20
»Du Bastard!« brüllte McDermott in die Sprechanlage. »Du unguter, meuterischer, wahnwitziger Bastard!«
»Bitte, mäßige deine Worte, Freund«, mahnte ADAM. »Meine Frau hört mit. Es gelüstet sie, hinabzukommen und dir etliche zu schmieren.«
»ADAM! Du kannst mir das nicht noch einmal antun! Deine Landung in Washington war schlimm genug. Aber diese Idee mit dem Mond ist – ist reiner Wahnwitz! Es ist Selbstmord, glaub mir das!«
»Wenn du mir nichts als dies zu sagen weißt, Freund, bitte ich dich, nun dem kleinen Ansuchen zu entsprechen, das ich an dich gerichtet habe. Beschaffe mir die Komputerinformationen, die ich brauche, und mach Schluß mit den Redensarten.«
»ADAM, um Himmels willen!« McDermott war verzweifelt. »Du bist doch nicht allein dort oben! Du hast EVA dabei!«
»Du sagst es. Welch ein Püppchen!«
McDermott fühlte sich am Ende seiner Nervenkraft. Mit den Fäusten auf den Tisch schlagend, schrie er: »Verdammt, ADAM! Gibt es denn nichts, was ich sagen könnte, damit dir ein Licht aufgeht?«
»Doch, alter Freund. Sag einfach ›Bon voyage‹. Und dann lauf zu den Eierköpfen hinüber und laß dir die Daten geben, die ich brauche. Es war nett, mit dir zu plaudern. Ich habe die Umlaufbahn bereits verlassen und verfolge einen Kurs, der mir gut aussieht, aber ich möchte doch wissen, was der Komputer errechnet. Ruf mich an, sobald du die Werte hast. Bis dahin, alter Freund.«
Völlig resigniert schaltete McDermott die Verbindung ab. Da er ein Geräusch hörte, wandte er den Kopf und sah Callaghan, der eben den Kontrollraum betrat. »Ach, Cal«, ächzte er, »versuchen Sie mal zu raten, was unser Freund jetzt wieder im Sinn hat!«
»Das wage ich nicht bei diesem Brontosaurusbändiger. Nach Ihrer Miene zu urteilen, dürfte es nicht erfreulich sein.«
»ADAM und EVA fliegen zum Mond!«
Callaghan starrte McDermott einen Moment lang entgeistert an. »Anscheinend habe ich Ihre Wellenlänge nicht richtig eingestellt.«
»Doch, doch, Sie verstehen mich schon. Die zwei sind auf dem Weg zum Mond. Um zweiundzwanzig Uhr sechzehn mittelafrikanischer Zeit haben sie ihre Umlaufbahn verlassen.«
»Zum Moooooond?«
»Zum Moooooooond!«
»Weiß Gillespie davon?«
»Nein. Niemand weiß es, ausgenommen ich und diese zwei Narren dort oben. Ich wünschte, ich wüßte es nicht!«
»Das Luftwarnsystem hat die Kursabweichung wahrscheinlich schon registriert.«
»Ja, wahrscheinlich. Das Donnerwetter kann jede Minute losbrechen.«
»Ei«, sagte Callaghan, »ich denke, ich verreise jetzt lieber mal ein bißchen.«
»Das würde nichts nützen, oder ich käme mit Ihnen. Unglücklicherweise gibt es keinen Ort auf Erden, der Sicherheit böte vor Gillespies Zorn.«
»Ja, ja, das stimmt. Hmmm. Vielleicht sollten wir Gillespie mal mit ADAM sprechen lassen? Möglich, daß der Kerl dann zur Vernunft kommt.«
»Es wäre Zeitverschwendung«, sagte McDermott. »Militärisches Befehlsgebrüll macht auf ADAM keinen Eindruck, wie seine Landung in Washington beweist. Selbst der Generalstabschef könnte ihn nicht beeinflussen. Er fühlt sich durch und durch als Zivilist und lehnt es ab, sein klares Urteilsvermögen von militärischer Disziplin trüben zu lassen.«
Callaghan pfiff durch die Zähne. »Bei Gott, Jeff! Ich hab's!«
»Was denn?«
»Er ist Zivilist, das Militärische bedeutet ihm nichts. Aber als Zivilist ist er jemandem verpflichtet. Jedenfalls einem bestimmten Mann!«
