20
Bei der Besprechung fühle ich mich wie eine Königin, auch wenn ich die Krone nicht auf dem Kopf trage, sondern an meinem Hals.
Als ich den Saal betrete, erhebt sich sofort Gemurmel. Ich wünschte, ich könnte ihre Körpersprache besser lesen, tröste mich aber damit, dass kein Mensch besser darin ist als ich. Wenigstens in dieser Hinsicht bin ich die erste Wahl für diese Mission.
»Ein kühner Schritt«, höre ich jemanden sagen.
»Sie ist eine gerissene Strategin«, fügt ein anderer hinzu.
»Und sie weiß mehr über unsere Kultur, als ich gedacht hätte. Vielleicht sind sie doch nicht nur Wilde, die auf Bäumen leben.«
»Glaubt ihr, sie weiß, was es bedeutet?«
»Ich kann nur annehmen, dass Il-Nok es ihr erklärt hat.«
»Wer kann schon sagen, wozu dieser Hund fähig ist«, mischt sich eine weitere Stimme ein. »Allein seine Partnerwahl sagt mir, dass er kein bisschen besser ist als die Verrückten, die wir in die Minen schicken.«
Was würde ich nicht dafür geben, diese Minen zu sehen. Sie sind Garant für Wohlstand und Strafkolonie zugleich. Manche Vorkommen liegen so tief unter der Erde, dass die Besitzer nur ungern ihre teuren Droiden einsetzen, um sie auszubeuten. Da schicken sie schon lieber ihre »Verrückten«. Wenn sich ein Ithorianer nicht benimmt, wie die Gesellschaft es von ihm erwartet, landet er dort unten. »Sozialzwang« nennt man das, glaube ich. Mir ist das zuwider. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Leute selbst wissen, wie sie leben wollen. Vielleicht nicht immer ganz genau, aber jeder weiß zumindest, wie er nicht leben will. Und danach sollte er sein Leben richten dürfen. Kein Wunder, dass sich Vel aus dem Staub gemacht hat.
Und er hat zudem die Wahrheit gesagt: Ich habe nur einen leichten Druck gespürt, als er das grüne Ornament angebracht hat, um die Spuren zu vertuschen, die Marschs Hände hinterlassen haben. Die Haut juckt zwar ein bisschen, aber ich kratze lieber nicht, damit sich die Stelle nicht entzündet. Außerdem würde ich damit nur meine mühsam errichtete Aura zerstören. Ich straffe die Schultern und blicke mich um.
Ein weiterer Gesprächsfetzen kommt mir zu Ohren. »Sie hat gesagt, wir könnten mit einem Tauschkurs von eins zu eins rechnen. Das würde bedeuten, für jeden Karel, den wir auf einem anderen Planeten investieren, bekommen wir einen ungeminderten Gegenwert, und bei Import- oder Exportgeschäften ebenso.«
»Das ist mehr als fair. Mein Interesse liegt vor allem im Droidenexport. Ich habe gerade erst vierzig Prozent der Anteile an einem Hersteller erworben.«
»Meinst du den mit dem großen Entwicklungslabor unter der Augenzahnspitze?«
Augenzahnspitze? Normalerweise liegt der Chip mit seinen Übersetzungen einigermaßen richtig, also wird es auch diesmal halbwegs stimmen.
Die meisten der anwesenden Kaufleute und Industriellen kenne ich nicht, aber einige verfolgen die Besprechungen schon seit Tagen, und jetzt werden sie die Gelegenheit nutzen, mich darüber auszuquetschen, wie die Profitmöglichkeiten denn nun genau aussehen, die ich ihnen versprochen habe. Könnte schwieriger werden als die Verhandlungen mit Karom, vor allem, da ich nicht gerade eine Wirtschaftsexpertin bin.
Constance steckt mir ein flaches Datapad zu. »Ich habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Es sind Zahlen und Grafiken zu den zu erwartenden Exporten, bis auf die zehnte Dezimalstelle vorausberechnet. Damit können Sie Ihren Argumenten Nachdruck verleihen.«
Ich überfliege die Zahlen und merke mir so viele davon wie möglich, dann gebe ich ihr das Ding zurück. »Du bist einfach die Beste. Das meine ich ernst.«
»Ich bin da, um Ihnen zu dienen«, erwidert sie, bescheiden wie immer.
