7

 

 

»Skalpell«, sagte Dr. Ehrick.

»Skalpell«, wiederholte die Operationsschwester und legte ihm ein Skalpell in die ausgestreckte Hand.

»Nähen.«

»Nähen.«

»Bitte, wischen Sie mir die Stirn, Schwester.«

Die Schwester wischte die Schweißtröpfchen fort, die dem alten Doktor in die Gazemaske zu laufen drohten.

»Schraubenzieher.«

»Schraubenzieher«, wiederholte die Schwester und reichte das Gewünschte.

»Die verdammteste Operation, die ich in meiner jahrzehntelangen Laufbahn erlebt habe«, raunte General Fletcher, der mit Major Callaghan am Geländer einer Zuschauerrampe lehnte und wie gebannt beobachtete, was unten am Operationstisch im gleißenden Licht der Tiefstrahler geschah.

Dr. Ehrick war beim Endstadium des kühnen Unternehmens, Horace Murphys lebendes Gehirn in den Körper des Automaten zu verpflanzen. Die Operation hatte sich unglaublich lange hingezogen. Das Gehirn am Leben zu erhalten, während seine Nervenenden mit dem elektronischen Nervenzentrum in ADAMs Brust verbunden wurden – das war eine Aufgabe gewesen, die höchste Anforderungen an Dr. Ehricks Können, Geschicklichkeit und Geduld stellte, und ebenso an Können, Geschicklichkeit und Geduld seiner Assistenten und der Elektronik-Experten, die den Operationstisch umlagerten. Bisweilen wurde die Situation fast grotesk, da Lötkolben und Schraubenzieher als chirurgische Instrumente dienten und die Techniker, bekittelt und maskiert wie Ärzte, begreiflicherweise etwas Mühe hatten, sich immer wie erfahrene Operationsärzte zu verhalten.

Dank Dr. Ehricks überlegener Umsicht gab es aber nur zwei unbedeutende Pannen. Die erste betraf den versehentlich von einem Skalpell kupierten Daumennagel eines Elektronikingenieurs, die zweite den Gummihandschuh einer Operationsschwester, der während der langwierigen Montage eines Nervenstranges an ADAMs rechter Brustwarze festgeklebt war und sich nur mühsam entfernen ließ.

Nach fast neun Stunden konzentrierter Arbeit war es endlich so weit, daß Dr. Ehrick eine abschließende Kontrolle der vollzogenen Einbauten vornehmen konnte. Die Gehirnpumpe arbeitete wie ein Präzisionsuhrwerk; alle Verbindungen waren hergestellt, mit Plastik versiegelt und funktionierten einwandfrei. Das Gehirn selbst ruhte sicher in seiner Plastikhaut; eine dünne Spezial-Schaumgummischicht isolierte es gegen die Schädeldecke.

»Schwester, zählen Sie die Tupfer, Instrumente, Schraubenzieher und anderen Werkzeuge. Wenn wir keins in unserem Patienten vergessen haben, können wir die Öffnung jetzt schließen.«

Eine schnelle Zählung ergab, daß alles vorhanden war.

»Dann, Gentlemen, schließen wir die – äh, hätte fast gesagt, Wunde. Aber hier sollte es wohl Montageluke heißen.« Dr. Ehrick paßte die Titaniumsbrustplatte auf die Öffnung und ließ von den Technikern die Halteschrauben festdrehen. Dann wurde die bis zur Hüftgegend hinabgerollte Plastikhaut über ADAMs Oberkörper gezogen und am Rücken durch Spezialreißverschlüsse gesichert. Die lange Operation war beendet.

Der alte Doktor zog die Gummihandschuhe aus und berührte mit fast ehrfurchtsvoller Geste die Stirn der reglosen Gestalt auf dem Operationstisch. »Nun, ADAM M-1, ab in den Erholungsraum mit Ihnen. Wenn Ihre Anästhesie nachläßt, werden wir Ihr Nervenzentrum einschalten. Erst dann wird sich zeigen, ob die Operation ein Erfolg war. Was immer wir getan haben – zum Guten oder zum Bösen –, wir taten es im Namen der Wissenschaft. Sollten wir uns versündigt haben, so möge Gott – in seiner unendlichen Weisheit – uns vergeben und unsere irregeleiteten Schritte auf den rechten Weg zurückführen.« Im Operationssaal war es totenstill. Einen Augenblick später fügte der Doktor hinzu: »Captain McDermott, bitte bringen Sie ADAM in den Erholungsraum.«

Als McDermott und eine Schwester den Tisch mit der reglosen Gestalt aus dem Operationssaal rollten, räusperte sich C. C. Callaghan und murmelte: »Bis nachher, ADAM. Dann werden wir wissen, ob du eine Figur der Zeitgeschichte bist oder auf den Schrotthaufen gehörst. Aber wie es auch kommen mag – Gott sei deiner Seele gnädig.«

»Amen«, raunte General Fletcher.

