14

Mir bleiben noch ein paar Stunden, um wieder auf den Damm zu kommen.

Ich blicke ein letztes Mal in den Spiegel und sage mir, dass ich bereit bin. So bereit wie eben möglich. Diesmal trage ich eine andere Robe. Sie schillert genauso goldfarben, aber in den Stoff ist ein feines Blättermuster geprägt, das nur sichtbar wird, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel auf die hauchfeine Seide fällt. Der Schnitt ist einfach und fließend und lässt meine Arme frei. Constance hat mir die Haare auf den Hinterkopf zu einem adretten Knoten geflochten.

Ich lege letzte Hand an und umrahme meine Augen mit goldenem Kajal. Fehlt nur noch der kirschrote Lippenstift. Fertig. Gelb und Rot sind die Farben, die auf Ithiss-Tor den höchsten Rang bekunden. Steht mir gut, finde ich.

Ich frage mich kurz, wie ich Devris Avancen höflich, aber unmissverständlich zurückweisen kann. Als ich sagte, er sei der Hübscheste von allen, war das eher im übertragenen Sinn gemeint.

Constance blickt mich zweifelnd an. »Sind Sie sicher, dass Sie diesen Lippenstift tragen wollen, Sirantha Jax?«

Ich runzle die Stirn. »Warum nicht?«

»Ich habe herausgefunden, was die rote Farbe auf den Klauen der großen Verwalterin bedeutet«, erklärt sie. »Sie scheint zu symbolisieren, dass sie die Beschützerin ihres Volkes ist. Das Rot steht für das Blut potentieller Gegner.«

Es ist offensichtlich, was Constance meint. »Und wenn ich mir den Mund rot anmale, heißt das, dass ich meine Gegner mit den Zähnen zerreiße?«

»Ich glaube, ja. Doch weiß ich nicht, ob die Ithorianer ein solches Auftreten als mutig und bewundernswert erachten oder als barbarisch und unzivilisiert.«

»Beides«, erklärt Vel, der unangekündigt in meine Suite gekommen ist. »Wischen Sie die Farbe nicht ab. Die einen werden beeindruckt sein, die anderen verblüfft, und da es im Großen und Ganzen nur ein Beweis von Selbstvertrauen ist, werden sie es akzeptieren.«

»Gut zu wissen.«

»Nur eins brauchen Sie noch.« Velith greift nach meinem Kosmetik-Synthetisierer und drückt ein paar Knöpfe.

Jetzt, da ich die farbigen Streifen bei seinen Artgenossen gesehen habe, kommt er mir noch nackter vor. Sie werden mit einem ausgefeilten Verfahren appliziert, primitiven Tätowierungen nicht unähnlich. Zuerst wird der spiegelglatte Panzer mit einer schwachen Säure angeraut, dann wird auf diese Stellen eine spezielle Tinte aufgebracht, die sich fest mit dem aufgeweichten Chitin verbindet. Ein bleibendes Statussymbol, das nur wieder abgeschliffen wird, wenn der Betreffende die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Bisher habe ich nur zwei Ithorianer gesehen, die auf diese Weise bestraft wurden – gebrochene, bemitleidenswerte Kreaturen, die umherschlichen wie geprügelte Hunde.

»Was ist das?«, frage ich.

»Etwas, das Ihren Geruch überdecken wird.«

Ich will schon protestieren und anführen, dass ich gerade erst geduscht habe, aber es wäre wohl nutzlos. Vielleicht stinke ich für seine Nase ja tatsächlich. Ich wünschte nur, er hätte es mir früher gesagt. Jetzt werde ich jedes Mal nervös die Luft um mich herum beschnuppern, wenn er in meiner Nähe ist.

»Tut mir leid«, murmele ich.

»Ich bin an Sie gewöhnt«, erwidert Vel. »Aber die anderen nicht.« Wahrscheinlich versucht er, es mir möglichst sanft beizubringen.

Das Parfüm, das er gerade synthetisiert hat, ist so leicht, dass ich es kaum wahrnehme. Aber die menschliche Nase ist auch nicht die allerbeste. Wir sind eher audiovisuell veranlagt. Velith betupft mich mit dem Öl, und ich nehme einen leicht süßlichen Hauch wahr. Akazie vielleicht, wenn es die auf Ithiss-Tor überhaupt gibt.

