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Der Tag zieht sich hin wie ein endloses Verhör.
Karom ist ganz besonders hartnäckig. Gezielt stellt er Fragen, die ich kaum beantworten kann, ohne einen Affront auszulösen. Ich fange an, den Bastard abgrundtief zu hassen. Immerhin scheint sein chronisch oppositionelles Getue Mako allmählich auf unsere Seite zu ziehen. Bei Sartha bin ich mir da nicht so sicher. Sie scheint weit mehr an Vel interessiert als an einem Bündnis mit dem Konglomerat, so sehr, dass ich mich frage, in welcher Beziehung die beiden zueinander standen, bevor Vel Ithiss-Tor verlassen hat. Karom wird auf jeden Fall gegen ein Bündnis stimmen, und das einzig Positive an der Situation ist, dass die Große Verwalterin den Rat nicht überstimmen kann, so sehr sie es vielleicht auch möchte. Ihre gelangweilten Gesten sagen mir, dass sie mich am liebsten erwürgen würde mit ihren rot lackierten Klauen, um mich endlich zum Schweigen zu bringen.
Schließlich versucht Karom mir aus dem Zwischenfall auf dem Platz einen Strick zu drehen, aber Vel hat nichts anderes erwartet und mich gut auf diese Eventualität vorbereitet. Gestern Nacht, auf dem Weg zurück zum Regierungsviertel, haben wir uns eine passende Version der Geschichte ausgedacht, und irgendwie schaffe ich es, mir ein Grinsen zu verkneifen, während ich antworte.
»Verehrter Karom, ich brauchte etwas von unserem Schiff und wollte nach dem überaus freundlichen Empfang, der mir bereitet worden war, nicht erneut die Dienste des Rats in Anspruch nehmen. Mir war nicht bewusst, dass mir irgendwo auf diesem Planeten Gefahr drohen könnte. Mir war versichert worden, alles wäre bestens vorbereitet für die Ankunft unserer Delegation, und ich war entsprechend schockiert über die barbarische Feindseligkeit, die mir auf der Plaza entgegenschlug. Ich bereue es zutiefst, sollte ich der Auslöser dafür gewesen sein, auch wenn ich nicht genau weiß, auf welche Weise ich den braven ithorianischen Bürgern zu nahe getreten bin.«
Nimm das, widerliche Kakerlake.
Maria, bin ich froh, dass kein Psiler unter ihnen ist, sonst wäre diese Anhörung jetzt zu Ende. Meine Worte habe ich im Griff, aber nicht meine Gedanken. Ich habe schon einen richtigen Knoten im Hals von all dem doppelzüngigen Gerede, diesen unter einem hauchdünnen Schleier der Höflichkeit verborgenen Anfeindungen.
Vel übersetzt, und ich registriere mit Freuden, wie sich Karom zu einem ganz besonders tiefen Wa gezwungen sieht. Beschämt lässt er sich in seinen Sitz fallen, und um alles noch schlimmer zu machen, entschuldigt sich sogar die Große Verwalterin für das Verhalten der Oppositionspartei.
»Auch ich bedauere den Vorfall zutiefst«, erklärt sie. »Unser Volk ist mit Recht stolz darauf, seine Meinung stets nur mit Worten Ausdruck zu verleihen und sich nicht zu derart barbarischen Handlungen herabzulassen.«
Als wir endlich eine Pause einlegen, um ein spätes Mittagessen einzunehmen, fühle ich mich, als wäre ich in ein Schiffstriebwerk gesaugt und hinten wieder ausgespuckt worden. Dennoch gelingt es mir, noch all die nötigen Höflichkeiten auszutauschen, bevor ich mich in meine Suite zurückziehe. Heute Abend erwartet mich ein weiteres Bankett, und wenn ich es überstehen will, brauche ich noch dringend etwas Ruhe. Vielleicht finde ich ja auch das ein oder andere Interessante dabei heraus.
Constance und Vel begleiten mich zum Wohnflügel.
»Sie haben sich gut gehalten, Sirantha«, erklärt der Kopfgeldjäger. »Devri steht nun voll und ganz auf unserer Seite.«
»Ich habe seine zustimmenden Gesten bemerkt«, erwidere ich mit einem Anflug von Stolz.
»Ich werde Sie heute Abend abholen und in die Versammlungshalle begleiten.«
»Danke. Aber jetzt muss ich meinen Kopf auslüften.«
Vel nickt. »Ich habe noch zu arbeiten.«
»Wie immer«, murmle ich.
