken Sie nicht mal daran, Jael darauf anzusprechen. Wenn er etwas mitbekommt, können wir unseren ganzen Plan vergessen. Es ist mir egal, ob sein Verhalten einen Sinn ergibt oder nicht. Ich weiß, was Constance mir mitgeteilt hat.«
»Jemand könnte sie umprogrammiert haben«, gibt Saul zu bedenken.
Velith schüttelt den Kopf. »Eine PA von ihrer Qualität verfügt über Sicherheitsprotokolle, die einen Selbstzerstörungsmechanismus auslösen, sobald eine unautorisierte Person so etwas versucht.«
Alle möglichen widerstreitenden Impulse steigen in mir auf, doch ich versuche, trotzdem ruhig zu bleiben. Einfach laut loszuschreien wäre verlockend oder auf irgendetwas einzuschlagen, und dazwischen flackert immer wieder diese unglaubliche Sehnsucht nach dem Grimspace auf. Ich stehe kurz davor zu explodieren. Also versuche ich, mich abzulenken, während Doc nachdenkt.
»Da fällt mir ein, Dina, du musst einen Stick mit genügend Speicher für eine PA samt Betriebsprogramm und allen Daten organisieren und Constance darauf überspielen.«
»Mutter Maria«, stammelt sie. »Was Leichteres fällt dir nicht ein?«
»Kriegst du das hin?«
Sie flucht noch ein bisschen vor sich hin, dann sagt sie: »Okay, okay, sobald wir hier fertig sind. Wo steckt sie denn?«
»Im Terminal meiner Suite. Ich werde ihr sagen, dass sie dir vertrauen kann. Ich habe sie angewiesen, sich niemandem zu zeigen außer mir.«
Hammer nickt. »Schlaue Taktik für einen Blechkasten wie sie. Wenn sie nicht so gewitzt wäre, hätten wir all das nie erfahren.«
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Constance hat sich definitiv weit über das Stadium einer PA hinaus entwickelt. Vielleicht setzen sich Dina und Vel später zusammen und überlegen, wie sie das geschafft hat.
Ich wende mich wieder Doc zu, der mittlerweile genug Zeit gehabt haben dürfte, die Sache gründlich abzuwägen. »Sehen Sie, ich weiß, Sie hassen vorschnelle Verurteilungen, aber Jael ist schuldig, und ich will Marsch zurück. Sind Sie dabei oder nicht?« Als er immer noch zögert, füge ich hinzu: »Falls Sie nicht mitmachen, muss ich Sie im Labor einsperren, ohne Com, bis wir fertig sind. Ist nichts Persönliches.«
»Ich bin dabei«, sagt er mit einem tiefen Seufzer. »Ich kann Marsch nicht in einem ithorianischen Gefängnis verrotten lassen. Ich mache mich sofort an die Arbeit.«
»Bestens. Ich fürchte nur, ich muss Sie um noch etwas bitten, Saul.«
Er streicht sich nervös über das Ziegenbärtchen. »Und das wäre?«
»Velith und ich werden uns zu der Charmrunde in Dinas Kabine gesellen, damit er uns alle sehen kann und sich sicher fühlt. Er wird Ihnen keine Probleme machen.«
Sauls Nervosität weicht blankem Entsetzen. »Ich greife niemanden tätlich an, Jax. Niemals.« Sein Miene wird hart. »Es sind genug Leute hier im Raum, die keinerlei Problem damit haben. Diese Aufgabe ist nichts für mich.«
»Deshalb sind Sie ja gerade der Richtige. Sie hat Jael nicht auf dem Schirm. Sie stellen sich einfach hinter ihn und pumpen ihn voll mit Betäubungsmittel. Streng genommen ist das nicht mal ein tätlicher Angriff.«
»Wortklauberei«, erwidert er schnaubend.