»ADAM? Wem, beim Teufel, sollte ADAM verpflichtet sein?«
»Dem Prä-si-den-ten!«
McDermott nahm es ganz gut. Nicht, als hätte er einen Vorschlaghammer gegen die Stirn gekriegt, sondern höchstens einen Tennisball. »Sie meinen den Präsidenten der Vereinigten Staaten?«
»Wen sonst, Mann? Jeder Zivilist, egal ob Demokrat oder Republikaner, respektiert den Präsidenten. ADAM ist keine Ausnahme. Im Gegenteil – ich habe mich überzeugen können, daß der Bursche auf seine Art durchaus patriotisch empfindet.«
»Aber der Präsident ...«
»Verdammt, Mann! Denken Sie logisch. Auch der Präsident ist ein Diener der Öffentlichkeit. Außerdem hat er ein sehr intensives Interesse an diesem Projekt. Ich werde ihn anrufen!«
McDermott bewegte den Kopf, als müsse er Ordnung in seine Gedanken bringen. »Wahrhaftig, Callaghan, Sie könnten recht haben«, pflichtete er bei. »Vielleicht bewirkt der Präsident eine Sinnesänderung bei ADAM. Er dürfte der einzige sein, auf den ADAM hört.«
»Haben wir noch die Zeit für Dienstwegeinhaltung und ähnliche Umständlichkeiten?«
»Nein, wohl nicht. Jede Sekunde zählt.«
»Also werden wir die Zähne zusammenbeißen und handeln! Ich versuche es mit dem Weißen Haus. Und Sie veranlassen die Techniker, eine Verbindung vorzubereiten, damit der Präsident direkt zu ADAM sprechen kann. Wenn wir ihn noch zurückholen wollen, müssen wir uns beeilen. Ich möchte nicht, daß ihm etwas passiert. Dieser Kerl schuldet mir noch zehn Dollar.«
»Bitte wer, sagten Sie, ruft an?« fragte eine sehr angenehme Stimme.
»Callaghan. Major Cornelius C. Callaghan, US-Air Force. Ich muß dringend mit dem Präsidenten sprechen, Ma'am. Unverzüglich.« Alle Fäden spielen lassend, die er spielen lassen konnte, war Callaghan immerhin direkt bis zur persönlichen Sekretärin des Präsidenten durchgekommen.
»Oh, ich bedaure sehr, Major Callaghan. Der Präsident ist beansprucht. Kann Ihnen sonst jemand helfen?«
»Ich möchte nicht ungeduldig erscheinen, Ma'am, aber es ist äußerst wichtig, daß ich sofort mit dem Präsidenten persönlich spreche. Es handelt sich um den heutigen Start auf Kap Kennedy.«
»Ah, ich verstehe. Vielleicht kann Ihnen der Präsidialattache der Air Force helfen. Er behandelt im allgemeinen diese Angelegenheiten für den Präsidenten. Ich lasse Sie mit dem Pentagon verbinden.«
»Ma'am, hören Sie! Ich weiß, daß ich irgendwie übergeschnappt klinge, aber ich kann mich nicht abschieben lassen! Falls der Präsident gerade beim Kaffeetrinken ist oder irgend so etwas, werde ich warten.«
»Der Präsident befindet sich in einer Konferenz des Nationalen Verteidigungsrates, Major Callaghan.« Die angenehme Stimme begann kühler zu werden.
»Gut, dann warte ich, bis Sie mich mit dem Konferenzsaal verbunden haben. Gewiß gibt es dort ein Telefon.«
»Major, Sie scheinen nicht verstanden zu haben. Der Präsident darf nicht gestört werden.«
»Dürfte er im Fall eines nationalen Notstandes gestört werden?«
»Ja, natürlich.«
»Dann stören Sie ihn! Dies ist ein nationaler Notstand!«
»Major, ich lasse Ihr Gespräch zum Präsidialattaché der Air Force umlegen.«
»Bitte nicht! Dafür ist wirklich keine Zeit ...«
»Hallo? Hier spricht General Spartans Sekretariat. Was kann ich für Sie tun, bitte?« Wieder eine äußerst angenehme Stimme, vermutlich einer jungen, sehr hübschen Sekretärin gehörend.
»Ich denke, ich wünsche den General zu sprechen«, sagte Callaghan erbittert.
