31
Die KI unterbricht uns mit einer Warnmeldung: »Personen nähern sich dem Cockpit. Stärke der Vitalsignale legt beträchtlichen Erregungszustand nahe.«
Ich bin mir nie sicher, ob KIs absichtlich darauf programmiert werden, sich derart gestelzt auszudrücken, oder ob die Entwickler es einfach nicht besser draufhaben. Jemand versucht, die Tür zu öffnen, und trommelt dann mit beiden Fäusten dagegen. Ich höre Dina fluchen.
»Draußen steht eine Gruppe Ithorianer, die nach unserem Blut schreien!«, brüllt sie. »Was, zur Hölle, hast du diesmal wieder angestellt?«
Scheiße. Ich habe keine Ahnung. Was auch immer passiert ist, wir waren’s nicht. Kälte erfasst mich. Gut, dass sie zuerst an Dina geraten sind. Sie kann unglaublich aristokratisch wirken, wenn sie will. Ich danke meinem Glücksstern dafür, dass sie und Hammer immer auf dem Schiff sind, wenn sie nicht gerade auf eine offizielle Veranstaltung müssen.
»Halt sie hin!«, rufe ich panisch zurück. »Ist Hammer bei dir? Schick sie zum Garderobier, damit sie mir was Angemessenes zum Anziehen holt. Kennt ihr euch auf dem Schiff aus?«
»Roger«, antwortet die Pilotin.
Ich brauche eine San-Dusche, aber wahrscheinlich bleibt nicht genug Zeit.
Marsch tritt von der Tür zurück und stellt mich wieder auf den Boden.
»Wir hatten schon immer ein schlechtes Timing«, murmelt er und schüttelt betrübt den Kopf. »Aber so beschissen wie heute war es wahrscheinlich noch nie.«
Da kann ich nur von ganzem Herzen zustimmen. Statt die wohligen Nachwirkungen von dem zügellosen Sex genießen zu können, muss ich mir den Kopf zerbrechen, was in aller Welt passiert sein könnte. Mariaverdammt. Und ich dachte, die Dinge würden nahezu perfekt laufen. Ich dachte, wir stünden kurz davor, den Vertrag zu unterzeichnen, auch ohne Zustimmung der Großen Verwalterin.
Marsch öffnet die Tür, und ich renne, so schnell ich kann, zu meiner Kabine. Hinter mir höre ich seine Schritte. Wenigstens ist er schon wieder angezogen. Oder zumindest fast.
»Mach deine Hose zu«, flüstere ich.
Weil es noch so früh war, als wir meine Unterkunft verließen, trage ich nur den Kapuzenmantel und darunter meine Schlafklamotten. Eigentlich sollte ich mittlerweile wissen, dass sich die Dinge nie so entwickeln wie geplant. Scheint ein blinder Fleck in meinem Bewusstsein zu sein, dass ich nie damit rechne.
Maria, was könnte nur Schlimmes passiert sein?
Unterwegs kommen wir an Dina vorbei. »Beeilt euch!«, ruft sie. »Ich weiß nicht genau, was los ist, aber sie glauben, du willst abhauen!«
Scheiße. Das ist ganz und gar nicht gut. Okay, vielleicht auch nur ein dummer Zufall. Irgendetwas passiert in den frühen Morgenstunden, und gleichzeitig findet man die Botschafterin unangemeldet auf ihrem Schiff. Aber das lässt sich klären. Ich nehme einen tiefen Atemzug und stürze in meine Kabine, wo Hammer schon mit einer goldenen, ärmellosen Robe wartet.
Zum Glück achtet sie immer auf die wichtigen Kleinigkeiten.
Dort draußen wird es recht kalt sein, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Mehr denn je muss ich jetzt Stärke und Autorität beweisen. Es ist nicht die Zeit für falsche Bescheidenheit. Ich ziehe mich um, und Hammer wendet den Blick von meinen Narben ab. Marsch nicht. Hat er noch nie gemacht, nicht mal, als wir uns das allererste Mal begegnet sind.