 

Eine Stunde später. In erwartungsvollem Schweigen umringte die Schar weißbekittelter Männer die reglose Gestalt auf dem Operationstisch. Dr. Ehrick schlug die Decke zurück, so daß ADAMs Kopf und Oberkörper enthüllt wurden, und sagte zu einem Assistenten: »Kontrollieren Sie die Gehirnfunktionen.«

Der Assistent legte ein zangenförmiges Meßgerät an ADAMs Schädel, beobachtete sekundenlang die Skala des Geräts und erwiderte: »Die Gehirnfunktionen scheinen normal zu sein. Allerdings sind sie sehr ruhig.«

»Das liegt an der schweren Betäubung und wird bald vergehen. Entfernen Sie die Elektroden.«

Der Assistent zog die langen Nadeln aus ADAMs Schädeldecke. »Elektroden entfernt.«

»Kontrollieren Sie die Gehirnpumpe.«

Der Assistent tat es und meldete: »Fünfzig Umdrehungen in der Minute, gleichbleibend.«

»Ausgezeichnet! Die Gehirnpumpe arbeitet präzise«, sagte der Doktor, diesesmal an alle Umstehenden gewandt. »Das Gehirn ist noch nicht voll erwacht. Falls der Patient jetzt überhaupt schon sprechen kann, wird es zusammenhanglos sein. Sind Sie bereit, Gentlemen?« Die Köpfe hinter den Gazemasken nickten.

»Gut!« Dr. Ehrick tastete unterhalb von ADAMs Brustkasten nach einer kaum wahrnehmbaren, in die Plastikhaut geschnittenen Klappe und öffnete sie, wodurch eine kleine Kontrollplatte freigelegt wurde. »Ich werde jetzt«, sagte er, nachdem er die Spitze seines rechten Zeigefingers auf einen winzigen Schaltknopf gelegt hatte, »den Stromkreis zwischen der Batterie und dem Nervenzentrum schließen. Dies soll den ersten astro-dynamisch adjustierten Weltraummann, Mr. ADAM M-1, zum Leben erwecken.« Er drückte den Schaltknopf.

Die Augen aller Anwesenden waren auf ADAMs Gesicht gerichtet. Atemlos suchte jeder nach dem ersten sichtbaren Lebenszeichen. Das Gesicht blieb still, die Augen geschlossen. Nur das leise Schnurren der Gehirnpumpe tönte durch die bleierne Stille.

»Jeden Moment wird sich offenbaren«, sagte Dr. Ehrick, »ob es möglich ist, ein menschliches Gehirn zu verpflanzen.« Er sagte es so leise, als spräche er zu sich selbst. »Bald werden wir wissen, ob man ein menschliches Gehirn in eine fremde Umgebung bringen kann, ohne die Charaktereigenheiten, die Erinnerungen, kurzum die Persönlichkeit des früheren Eigentümers auszulöschen. Jede Sekunde nun kann der Moment kommen, auf den wir alle warten ...«

ADAM blieb reglos. Er lag da wie eine Schaufensterpuppe. Das Warten begann unerträglich zu werden. Dr. Ehrick drückte den Schaltknopf abermals. Noch keine Reaktion. Schweißtröpfchen standen auf der Stirn des Doktors, als er eine neue Überprüfung aller Systeme anordnete. Seine Assistenten setzten die Kontrollgeräte an und meldeten einer nach dem anderen, daß alles normal funktioniere. Dr. Ehrick begann eine gründliche Inspektion von ADAMs Oberkörper und wurde von Minute zu Minute unruhiger.

