21

Dank Constances Vorbereitungen mache ich mich nicht komplett zum Narren.

Mit den Zahlen, die sie mir gegeben hat, kann ich alle Fragen beantworten. Ich klinge sogar, als wüsste ich, wovon ich rede. Vielleicht ist das bei Leuten in meiner Position ja ganz normal, aber ich komme mir vor wie eine Hochstaplerin. Ich habe mir dieses Wissen nicht selbst erarbeitet, und ich bin nicht mal besonders intelligent. Ich kenne nur zufällig ein paar unglaublich schlaue Leute, das heißt, wenn man Constance und Vel so nennen kann. Aber vielleicht ist das genau die Art, wie Politik funktioniert: Man lässt andere die Arbeit für sich machen und verpackt sie in schöne Worte.

Als das Treffen vorüber ist, bin ich müde und ausgelaugt. Kein Wunder bei der Nacht, die ich hinter mir habe. Aufgeregtes Geplapper von Kaufleuten und Industriellen schlägt mir entgegen, während sie an mir vorbeilaufen, und keiner vergisst, sich mit einem höflichen Wa zu verabschieden. Ich erwidere jeden Gruß und achte genau auf meine Bewegungen. Bald befinden sich nur noch meine Begleiter und die Ratsmitglieder im Saal. Zu meiner großen Überraschung schickt die Große Verwalterin sie fort.

»Ich werde das Mittagessen gemeinsam mit der Botschafterin und ihrem Dolmetscher einnehmen. Alle anderen können gehen.«

Ich hoffe, die Überraschung, die ich zur Schau stelle, als die Ratsmitglieder gehorsam verschwinden, wirkt halbwegs überzeugend. Ich bin nicht besonders schauspielerisch begabt, aber vielleicht reicht es, um Wesen zu täuschen, die nicht viel Kontakt mit Menschen pflegen. Im Gegensatz zu Vel haben sie keinen Homo sapiens zum Freund, dessen Mimik sie studieren konnten.

Nachdem Vel übersetzt hat, sage ich zu Constance: »Geh in meine Suite und warte dort auf mich. Wenn du noch irgendwelche Vorteile finden könntest, die das Bündnis für die Ithorianer hätte, wäre ich dir sehr verbunden.«

»Verstanden.« Sie entschuldigt sich bei Otlili und vollführt einen beeindruckenden Wa.

Es gefällt mir nicht, dass sie das gemeinsame Mittagessen nicht aufzeichnen kann. Ich werde mich auf Vels Gedächtnis verlassen müssen. Otlili würde es nicht tolerieren, wenn er seine Augenkamera benutzt. Da fällt mir wieder ein, wie sie mich bei ihrer Ankunft angestarrt hat, und ich hoffe, ich werde nicht allzu nervös, wenn ich ihr gegenübersitze. Ich sage mir, dass sie bestimmt nichts von dem Chip weiß.

»Wir werden bei mir zuhause speisen«, erklärt die Große Verwalterin.

Ihre Eskorte behandelt sie wie Luft, und das verblüfft mich. Sie folgen ihr auf Schritt und Tritt, aber Otlili würdigt sie keines Blickes, als wären sie nur da, um zu unterstreichen, was für eine wichtige Persönlichkeit sie ist. In einer exakt einstudierten Choreographie treten sie zur Seite, damit Velith und ich uns direkt hinter der Großen Verwalterin einreihen können.

Ich bin erleichtert, als ich feststelle, dass sie nicht auf eine Unterhaltung besteht, und genieße stattdessen den faszinierenden Duft all des Lebendigen um mich herum. Wir sind jetzt in der Mitte des Komplexes angelangt, der eindeutig zu den schönsten Gärten gehört, die ich je gesehen habe. Exotische Blumen mit zarten weißen Blütenblättern um ein blassgelbes Zentrum erheben sich bis zwei Meter über den Boden. Das Bemerkenswerteste an ihnen ist jedoch, wie sie die Köpfe in unsere Richtung drehen, während wir vorbeigehen.

»Zähne, die küssen«, sagt Otlili.

Ich nehme an, dass sie mein Interesse bemerkt hat, und das der Name der Blumen ist. Wir bleiben vor einem Lift stehen, aber über die Schulter hinweg starre ich immer noch die Blumen hinter uns an. Sie scheinen uns mit ihren Blicken zu folgen, und ich bin nicht sicher, ob ich ihre leeren, blinden Gesichter schön finden soll oder gruselig.