Ich richte mich her, so gut es geht, um dem Bild von der menschlichen Botschafterin zu entsprechen, das ich bei den Ithorianern aufgebaut habe. Dann auf zur Rampe. Die Ithorianer werden nicht an Bord kommen, denn das wäre ein Akt der Aggression und könnte die Verhandlungen vorzeitig beenden.
Als wir uns dem Ausgang nähern, höre ich von draußen schon ihr Geschrei. Zum ersten Mal klingt das Klicken und Geschnatter wütend, gefährlich sogar. Glücklicherweise ist es Dina gelungen, sie halbwegs zu besänftigen, und als ich nach draußen trete, kommt Velith mir schon entgegen. Maria sei Dank. Er wird mir helfen, die Wogen zu glätten – falls das überhaupt möglich ist.
»Was ist hier los?«, frage ich leise.
Jeder andere hätte mir erst eine Standpauke gehalten, weil ich nicht war, wo ich hätte sein sollen, aber Vel verschwendet keine Zeit auf solche Dinge. Er beschäftigt sich mit Situationen, wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. Seine Augen glitzern im Licht der Dock-Scheinwerfer, und er erkauft uns ein wenig Zeit, indem er einen besonders kunstvollen Wa macht.
Der Chip überrascht mich, indem er die Verneigung in Worte übersetzt: Bei Tagesanbruch sieht weiße Welle nach braunem Vogel. Keine Tränen sollen entstehen aus den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Mir fällt auf, dass das der Name ist, den ich mir – wenn auch unwissentlich – in meinem eigenen Wa gegeben hatte. Dann muss er die weiße Welle sein.
»Scharis wurde ins Krankenhaus gebracht. Sein Zustand ist kritisch, und die Ärzte wissen nicht, ob er die nächste Nacht überleben wird.«
Oh, verdammt. Er ist einer unserer wichtigsten Fürsprecher, was auch der Grund sein könnte, weshalb er im Krankenhaus gelandet ist. Warum ich deshalb die Kakerlaken-Polizei auf dem Hals habe, erklärt das allerdings nicht. Sie wirken, als würden sie meinen Kopf am liebsten auf der Spitze einer Lanze sehen.
Dann dämmert es mir. »Nein, die glauben doch nicht etwa …? Welchen Grund hätte ich, meine eigene Mission zu sabotieren?«
So viel hängt davon ab, dass ich hier Erfolg habe. Ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht in jeder Sprache, der ich mächtig bin, laut loszufluchen. Das kann ich mir nicht leisten. Bis jetzt war ich stets ruhig und besonnen. Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um unsere Gastgeber mit meinem anderen Ich bekanntzumachen.
»Man hat nicht unbedingt Sie im Verdacht«, erwidert Vel. »Aber sie glauben, ein Mitglied der Delegation hätte es getan. Erste Untersuchungen weisen auf eine Vergiftung mit Zitronensäure hin, die für Menschen harmlos ist, aber für …«
»… Ithorianer hochgiftig«, beende ich den Satz.
Velith neigt den Kopf. »Ganz recht.«
Natürlich könnte es immer noch ein Ithorianer gewesen sein, der es so aussehen lassen wollte, als wären wir es gewesen. Die Demonstranten in der Parkanlage, die mich beinahe gelyncht hätten, beispielsweise. Aber ich habe nicht die Zeit, mir zu überlegen, wer noch alles infrage kommen könnte. Erst einmal muss ich mit diesen Soldaten reden, bevor sie uns alle ohne Verhandlung in die Minen schicken. Ihre eigenen Bürger so zu behandeln, das wäre gegen das Gesetz, aber Fremde genießen hier weniger Schutz. Meine Hände zittern, als ich vor die versammelte Menge trete, und ich verschränke die Finger ineinander.
»Ich bin zutiefst betrübt, von dem Anschlag auf Scharis’ Leben zu erfahren. Ich bringe ihm größte Wertschätzung entgegen und werde selbstverständlich mit den zuständigen Behörden rückhaltlos kooperieren, um den Attentäter zur Strecke zu bringen.«
Vel übersetzt und poliert meine Worte noch etwas auf. Mit seinem Familienhintergrund weiß er am besten, wie er es ausdrücken muss.
