11. Kapitel

 

Seha spürte, wie aller Atem aus ihrem Körper wich, als wäre ihre eigene Brust durchbohrt worden, und nicht die von Katarn. Jacen Solos Hochgefühl durchströmte die Macht und spülte über sie hinweg wie eine Welle übers Ufer; der Schock riss sie beinahe von der Sprosse, an der sie sich festhielt.

Nein, nein, nein ... Die Worte echoten in ihrem Kopf und hallten von Mithric zurück. Der Falleen-Jedi brüllte, als er sich auf Solo stürzte; seine Wut verlieh ihm Kraft und Geschwindigkeit, als er Hieb um Hieb auf seinen Gegner herniedersausen ließ.

Chaotischer konnte es nicht mehr werden.

Diese Erkenntnis traf sie vollkommen unvorbereitet, mit einem Mal gänzlich fehl am Platz, wie goldene Blumen auf einem verbrannten Feld - und ihre letzte Aufgabe, die, die Meister Katarn ihr aufgetragen hatte, war noch nicht erledigt.

Sie konzentrierte sich auf den schwarzen Stofffetzen, der jetzt bloß noch drei Meter von der Stelle entfernt war, wo Colonel Solo Mithrics Attacken ohne Mühe parierte.

Valin Horn stürmte auf die Kämpfenden zu. Auch Kolir war wieder auf den Beinen, humpelte jedoch stark, als sie auf ihren Feind zueilte. Das Shuttle schwebte bloß wenige Meter über dem Platz und ging präzise so in Position, dass sich die Bodenluke exakt über der Zugangsöffnung befand, durch die Kolir vorhin ins Freie gelangt war. Laserfeuer von den GGA-Gleitern riss die Deckenpanzerung des Shuttles in Fetzen.

Sehas Blickfeld verschwamm vor Tränen. Sie wischte sie weg und ließ ihr Handgelenk in Richtung des Stofffetzens vorschnellen. Als Colonel Solo herumwirbelte und sich sein Umhang dabei hinter ihm bauschte, flog der Fetzen zum unteren Saum des Kleidungsstücks und heftete sich daran.

Jetzt stürzten sich die drei Jedi-Ritter mit vereinten Kräften auf Solo - ein Kampf, den sie zwangsläufig verlieren würden. Seha konnte sie nicht retten. Ihre Aufgaben hier waren erledigt. Sie sollte verschwinden, ehe Colonel Solo sie entdeckte.

Nein, das konnte sie nicht. Nicht, solange ein guter Mann, ein Lehrer, in einer feindlichen Hauptstadt tot auf dem Permabeton lag. Sie streckte die Hand nach Kyle Katarn aus.

Sein Körper ruckte, und er glitt einen Meter auf sie zu.

Sie investierte mehr von sich selbst, von ihrer Konzentration, auf ihre Bemühungen. Meister Katarns Leichnam begann von Neuem zu rutschen, jetzt kontinuierlich, und wurde stetig schneller, als er wie von unsichtbaren Händen über den Platz geschleift wurde.

Einer der GGA-Truppler feuerte mit dem Blaster auf Mithric. Die humpelnde Kolir schaffte es, die Lichtschwertklinge hochzureißen und den Schuss abzufangen.

Allerdings bedeutete das wohl, dass das Sehvermögen der Soldaten zurückkehrte.

Seha sah. wie die Jedi einige Worte wechselten. Valin kehrte dem Zweikampf mit Jacen den Rücken und eilte auf den Truppler zu, der wieder sehen konnte. Der Mann feuerte erneut, doch Valin wehrte den Blasterschuss mit seinem Lichtschwert ab - und schickte ihn geradewegs zu Jacen, der von der improvisierten Attacke offenbar überrascht wurde: Die Salve streifte Jacens rechtes Bein und ließ ihn halb zu Boden sinken. Mithric verdoppelte die Wucht seines Angriffs und hämmerte auf Jacens Abwehr ein wie ein Werkzeugschmied, der auf irgendeinem Hinterwäldlerplaneten auf einen widerspenstigen Erntedroiden eindrischt.