»Sie stehen Wache«, erklärt Vel leise. »Wenn jemand versucht, unautorisiert die Gemächer der Großen Verwalterin zu betreten, würden die Zähne, die küssen …« – er benutzt dieselben Worte wie Otlili, aber ich habe das Gefühl, es gibt in Universal keine wirkliche Entsprechung für den ithorianischen Namen – »… Alarm schlagen und den Eindringling angreifen.«

Wir betreten die zylinderförmige Kabine, deren Boden unter meinen Füßen ein Stück nachgibt. Für Otlilis Eskorte ist kein Platz, also bleibt sie draußen und verabschiedet sich mit einem gemeinsamen Wa. Als sich die durchschimmernden Türen schließen, fallen mir die langen Stacheln an den Stängeln – oder sind es eher Stämme? – der Wächterblumen auf. Ich frage mich, ob sie stabil genug sind, um einen Chitinpanzer zu durchdringen. Wenn ja, schlitzen sie einen Menschen erst recht auf, und ich nehme mir vor, wenn überhaupt, dann nur in Otlilis Begleitung hierherzukommen.

Es ist ziemlich eng in der Kabine, und ich fürchte fast, dass die Luft hier drinnen knapp werden könnte für drei Leute. Ich stehe direkt neben Velith, die Schulter gegen ihn gepresst, wodurch mir viel bewusster wird als sonst, wie hart seine Außenschale ist. Die Stille wird allmählich bedrückend. All das Unausgesprochene zwischen mir und meiner Gastgeberin macht das Atmen noch schwerer. Beinahe fünf Minuten dauert die verdammte Liftfahrt, aber es könnte auch sein, dass all diese Eindrücke von der Platzangst herrühren, die sich langsam, aber sicher in mir breitmacht. Trotzdem schaffe ich es, nicht laut nach Luft zu schnappen, als die Türen sich endlich wieder öffnen und den Blick freigeben auf den Palast von Penthouse, den die Große Verwalterin ihr Zuhause nennt. Sie hat zwar nicht ganz denselben Geschmack wie ich in Sachen Einrichtung, aber die einfache Form der lehnenlose Stühle gefällt mir. Der Rest der Einrichtung sieht aus, als wäre er einem Märchen entsprungen. Alles besteht aus über Jahre hinweg kultivierten und zurechtgestutzten Pflanzen, was eine Geduld voraussetzt, die wir Menschen nur in den seltensten Fällen aufbringen.

Im Gegensatz zu meiner Suite gibt es hier auch jede Menge Fenster. Der ganze Raum ist derart von Licht durchflutet, dass es beinahe in den Augen wehtut. Otlili hat von hier oben einen Rundumblick auf die gesamte Stadt. Was ganz fehlt, sind Zwischenwände oder irgendwelche anderen Unterteilungen. Anscheinend isst, schläft und arbeitet sie im selben Raum.

»Prachtvoll, finden Sie nicht, Botschafterin?« Sie geht auf die Fensterfront zu, und Vel übersetzt.

Ich habe das Gefühl, sie meint weniger ihr Penthouse als die ihr – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – zu Füßen liegende Stadt. Da sie mich gerade nicht ansieht, riskiere ich einen kurzen Blick zu Vel, der mir mit einer winzigen Kopfbewegung bedeutet, ihr zu folgen. Also trete ich neben Otlili ans Fenster und hoffe, sie stößt mich nicht nach unten. Ich sehe zwar keinen Öffnungsmechanismus, aber vielleicht braucht sie auch nur die Scheiben zu berühren oder so.

»Ihre Architektur ist wirklich beeindruckend.« Eigentlich will ich damit sagen, dass ich überrascht von der üppigen Pflanzenpracht bin, die unter all dem Stahl und Eis schlummert, aber ich bin nicht sicher, wie sie das aufnehmen würde, also belasse ich es dabei.

»Die Ithorianer sind große Baumeister«, übersetzt mein Chip Vels Worte an Otlili, und nach einem Moment wird mir der Bedeutungsunterschied klar: Mein Kompliment war an etwas Abstraktes, Unbelebtes gerichtet, und Velith hat es auf seine Erschaffer umgemünzt. Kein Wunder, dass mit ihm an der Seite alles so gut läuft. Er holt aus allem, was ich sage, das Bestmögliche heraus.

Wir drehen uns von den Fenstern weg und mustern uns gegenseitig. Es ist vielleicht ein unpassender Moment, aber mir fällt auf, dass ihre Geschlechtshaken nach unten zeigen, während die der Männchen nach oben gerichtet sind. Also befinden sich die Ithorianerinnen beim Sex oben, und das Männchen liegt auf dem Rücken, schießt es mir unpassenderweise durch den Kopf.