»Akazien, Jasmin, grüne Blätter und Mandarinen«, sagt Vel, der meinen fragenden Gesichtsausdruck richtig interpretiert hat. Kennt er mich tatsächlich schon so gut?

Ich lächle. »Ich merke kaum einen Unterschied.«

»Natürlich nicht. Unser Geruchssinn ist hoch entwickelt, und mein Volk kommuniziert unter anderem über Pheromone. Allerdings gilt das als nicht angemessen für formelle Anlässe. Sie ist eher etwas für … innigere Kontakte.«

Aus seinem Zögern folgere ich, dass es um Sex geht. Ich werfe Constance einen kurzen Blick zu. »Wie rieche ich?«

»Mit Ihrer Nase«, antwortet sie mit ausdruckslosem Gesicht.

Ich bin nicht sicher, ob sie gerade einen Witz gemacht hat, aber lachen muss ich dennoch. Als wir hinaus auf den Korridor treten, sehe ich zu meiner Überraschung, dass Marsch, Jael, Hammer und Dina dort bereits auf mich warten. Bis auf ein paar goldene Verzierungen sind ihre Gewänder komplett schwarz. Sie lächeln mir verschwörerisch zu, bereit, meine Ehrengarde zu spielen. Schließlich hat die Große Verwalterin auch eine.

»Wir haben zwar nicht mitzureden«, erklärt Jael mit einem schelmischen Grinsen, »aber zumindest von der Party können sie uns nicht ausschließen. Wir haben den kleinen Schlagabtausch heute Nachmittag eine Weile verfolgt, aber es war unglaublich langweilig.«

»Du hast dich gut gehalten«, wirft Dina ein, und aus ihrem Mund ist das ein riesiges Kompliment. »Jedenfalls soweit ich es aus Vels Übersetzung raushören konnte. Karom hast du’s richtig gegeben.«

Hammer grinst.

»Das war ein ziemlicher Gesichtsverlust, glaube ich. Ich hoffe nur, er lässt mich deswegen nicht umbringen.« Ich schaue Vel fragend an. »So etwas würde er doch nicht tun, oder?«

Velith blickt mich einen Moment lang schweigend an, bevor er antwortet. »Zumindest nicht öffentlich.«

Während ich noch drüber nachdenke, was genau das bedeutet, reicht Marsch Dina seinen Arm, und Jael reiht sich neben Hammer ein. Bleiben noch Vel und Constance, die sich direkt hinter mir einreihen, als ich mich auf den Weg den Korridor entlang mache. Eine seltsame Prozession, aber irgendwie fühle ich mich trotzdem wie eine Königin und versuche, möglichst gemessen dahinzuschreiten, nur für den Fall, dass sie uns beobachten. Diesmal könnte meine Paranoia uns sogar nutzen, statt uns nur ständig neue Schwierigkeiten zu bringen. Ich versuche, nicht an Tarns Nachricht zu denken und auch nicht daran, wie nahe am Rand des Nervenzusammenbruchs ich bin.

Heute Abend soll ein zwangloses Treffen mit hochrangigen ithorianischen Beamten stattfinden, und ich hoffe, dass ich inzwischen genug dazugelernt habe, niemanden ernsthaft zu beleidigen. Unsere Gastgeber wissen, dass meine »Garde« keinen Crashkurs in ithorianischen Sitten erhalten hat wie ich, und sie werden ein Auge zudrücken, falls sich einer von ihnen danebenbenimmt. Schließlich sind sie nur ungehobelte Homo sapiens. Ich hingegen soll die Crème de la Crème der Menschheit repräsentieren. Wenn ich allein wäre, ich würde mich totlachen bei dem Gedanken.

Am oberen Ende der Treppe angekommen, verschränke ich die Arme vor der Brust und vollführe einen höflichen Wa. Dann zähle ich bis fünf, damit sich auch wirklich alle Anwesenden geehrt fühlen. Vor allem diejenigen, die jede meine Bewegungen genauestens beobachten.

Der Saal ist für menschliche Augen das reinste Wunder. Auf dem Boden wächst süßlich riechendes Blattwerk, das so dicht ist wie ein Teppich. Es erstreckt sich bis über die honigwabenartigen Wände, von wo es bis zur Decke hinaufklettert und die Szene mit roten und gelben Blüten schmückt.

Klicken und Zirpen erhebt sich, als ich den Saal betrete, doch diesmal höre ich mehr als nur Lärm. Ein erleichterndes und zugleich beunruhigendes Gefühl. Ich muss aufpassen, mir nichts anmerken zu lassen, während mein Implantat die Bedeutung für mich entschlüsselt.