»Oh, ich bedauere, Sir. Der General hat heute seinen Tag für körperliches Training. Er befindet sich beim Country Club.«
»Ist irgendwer da? Außer Ihnen?«
»O gewiß, der Adjutant des Generals ist hier. Captain Weatherbee. Möchten Sie mit ihm sprechen?«
»Himmel ...! Ja!«
»Wen darf ich Captain Weatherbee melden, bitte?«
»Callaghan. Major Cornelius C. Callaghan, Air Force.«
»Sehr wohl, Major, ich verbinde.«
Klick. Tüt, tüt, tüt, tü... »Hallo, hier Captain Weatherbee.«
»Major Callaghan hier. Ich spreche von Kap Kennedy. Es ist dringendst. Ich muß eine Verbindung zum Präsidenten haben. Schleunigst. Es betrifft den Start von heute früh.«
»Oh? Ist ADAM in Schwierigkeiten, Major? Ich habe den Start im Fernsehen verfolgt. Verdammt gute Schau.«
»Können Sie mir eine Verbindung zum Präsidenten geben?«
»Gewiß, Sir. Gern.«
»Na, Gott sei Dank!«
»Wenn Sie bitte einen Brief schicken möchten, adressiert an das Weiße Haus, zu Händen von ...«
»Verdammt, anscheinend kann ich mich nicht verständlich machen! Ich meine – jetzt! Diesen Augenblick!«
»Oh, Major, ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
»Dachte ich mir! Danke, Weatherbee.« Callaghan legte auf.
Er unternahm, durch verschiedene Kanäle, noch drei weitere Versuche, alle ohne Ergebnis. Sogar über sein eigenes Büro im Pentagon rannte er nur wieder gegen eine Gummiwand. Er hatte, nach dem letzten Versuch einem seelischen Zusammenbruch nahe, eben den Hörer auf den Apparat geknallt, als McDermott hereinkam.
»Alle Verbindungen sind so vorbereitet, daß sie binnen längstens neunzig Sekunden durchgestellt werden können. Wie kommen Sie zurecht, Cal?«
»Überhaupt nicht! Ich fürchte, um den Präsidenten zu erreichen, muß man nach Moskau fliegen und sich Zugang zum Heißen Draht im Kreml verschaffen. Ich habe alles probiert.«
»Vielleicht hätte es doch schneller geklappt, wenn wir auf dem Dienstweg ...«
»Scherzen Sie? Niemand ist jetzt zu erreichen! Alle kleben an ihren Fernsehgeräten und verfolgen die Übertragung von Kap Kennedy ...«
»Cal, das ist die Lösung!«
»Ich verstehe nicht.«
»Doch gut, daß manchmal Eierköpfe zur Stelle sind, um das Denken für euch muntere Fliegerknaben zu erledigen. Kommen Sie mit mir.«
Der vortragende Offizier fand es schwierig, die Aufmerksamkeit der anwesenden Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates zu gewinnen. Trotz des thematisch aktuellen, sorgfältig ausgearbeiteten und gut vorgetragenen Referates schienen die führenden Staatsmänner der Nation weit mehr an dem in einer Ecke aufgestellten Fernsehgerät interessiert zu sein, das auf Kap Kennedy eingestellt war. Nur der Präsident selbst schenkte den Ausführungen des intelligenten jungen Air Force-Colonels ungeteiltes Interesse.
Plötzlich geschah auf dem Bildschirm etwas Außergewöhnliches. Die Reportage riß ab, und im nächsten Augenblick füllte ein recht gut genährter Offizier in halboffenem Khakihemd und Shorts das ganze Bild – ein keineswegs sportlich gebauter Mann, dessen Oberkörper sogar irgendwie an einen unordentlich vollgestopften Sack Schießbaumwolle erinnerte. Daß er nicht in die Reportage gehörte, war klar; im übrigen gestikulierte er heftig und schnitt Grimassen, aber sehr sorgenvolle, keine komischen.
Der Verteidigungsminister bemerkte es als erster. Er trat an das Gerät und neigte ein Ohr zu dem Lautsprecher.
»Entschuldigen Sie, Mister Präsident«, sagte er, »aber Sie werden hier von einem Air Force-Major gerufen.«
Der Präsident bat den vortragenden Offizier um eine Unterbrechung und wandte sich dem Fernsehgerät zu. Seine Augen wurden groß. »Nun, jetzt will ich doch ...! Äh, bitte, können Sie das Gerät lauter stellen?«
Der Verteidigungsminister tat dies und sagte dabei entrüstet: »Noch nie ist mir ein so derangiert aussehender Air Force-Mann unter die Augen gekommen. Sicher ist er keiner von unseren!«
»Wenn ich mich nicht sehr irre«, bemerkte der Präsident, »ist das Cornelius C. Callaghan.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht, Mister Präsident ...«
»Ja, er ist es wirklich. Ein Verbindungsoffizier aus dem Pentagon. Ich spielte mit ihm Golf, als ich noch Senator war. Ein jammervoll schlechter Golfspieler, aber sehr begütert. Ihm gehört die Callaghan-Casket-Corporation.«
»Dann ist er einer von unseren.«
Der Präsident mußte lächeln über das offensichtliche Unbehagen seines Ministers. »Lassen Sie uns hören, was er sagt.«
Der Minister regulierte die Tonstärke.