Zum ersten Mal blicken wir uns aus so kurzer Entfernung direkt in die Augen. Otlili scheint nur auf einen Fehler von mir zu warten. Ihre Augen funkeln wie polierter Obsidian, so hart, als wären sie aus dem Gestein eines uralten Vulkans gehauen. Es ist nichts Liebenswürdiges in diesen Augen, keine Empathie und kein Mitleid, nur eine kalte, fremdartige Intelligenz. Einzig und allein die Hoffnung, dass sie bei mir vielleicht ganz ähnlich empfindet, bietet einen gewissen Trost.

»Ich mag die Menschen nicht«, sagt sie geradeheraus. »Nichts Gutes ist jemals daraus erwachsen, wenn Ihresgleichen nach Ithiss-Tor kamen.« Ihr Blick wandert zu Vel hinüber. »Zuerst fliegt er mit ihnen weg, zerstört so viele Hoffnungen und Träume, und dann, als er zurückkehrte … Wir blicken auf eine lange, stolze Tradition als Jäger zurück, die sich nehmen, was sie wollen. Ich verhandele nicht gern mit einer Spezies, die so schwach ist wie die Ihre. Sie verfügen über keinerlei natürliche Möglichkeiten. Keine Zähne, keine Klauen, kein Panzer. Nur widerliches rosafarbenes Fleisch.« Ein leichtes Schaudern fährt durch ihren Körper. »Und wie Sie sich auf künstliche, technische Möglichkeiten verlassen, widert mich an.«

Das nenne ich eine Breitseite. Am liebsten würde ich ihr sagen, sie soll sich ins Knie ficken, aber ich zähle still bis fünf, schaffe es, meine Zähne nicht zu zeigen, und denke mir eine möglichst diplomatische Antwort aus, während Vel mir weitere Zeit erkauft, indem er möglichst lang übersetzt. Als kleinen Ansporn rufe ich mir Karl Fitzwilliam ins Gedächtnis, den schlechtesten Botschafter in der Geschichte des Universums.

»Ich weiß, wir müssen Ihnen sehr fremd erscheinen«, sage ich mit bewundernswerter Gelassenheit, wie ich finde. »Und gerade deshalb ist dies eine so wertvolle Gelegenheit für unser beider Völker. Ich hoffe, dieses Bündnis wird uns mehr Verständnis und Wertschätzung füreinander bringen.« Als Sahnetüpfelchen auf den ganzen Haufen Scheiße gibt es noch einen extra tiefen Wa.

Nimm das. Es geht mir unfassbar gegen den Strich, aber ich bleibe ruhig. Trotzdem, Maria ist meine Zeugin, ich will schleunigst hier raus. Was ich gerade gesagt habe, wird genauso wahrscheinlich eintreten wie der Fall, dass ich morgen beim Frühstück ein Heilmittel für den Jennerschen Retrovirus entdecke, aber ich tue mein Bestes. Große Umwälzungen wie diese brauchen Zeit.

»Was mich zum nächsten Punkt bringt«, fährt die Große Verwalterin fort. »Ich mag Ihr Volk zwar nicht, aber ich bewundere Ihre Taktik. Ihre Kenntnisse unserer Kultur sind fundiert, und Ihre Vorgehensweise ist effektiv. Sie haben sogar Unterstützer in meinem Volk gefunden, was ich für vollkommen unmöglich hielt. Und da es mir gefällt, Weibchen in Machtpositionen zu sehen – selbst unter minderwertigen Spezies –, habe ich Sie eingeladen, mit mir zu speisen. Ich glaube, wir haben etwas zu besprechen.«

Ich muss höllisch aufpassen, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich jedes Wort verstanden habe. Also schaue ich einfach nur zu, wie sie die Flügel auf ihrem Rücken ausbreitet. Sie sind hauchdünn und irgendwie sinnlich, schimmern rubinrot und golden, und in der Mitte prangt ein riesiges Auge. Bei Tieren habe ich so etwas schon öfters gesehen. Normalerweise dient eine solche Pose dazu, Eindringlinge zu verscheuchen. Aber vom rein ästhetischen Standpunkt aus betrachtet, muss ich sagen: So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.

Als Vel ihre Worte übersetzt, höre ich nur halb zu.

»Haben wir das?«, frage ich.

Ohne die Flügel einzufalten, verschränkt die Große Verwalterin die Arme vor der Brust und lässt mich ihre roten Klauen sehen. Ich verstehe die Geste auch so – Aggression – und starre wie hypnotisiert die Augen auf ihren Flügeln an.

»Ja«, bekräftigt sie. »Wenn Sie nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden abreisen, kann ich nicht länger für Ihre Sicherheit garantieren.«