Kolir zögerte, eher von Verzweiflung als von Schmerzen geplagt, ehe sie sich unversehens umwandte und so schnell auf das Shuttle zuhumpelte, wie sie konnte.

Seha zog ein letztes Mal. und Meister Katarn glitt mit den Schultern zuerst in ihren Griff.

Katarns Augen öffneten sich. Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Flieh ...«

»Ihr lebt!«

»Die Sprengladungen ... Gib mir eine ... die andere, um den Ausgang zu blockieren ...«

Seha zerrte ihn in den Zugangsschacht und ließ ihn mit dem Gesicht voran nach unten sinken; sie zuckte zusammen, als die Bewegungen ihn vor Schmerz nach Luft ringen ließen. »Ich werde unseren Fluchtweg hochgehen lassen, ja. Wir kommen hier alle raus.«

»Mädchen, lass mich zurück ... «

Sie musste auf ihre telekinetischen Kräfte zurückgreifen, um ihn hinunter zu Boden schweben zu lassen. Mit ihrem Geschick in dieser Machtdisziplin war es nicht sonderlich weit her. Sie dirigierte ihn ohne Zwischenfälle vier Meter in die Tiefe, drehte ihn so, dass er für den Rest des »Abstiegs« auf dem Rücken lag... und dann ließ sie ihn unabsichtlich fallen. Er stürzte zwei Meter und krachte auf den Permabetonboden. Er stöhnte und schloss die Augen.

Seha riss die Luke zu. Sie nahm sich einige Sekunden Zeit, um eine ihrer Sprengladungen in dem Holocam-Sichtgerät zu deponieren. das sie hier zurücklassen würde. Dann kletterte sie hastig die Leiter hinunter. »Entweder schaffe ich Euch hier lebend raus, oder wir sprengen uns gemeinsam in die Luft!«

Caedus hatte den Blasterschuss nicht kommen sehen. Seine Konzentration ließ nach.

Und dieser verrückte Falleen-Jedi trotzte seinen Angriffen zunehmend besser. Caedus' Kraft ließ nach.

Er hatte sich immer noch nicht vollends vom Duell mit Luke erholt. Und jetzt, als weitere seiner Soldaten das Feuer eröffneten, lenkte Horn noch mehr Schüsse in seine Richtung um. Die ungenaue, schlecht gezielte Natur der Attacken kam Horn zugute. Die Salven waren unvorhersehbar, und Caedus musste seine Aufmerksamkeit zwischen einem irrsinnigen Schwertkämpfer und einer wachsenden Anzahl halbblinder Schützen aufteilen.

Trotzdem war er selbst immer noch der beste Schwertkämpfer überhaupt - mit Ausnahme vielleicht von Luke, der womöglich der Beste war, den es jemals gegeben hatte.

Caedus wartete, bis der perfekte Zeitpunkt gekommen war. wartete, bis ihn eine der heranschießenden Salven im selben Augenblick erreichte wie eine von Mithrics Attacken, sodass er beide mit einer einzigen fließenden Bewegung erwischte. Er fing Mithrics Hieb mit der Klinge knapp oberhalb des Hefts seines Lichtschwerts ab, den Blasterschuss hingegen mit der Spitze der Waffe, um ihn nach oben abzufälschen - geradewegs in Mithrics Brust.

Mithric taumelte zurück; die Mitte seiner Brust war schwarz, und der Gestank verbrannter Haut und versengten Fleischs erfüllte die Luft. Caedus sprang in die Höhe und vollführte einen einzigen, präzisen, horizontalen Schlag.

Mithrics Kopf fiel von seinen Schultern. Sein Körper kippte eine halbe Sekunde später zu Boden.