Ich hasse es, diese Karte auszuspielen, aber ich würde alles tun, um Marsch zu retten. »Dann wären Sie also tatsächlich bereit, Jael einfach so davonkommen zu lassen? Er ist schlau, sonst wären wir ihm schon längst auf die Schliche gekommen. Wenn heute Abend irgendetwas schiefgeht, könnte einer von uns sterben, vielleicht sogar mehrere. Wer soll dann Marsch retten?«
Ich strecke die Beine aus und werfe Saul – einem der wenigen Menschen, die mir immer nur Gutes getan haben – den vernichtendsten Blick zu, den ich zustande bringe. »Aber ich schätze, damit haben Sie kein Problem, denn dann haben Sie ja wenigstens Ihre Prinzipien gewahrt. Ich hoffe, die helfen Ihnen auch, wenn Sie Keri erklären müssen, wo Marsch abgeblieben ist.«
An der Art, wie Dina nach Luft schnappt, sehe ich, dass sie nicht glauben kann, was ich gerade gesagt habe. Alle sitzen da wie erstarrt, keiner sagt ein Wort. Ich höre Hammer neben mir, wie sie atmet, so still ist es.
Dann sagt Doc mit leiser, zitternder Stimme: »Wann?«
»Ja, wann?«, wiederholt Jael höhnisch.
Oh, verdammt. Ganz langsam drehe ich mich um und sehe ihn in der Tür stehen. Er hat Veliths elektronische Verriegelung geknackt, ohne dass wir es mitbekommen haben. So viel zu seinen technischen Fertigkeiten. Ich hoffe nur, das ist jetzt nicht unser aller Ende.
Mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen kommt er hereingeschlendert. »Ist doch seltsam, wenn ihr euch alle zum Kaffeekränzchen trefft und ich nicht eingeladen bin, oder?« Er stößt mich mit dem Fuß an. »Was ist denn los, Jax? Bin ich denn nicht mehr dein bester Kumpel?«
»Kommt drauf an«, sage ich langsam.
»Ach, auf was denn?« Er stellt sich zwischen mich und die Tür. Ich habe keine Waffe, Jael schon. Elegant lässt er sie um seinen Zeigefinger kreisen, und ich weiß, wie schnell seine Reflexe sind. Was ich nicht weiß, ist, wie lange er uns schon belauscht hat. Ein Bluff wäre zumindest einen Versuch wert.
Nein, lieber nicht. Nachdem mein Plan gerade grandios gescheitert ist, kann ich es genauso gut mit Sauls Vorgehensweise versuchen.
»Davon, ob du versucht hast, Scharis zu vergiften und alles zu zerstören, wofür ich hier gearbeitet habe. Mein Leben zu retten wiegt das nicht auf. So wichtig bin ich nicht.«
»Dein Kerl scheint da ganz anderer Meinung zu sein«, widerspricht Jael mit immer noch demselben widerlichen Lächeln auf den Lippen. »Ich hab gehört, er ist schon unterwegs, um für dich in die Minen zu gehen. Wirklich rührend, wenn auch ein bisschen dumm für meinen Geschmack.«
»Beantworte die Frage!«, fährt Dina ihn an.
Jael schüttelt den Kopf. »Ihr wisst doch auch so schon alles. Was soll ich da noch sagen?«
»Die Wahrheit«, verlangt Saul. »Du könntest uns sagen, warum. Hilf uns, dich zu verstehen.«
»Ja? Ich bin ganz einfach strukturiert, Doc. Ich liebe Geld, kann gar nicht genug davon bekommen. Und deine Mutter, Jax, zahlt ziemlich gut. Der beste Nebenjob, den ich je hatte. Im Gegensatz dazu ist Tarns Zahlungsmoral nicht die, die ich mir erhofft hatte, und – seien wir doch mal ehrlich – ich bin für bessere Aufgaben gemacht als diese hier.«
Ich frage mich, ob noch jemandem außer mir die leichte Bitterkeit auffällt, mit der er das Wort »gemacht« ausspricht. Er glaubt, er wäre kein vollwertiger Mensch, dabei ist er in gewisser Hinsicht noch viel mehr als das. Mariaverflucht, ich will den Kerl nicht bemitleiden, wenn ich ihn gleichzeitig so sehr hasse, aber ich weiß, wie es ist, wenn man verachtet und gejagt wird. Ich war noch nie so am Ende als zu der Zeit, als das ganze Universum glaubte, ich wäre verantwortlich für den Absturz der Sargasso. Deshalb kann ich vielleicht verstehen, warum er so ist. Aber das ändert nichts.