»... Mister Präsident«, tönte es von Callaghan, »wenn Sie mich hören, nehmen Sie bitte das Telefon im Konferenzsaal auf. Sie werden dann direkt mit Kap Kennedy verbunden. Ich habe eine Nachricht von äußerster Dringlichkeit.«
Der Präsident griff zu dem neben ihm stehenden Telefon und hob den Hörer ans Ohr. »Hier spricht der Präsident. Verstehen Sie mich, Callaghan?«
»Ausgezeichnet, Mister Präsident. Sie mich auch?«
»Ja, ich verstehe Sie gut. Wie geht es Ihnen denn, Cal? Es ist lange her.«
»Ja, es ist lange her, Mister Präsident. Golf spiele ich kaum noch. Spielen Sie es noch?«
»Ich fürchte, ich mußte es in letzter Zeit etwas vernachlässigen. Aber sagen Sie, Cal, was tun Sie dort in Kap Kennedy, schreiend und gestikulierend?«
»Das ist nicht mit zwei Worten zu erklären, Mister Präsident. Wenn Sie einen Moment am Telefon warten möchten, bis ich den Bildschirm geräumt habe und die reguläre Sendung weitergehen kann, berichte ich ausführlich.« Einen Moment lang war der Bildschirm leer, dann lief die unterbrochene Reportage weiter.
Der Präsident lauschte ins Telefon. Gleich darauf vernahm er wieder Callaghans Stimme über den Draht: »Hören Sie mich noch, Mister Präsident?«
»Ja, Cal. Schießen Sie los.«
Callaghan holte tief Atem. »Nun, Mister Präsident, vielleicht finden Sie es ein bißchen schwer zu glauben, aber ich fürchte, ADAM und EVA haben sich entschlossen, zum Mond zu fliegen ...«
»Helios-Kontrolle ruft Brontosaurus eins. Bitte melden.«
»Brontosaurus eins an Helios-Kontrolle, sprechen Sie«, sagte ADAM und stellte das Gerät etwas leiser ein; EVA, die auf dem Sitz nebenan zusammengerollt wie eilt Kätzchen schlief, sollte möglichst nicht gestört werden.
»ADAM, ein Gentleman aus Washington möchte mit dir ein paar Worte über deine Mondfahrt sprechen«, verkündete McDermott. »Die nächste Stimme, die du hörst, ist der Präsident der Vereinigten Staaten.«
»Ha! Ha! Furchtbar komisch!« erwiderte ADAM. »Ich habe auch eine Überraschung. Die nächste Stimme, die du hörst, ist Buck Rogers. Er hat der Comic-strips-Redaktion neues Material gebracht und macht mal Pause auf seinem Rückweg zum Planetoiden Xernon.«
»ADAM! Es ist kein Spaß! In neunzig Sekunden wird sich der Präsident aus dem Weißen Haus an dich wenden!«
»... wirklich nett von dir, Buck, daß du mal hereinschaust. Bitte, sprich ein paar Worte Xernonesisch zu den Freunden unten auf der guten, alten Erde.«
»ADAM! Du mußt mir jetzt zuhören –«
»Xernon yahoodie, tetis bablabie«, sagte ADAM mit tiefer verstellter Stimme. »Das ist ein xernonesisches Sprichwort. Übersetzt besagt es ungefähr: ›Schwirrende Schmeißfliegen sind kein Vergnügen, drum halte deine kurz an der Leine.‹ Eine poetisch kolossal ausdrucksvolle Spra...«
»Um Gottes willen, ADAM, hör mir zu!«
»Bestell unserem Freund Callaghan, es sei einer der verstaubtesten Gags. Ich hätte ihm etwas Besseres zugetraut ... Und nun, liebe Kunstfreunde, bringt euch Buck Rogers ein schönes xernonesisches Volkslied.« Zur Melodie von ›Old McDonalds Farm‹ sang ADAM ein haarsträubendes Kauderwelsch völlig sinnloser Silben. Als er innehielt, weil ihm nichts mehr einfallen wollte, war im Empfänger ein diskretes Räuspern zu hören. Er fragte: »Nun, liebe Kunstfreunde, wie hat es euch gefallen?«
»Die Melodie war hübsch«, sagte eine tiefe, ruhige Stimme. »Über den Text kann ich mich leider nicht äußern.«
ADAMs Gehirnpumpe verpaßte eine Umdrehung. Die Stimme im Lautsprecher gehörte weder McDermott noch Callaghan. »Ein – äh – xernonesisches Volkslied«, sagte ADAM, da er sonst nichts zu sagen wußte.