»Ich verstehe es nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Alles funktioniert normal, aber unser Patient reagiert noch immer nicht.« Schließlich traf er eine verzweifelte Entscheidung: »Jetzt bleibt uns nur noch eins zu tun. Öffnet den Reißverschluß und streift ADAMs Haut bis in die Hüftgegend hinunter.«

Die Anordnung wurde in Sekundenschnelle befolgt. Die nach unten gestreifte Plastikhaut legte das strahlungssichere Titaniumgehäuse frei, das die elektronischen Anlagen der Gestalt beherbergte.

»Schraubt die Brustplatte los.«

Schraubenzieher blitzten unter den Tiefstrahlern. Im Nu war die Brustplatte entfernt. Als ADAMs mechanische Eingeweide in Sicht kamen, drängten sich zehn, zwölf neugierig nach vorn geneigte Köpfe um die Öffnung. Jeder wollte die Ursache der Störung entdecken.

»Gentlemen«, bat der geplagte Doktor, »bringen Sie Ihre Köpfe aus dem Weg! Sie versperren mir die Sicht. Treten Sie alle zurück.« Die Assistenten gehorchten, und nun fiel das Licht der Tiefstrahler ungehindert in den Hohlraum. Behutsam griff Dr. Ehrick in die Öffnung und tastete sich durch das Gewirr von Röhren, Kontaktstäben und Stromkabeln, die das Nervenzentrum umgaben. Einige Minuten vergingen. Dann zog er seine Hände aus der Öffnung, richtete sich auf und sagte zu einer in der Nähe stehenden Schwester: »Wischen Sie mir die Stirn, bitte.« Nachdem dies geschehen war, wandte er sich an seine Assistenten: »Ich habe nichts finden können, was fehlerhaft wäre. Es ist mir unverständlich. Alles funktioniert tadellos, und doch ...«

»Doktor, sehen Sie«, rief einer der Assistenten und wies auf die Stelle im oberen Teil der Höhlung. »Dort glitzerte etwas im Licht, als Sie Ihren Kopf hoben. Was mag das sein, so nahe der Gehirnpumpe?«

Doktor Ehrick spähte zu der bezeichneten Stelle. »Zange, bitte.« Er nahm die unverzüglich dargereichte Zange und führte sie in die Öffnung. Kurz danach brachte er einen Gegenstand zum Vorschein, den die Backen der Zange fest umschlossen hielten. »Gütiger Himmel«, rief er aus, als er den Gegenstand im Licht der Tiefstrahler betrachtete.

»Was ist es?« fragte McDermott neugierig.

»Gütiger Himmel«, wiederholte der Doktor kopfschüttelnd. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er hinzufügte: »Anscheinend hätten wir nach der Operation nicht nur die Instrumente zählen lassen sollen, sondern auch die ringsum vorhandenen Talismane. Dies, meine Freunde, ist ein mumifiziertes Karnickelpfötchen mit einer kleinen Goldkette daran – ein Glücksbringer. Das Kettchen dürfte den elektrischen Antrieb des Nervenzentrums kurzgeschlossen haben.«

»Ich will verdammt sein«, knurrte McDermott bestürzt.

»Verdammt wird unser Freund hier auf dem Operationstisch sein, wenn wir nicht ganz schnell handeln! Macht ADAM wieder zu!«

In fieberhafter Eile wurde die Brustplatte aufgelegt und verschraubt, die Plastikhaut zurechtgezogen und mit dem Reißverschluß gesichert. Als ADAM wieder ein respektables Ganzes darstellte, sahen die Anwesenden ehrfürchtig zu, wie Dr. Ehrick den Schaltknopf abermals betätigte. »Lassen Sie uns hoffen«, sagte er dabei, »daß das Karnickelpfötchen für Mr. ADAM glückbringender war, als es dies für das Karnickel selbst gewesen ist.«

Als der Stromkreis durch den Knopfdruck geschlossen wurde, schien ein leichtes Zittern durch die reglose Gestalt zu gehen. Diesem ersten Zittern folgten in kurzen Abständen vier, fünf weitere. Sie alle liefen wellenförmig durch den ganzen Körper. Und dann – langsam, fast unmerklich – geschah es. Da war ein winziges, aber unmißverständliches Flattern der Augenlider. Die Umstehenden hielten den Atem an. Langsam, ganz langsam öffnete sich das rechte Augenlid. Das azurblaue Auge starrte einen Moment lang an den Tiefstrahlern vorbei zur Decke des Saales und blinzelte einigemal, zuerst zögernd, dann immer schneller. Vermutlich zufrieden mit dem, was es sah, schien er seinen Partner zu verständigen, und nun ging auch das linke Auge auf. Dann – als wollten die Augen ihre Bewegungsfähigkeit prüfen – blickten sie rings umher, um schließlich, einen nach dem anderen, die Umstehenden zu betrachten.