Caedus und Horn wirbelten herum, um einander die Stirn zu bieten. Ein Ausdruck des Bedauerns glitt über Horns Gesicht, doch er ließ sich von seinem Kummer nicht ablenken. Er blockte drei weitere Blasterschüsse mit der Lichtschwertklinge ab, ohne die Schützen auch nur eines Blickes zu würdigen.

Caedus bedeutete seinen Soldaten mit einer Handbewegung, das Feuer einzustellen. Sie gehorchten; jetzt kam der einzige Beschuss, den man vernahm, von den Gleitern, die noch immer dabei waren, das Shuttle in Stücke zu schießen.

Caedus beugte versuchsweise sein verwundetes Bein und gelangte zu dem Schluss, dass die Verletzung halb so schlimm war. Das Bein würde sein Gewicht tragen und ihm einige Bewegungen erlauben. Er sah Horn herausfordernd an. »Und? Hast du vor, es allein mit mir aufzunehmen?«

Horn schüttelte den Kopf.

Caedus lächelte. »Du bist nicht einmal ein Bruchteil des Mannes, der dein Vater ist.«

»Komisch. Dasselbe wollte ich auch gerade sagen.« Horn schien zu einem Schemen zu verschwimmen, als er auf das Shuttle zulief; die Macht verlieh seinen Schritten zusätzliche Schnelligkeit.

»Sei doch kein Narr! Dieses Ding wird nie wieder abheben.« Caedus' Worte verklangen, während Horn die Seitenrampe hinaufrannte, über die auch die Bothanerin vor einigen Sekunden verschwunden war.

Egal. Die Raumfähre würde nicht abheben: sie würden Horn oder Hu'lya oder beide gefangen nehmen, und nach einem intensiven Verhör würde Caedus wissen, wo sich Luke und die Jedi jetzt versteckten.

Er beugte sich nach vorn, um Mithrics Kopf an seinem Pferdeschwanz hochzuheben. Die Augen des Falleen standen immer noch offen, starrten nach vorn, unheimlich lebendig, doch seine Haut hatte sich grau gefärbt. Caedus ließ den Kopf fallen und schaute sich um.

Wo war Katarn?

 

Die Tür glitt auf, und Allana sah Jacen im Türrahmen. Er war verschwitzt, aber ruhig.

Sie war sich nicht sicher, warum sie das tat, aber das Erste, was sie sagte, war: »Du bist verletzt.«

Er nickte unbekümmert und trat ein. »Bloß ein bisschen. Keine große Sache. Ich werde die Wunde nachher verbinden.«

»Was ist passiert?«

»Nun, als Ypsilon-Vau dich aus dem Gleiter geholt hat, sind böse Leute aufgetaucht, die versucht haben, dich mir wegzunehmen.«

Sie zappelte unbehaglich herum. »Ich mag es nicht, in dieser Kiste herumgeschleppt zu werden.«

»Aber das verhindert, dass die Leute dich sehen. Auf diese Weise fällt es ihnen schwerer, herauszufinden, wo du bist; dann können sie dich nicht so leicht schnappen. Ist es da drin denn so unbequem?«

»Eigentlich nicht.« Tatsächlich verfügte die Transportkiste sogar über eine Miniaturklimaanlage, die dafür sorgte, dass die Luft frisch und sauber blieb, und zudem hatte sie ihr Datapad dabei. Und YV war zwar langweilig und kannte überhaupt keine Spiele - abgesehen von »Triff das Narbengesicht«, wobei er ihr aber nicht verraten wollte, wie das ging -, trug sie aber ausgesprochen vorsichtig herum. Trotzdem war es eng da drin. Sie konnte in der Kiste nicht aufstehen oder sich darin bewegen. »Ich mag s einfach nicht.«

»Nun, das heute Morgen war bloß ein Test. Meistens können wir einfach im Gleiter in ein Gebäude hineinfahren und müssen uns wegen der Kiste keine Gedanken machen. Aber hin und wieder wirst du trotzdem hineinklettern müssen.«

Sie wusste, dass ihre Stimme mürrisch klang. »Schon in Ordnung.« Sie sah ihn an und wartete von Neuem darauf, dass er die Zauberworte sagen würde, aber er tat es nicht.