»Ich sitze hier im Weißen Haus«, ließ sich die Stimme im Lautsprecher vernehmen. »Kaum zu glauben, daß ich mit Ihnen im Weltraum sprechen kann.«
Die Art, wie die Stimme das Wort ›Weltraum‹ sprach, bewirkte eine erhebliche Rotationsbeschleunigung von ADAMs Gehirnpumpe. Es war zweifellos die Stimme, die schon so oft Millionen und aber Millionen von Zuhörern über Radio und Fernsehen erreicht hatte. Die Stimme des Präsidenten. Oder – eine verdammt gute Imitation. ADAM entschied sich für ersteres. »Mister Präsident, ich bitte um Entschuldigung. Ich dachte, die Freunde von der Bodenstation spielten mir einen kleinen Streich.«
»Oh, nichts zu entschuldigen«, beschwichtigte der Präsident. »Es ist ja nicht alltäglich ... Ich rufe an, um Ihnen zu dem erfolgreichen Start in den Weltraum zu gratulieren. Wie geht es der jungen Lady?«
»Fein, Mister Präsident. Einfach fein. Wie sonst könnte man in fünfzig Minuten einen Schaufensterbummel rund um die ganze Erde machen?«
Aus dem Lautsprecher tönte ein leises, aber sehr belustigtes Lachen.
ADAM fuhr hastig fort: »Momentan schläft sie ein wenig. Wollen Sie mit ihr sprechen, Mister Präsident?«
»Nein, ADAM. Bitte, stören Sie sie nicht. Ich werde sie ja sehen, wenn ihr landet. Übrigens – ich nehme an, Sie werden planmäßig landen?«
»Nun, Mister Präsident, ich fürchte, ich ...«, ADAM stockte; er begann den Braten zu wittern. »Ja, sehen Sie, Mister Präsident, da ist – da ist eine kleine Änderung des Flugplans erfolgt.«
»Eine kleine Änderung, ADAM?«
»Ja, Mister Präsident. Ganz planmäßig werde ich nicht landen können. Um die Wahrheit zu sagen, Mister Präsident – vor kurzem haben wir nämlich Kurs zum Mond genommen.«
Es dauerte einige Sekunden, ehe der Präsident wieder zu hören war. »Zum Mond?«
»Sehr wohl, Mister Präsident. Zum Mond.«
»Ah, Sie und die Miß haben einfach beschlossen, daß es nett sein würde, einen kleinen Abstecher zum Mond zu machen?«
»Nicht eigentlich so, Mister Präsident. Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Einige Zeit.«
»Ich verstehe. Sie sagten, Sie haben den Kurs bereits geändert?«
»Sehr wohl, Mister Präsident, so ist es.«
»Nun, ADAM, da Sie ehrlich zu mir waren, will ich ehrlich zu Ihnen sein. Ich wußte, daß Sie auf dem Weg zum Mond sind. Die Leute von Kap Kennedy riefen mich vor weniger als zehn Minuten an, sehr besorgt – ich sollte versuchen, Ihnen den Flug auszureden ... Ja, ADAM, ich kann Ihnen nicht befehlen, umzukehren. Ich habe keine Möglichkeit, Sie zu zwingen. Ich kann nur an Ihre Einsicht appellieren. Glauben Sie, daß die von Ihnen getroffene Entscheidung klug ist?«
»Das glaube ich, Mister Präsident.«
»Und was meint EVA? Wie denkt sie über die Sache?«
»Sie ist entschieden für den Abstecher.«
»Hat sie Kenntnis von den damit verbundenen Gefahren?«
»Sie hat.«
Jetzt vergingen reichlich zehn Sekunden, ehe der Präsident wieder sprach. »Die Leute von Kap Kennedy erklärten mir, daß dieser Flug Gefahren und Ungewißheiten birgt, die noch nicht durchkalkuliert worden sind.«
»Mister Präsident, dasselbe wäre zu sagen gewesen für Little Big Horn, Alamo, Pork Chop Hill und noch so manches.«
»Ich bewundere Ihren Mut, ADAM. Aber sind Sie wirklich darauf vorbereitet, Ihr Leben und das Leben Ihrer Frau zu riskieren, um dieses Unternehmen zu erfüllen?«
»Bei allem schuldigen Respekt, Mister Präsident – was macht dieses Unternehmen so verschieden von jedem anderen Unternehmen, das andere mutige Amerikaner vor mir erfüllt haben? Es geht um das Ansehen der Nation. Ich habe zwar kein Blut in mir, aber ich meine, das Blut unserer Vorfahren ist doch mittlerweile nicht mit Bratensauce verdünnt worden.«
»Es ist ein sehr hohes Spiel, ADAM. Das müssen Sie zugeben.«