Unter den Soldaten rumort es.
»Noch mehr Lügen!«, ruft einer.
»Wir sollten sie alle töten und dem Iglogth überantworten«, fügt der Kommandant hinzu. »Ich wusste, dass nichts Gutes dabei herauskommen kann, wenn wir Menschen auf unseren Planeten lassen. Er wurde ihnen nicht ohne Grund schon vor langer Zeit verboten.«
Vel richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Mit einem Mal verströmt er eine tödliche Kälte. »Darf ich Sie daran erinnern, dass die Große Verwalterin persönlich für die Sicherheit der Delegation garantiert hat? Ich verstehe jedes Ihrer Worte, und jeder feindliche Akt gegen mich oder meine Begleiter wird Ihren sofortigen Tod zur Folge haben. Die Große Verwalterin wird nicht tolerieren, wenn ihr Wort von einem verdreckten Haufen ungebildeter Fußsoldaten missachtet wird.«
Gib’s ihnen, Vel!
Ich kann regelrecht sehen, wie der Kommandant kleiner wird. Er tritt einen Schritt auf uns zu und vollführt zur Entschuldigung einen kunstvollen Wa. »Ich bitte um Verzeihung, Botschafterin. Unsere Trauer hat für einen Moment die Oberhand über unser Pflichtbewusstsein gewonnen. Wir bitten Sie, diese Verletzung der Form nicht der Großen Verwalterin zu berichten.«
»Ich teile Ihre Wut und Trauer«, antworte ich angemessen, nachdem Vel übersetzt hat, »und kann sie deshalb vollauf verstehen. Lassen Sie mich wissen, was ich tun kann, um die Untersuchung voranzubringen. Auch ich will den Übeltäter schnellstmöglich der Gerechtigkeit zugeführt sehen.« Als Abschluss mache ich eine flüssige Verneigung, um anzuzeigen, dass ich ihm auch wirklich vergeben habe.
Diesmal übersetzt Vel Wort für Wort, ohne etwas zu ändern. Vielleicht habe ich den Bogen ja endlich raus. Trotzdem bin ich nicht sicher, ob dies eine Kunst ist, die ich wirklich beherrschen will. Marsch hat sich damals in mich verliebt, weil ich mein Herz stets auf der Zunge trug. Was immer ich dachte, sagte ich auch. Was er wohl davon halten wird, wenn ich mich zu einer Expertin im Wortverdrehen entwickle?
Ich spüre eine Wärme in mir, wie ich sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt habe, und um ein Haar schreie ich laut auf. Es ist Marsch, sanft und leicht in mir wie früher. Ich muss mich mit aller Macht zusammenreißen, um meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten.
Mach dir keine Sorgen. Es spielt keine Rolle, wer du warst, wer du bist oder wer du eines Tages sein wirst. Ich bin bei dir, auf jedem einzelnen Schritt des Weges.
Maria, wie mich diese Worte mit Glück erfüllen.
»Alle Verhandlungen werden für den Moment auf Eis gelegt«, fährt der Kommandant fort. »Die Abstimmung wird verschoben, bis sich Ratsmitglied Scharis erholt hat und die Schuldigen gefasst sind.«
Ich nicke. Diese Verzögerung ist genau das, was die Oppositionspartei wollte. Mittlerweile verstehen die Ithorianer, was dieses Kopfnicken bedeutet, und Vel muss es ihnen nicht erst erklären.
»Dann, wenn Sie gestatten, Botschafterin, werde ich Sie jetzt zu den Hallen der Rechtsprechung eskortieren.«
Normalerweise würde mich die Ausdrucksweise des Kommandanten amüsieren, aber nicht diesmal. Wir stehen schwankend am Rand eines tödlichen Abgrunds, und ich bin die Einzige, die verhindern kann, dass wir kopfüber hineinstürzen.
Hoffentlich lässt mich mein Gleichgewichtssinn nicht im Stich.