Die Lippen begannen sich zu bewegen. Unwillkürlich beugten alle Anwesenden die Köpfe nach vorn, um keine Silbe der ersten Äußerung zu verlieren. Die Lippen machten ein paar Fehlstarts, doch dann erklangen – laut und deutlich, ein schöner Beweis für das Funktionieren des besten Hi-Fi-Sprechsystems, das je entwickelt worden war – ADAM M-1s erste Worte. Sie lauteten: »Himmel! Was für ein Riesenkater!«

Ein Augenblick tiefster Stille folgte. Zum erstenmal in seiner langen, ruhmreichen Laufbahn vergaß der gute Dr. Ehrick alle ärztliche Würde und schrie: »Sieg! Sieg! Wir haben es geschafft!«

»Verdammt, ja«, war alles, was McDermott über die Lippen brachte.

Sogleich nach seinem Begeisterungsausbruch fand Dr. Ehrick zur gewohnten Sachlichkeit zurück. Er legte ein Ohr an ADAMs Brust, um zu lauschen, und herrschte dabei seinen Patienten an: »Jetzt nicht reden!«

Dessenungeachtet verkündete ADAM mit ziemlich tiefer, ein wenig hohl klingender Baritonstimme: »Irgendein krummer Hund muß mir ein Betäubungsmittel in den letzten Drink geschmuggelt haben. War noch nie so blöd im Kopf.«

»Gehirnpumpe funktioniert normal, fünfzig Umdrehungen in der Minute«, raunte der Doktor der neben ihm stehenden Krankenschwester zu, die es sofort auf ihren Stenoblock schrieb.

»Pfui Spinne«, klagte ADAM, »in meinem Mund ist ein Geschmack wie nach ausgelatschten Turnschuhen.«

»Reaktionen des Nervenzentrums normal«, fuhr der Doktor fort. Die Krankenschwester notierte es.

»Hatte schon manchen Kater, aber dieser ist überwältigend«, ließ ADAM sich vernehmen. »Zum Kuckuck, ich kann meine Zunge nicht finden.«

»Hör- und Sehfähigkeiten anscheinend ausgezeichnet«, diktierte der Doktor und begann die azurblauen Augen zu untersuchen, die etwas verstört dreinblickten.

»He, Doktor«, tönte es aus ADAMs Mund. »Sie sind doch ein Arzt, nicht wahr? Ist Ihnen meine Zunge nirgendwo untergekommen? Ich scheine das gute Stück verlegt zu haben.«

»Hydraulischer Druck zweihundertfünfzig, bei Ruhelage des Patienten. Hydraulikpumpe funktioniert normal.«

»Doktor, ich will Ihnen ja nicht lästig fallen. Aber mir ist so seltsam. Was haben Sie mit meiner Zunge gemacht?«

»Motorische Reflexe ausgezeichnet. Wie erwartet, zeigt Patient als Folge der schweren Betäubung einige Symptome von Verwirrung und Neigung zu Halluzinationen. Alles in allem erweist erste Untersuchung, daß Patient die Operation gut überstanden hat. So, das wäre für den Moment alles, Schwester. Eine gründliche Untersuchung werden wir vornehmen, wenn der Patient etwas Ruhe gehabt hat.« Der Doktor zog die Decke wieder über ADAMs Brust. »Und nun, Sir«, wandte er sich an die vor ihm liegende Gestalt, »was hatten Sie da über Ihre Zunge zu erzählen?«

»Ich kann sie nicht finden, Doc. Und ich weiß genau, daß ich sie heute früh beim Zähneputzen noch hatte.«

»Mein Freund«, sagte Dr. Ehrick ernst, »machen Sie sich auf einen kleinen Schock gefaßt. Sie haben keine Zunge mehr.«

»Was? Keine Zunge mehr?« Die azurblauen Augen weiteten sich erschrocken.

