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Vel und ich folgen dem Blinken auf dem Handheld. Es führt uns durch einen wenig frequentierten Teil des Regierungsbezirks, und ich hoffe, wir dürfen überhaupt hier sein. Im Gegensatz zu der üppigen Vegetation auf den öffentlichen Plätzen ist hier alles nackt und kahl, und das stumpfe Metall der Gebäude sieht aus, als könnte es eine ordentliche Reinigung vertragen. Kratzer und Ölflecken auf dem Boden deuten darauf hin, dass hier oft schweres Gerät transportiert wird.

Unterwegs kommen wir an ein paar Arbeitern vorbei, die jedoch keine weitere Notiz von uns zu nehmen scheinen. Ich trage ja auch nicht meine goldene Robe, und ohne sie erkennen sie mich wahrscheinlich gar nicht als die Botschafterin des Konglomerats. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihr und der wahren Sirantha Jax ist die grüne Tätowierung am Hals.

Trotzdem befürchte ich, wir könnten jeden Moment angehalten und gefragt werden, was wir hier zu suchen haben. Ich spüre, wie ich mich verkrampfe. Dieser Teil des Regierungsbezirks gehört nie und nimmer zum öffentlichen Bereich. Welche Strafe wohl auf unbefugtes Betreten steht?

Das immer schneller werdende Blinken auf Vels Handheld reißt mich aus meinen Gedanken. Gleich da. Wir kommen um eine letzte Biegung und stehen vor einem unverschlossenen Wartungsraum. Als wir hineingehen, signalisiert uns das Gerät, dass sich das Chassis hinter einer weiteren Tür befindet. Natürlich ist sie verschlossen. Velith beschäftigt sich eine Weile mit dem Bedienfeld, dann springt sie auf.

Wir brechen beide in lautes Fluchen aus. Es ist ein Lagerraum für kaputte Droiden, aber wir finden keine Spur von einer Liliana-Einheit. Jael hat sie also woanders hingebracht. Kein Wunder, dass er mich gedrängt hat, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Er ist schlau genug, um zu wissen, dass die Geschichte irgendwann auffliegen würde.

»Dann gehen wir eben zu diesem verdammten Vernehmungsoffizier und erzählen ihm, was wir wissen«, sage ich entschlossen.

Velith gibt etwas in seinen Handheld ein. »Er hält sich im Moment in den Hallen der Rechtsprechung auf.«

Ich verziehe das Gesicht. »Wo sonst.«

Unterwegs sprechen wir nicht viel. Zwischen den meisten Gebäuden hier verkehren unterirdische Züge, damit sich die Ithorianer möglichst wenig der Kälte draußen aussetzen müssen. Umso besser, denn auf diese Weise gelangen wir unbehelligt bis zum Justizkomplex.

Vel und ich gehen zum Lift, der hinauf in die Büroetagen führt, und erst dort begegnen wir dem ersten Hindernis.

»Der Vernehmungsoffizier darf nicht gestört werden«, erklärt der Ithorianer im Vorzimmer. »Falls Sie einen Termin machen wollen, wird er Sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt empfangen.«

Während Vel übersetzt, bereite ich mich innerlich schon mal auf meinen Auftritt vor. »Ich bin die Botschafterin von Terra Nova«, erkläre ich mit einschüchternder Stimme, »und ich habe äußerst wichtige Informationen, die ich zu überbringen habe. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn Ihr Vorgesetzter erfährt, dass Sie mich nicht vorbeigelassen haben.«

Angst vor einem Vorgesetzten scheint bei den Kakerlaken immer zu funktionieren. Sofort springt der Wicht auf und verschwindet im angrenzenden Büro. Ein paar Minuten später kommt er mit Ehon zurück.

»Ich hoffe, es handelt sich um etwas Wichtiges, Botschafterin«, sagt er und winkt uns in sein Allerheiligstes.