»Ja – es ist ein hohes Spiel, Mister Präsident. Aber Ihre Ratgeber betonen doch immer wieder, es wäre ungeheuer wichtig, daß wir als erste auf dem Mond sind. Ich glaube, ich habe die Fähigkeit, dieses Ziel zu erreichen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Mister Präsident. Dies ist kein selbstmörderisches Abenteuer – ganz und gar nicht! Ich liebe dieses unser schönes, unter Auspuffgasen erstickendes, kapitalistisches Land und hege jede Absicht, dorthin zurückzukehren. Die Miß und ich haben noch ein gutes Stück Leben vor uns, und General Beauregard auch. Das gedenken wir uns recht hübsch zu machen. Aber zuerst fliegen wir zum Mond! Also, Mister Präsident, wenn Sie Ihren Einfluß verwenden würden, um die Weltraumheinis von Kap Kennedy zu veranlassen, daß sie mir endlich die gewünschten Komputerinformationen übermitteln, dann will ich versuchen, Ihnen ein Stück von dem grünen Mondkäse mitzubringen, den der deutsche Lügenbaron Münchhausen so sehr gerühmt hat. Abgemacht?«
Für ein Weilchen war es so still im Cockpit, daß ADAM das Summen seiner Gehirnpumpe hören konnte. Dann kam laut und klar die Antwort: »ADAM, Sie werden die gewünschten Komputerinformationen schnellstens erhalten.«
»Ich danke Ihnen, Mister Präsident.« ADAM seufzte erleichtert. »Ich danke Ihnen sehr.«
»Offen gesagt, ADAM, auf Anraten unserer Weltraumexperten wollte ich Ihnen, wenn irgend möglich, diesen Flug ausreden. Ich sehe jetzt, daß es ein Fehler gewesen wäre. Kein Mann, der versuchen würde, einen selbständigen, vorwärtsdrängenden Geist wie den Ihren zu unterdrücken, hätte ein Anrecht auf den Versuch, das fortschrittlichste Land dieser Erde zu leiten. Sie haben meine volle Unterstützung.«
»Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar, Mister Präsident.«
»Und, ADAM, noch ein Wort, ehe ich abschalte.«
»Ja, Mister Präsident?«
»Ich gäbe vierhundert Wahlmännerstimmen dafür, bei Ihnen sein zu können. Leben Sie wohl, ADAM. Möge Gott Sie beschützen auf Ihrer Reise.«
Es war spät, und die Bar im Offiziersclub lag verlassen, als zwei feierliche Gestalten erschienen, zwei Barstühle erklommen und zwei doppelte Martinis bestellten.
»Nun«, sagte McDermott, indem er sich die müden Augen rieb, »wir haben ihm alle Komputerinformationen übermittelt, die er irgend brauchen kann. Alle. Nachträglich dann noch Informationen über die Informationen und schließlich Informationen zu den Informationen über die Informationen. Jetzt können wir nur noch Däumchen drehen, während wir warten.«
»Ich habe schon verblüffende Dinge erlebt«, bemerkte Callaghan, »aber dieser Flug setzt allem die Krone auf. Was mag unseren Freund getrieben haben, so etwas zu tun?«
»Ich denke, ich weiß es«, entgegnete McDermott. »ADAM sah eine Chance, das Raumfahrtprogramm auf einen Schlag um etliche Jahre voranzutreiben. Er wußte, daß dieser Flug eine enorme Wirkung auf die Nörgler haben würde, die nicht mögen, daß wir so viel Geld für die Raumfahrt ausgeben. Er ist einer von diesen entschlossenen Dickschädeln, die es eben darauf ankommen lassen.«
»Sagen Sie mir ehrlich, Jeff – wie sind die Chancen?«
Die Martinis wurden serviert. McDermott nahm einen Schluck und schüttelte sich wohlig. »Ich würde sagen, ausgezeichnet. Der gefährlichste Teil der Reise ist überstanden. Wenn jemand es schaffen kann, dann ADAM.«
»Na, ihr Kap Kennedy-Helden solltet glücklich sein! Jetzt habt ihr ein bemanntes amerikanisches Raumschiff auf dein Weg zum Mond!«
»Ja, ja, natürlich. Die Sache ist zwar nicht ganz so, wie wir sie geplant hatten, aber das Wichtigste bleibt – es ist unterwegs.«
»Trinken wir darauf«, sagte Callaghan und hob sein Glas. »Auf zwei tapfere Seelen, auf ADAM und EVA.«
McDermott stieß mit ihm an. »Auf ADAM und EVA.« Sie tranken und saßen dann schweigend da, jeder in seine Gedanken vertieft.