Zumindest weiß ich jetzt, weshalb er mich damals an Bord des Shuttles so seltsam angesehen hat.
»Dann war das alles wirklich nur ein Job für dich.« Ich dachte, ich wäre darüber weg, doch die Enttäuschung schmerzt immer noch. »Du warst mir wichtig. Ich dachte, wir wären Freunde.«
Das Lächeln verschwindet für einen Moment. »Männer wie ich haben keine Freunde«, erwidert er, mit einem Mal gar nicht mehr so überheblich. »Ich hatte nie vor, dich in Gefahr zu bringen. Ich hab nichts gegen dich, ganz im Gegenteil. Du warst immer gut zu mir. Ich hätte nie geglaubt, dass sie deine Suite durchsuchen würden. Ich dachte, du hättest diplomatische Immunität oder so.«
»Ich hoffe, du vergibst mir, wenn ich jetzt nicht in Ohnmacht falle wegen deiner rührenden Worte.« Meine Stimme ist so hart, sie würde selbst Glas durchschneiden. »Was willst du von uns?«
»Im Moment? Freien Abzug. Wir waren lange genug hier, und ich möchte die Gastfreundschaft der Ithorianer nicht überstrapazieren.« Er deutet mit der Waffe auf die Tür. »Du setzt dich mit Hammer ins Cockpit, und ihr macht euren Job. Ich passe inzwischen auf Dina, Doc und die Kakerlake auf, damit Ihr beiden keine Tricks versucht. Wenn wir innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht auf Gehenna sind, werde ich sie einen nach dem anderen töten.«
»Okay«, sage ich, um ihn erst einmal in Sicherheit zu wiegen. »Du hast jetzt das Sagen. Wir werden keine Dummheiten versuchen.«
Ich werfe Hammer einen kurzen Blick zu, die daraufhin unmerklich nickt. Ich hoffe, das bedeutet, sie hat einen Plan. Ich atme noch einmal tief durch, dann stehe ich auf. Jael folgt mir mit dem Lauf seiner Waffe, und ich achte darauf, keine plötzlichen Bewegungen zu machen.
Hammer erledigt das für mich. Mit unfassbarer Schnelligkeit stürzt sie sich auf Jael und jagt ihm die Giftnadel unter ihrem kleinen Fingernagel in den Hals.
Noch im Fallen drückt Jael ab, trifft aber nur einen Stuhl und brennt ein schönes rauchendes Loch hinein.
»Nur weil du ein Züchtling bist«, knurrt sie mit gefletschten Zähnen, »kannst du noch lange nicht ungestraft die Frau bedrohen, die ich liebe!« Zur Bekräftigung verpasst sie ihm noch einen ordentlichen Tritt. »Normalerweise ist das Gift absolut tödlich, aber ich denke, er wird’s überleben.«
Ich gehe vorsichtshalber in Deckung, während Jael zuckt, bis sein Nervensystem endlich die Segel streicht und die Waffe aus seiner schlaffen Hand rutscht.
Dina kommt hinter ihrem Stuhl hervor und wirft sich in Hammers Arme. Sie küssen sich so zärtlich, wie ich es selten bei zwei Menschen gesehen habe.
Ich schaue weg. Ich kann den Anblick nicht ertragen, solange ich nicht weiß, ob ich Marsch je wiedersehen werde.
Das hängt jetzt ganz von Jael ab.
Also hoffe ich, seine Gene kommen auch mit diesem Gift zurecht. Wenn nicht, haben wir ein ernsthaftes Problem. Wir müssen einen lebendigen Menschen in Marschs Zelle zurücklassen, der an seiner Stelle in den Minen schuftet. Das ist die einzige Möglichkeit, sonst kommen wir damit nicht durch. Die Ithorianer werden es verschmerzen, wenn wir uns einfach so davonmachen. Ich werde Scharis sagen, er soll behaupten, ich hätte seiner Warnung endlich Folge geleistet.
»Das wäre schon mal nicht so gelaufen, wie geplant«, sage ich schließlich. »Aber vielleicht war es auch besser so. Immerhin ging es schneller. Dina muss Constance holen, und wir müssen noch einen Zug klauen. So, und nun sollten wir Phase zwei vorbereiten.«