Er hatte allerdings andere Zauberworte für sie parat. »Ich habe dich lieb, Allana.«

»Ich hab dich auch lieb. Aber ich vermisse Mami.«

»Genau wie ich.« Seine Stimme wurde traurig. »Genau wie ich.«

 

 

WALDMOND ENDOR, JEDI-AUSSENPOSTEN

 

Die Dornen bohrten sieh tiefer in Bens Wange, schmiegten sich auf die den Schöpfungen der Yuuzhan-Vong zu eigenen fieberigen Art und Weise an, um ihm nie gekannten Schmerz zuzufügen, und er konnte spüren, wie sie ihr Gift in ihn spritzten. Seine Wange schwoll an und wurde immer dicker. Er fühlte, wie sich seine Haut spannte, wie das Gewebe darunter zu reißen begann, wie seine Nerven kreischten ...

Und er wusste, dass es bloß ein Traum war. Er war der Anakin Solo, der Umarmung des Schmerzes, Jacen und seiner Folterkammer entkommen. Es war vorbei.

Er erwachte nicht sofort, doch an dieser Stelle endete der Traum, mit seiner Erkenntnis, dass es nichts weiter war als eine böse Erinnerung. Die Ranken besaßen keine Macht mehr über ihn. Sie erschlafften und regten sich nicht mehr. Der Schmerz in seiner Wange klang ab. Eine Sekunde später stellte er fest, dass er zunehmend ungeduldiger wurde, gelangweilter, und das war der Moment, in dem er seine Augen öffnete.

Um ehrlich zu sein, schmerzte seine Wange tatsächlich, wenn auch bloß ein bisschen, und fühlte sich auch immer noch leicht geschwollen an. Er rieb darüber, während er sich umschaute.

Einst war sein »Zimmer« ein begehbarer Kleiderschrank gewesen, der dem Kommandanten dieses Außenpostens gehört hatte und dementsprechend genügend Platz für das Feldbett, den kleinen Tisch und den Stuhl bot, die man als seine persönlichen Möbel hergebracht hatte. Es war nichts Besonderes, aber immer noch eine bessere Unterkunft als die der meisten anderen Jedi hier.

Er stand auf, warf die Decke beiseite und nahm seine Gewänder vom Haken. Nachdem er sich angekleidet hatte, ging er ins Wohnquartier seines Vaters hinüber. Der Raum war ruhig und dunkel, und im ersten Moment glaubte Ben, allein zu sein. Dann sah er seinen Vater im Schneidersitz vor dem großen Sichtfenster sitzen und auf die Bäume von Endor hinausschauen, wie er es so häufig tat.

Ben beobachtete ihn eine Minute lang. Luke saß vollkommen regungslos da, mit ausdrucksloser Miene, und blinzelte seltener, als es für einen Mann im Wachzustand normal war. Zweifellos war er sich über Bens Anwesenheit und seinen prüfenden Blick im Klaren, doch er zeigte keinerlei Reaktion.

Ben wusste, warum. In den Tagen seit seiner Rettung von der Anakin Solo war sein Vater so besorgt und fürsorglich gewesen, dass Ben schließlich begonnen hatte, ihn anzublaffen. Der Gedanke daran ließ ihn innerlich zusammenzucken. Schmerz.

Verlegenheit, ein tief sitzendes Gefühl des Verrats durch Jacens Folterung und die jugendlichen Mormone, über die alle ständig sprachen, machten ihn reizbar und wütend.