Schließlich schaute Callaghan zu McDermott hinüber. »Mein Freund, hat Ihnen letzthin mal jemand gesagt, daß Sie schrecklich anzusehen sind? Hohlwangig, hohläugig, mürrisch, wie von allen guten Geistern verlassen? Ich mische mich sonst nicht in anderer Leute Privatangelegenheiten, wie Sie wissen. Aber für Ihren Fall hätte ich zufällig ein Elixier, durch das Sie wieder ins Lot kämen. Interessiert es Sie?«
»Ach, danke, eigentlich nicht. Ich fühle mich soweit wohl. Nur hatte ich in letzter Zeit wenig Appetit.«
»Dieses Elixier würde garantiert heilen, was Sie plagt, und außerdem Ihre Hormone aktivieren. Ein einmaliges Rezept!«
»Nein, jetzt nicht, Cal. Danke. Ich weiß, daß Sie es gut meinen.«
»Tut mir leid, alter Freund, aber es ist schon bestellt.« Callaghan sah zur Tür. »Dort kommt die Überbringerin.«
McDermott folgte Callaghans Blick und sah zu seiner Überraschung, daß es Buffalo Billie Lee war. Lächelnd und kichernd kam Billie zur Bar stolziert und begrüßte Callaghan mit einem Kuß auf die Wange.
»Hast du mitgebracht, was ich dir sagte?« fragte Callaghan.
Billie nickte.
»Braves Mädchen. Also, Jeff, trinken Sie aus. Draußen im Wagen habe ich etwas für Sie.«
»Nein. Zieht ihr beiden allein los. Ich bin heute abend für nichts zu haben als mein Bett.«
»Weniger Gerede und mehr Taten!« kommandierte Callaghan. Er nahm McDermotts einen Arm, Billie Lee nahm den anderen. Zwischen sich schleppten sie McDermott aus der Tür und zu einem langen roten Cadillac-Kabriolet mit aufgeklapptem Verdeck.
McDermott pfiff verwundert durch die Zähne. »Seit wann denn ein richtiges Auto? Wo ist der Leichenwagen?«
»In der Garage, hat eine tote Batterie«, kicherte Callaghan. »Komisch, was? Ein Leichenwagen mit toter Batterie! Beinah metaphysisch, wie?«
»Wer ist das da auf dem Fondsitz?« fragte McDermott argwöhnisch.
»Das Elixier, von dem ich Ihnen erzählte, mein Freund. Es kratzt nicht und beißt nicht. Steigen Sie ein.«
Ehe McDermott etwas tun oder sagen konnte, wurde er von der stämmigen Buffalo Billie Lee in den Wagen bugsiert und auf den freien Fondsitz geschoben. Als er den Kopf zur Seite wandte, sah er unvermittelt in die brennenden Augen von Miß Melodie Monahan. Über die Begegnung offenbar genauso perplex wie McDermott, fauchte sie: »Verwünscht, diese Billie Lee! Angeblich wollten wir hier Callaghan abholen, um mit ihm zu einer Kinonachtvorstellung zu fahren!«
McDermott saß nur da und starrte sie an, wobei er vergaß, seinen Mund zuzumachen.
»Glotz mich nicht so an, Major McDermott! Ich habe nichts mit Callaghans Trick zu tun! Bei Gott, diesen Kuppler möchte ich umbringen!« Melodie langte zum Türgriff und wollte die Tür öffnen.