»So ist es. Sie haben keine Zunge mehr.«

»Lachhaft. Was sollte mit meiner Zunge – aber halt. Sie haben mir die Zunge wegoperiert.«

»Das nun auch wieder nicht. Da ist einiges zu erklären. Sie werden alles erfahren, wenn Sie sich von Ihrer Betäubung erholt haben. Wegen der Zunge machen Sie sich keine Sorgen. Sie brauchen künftighin keine Zunge mehr.«

»Ich brauche keine Zunge mehr? Und womit soll ich, zum Beispiel, Briefmarken anlecken?«

»Schwester, eine Beruhigungsspritze. Sein Gehirn muß ausruhen, um die Strapazen der Operation zu überwinden.«

»Es war eine nette Zunge«, jammerte ADAM. »Und nun ist sie weg. Was, zum Teufel, soll ich jetzt den Leuten herausstrecken, die ich nicht mag?«

»So«, sagte der Doktor, nachdem die Schwester die Injektion verabfolgt hatte, »das dürfte es tun. Wenn er sich vom Schock der Operation völlig erholt hat, werden wir die Untersuchung fortsetzen.« Die Injektion wirkte unverzüglich. ADAM schloß die Augen und war wenige Sekunden später fest eingeschlafen. »Also, Gentlemen«, resümierte Dr. Ehrick, »wie es scheint, erweist sich die Operation als ein voller Erfolg. Ich möchte Sie alle beglückwünschen. Heute haben wir medizinische Geschichte gemacht.«

»Ich denke, das sollte gefeiert werden«, äußerte McDermott und nahm die ungewohnte Gazemaske ab, die ihn beim Sprechen behinderte. »Was meinen Sie dazu, Doktor?«

»Eine gute Idee«, bestätigte Dr. Ehrick. »Gehen wir alle in den Umkleideraum, ja? Ich habe dort für diese Gelegenheit eine Flasche echten Schwarzwälder Kirsch bereitgestellt.« Der Vorschlag fand einmütige Zustimmung. »Schwester Riley«, fügte der Doktor hinzu, »bitte, bleiben Sie bei dem Patienten und benachrichtigen Sie mich sofort von jeder Veränderung.«

»Sehr wohl, Doktor«, erwiderte die Schwester. Als die Männer hinausgegangen waren, rückte sie einen Stuhl neben den Operationstisch mit der ruhig atmenden Gestalt, setzte sich, blickte in ADAMs heiteres, hübsch geformtes Gesicht und griff unwillkürlich nach dem goldenen Kettchen an ihrem Hals. Sie empfand eine seltsame Verbundenheit mit dem jungen Weltraummann. Das Karnickelpfötchen, das sie bei schwierigen Operationen immer als Glücksbringer bei sich trug, war ihr heute mitsamt der Kette aus unerklärlichen Gründen vom Hals gefallen und hätte sich beinah als verhängnisvoll für den interessantesten Patienten erwiesen, den sie je gehabt hatte. Sie fühlte, daß sie diesem halb menschlichen, halb synthetischen Wesen etwas schuldete.

Natürlich würde sie nachher Dr. Ehrick wegen des Zwischenfalls um Nachsicht bitten müssen. Einstweilen aber nahm sie ADAMs rechte Hand in ihre eigene rechte Hand und machte es sich für eine lange Wache bequem.

 

»Wer sagt, daß ich keinen Martini bekommen darf?« begehrte ADAM auf. »Wenn je einer einen Martini gebraucht hat, dann ich.«

»Ich sage, daß Sie keinen Martini bekommen. Ich, Schwester Susan Riley. Jetzt seien Sie hübsch ruhig, oder ich rufe Doktor Ehrick!«

»Rufen Sie ihn. Vielleicht kann ich ihm einen Martini abschwätzen.«

»Bitte, ADAM. Sie dürfen sich nicht aufregen. Sie brauchen noch Ruhe.« Es war am Nachmittag des Tages nach der Operation. Schwester Riley, allein mit ihrem Patienten, war besorgt über seine plötzliche Ungebärdigkeit.