Ben fand, dass er jede Menge Gründe hatte, gereizt und wütend zu sein. Gründe, die über die Folter, die er erdulden musste, weit hinausgingen. Er vermutete, dass nicht Alema Rar. sondern Jacen seine Mutter umgebracht hatte. Mehr noch: Tief in seinem Innern wusste er, dass dem so war. Doch außer ihm schien niemand sonst im Universum an Jacens Schuld zu glauben. Es war schwer, mit einem derart gravierenden Verdacht allein auf weiter Flur zu sein.

Trotzdem hatte sein Vater es nicht verdient, dass er seine Wut an ihm ausließ. Vielleicht gelang es Ben nicht immer, sich zu beherrschen, aber zumindest konnte er anerkennen, dass sein Vater an alldem keine Schuld trug.

Ben stand einige Sekunden da und legte sich seine Worte zurecht, dann ging er hinüber, um sich neben seinen Vater zu setzen - in derselben Haltung wie Luke - und sah ihn an. Die Beine übereinanderzuschlagen ließ seine Gelenke ächzen. Die Ärzte hatten gesagt, dass er nach dem, was Jacen ihm angetan hatte, noch wochenlang Schmerzen haben würde.

Er versuchte, seine Stimme ruhig und erwachsen klingen zu lassen. »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.«

Luke blinzelte mehrmals hintereinander. Er wirkte nicht verwirrt, aber Ben wusste, dass diese Worte seinen Vater verblüfft hatten, was ihn in gewisser Weise freute.

Luke wandte sich ihm zu. »Was für Hausaufgaben?«

»Die, die du und Mom mir aufgetragen habt, kurz bevor ich nach Almania aufgebrochen bin.«

Luke schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, dass du das erledigt hast. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, wovon du sprichst.«

»Es ging um meinen Großvater. Anakin Skywalker. Darum, wie er zu Darth Vader wurde. Der Imperator hat ihm grässliche Dinge angetan. Hat dafür gesorgt, dass er anfing, seinen Freunden zu misstrauen, sodass sie keine Freunde blieben. Hat ihn dazu angestiftet, Kinder zu töten, damit niemand ihm je wieder vertrauen würde. Hat ihn zur Einsamkeit verdammt. Hat es so aussehen lassen, als würde ihn niemand im Universum verstehen ... nur der Imperator. Ich wette, kurz bevor Darth Vader aus ihm wurde, hat er den Imperator gehasst. Doch der Imperator hat alles so arrangiert, dass er der Einzige war, den Anakin Skywalker noch hatte.«

Luke dachte darüber nach, dann nickte er. »Ich nehme an, damit hast du recht.«

»Und dann bin ich darauf gekommen. Das ist genau das, was Jacen mit mir gemacht hat.«

In Luke dämmerte es langsam. »Das ist vollkommen richtig.«

»Und hätte ich ihn an diesem Tag getötet, hätte ich mich in Darth Vader verwandelt.«

»Vielleicht. Für eine Weile.«

»Vielleicht für immer.«

»Vielleicht.« Luke zuckte die Schultern. »Aber wenn du das jetzt verstanden hast, wenn du das nie vergisst, wirst du niemals zu Darth Vader werden.« Er drehte sich zur Seite, um den Blick erneut über die Wälder schweifen zu lassen. »Ich glaube, du bist um einiges klüger als mein Vater.«

»Meinen Grips habe ich von Mom geerbt.«

Luke prustete, als er aus seiner besinnlichen Stimmung gerissen wurde. »Genau wie deinen Hang zu Beleidigungen.«

»Du hast Valin Horn auf eine Mission geschickt.«

»Ja, habe ich.«

»Obwohl er der Sohn eines alten Freundes ist.«

»Solche Dinge muss ich außer Acht lassen, wenn ich entscheide, wen ich zu Einsätzen entsende. Tue ich das nicht, gefährde ich damit die Moral des Ordens und das Vertrauen, das die Jedi-Meister und Jedi-Ritter in mich setzen. Möglicherweise würde ich damit sogar den Untergang des Ordens herbeiführen.«