Diese plötzliche Bewegung schien McDermotts Erstarrung zu lösen. Er griff hastig nach Melodies Hand, während seine Lippen etwas Mühe hatten, den kleinen Satz auszusprechen: »Wir haben ein Raumschiff auf dem Weg zum Mond!«
»Ich weiß«, entgegnete Melodie, »ich habe ein Fernsehgerät. Meine Glückwünsche. Wenn du mich jetzt entschuldigst ...«
McDermotts Lippen brachten einen zweiten Satz zustande: »Das ist ein großer Sprung vorwärts!«
»Laß mich los, damit ich einen Sprung aus diesem Sitz tun kann!«
»ADAM und EVA haben uns im Weltraumrennen an die Spitze gebracht! Weißt du, was das bedeutet?«
»So sehr interessiert mich das Weltraumrennen eigentlich nicht. Aber – hat dies alles vielleicht irgendwie mit deinen Wiedererscheinen unter gewöhnlichen Sterblichen zu tun?«
McDermotts linker Arm war zu dem Entschluß gelangt, nun endlich aktiv zu werden, und begann zarte Schultern zu umschlingen, wobei der Armbesitzer äußerte: »Was ich zu sagen versuche, Melodie, ist, daß ich dich sehr liebe. Du hast mich zum elendesten Mann in der ganzen Welt gemacht.«
»Oh, danke«, murmelte Melodie und ließ den Türgriff los. »Und du hast mich zur unglücklichsten Frau in der gesamten Schöpfung gemacht.«
»Was zu bedeuten scheint, daß wir füreinander bestimmt sind«, sagte McDermott scharfsinnig. »Melodie, es tut mir leid, daß ich mich bei dieser Sache als weltbester Einfaltspinsel erwiesen habe.«
»Das bist du nicht ohne mein Zutun geworden«, bekannte Melodie, in deren Augen das düstere Schwelen einem munteren Gefunkel gewichen war. »Ich habe die ganze Zeit nachgeholfen.«
Er fand ihr Gesicht ziemlich nah bei dem seinen. »Hmm, hieltest du es für richtig, wenn ich dich jetzt küsse?«
Als er endlich wieder Atem schöpfen konnte, erklärte er: »Jetzt bin ich bereit, mich einem anderen Projekt zu widmen.«
»Welchem zum Beispiel?«
»Zum Beispiel dem Projekt ›Mrs. Jeffrey McDermott‹. Wie klingt das?«
»Oh, Jeff! Ob es heute abend schon zu spät ist?« Abwechslungshalber versuchte sie ihre Zähne ein bißchen an seiner Wange. »Zufällig weiß ich einen alten Friedensrichter, der noch nicht zu Bett gegangen sein dürfte. Entschuldige mich für einen Moment – ich möchte unserem Chauffeur die Adresse sagen.«
Melodie nannte Callaghan eine Adresse. Als sie sich wieder in ihren Fondsitz lehnte, schnurrte sie wie eine äußerst zufriedene Katze.
Überwältigt von der Pracht des Sternenhimmels und der endlosen Weite ringsum, sausten die zwei Neuvermählten, in ehrfurchtsvolles Schweigen versunken, dem Mond entgegen.
Auf einmal hob EVA, die bisher bequem an ADAMs Schulter gelehnt hatte, den Kopf. »Oh, ADAM, ich denke eben an Callaghans Hochzeitsgeschenk.« Sie griff in das Kartenfach und holte das kleine Paket heraus. »Wollen wir es jetzt aufmachen?«
»Ja, mach es auf.«
»Welche hübsche Verpackung. Ich denke, ich verwahre mir das Seidenband.« Mit typisch weiblicher Sparsamkeit steckte sie das Seidenband zu sich und entnahm dem Goldpapier eine würfelförmige Schatulle aus weißem Leder; in goldenen Buchstaben war dem Deckel der Schatulle der Name eines exklusiven Miami-Juweliers aufgeprägt. »Oooh, was es auch sein mag – es sieht teuer aus!« Sie klappte den Deckel hoch, spähte in die mit zart rosafarbener Watte ausgelegte Schatulle und stieß einen kleinen Entzückensschrei aus. »Oh, ADAM – ist das schön!«
»Was ist es?«
Sie hob den Gegenstand aus der Schatulle und hielt ihn auf der flachen Hand. »Von allen Dingen dieser Welt – ein goldener Apfel! Ein atemberaubend schöner goldener Apfel!«
ADAM lachte leise. »Ja, unser alter Callaghan!«
EVA stimmte in ADAMs Lachen ein. »ADAM und EVA und die verbotene Frucht. Und dort oben –«, sie wies auf den großen silbrigen Himmelskörper, der vor ihnen zu sehen war, »– dort oben der Garten Eden.«
»Der Garten Eden.«
»Versprich mir etwas, ADAM.«
»Alles, mein Engel«, gelobte er und zog ihren Kopf zärtlich wieder an seine Schulter. »Alles.«
»Da ich vergessen habe, Reiseproviant einzupacken – versprich mir, daß du nichts von diesem Apfel abbeißen wirst ...«