Zusammen mit Constance betrete ich meine Suite, während Vel schon weitereilt. Bleierne Müdigkeit erfasst mich, die Pracht meiner Gemächer nehme ich schon gar nicht mehr wahr.
Meine PA mustert mich einen Moment lang eindringlich, dann sagt sie: »Zu schade, dass Sie Ihre Batterien nicht auch einfach am Terminal wieder aufladen können.«
Immer wieder für eine Überraschung gut, die Kleine. Ich muss lachen. »Absolut. Bei uns Menschen ist das leider etwas komplizierter.«
»Wünschen Sie, den Verlauf der Verhandlungen noch einmal mit mir durchzugehen, Sirantha? Ich habe alles aufgezeichnet, wie Sie gebeten haben.«
Ich schüttle nur müde den Kopf und schäle mich aus der goldenen Robe. »Später, Constance. Ich möchte jetzt nicht nachdenken müssen. Würdest du die Suite inzwischen bitte nach Abhörgeräten durchsuchen?«
»Verstanden.«
Ich will gerade hinüber ins Schlafzimmer gehen, als mir plötzlich etwas einfällt. »Weißt du noch, wie ich dich um Zugang zu Mairs verschlüsselten Archiven gebeten habe?«
»Ich erinnere mich an alles, das Sie je in meiner Gegenwart gesagt haben, Sirantha.«
Dumme Frage. Sie erklärt mir das nicht zum ersten Mal, aber manchmal sieht sie mit dem seidig braunen Haar und den dunklen Augen so menschlich aus, und ich vergesse einfach, dass unter ihrer samtigen Haut Chips und Kabel stecken.
»Okay. Hier die große Preisfrage: Hat Mair irgendwelche Eintragungen zu Marsch hinterlassen?«
»Suchanfrage läuft.« Ihre Augen werden leer, als würde sie den Blick nach innen wenden. Ich warte, bis sie sich wieder zu Wort meldet. »Siebzehn Tage vor ihrem letztem Log-in hat Mair den verschlüsselten Archiven ein persönliches Tagebuch hinzugefügt, in dem sich mehrere Einträge zu Marsch befinden.«
Ich stehe da wie schockgefroren. Die Frage war ein Schuss ins Blaue, und ich hatte nicht erwartet, dass wirklich etwas dabei herauskommen würde. Und jetzt kann ich mich nicht bewegen vor Anspannung. Vielleicht hat Constance etwas für mich, das mir helfen kann. Ich muss mich regelrecht zwingen, ins Schlafzimmer zu gehen und mir bequemere Klamotten zu holen. Mein Herz schlägt wie wild, während ich hastig in eine weite Hose steige. Brauche ich noch einen Pullover? Solange mich niemand sieht, reicht auch das dünne Unterhemd. Die Temperaturregulierung hier drinnen funktioniert perfekt, wenn ich auch nach wie vor keine Ahnung habe, wie.
Die Tür. Hinter ihr befindet sich Marschs Zimmer. Als ich noch nicht gewusst habe, wie sehr er sich verändert hat, habe ich gedacht, er würde vielleicht in meiner Nähe sein wollen. Eigentlich wollte ich ihn zu dem offiziellen Dinner heute Abend mitnehmen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich will er gar nicht. Ich habe tatsächlich Angst, diese Tür zu öffnen, und das widert mich an.
Also zurück in den Wohnbereich, wo Constance auf mich wartet, um da weiterzumachen, wo wir stehen geblieben sind. Das ist das Tolle an Droiden: Sie nehmen’s nicht persönlich, wenn man sich ab und zu etwas seltsam verhält. Natürlich sind sie pedantisch und nehmen manches viel zu wörtlich, aber da gibt es weit schlimmere als Constance.
Ich mache es mir auf einem Möbelstück bequem, das halb Sofa, halb Stuhl ist, und gehe noch einmal in mich. Ist es verrückt von mir zu glauben, Mair könnte mir von jenseits des Grabes helfen? Vielleicht. Aber Marsch ist den Versuch auf jeden Fall wert.
»Beginnen wir ganz am Anfang«, sage ich schließlich. »Spiel mir den ersten Eintrag vor.«
Obwohl ich das nicht zum ersten Mal erlebe, zucke ich zusammen, als ich Constance mit Mairs whiskygeschwängerter Stimme sprechen höre, und das auch noch, ohne dabei den Mund zu bewegen. Es klingt genauso wie das Gekrächze, an das ich mich aus der Zeit unserer kurzen Bekanntschaft erinnern kann. Bevor sie ihr Leben gab, um alle anderen zu retten.