»Würdest du mich auf eine Mission schicken, bei der ich getötet werden könnte?«

»Du warst bereits auf solchen Missionen. Nimm nur Centerpoint.«

»Ja ... zusammen mit Jacen. Eigentlich hast du Jacen hingeschickt, nicht mich. Aber würdest du mich schicken, als Jedi- Ritter?«

»Wenn du ein Jedi-Ritter bist. ja. Aber du bist gerade erst zu meinem Schüler ernannt worden.«

Ben nahm einen tiefen Atemzug. »Wenn du dich entscheiden müsstest. Jacen umzubringen oder Valin davor zu bewahren, auf die Dunkle Seite überzuwechseln, was würdest du tun?«

Luke antwortete nicht.

Ben schwieg. Wenn er jetzt weitersprach, konnte sein Vater die Frage ignorieren. Doch Ben wollte die Antwort darauf unbedingt hören.

»Ben, ich würde Jacen umbringen.«

»Dann hast du also besondere Rücksicht auf mich genommen, was du bei Valin nicht tun würdest.«

»Ja.« Luke senkte den Blick, um die Hände zu betrachten, die in seinem Schoß ruhten. »Als Großmeister müsste ich wohl sagen, ich hatte das nicht tun sollen.«

»Dann bin ich ...« Ben brach ab und zögerte. Er brauchte einige Sekunden, um wieder Herr über seine Stimme zu werden. »Dann bin ich dafür mitverantwortlich, dass er immer noch da draußen ist.«

»Nein, bist du nicht.«

»Doch, bin ich. Und alles, was ich dazu sagen möchte, ist ... dass ich keine Sonderbehandlung will. Nie wieder. Nicht, wenn etwas so Wichtiges davon abhängt.«

Luke nickte. »Du hast recht.« Er warf Ben einen Seitenblick zu. »Ich denke, dir ist klar, was du da von mir verlangst. Wie schwer es mir als deinem Vater fällt, dem nachzugeben.«

»Ja.«

»Dann versprich mir etwas.«

»Was?«

»Falls du je wieder in dieselbe Lage wie auf der Anakin Solo gerätst, wo Jacen deiner Gnade ausgeliefert ist, versetzt du ihm den Todesstoß nur, wenn du dazu ohne Hass imstande bist. Mach dir selbst nichts vor, rede dir nichts ein. Ohne Hass.«

»Abgemacht.« Ben streckte die Hand aus.

Luke schüttelte sie. »Kyp kommt.« Er warf einen Blick über seine Schulter.

Ben fühlte einen kurzen Impuls in der Macht und hörte das Klicken des Knopfs am Torpfosten. Die Tür glitt auf und gab den Blick auf Kyp Durron frei, der draußen gerade die Hand nach dem Klingelknopf ausstreckte.

Kyp trat ein. »Großmeister. Schüler Skywalker.« Er hielt das Datapad in der anderen Hand hoch. »Ich habe Neuigkeiten.«

Luke stand auf. »Von Coruscant?«

»Ja.«

Luke ging zum Tisch und setzte sich; er bedeutete Kyp mit einer Geste, ihm gegenüber Platz zu nehmen. »Lass hören.«

Kyp zögerte, schaute zu Ben hinüber.

Ben erhob sich ebenfalls. »Ich verschwinde schon. Ich muss mich darum kümmern, in den Schülerschlafsaal umzuziehen.«

Luke schüttelte den Kopf. »Dass du hierbleibst, hat nichts mit

irgendeiner Sonderbehandlung zu tun. Du bist so lange mein Schüler, bis - und falls - ich beschließe, dich jemand anderem zuzuweisen. Kyp, er kann ruhig alles hören. Er gewinnt heute jede Menge neue Erkenntnisse.«

Kyp zuckte mit den Schultern und setzte sich. Ben ließ sich auf einen Polsterstuhl neben dem Tisch sinken.