»Sie haben den Falschen verhaftet«, erkläre ich. »Marsch hat den Mordversuch nur gestanden, weil das Gift in meiner Suite gefunden wurde und er mich beschützen wollte. Im Verlauf unserer eigenen Nachforschungen konnten wir jedoch den wahren Schuldigen ausfindig machen.«

Ich erkläre ihm, wie sich alles zugetragen hat und der Attentäter auch noch versuchte, ein Mitglied der Delegation verschwinden zu lassen. Die ganze Wahrheit erzähle ich ihm lieber nicht, denn die Ithorianer wissen nicht, dass Constance eine Droidin ist, und ich bin nicht sicher, wie sie es aufnehmen würden, dass ich sie derart an der Nase herumgeführt habe. Die Allianz ist zwar jetzt beschlossene Sache, aber ich will lieber nichts riskieren.

Vel bestätigt meine Vorsicht mit einem kleinen Kopfnicken und verpackt meine Schilderung dann in möglichst geschliffene Worte.

Als er fertig ist, tippt Ehon bereits unruhig mit den Klauen gegen seinen Brustpanzer. Kein gutes Zeichen.

»Und das betreffende Mitglied Ihrer Delegation hat sowohl den Anschlag auf ihr Leben als auch die mehrtägige Gefangenschaft überstanden?«, fragt er ungläubig.

Ich nicke.

»Dann würde diese Person vor dem Tribunal aussagen, dass sie den Täter dabei beobachtet hat, wie er das Fläschchen in Ihrer Suite versteckte?«

Genau da liegt das Problem.

»Das … kann sie leider nicht.«

Ehon verliert endgültig die Geduld. »Sie tischen mir hier eine Geschichte auf und haben keine Beweise und keine Zeugen? Was, glauben Sie, kann ich mit diesen Informationen anfangen?« Er beugt sich vor und fixiert mich mit kalt glitzernden Augen. »Ich werde Ihnen einmal ganz offen sagen, was ich denke, Botschafterin: Jetzt, da das Bündnis unter Dach und Fach ist, versuchen Sie, Ihren Liebhaber zu retten, und Sie ignorieren dabei sowohl unser Justizsystem als auch die Wahrheit.«

Die Zeit, die Vel zum Dolmetschen braucht, gibt mir Gelegenheit, mich wieder einzukriegen. »Das ist nicht wahr«, protestiere ich. »Ich möchte lediglich dafür sorgen, dass der Richtige für dieses schändliche Verbrechen belangt wird.«

Ehon wirft einen Blick auf sein Terminal. »Das wird er. Ihr Engagement in dieser Sache ist hinfällig, Botschafterin, selbst wenn Sie Beweise hätten. Der Verdächtige wurde heute Morgen verurteilt, und ein und dasselbe Verbrechen kommt nie zweimal vor Gericht. Der Gefangenenkonvoi ist vor zwei Stunden zu den Minen aufgebrochen.«

O Maria, nein! Alle Dämme in mir brechen, und der Schmerz, den ich so gut unter Kontrolle hatte, rollt über mich hinweg, dass ich beinahe darin ertrinke. Marsch wird glauben, ich hätte mir nicht einmal die Mühe gemacht, ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Er wird denken, ich hätte ihn ohne Abschied seinem Schicksal überlassen. Nichts anderes kann er von der alten Jax erwarten.

Aus und vorbei.

Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie einsam er sich fühlen muss.

Vel und Ehon scheinen irgendwo weit weg miteinander zu sprechen, aber der Tumult in meinem Kopf übertönt ihre Worte. Es ist zu spät, alles verloren. Tränen verschleiern mir die Sicht. Ich krümme mich ungeschickt zu einem Verabschiedungs-Wa, bevor mich Vel nach draußen schiebt.