Scharis kommt herbeigehastet, um uns zu begrüßen. Er scheint überrascht, als er das grüne Band um meinen Hals sieht, versucht das aber mit einem höflichen Wa zu überspielen. Ich erwidere die Verneigung und frage mich, welche Bedeutungen ich diesmal mit hineingelegt habe.
»Es ist mir eine große Freude, Sie heute Morgen hier zu sehen«, erklärt Scharis, und ich warte wie immer auf Veliths Übersetzung. Dann spricht das Ratsmitglied weiter: »Sie haben großen Eindruck auf den Rat gemacht, und ich bin vorsichtig optimistisch, was den Ausgang der bevorstehenden Abstimmung angeht.«
Ich muss mich verdammt zusammenreißen, nicht zu antworten, bevor Velith zu Ende übersetzt hat. Reichlich seltsam, alles zweimal zu hören, bevor ich etwas erwidern darf, aber ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen.
»Wann soll die Abstimmung stattfinden?«, frage ich.
»Übermorgen.«
In zwei Tagen also. Es kommt mir vor, als sollte mir dieses Datum etwas sagen, aber es will mir einfach nicht einfallen.
Da gesellt sich Devri zu uns und verneigt sich auf eine Weise, die mir irgendwie suggestiv erscheint. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber irgendwie krümmt er den Rücken zu stark und steht zu dicht vor mir. Als er sich wieder aufrichtet, streift er mit dem Kopf beinahe mein Kinn.
Mein Blick springt hinüber zu Vel, und wegen der Anspannung in seinem Wa vermute ich, dass er derselben Meinung ist. Fragen kann ich ihn leider erst später, ich darf es nur nicht vergessen. Außerdem kann ich mir Constances Aufzeichnungen ansehen, die wie immer alles mit ihrer Augenkamera filmt. Und vielleicht sollte ich Vel doch noch auf die ungewöhnlich warmen Stellen an Devris Chitinpanzer ansprechen. Es könnte im weiteren Verlauf der Ereignisse noch wichtig werden.
»Eine schöne Halsbemalung, die Sie da haben«, sagt Devri, anstatt mich formell zu begrüßen. »Unsere Farben stehen Ihnen gut.«
Ist das ein normales Kompliment oder mehr? Wenn ich Vel jetzt danach frage, wirkt das nur unsouverän, also erwidere ich lediglich: »Vielen Dank.« Damit müsste ich zumindest auf der sicheren Seite sein.
»Ich gebe heute Abend eine kleine Dinner-Party«, spricht Devri weiter. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mein Gast wären. Es werden ein paar Geschäftsleute anwesend sein, die gern Ihre Bekanntschaft machen würden.«
Ich beobachte Velith genau, während er übersetzt, aber Scharis und Devri würden jeden Hinweis mitbekommen, den er mir gibt, also lässt er sich nicht anmerken, was er davon hält.
»Es wäre mir eine Ehre, Sie dort zu sehen«, vermeldet Scharis.
»Darf ich Vel und Constance mitbringen?« Es ist kein offizieller Anlass, also sollte ich den Rest meiner Ehrengarde zuhause lassen können. Da fällt mir Jael ein, der sich kaum abschütteln lassen wird.
»Und meinen Leibwächter?«, füge ich hinzu.
Marsch hat mich noch keines einzigen Blickes gewürdigt. Er hat mich nicht einmal gefragt, wie es mir geht. Tut, als würde er mich gar nicht sehen. Hammer, Dina und Jael haben sich sofort verzogen, nachdem sie mich in den Saal begleitet haben. Sie hassen die schwarzen Gewänder, die sie bei den offiziellen Anlässen tragen müssen, und die Gesellschaft der Kakerlaken mögen sie auch nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dieses Bündnis wird mich all meine Freunde kosten. Ich kann es nicht genau erklären, aber seit wir hier sind, spüre ich nichts mehr von der gewohnten, unbeschwerten Kameradschaft zwischen uns. Als würde ich nicht mehr zur Crew gehören.