ADAM sah die hübsche Krankenschwester, die ihn aus großen, ängstlichen Augen betrachtete, zum erstenmal etwas genauer an und empfand jähes Mitgefühl, wenn sogar noch etwas mehr. »Tut mir leid, Schwester«, sagte er mit nun viel sanfterer Stimme, »ich wollte Ihnen keinen Kummer machen. Aber ich habe einige Schwierigkeiten, mich an meine neue Daseinsform zu gewöhnen. Man wacht nicht jeden Tag auf und entdeckt, daß man aus einem noch ziemlich brauchbaren menschlichen Körper in ein synthetisches Gehäuse mit Pumpen, elektronischen Einrichtungen und allen möglichen anderen Raffinessen umgezogen ist. Das verursacht einen gewissen Schock.«

»O ja, ich weiß. Doktor Ehrick sagte, nachdem er heute früh mit Ihnen gesprochen hatte, daß Sie einen Depressionsanfall haben würden. Aber er sagte auch, diese Depression würde bald wieder vergehen.«

»Vergehen? Glaubt er das wirklich?«

»Er sagte, Sie seien von Natur aus ein glücklich veranlagter Bursche, und das würden Sie auch wieder werden, sobald Sie sich ganz erholt haben.«

»Wie kann jemand glücklich sein, wenn er den Eindruck macht, als sei er direkt aus Disneyland geliefert worden?«

»Ach, Sie sehen nur die düstere Seite der Sache.«

»Ja, das tue ich. Vielleicht könnte ein Martini dagegen helfen.«

»Vergessen Sie nicht – Sie waren tödlich verwundet. Ohne Doktor Ehrick und seine geniale Anwendung neuester wissenschaftlicher Möglichkeiten wären Sie nicht hier.«

»Das habe ich bedacht, Schwester. Aber ich finde, es ist ein verdammt geringer Trost.«

»Außerdem haben Sie sich freiwillig zu diesem Experiment angeboten. Vergessen Sie das nicht.«

»Als ich mein Gehirn der Wissenschaft vermachte, war ich nicht im Bilde über das, was hier geschehen könnte. Ich ahnte nichts davon. Ich dachte, man würde mein Gehirn bei der Harvard-Universität zunächst in Spiritus legen, um es vielleicht später einmal zu sezieren oder so. Was hier damit gemacht wurde, ist lächerlich.«

»Sie reden, als hätte man Sie in eine Art Ungeheuer verwandelt! Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Ich finde Sie hübsch – eine Art kleinerer und jüngerer Cary Grant aus abwaschbarem Plastik.«

»Sehr spaßig.«

»Außerdem sind Sie dazu bestimmt, ein weltberühmter Astronaut zu werden, bewundert von der ganzen Menschheit!«

»Herrliche Zukunftsaussichten. Im Moment wäre ich allerdings mehr an einem Martini interessiert.«

»Sehen Sie sich Ihr neues Äußere doch mal an – attraktiv, zweckmäßig gestaltet, unanfällig gegen Abnutzungs- und Alterungserscheinungen.«

»Ich hatte nicht viele Klagen über das alte. Es sah sich leidlich an, ohne direkt auffallend zu sein. Und es funktionierte recht gut, bis jemand eine Unterwasserharpune hineinschoß. Aber weil Sie davon sprachen, wollen wir meinen neuen Körper mal betrachten.« ADAM schob seine Decke bis zur Taille hinab. »Da sind ein paar Dinge, über die ich mir noch nicht klar bin. Wahrscheinlich habe ich nicht genug aufgepaßt bei der ersten Unterweisung, die der gute Doktor mir heute früh gab.«

»Wollen wir von oben anfangen? Mit Ihrem Haar? Oder hat Doktor Ehrick es Ihnen schon erklärt?«

»Eigentlich hat er mehr darüber geredet, was für ein großer wissenschaftlicher Fortschritt ich bin. Er sagte, da würde noch viel Zeit für Erläuterungen sein, wenn ich die Folgen der Betäubung ausgeschlafen hätte. Ich nehme an, jetzt habe ich sie ausgeschlafen.«

»So scheint es. Auch Ihre Depression dürfte bald überwunden sein.«

»Meinen Sie nicht, daß da ein Martini helfen würde?«

»Doch. Ich werde mit dem Doktor darüber sprechen, wenn er kommt. Er ist bald fällig.«

»Ich glaube, ich fange an, Sie zu mögen, Schwester.« Susan war überrascht, ihre rechte Hand plötzlich in der von ADAM zu finden. »Wie heißen Sie?«

»Susan Riley.«

»Ein hübscher Name. Darf ich Sie Suzy nennen?«

»Sie dürfen«, antwortete Susan und entzog ihm ihre Hand. Lächelnd fügte sie hinzu: »Lassen Sie uns nun die Einzelheiten durchnehmen. Hier ist ein Spiegel. Ich werde Ihnen Ihren neuen Körper erklären. Zuerst Ihr Haar ...«, sie wurde von ADAM unterbrochen.