Er hilft mir, aufrecht zu bleiben, aber meine Beine gehorchen mir nicht. Velith packt mich bei den Schultern und schüttelt mich. »Reißen Sie sich zusammen, Sirantha. Es ist unter Ihrer Würde, zu weinen wie eine Frau.«

Nun, ich bin aber eine Frau. Doch die grobe Ermahnung hilft mehr als ein tröstendes Schulterklopfen. Ich kämpfe gegen den Weinkrampf an und versuche zu denken. »Wie weit ist es von hier bis zu den Minen?«

Der Kopfgeldjäger schaut mich ungläubig an. »Sie erwägen doch nicht etwa eine Befreiungsaktion?«

»Da kannst du deinen Arsch drauf verwetten, dass ich das tue.«

»Acht Stunden mit einem unterirdischen Gefangenentransportzug«, beantwortet Vel meine Frage. »Doch mir ist keine Methode bekannt, wie man an Bord eines solchen gelangen könnte.«

»Dann müssen wir uns eben hineinschmuggeln. Wir werden einen Weg finden, Jael zu den Minen zu bringen und ihn an Marschs Stelle dazulassen. Dann verschwinden wir von hier.«

Ich weiß, meine Anweisungen lauten abzuwarten und den ithorianischen Repräsentanten, wer auch immer das sein wird, zum nächsten Gipfeltreffen zu bringen. Aber Tarn kann ihn genauso gut von einem anderen Schiff transportieren lassen. Sie werden immer noch rechtzeitig ankommen, denn bis das Datum für die große Zusammenkunft feststeht, kann es noch eine Weile dauern …

Wenn wir es geschickt anstellen, merken die Ithorianer gar nicht, dass wir ihren Gefangenen ausgetauscht haben. Wahrscheinlich sehen wir für sie sowieso alle gleich aus.

Wenn es schiefgeht, wird die Große Verwalterin ihren Plan, uns alle in die Minen zu schicken, doch noch in die Tat umsetzen können, ob wir Scharis nun gerettet haben oder nicht.

Obwohl er nicht begeistert ist von der Idee, erklärt Velith: »Ich stehe das hier bis zum Ende mit Ihnen durch.«

Seine Worte brechen mir fast das Herz. Ich habe diese Loyalität nicht verdient, von niemandem, und schon gar nicht von Vel. Man könnte dreimal die gesamte Galaxie absuchen und würde keinen Zweiten finden wie ihn.

Mein Plan mag aussichtslos erscheinen, aber es hilft mir, dass ich überhaupt einen habe. Noch auf dem Weg zum Zug überlege ich die nächsten Schritte. »Wir müssen uns in aller Heimlichkeit mit Doc, Dina und Hammer treffen. Jael darf davon keinen Wind bekommen, sonst türmt er. Ich würde ihm sogar zutrauen, unser Schiff zu stehlen und uns hier zurückzulassen.«

»Dann dürfen wir nicht das Com benutzen«, erklärt Vel. »Ich weiß nicht, über welche technischen Möglichkeiten er verfügt, aber wir sollten davon ausgehen, dass wir abgehört werden.«

»Könnte er auch mein Terminal angezapft haben? Weiß er vielleicht schon, dass sich Constance dort eingenistet hat?«

Während wir mit dem Lift nach unten fahren, denkt Velith angestrengt nach. »Bis zum gestrigen Tag hätte ich noch behauptet, eine PA könnte ihr Betriebsprogramm niemals auf sechs verschiedene Prozessoren in sechs verschiedenen Reinigungs-Droiden überspielen. Ich fühle mich nicht länger in der Lage zu sagen, was möglich ist und was nicht.«

»Da haben wir was gemeinsam«, murmle ich.

Als wir auf dem Schiff sind, finden wir Dina in Hammers Kabine – zumindest hier keine weiteren Überraschungen.

»Notfallbesprechung in meiner Suite, sofort!«, sage ich zu den beiden, ohne auf Dinas finsteren Blick zu achten. Ich kann mich jetzt nicht mit ihr streiten. Wir müssen Marsch retten.

Dann gehen wir Doc suchen. Wie immer arbeitet er gerade in seinem Labor. Als ich näher herantrete, sehe ich, dass er mit meiner DNA und der von Baby-Z herumhantiert. Bei der Erinnerung an den kleinen Mareq spüre ich einen Stich im Herzen. Wahrscheinlich versucht Saul immer noch, eine Spezies zu züchten, die immun ist gegen die Nebenwirkungen des Grimspace und nicht ausbrennt wie alle anderen Springer.

»Was brauchen Sie, Jax?«, fragt er.

»Ihre Hilfe. Kommen Sie in meine Suite, so schnell Sie können.«