Vielleicht glauben sie ja, ich hätte mich verändert. Die alte Jax hätte niemals diese Geduld aufgebracht. Sie wäre in den Saal marschiert und hätte gesagt: »Hier bin ich, macht eure Abstimmung. Wenn ihr euch nicht mit uns verbünden wollt, dann seht selber, wo ihr bleibt.« Für die alte Jax gab es nichts, was wichtiger gewesen wäre als sie selbst – außer Kai vielleicht.
Und sie war absolut aufrichtig. Vielleicht ist es das. Vielleicht denken sie, der Diplomatenjob hat mich verdorben, zur Heuchlerin gemacht.
»Gewiss«, erwidert Devri.
Fantastisch. Noch mehr Schaulaufen. Noch mehr Gelegenheit, jede meiner Bewegungen zu verfolgen und mir auf den Mund zu starren, ob ich nicht doch noch die Zähne zeige.
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, antworte ich wie auf Autopilot.
Anscheinend waren wir etwas früh dran, denn die anderen Ratsmitglieder trudeln erst nach und nach ein. Sartha kommt erst nach Mako und Karom. Etwas an ihrer Körpersprache sagt mir, dass sie traurig ist, auch wenn ich nicht verstehe, worüber. Vel sagt immer, sein Volk würde keine emotionalen Bande kennen wie wir. Doch was immer sie von ihm wollte, ist nicht eingetreten, und jetzt ist sie wahrscheinlich enttäuscht, weil ihr Plan nicht aufgegangen ist. Ich sollte nicht mehr Emotionen in sie hineininterpretieren, als wirklich da sind, nur weil ich die Vorgeschichte der beiden kenne.
Vel berührt mich sanft am Arm, um mir zu bedeuten, dass wir weiter müssen. Alle Anwesenden sind angehalten, sich im Halbkreis vor dem leeren Stuhl in der Mitte des Saals aufzustellen, und zwar bevor die Große Verwalterin ihre Aufwartung macht. Otlili schafft es, ihr Volk immer und überall spüren zu lassen, wer hier die Macht hat, selbst wenn sie gar nicht anwesend ist. Ich bewundere das, auch wenn ich ihre Abneigung genau fühle.
Zehn Minuten später geruht sie endlich, uns ihre Aufwartung zu machen. Ihr Gefolge ist heute sogar noch größer als sonst. Ein ganzes Dutzend niedriger Beamter trottet hinter ihr her, alles Männchen.
Statt sich zu verneigen, lässt Otlili die kalten Augen über die versammelte Menge schweifen, bis ihr Blick auf meinem Hals verweilt.
Schlagartig fühlt sich das grüne Ornament nicht mehr wie ein Symbol der Stärke an, sondern wie ein lächerlicher Affront. Ich spüre den Blick ihrer Facettenaugen wie tausend Eisnadeln, und meine Knie werden weich. Ich habe keine Chance gegen sie. Niemals. Ich sollte ihr schleunigst von dem Chip erzählen, bevor sie selbst dahinterkommt. Meine Kiefermuskeln zittern beinahe vor Anstrengung, den Mund zu halten.
Nach einer halben Ewigkeit sagt Otlili endlich: »Mögen wir beginnen.«
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Ich bin niemand, von dem ihr jemals gehört hättet. Und wenn, würde es keinen Unterschied machen. Wenn meine Worte euch nicht überzeugen, kann mein Gesicht es auch nicht. Ich werde euch meine Geschichte erzählen, auch wenn mich das Syndikat dafür umbringt. Sie haben mir auch so schon alles genommen.
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Ich hatte ein kleines Frachtunternehmen in Gehenna, wo Schmuggler es leicht haben. Für entsprechendes Schmiergeld schauen die Hafenbehörden einfach weg, egal, ob es um Sklaven geht, Waffen, Drogen oder verbotene Hightech wie Codeknacker. Ich hatte mich auf Textilien spezialisiert: nicht-synthetische Luxusstoffe, handgewoben auf Gehenna. Ein fast ausgestorbenes Kunsthandwerk, und ich konnte lächerlich hohe Preise von meinen Kunden verlangen. Wir haben nur relativ wenig produziert, aber die hohe Gewinnspanne glich die geringen Verkaufszahlen locker aus.
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Zu Zeiten meines Vaters war Gehenna noch nicht das Schmugglerparadies, das es heute ist. Ich habe mein Handwerk von ihm gelernt und versucht, mich aus den Geschäften anderer Leute herauszuhalten in der Hoffnung, sie würden mir denselben Freiraum zugestehen.