Kyps Stimme wurde ernster. »Die Einsatzgruppe meldet teilweisen Erfolg. Colonel Solo ist weiterhin auf freiem Fuß. Meister Katarn wurde schwer verwundet, jedoch erfolgreich zu einem Versteck gebracht. Jedi Mithric hat sein Leben verloren. Die anderen sind bei Katarn. Das droidengesteuerte Shuttle ist nach der Landung nicht wieder vom Boden abgehoben. Die überlebenden Teammitglieder konnten durch die Unterstadt entkommen. doch da sie nicht fliegen konnten, hat man Spuren ihrer Flucht entdeckt. Wir können davon ausgehen, dass die Unterstadt künftig keine zuverlässige Route zum Senatsgebäude mehr ist.«

Luke hörte sich die Neuigkeiten an und schüttelte über Mithrics Tod den Kopf. »Und die Einheit?«

»Die Einheit klebt an Colonel Solo.«

Ben runzelte verwirrt die Stirn. »Was für eine Einheit?«

»Ein Peilsender.« Luke malte mit dem Finger ein Quadrat von etwa fünf Zentimetern Seitenlänge auf die Tischplatte. »Ungefähr so groß. Aus schwarzem Stoff. Solange der Sender an Jacen haftet, können wir genau bestimmen, wo er sich aufhält, um einen besseren Eindruck von seinen Aktivitäten zu gewinnen.«

Ben dachte darüber nach. »Dann ... wart ihr euch sicher, dass diese Mission, auf die ihr Valin geschickt habt, fehlschlagen würde?«

Kyp nickte. »Der Attentatsteil davon, ja. Sobald mir klarwurde, dass es uns nicht möglich ist. bei Jacen eine erfolgreiche Inhaftieren- oder-neutralisieren-Mission durchzuführen, ohne dass wir die Zeit und den Ort bestimmen können, entschied ich. dass alles so realistisch wie möglich wirken sollte ... aber auch, dass das Ganze größtenteils dazu dienen würde, den Boden für künftige Operationen zu bereiten. Für Operationen, bei denen die Chance besteht, dass sie auch Erfolg haben.«

»Wussten die Teammitglieder das?«

Luke schüttelte den Kopf. »Nur Meister Katarn. Wir konnten nicht riskieren, dass einer der anderen gefangen genommen wird und unter Folter alles verrät. Ich war mir sicher, dass es Kyle gelingen würde zu entkommen - oder zu sterben, bevor sein Wille gebrochen wird.«

Kyp suchte Bens Blick. »Also? Irgendwelche Erkenntnisse gewonnen?«

»Bloß, dass er jetzt versuchen wird, die Jedi zu bestrafen. Er hat sie in den Holo-Nachrichten vielleicht schon als Feiglinge und so was beschimpft, aber er bat nichts getan, das es euch unmöglich machen würde, wieder bei ihm angekrochen zu kommen. Ihn so zu attackieren hat ihm wahrscheinlich ein für alle Mal klargemacht, dass ihr das nicht tun werdet. Künftig wird er jede Gelegenheit nutzen, die Jedi in Misskredit zu bringen, und uns mit allen Mitteln jagen, die ihm zur Verfügung stehen.«

Luke nickte. »Wir müssen unsere Reihen ebenfalls verstärken. Ich denke, es ist an der Zeit, Kontakt zu Wedge Antilles aufzunehmen. Und zu Booster Terrik. Und zu Talon Karrde. Schauen wir mal. was für Überraschungen wir für Jacen arrangieren können. Höchste Zeit, sich ein paar neue Pläne einfallen zu lassen.«

Kyp lächelte ihn an. »Willkommen zurück.«

Doch da war ein Ausdruck in Lukes Augen, eine vage Besorgnis, die Ben verriet, dass sein Vater nicht wirklich wieder da war, dass er sich noch nicht wirklich wieder gefangen hatte. Noch nicht.