»Tanse hat mir heute eine unliebsame Überraschung bereitet. Statt Hon hat sie außer dem Schiff noch einen halb verrückten Psiler mitgebracht. Sie hat gesagt, sie hätte keine Wahl gehabt, aber ich glaube, sie hat es einfach nicht übers Herz gebracht, ihn von seinen Qualen zu erlösen. Sie braucht nur einen dunkeläugigen Burschen zu sehen, und schon weiß sie nicht mehr, was sie tut.«
Als ich »dunkeläugiger Bursche« höre, muss ich lächeln. Nur jemand, der erheblich älter ist als Marsch, würde ihn als Burschen bezeichnen. Aber auf die Chi-Meisterin traf das in jedem Fall zu. Ich kann immer noch nicht fassen, wie sie in jener Nacht mit geradezu übernatürlicher Geschwindigkeit davongerannt ist, um den Köder zu spielen. Ich war zuvor noch nie einer echten Chi-Meisterin begegnet und hätte nie geglaubt, wie unfassbar gut sie ihre Lebensenergie steuern können.
Ich höre ein Seufzen und ein Rascheln, und es klingt, als wäre Mair ruhelos auf und ab gegangen, während sie sprach. »Wir brauchten einen halben Tag, um seinen Namen aus ihm herauszubekommen. Wenn alles läuft wie geplant, habe ich eigentlich gar keine Zeit für so was. Aber es geht mir genauso wie Tanse. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihn zu töten. In seinem Kern brennt ein ganz außergewöhnliches Feuer … er könnte Großes erreichen, wenn er nur die Gelegenheit bekommt. Auf jeden Fall wäre er von großem Nutzen, wenn ich ihn wieder hinkriegen kann.«
Ein interessanter Ausdruck in diesem Zusammenhang: hinkriegen. Was, zum Teufel, hat sie bloß mit ihm gemacht?
Mair spricht weiter: »Dr. Solaith ist nach langem Training nach Lachion zurückgekehrt. Für dieses Projekt braucht er Fertigkeiten, die er sich hier nicht aneignen konnte. Ich bin heilfroh, dass sich einer von unseren Leuten dazu bereit erklärt hat. Die meisten Männer kämpfen lieber, als nachzudenken, aber Saul war schon immer was Besonderes. Diese Kommune auf Saleris« – ist das nicht einer von diesen Super-G-Planeten? – »hat ihn ganz schön verkorkst, als er noch ein Kind war. Wahrscheinlich hätten sie ihn längst umgebracht, wäre Rose nicht zur Stelle gewesen und hätte sich für ihn eingesetzt.«
Es folgt eine lange Pause, nur unterbrochen von irgendwelchen unidentifizierbaren Geräuschen, bis Mair anscheinend wieder einfällt, dass die Aufzeichnung noch läuft. »Das wäre alles heute. Sitzung beenden.«
»Stöberst du mal wieder in meiner Vergangenheit herum?«, flüstert Marsch.
Ich muss mir den Mund zuhalten, um nicht laut aufzuschreiben. Ganz langsam drehe ich den Kopf und sehe Marsch hinter mir. Wie lange er wohl schon da steht? Die Härchen in meinem Nacken richten sich auf, als er in meinen Geist greift wie ein Fischer in ein prall gefülltes Netz.
Rote Eisnadeln durchlöchern mich. Genauso fühlt er jetzt: blanke, schneidende Wut. Als er sich wieder zurückzieht, zittere ich am ganzen Körper.
»Lange genug«, antwortet er und setzt sich neben mich. »Wenn du es unbedingt wissen willst, warum fragst du nicht?«
»Aus zwei Gründen. Das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben, warst du nicht besonders zugänglich.« Das entspricht zweifellos der Wahrheit. »Du warst recht … launisch.« Was für eine Untertreibung.
Mit kaltem, hartem Blick fixiert er mich, aber ich lasse mich nicht aus der Fassung bringen.
»Außerdem glaube ich nicht, dass du dich immer noch ändern willst. Du könntest lügen, mich an der Nase rumführen oder versuchen, mir das Ganze auszureden. Aber wenn ich es auf diese Weise herausfinde, kannst du nichts dagegen unternehmen.«
»Doch, kann ich. Indem ich dich umbringe.« Mit einer Bewegung, so schnell, dass ich sie kaum wahrnehme, legt er seine riesige Hand um meinen Hals.