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Sie taten es nicht.
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Alles fing vor etwa zehn Umläufen an, mit einem ominösen Besuch eines Herrn im Anzug. Er fragte mich, warum ich nicht Mitglied der örtlichen Gilde wäre, und machte keinen Hehl daraus, dass ich es bereuen würde, wenn ich nicht schleunigst meine Beiträge zahle. Ich erkenne einen Schutzgelderpresser, wenn ich ihn sehe, und ich dachte mir, es wäre das Klügste, ein paar Credits abzudrücken und in Zukunft meine Ruhe zu haben.
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Sechs Monate, nachdem ich der Gilde beigetreten war, bekam ich noch einen Besuch. Ein anderes Mitglied brauchte meine Hilfe. Die Raumhafenbehörden waren nicht mehr gut auf ihn zu sprechen, weil er einmal zu oft vergessen hatte, sein Schmiergeld zu bezahlen. Darum wollte er seine nächste Lieferung auf meinem Schiff unterbringen. Als ich fragte, um welche Art von Fracht es geht, kam mitten in der Nacht ein Mann in mein Haus und legte eine tote Ratte unter mein Kopfkissen.
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Ich hatte begriffen. Das Syndikat mag brave Schafe, keine Fragen.
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Sie sagten mir einfach nicht, was ich transportieren sollte, also lehnte ich ab. Und als ich das nächste Mal meinen »Beitrag« zahlen sollte, weigerte ich mich. Bei einem Verein, der Tiere tötet, wollte ich nicht mitmachen. Heute muss ich selber lachen über meine Naivität.
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Natürlich wurde alles nur viel schlimmer. Das Syndikat lässt niemanden einfach so gehen, ganz egal, was sie uns mit ihrer Propaganda einreden wollen. Ich war inzwischen verheiratet und hatte eine Tochter. Sie war vier Umläufe alt. Damals hatte ich noch keine Ahnung, wie weit sie gehen würden, sonst hätte ich klein beigegeben. Hinterher ist man immer schlauer, aber das macht es kein bisschen weniger bitter.
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Zuerst haben sie versucht, meine Kunden einzuschüchtern, was bei manchen auch funktioniert hat, und ich machte Verluste. Die Firma litt, aber meine Weber hielten zu mir. Außerdem konnte niemand sonst liefern, was wir herstellten, und wir hielten durch.
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Deshalb zerquetschte das Syndikat einer Weberin beide Hände. Sie überlebte, aber sie konnte ihren Beruf nicht mehr ausüben. Er war ihre Berufung, die Kunst ihr Lebensinhalt und ihre größte Freude. Ich bezahlte sie trotzdem weiter, und die Firma litt noch mehr. Meine Frau bettelte mich an, ich sollte endlich nachgeben, aber ich war rasend vor Wut und konnte diese himmelschreiende Ungerechtigkeit nicht akzeptieren. Schließlich ging ich zu den Behörden. Ich gab ihnen Namen und bot mich als Zeuge für die Verhandlung an. In derselben Nacht brannten die Weberei und mein Haus ab. Mit meiner Frau und meiner Tochter darin.
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Wenn meine Geschichte eines zeigt, dann das: Wir dürfen dem Syndikat nicht vertrauen. Nicht, was unsere Verteidigung angeht, und die Zukunft unserer Kinder schon gar nicht. Das sind ehrlose Kriminelle, die als einzigen Gott das Geld anbeten. Kein Verbrechen ist ihnen zu niederträchtig, solange dabei Profit für sie herausspringt. Sie sind grausame Bestien in menschlicher Verkleidung. Was ist daran besser als an den Ithorianern? Von Ithorianern weiß ich zumindest, dass sie mir nie etwas angetan haben.
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Nachdem ich alles verloren hatte, floh ich von Gehenna. Jetzt lebe ich in einem Versteck. Das Syndikat kann mich jederzeit finden. Ihre Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt, und ich bin nur ein Einzelner, der seinen Schmerz hinausschreit. Wahrscheinlich lassen sie mich nur am Leben, um als abschreckendes Beispiel zu dienen. Sie denken, ich bin am Ende. Aber es gibt keinen gefährlicheren Gegner als einen, der nichts mehr zu verlieren hat.
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