»Seht euch ihren Mund an … skandalös. Hält sie sich etwa für eine Jägerin? Was für eine Anmaßung. Sie hat ja nicht einmal Klauen!«

Bedienstete tragen unidentifizierbare Leckereien auf silbernen Tabletts durch die Menge. Die dicken Saucen machen es vollkommen unmöglich zu erraten, was sie uns da anbieten.

Aber Dina, tapfer wie immer, schnappt sich etwas, das aussieht, als hätte es einen Schwanz, und stopft es sich in den Mund. Sie verzieht das Gesicht. »Besser nicht kauen«, nuschelt sie.

Ich gehe an den Kakerlaken vorbei, die sich noch immer voll und ganz auf meinen Mund konzentrieren, und lausche einer anderen Unterhaltung.

»Nie hätte ich geglaubt, eines Tages Weichhäuter unter uns wandeln zu sehen. Sollen wir sie als Nächstes etwa zu uns nach Hause einladen? Ekelhaft. Scharis muss den Verstand verloren haben.«

»Nun, zumindest wissen sie sich einigermaßen zu benehmen. Das letzte Schiff, das hier gelandet ist, war voll unzivilisierter Wilder.«

Das war vor zweihundert Jahren. Die Menschheit hat sich seitdem ein paar Schritte weiterentwickelt. Aber offiziell verstehe ich ja kein Wort, also verkneife ich mir eine Entgegnung. Mir kommt der Gedanke, dass ich ohne Übersetzungschip eventuell besser dran war. Auf jeden Fall sieht es nicht so aus, als würde die Party besonders lustig für mich werden.

»Und erst der Geruch«, fällt ein anderer mit ein. »Widerlich.«

»Ihre Hüllen befinden sich in einem ständigen Zustand der Verwesung, wusstet ihr das?«, fügt ein Dritter hinzu. »Wo sie gehen und stehen, fallen kleine Stückchen toter Haut von ihnen ab.«

Klauen klappern in aufrichtiger Entrüstung, und ich mustere die blassgrünen Streifen auf dem Panzer des großgewachsenen Kerls, der den Lärm veranstaltet. »Das ist ja ekelhaft.«

Mittlerweile kann ich sogar ihr Geschlecht erkennen. Das fällt mir erst jetzt auf. Ich sehe es an den Widerhaken und Schlitzen am unteren Ende des Thorax. Die Ithorianer geben sich nicht die Mühe, ihre Geschlechtsteile zu verbergen. Anatomisch betrachtet, passen Männchen und Weibchen zusammen wie Angelrute und Fisch. Um ihr Erbgut auszutauschen, brauchen sie sich nur einzuhaken. Nach allem, was Velith mir erzählt hat, geht es dabei weniger um Genuss als um rein praktische Belange. Ist auch nicht leicht, den Sex zu genießen, wenn ständig die Gefahr besteht, dass das Weibchen im Paarungsrausch dem Partner den Kopf abreißt.

»Aber die da stinkt gar nicht«, bemerkt ein junges Weibchen. »Sie riecht sogar fast … angenehm.«

Danke, Vel. Ich hätte nie gedacht, dass meine Körperhygiene einmal Gesprächsthema bei einem Diplomatentreffen sein könnte. Meine Kritiker haben darauf nicht viel zu erwidern, und sie wechseln das Thema.

»Ich muss zugeben, sie sind weniger unangenehm, als ich es in Erinnerung habe.«

Ich drehe unmerklich den Kopf und bin überrascht, Ratsmitglied Sartha bei der Gruppe zu sehen. »Aber ich frage mich doch, warum sich Velith Il-Nok für ein Leben bei einer minderwertigen Spezies entschieden hat.«

Diese Bemerkung war eindeutig an Vel gerichtet, der direkt neben mir in Hörweite steht, und er kann sich eine Replik nicht verkneifen. »Ich war nicht zufrieden hier«, erklärt er. »Ich wollte mehr. Auch wenn mich das zur Persona non grata macht.«

»Nicht für mich.« Ihre großen Facettenaugen leuchten. »Ich hätte dir nie wehgetan. Wusstest du das nicht?«

Da betritt Scharis Il-Wan den Saal, und Vel muss für sich behalten, was immer er gern geantwortet hätte.