»Entschuldigen Sie, Suzy, aber das ist eine höchst merkwürdige Sensation!«

»Was?«

»Den eigenen Körper von jemand anders erklärt zu bekommen. Wieviel wissen Sie über meinen Körper?«

»Ungefähr alles, nehme ich an. Ich bin als staatlich geprüfte Krankenschwester eigens noch in allen medizinischen Fragen der Weltraumfahrt ausgebildet worden. Doktor Ehrick verlangte eine qualifizierte Fachkraft für dieses Projekt. Ich habe schon bei den Entwurfsarbeiten mitgewirkt.«

»Demnach kennen Sie alle kleinen intimen Einzelheiten meines mit Pumpen und anderen Präzisionsmaschinerien ausgestatteten Körpers?«

»Freilich. Ich weiß sogar, welche Teile geölt werden müssen, und wie oft.«

»Mein Gott! Ich erröte bei dem bloßen Gedanken.«

»Lassen Sie sich nicht verwirren. Schließlich bin ich eine Krankenschwester. Nun also zu Ihrem Haar.« Während Susan die vielen Vorzüge weißer Nylonhaare erläuterte, studierte ADAM sie als Frau. Daß sie Krankenschwester war, hinderte sie nicht daran, sehr hübsch zu sein. Ihr rotes Haar wurde nur teilweise von dem Häubchen verdeckt, das ihr kokett auf dem Hinterkopf saß. Sie hatte strahlende grünliche Augen, die auf irische Herkunft schließen ließen. Und ihr niedliches Stupsnäschen war geschmackvoll mit genau der richtigen Anzahl Sommersprossen geschmückt. Ihre kleine schlanke Gestalt schien – soweit sich dies trotz der Schwesterntracht erkennen ließ – sehr reizvolle Formen zu besitzen.

»Ha«, sagte ADAM, »wie glücklich bin ich, zu wissen, daß mein Haar motten- und feuersicher ist! Ihr Haar hat diese Vorzüge vermutlich nicht. Aber dafür ist es wunderschön.«

»Nun zu Ihren Augen«, fuhr Susan fort, ohne auf die Zwischenbemerkung zu achten.

»Ja, warum nicht zu meinen Augen?«

»Obwohl sie völlig normal aussehen, besitzen sie eingebaute polarisierte Lichtmesser, welche die Pupillen automatisch auf Helligkeit oder Dunkelheit einstellen. Sie können also stundenlang in die Sonne starren und im Dunkeln besser sehen als eine Katze. Außerdem haben Ihre Augen teleskopische Eigenschaften. Sie können sie, durch einfache Konzentration, wie ein Fernglas oder wie die stark vergrößernde Linse einer Fernkamera auf irgendein beliebiges Objekt einstellen. Wollen Sie es probieren?«

»Unbedingt«, rief ADAM, der offenbar begann, seinen neuen Körper interessant zu finden.

»Sehen Sie den Türknauf dort drüben?«

»Ganz deutlich.«

»Versuchen Sie, sich darauf zu konzentrieren. Wenn die Optik-Firma erfüllt hat, was verlangt wurde, müßten Sie den Türknauf in immer stärker werdender Vergrößerung sehen. Funktioniert es?«

»Noch nicht.«

»Versuchen Sie es weiter. Konzentrieren Sie sich stark. Vielleicht erfordert es ein wenig Übung.«

ADAMs Augenlider waren zu schmalen Schlitzen geschlossen. Er versuchte es so angestrengt, daß Susan meinte, eine leichte Beschleunigung der Pumpenrotation zu bemerken. »Ah, jetzt«, rief er. »Der Türknauf kommt näher. Donnerwetter, gleich ist er schon so groß wie ein Medizinball. Ich kann kleine Kratzer auf ihm erkennen, sogar Fingerabdrücke. Und das Verblüffendste – er bleibt genau im Fokus. Alles haarscharf. Jetzt füllt er mein ganzes Blickfeld.«

»Gut. Die Optik-Firma darf stolz darauf sein. Sie hat ihre besten Leute an diese Aufgabe gesetzt. Mit einiger Übung sollten Sie imstande sein, dreißig- bis vierzigfache Vergrößerung zu erzielen.«

»Enorm!« Um seine neue Fähigkeit zu erproben, ließ ADAM seine Blicke bald hierhin, bald dorthin wandern. Schließlich blieben sie auf Susans Gesicht gerichtet. »Hei, das ist überwältigend«, rief ADAM. »Ihr Mund in Breitwand-Technicolor. Prachtvoll, unbeschreiblich prachtvoll. Ein weites Feld sanfter roter Lippen. Ich wünschte mir, barfuß darauf herumzulaufen.«

»Halt, ADAM! Drehen Sie Ihr Teleskop zurück, damit wir unsere Erläuterungen fortsetzen können.« Susan spürte, wie ihr hinter der beherrschten Berufsmiene jähe Wärme in die Wangen stieg.

»Ja, setzen wir die Erläuterungen fort.«

»Als nächstes wären da Ihre Augenlider ...«

»Holla, ich scheine steckengeblieben zu sein. Komisch. Aus irgendeinem Grund ist mir Ihr Busen ins Blickfeld geraten, mindestens zwölfmal vergrößert. Absolut atemberaubend. Wie die rollenden Hügel von Kentucky ...«

»Ich werde Ihnen helfen, ausgerechnet dort steckenzubleiben, Freundchen!« Susan gab ihm einen mahnenden Klaps gegen den Kopf. »Jetzt benehmen Sie sich.«

»Oh, Schwester, nehmen Sie Rücksicht auf meine Nahtstellen. Sie wissen, was der Doktor gesagt hat.«

»Nach der Art, wie Ihr Gehirn arbeitet, scheinen Sie schon völlig erholt zu sein. Mir wird ja immer unbegreiflich bleiben, warum man nicht etwas wählerischer war und lieber das Gehirn eines netten alten Mannes genommen hat. Nun haben wir uns einen Weltraum-Casanova ausgebrütet.«

»Oh, Schwester, beruhigen Sie sich. Ich werde brav sein. Es kam nur, weil ich noch nie zuvor einen so raumfüllenden Busen gesehen hatte ...«

»Das ist genug.«

»Jawohl, Schwester, jawohl.«

»Der gute Doktor Ehrick war ganz aus dem Häuschen, als er entdeckte, daß Ihre Persönlichkeit und Ihr Charakter von der Operation nicht verändert worden waren. Ich glaube, er hätte nicht so sehr jubilieren sollen. Eine veränderte Persönlichkeit wäre vielleicht eine beträchtliche Vervollkommnung gewesen.«

»Ach, Schwester, was reden Sie da? Ist es nicht grausam, so etwas einem Mann zu sagen, der eigentlich auf dem Totenbett liegt?«

»Ich weiß alles über Ihre Ausschweifungen, Schwerenöter. Sie waren in Los Angeles und Umgebung als ziemlicher Wüstling bekannt. Nicht wahr, so ist es doch?«

»Oh, das würde ich nicht sagen.«

»Nun, ich hörte im Radio, daß die weiblichen Stammgäste im ›Whisky-Go-Go-Club‹, im ›Golden Anchor‹, im ›Body Shop‹, in der ›Pink Pussy Cat‹ und in einigen anderen Lokalen beschlossen haben, anläßlich Ihres Hinscheidens mindestens eine Woche lang in Schwarz zu gehen.«

»Ich will nicht leugnen ...«

»Heute mittag berichtete das Radio sogar, daß man Polizeihunde einsetzen mußte, um die Menge schwarzverschleierter Frauen auseinanderzutreiben, die nach der Beisetzung Ihrer sterblichen Überreste nicht von Ihrem Grab weichen wollten. Sie scheinen ein recht abwechslungsreiches Leben ...«

»Ich will bekennen, daß da gelegentlich etwas unsolide Abende waren, wenn einige von uns armen, einsamen Testpiloten ins Städtische Junggesellenheim gingen, um Ping-Pong zu spielen und Ingwerbier zu trinken, manchmal bis zehn oder halb elf Uhr nachts. Aber das alles liegt hinter mir, Schwester Suzy. Das war, ehe ich Sie traf.«

»Oh, nun machen Sie einen Punkt.«

»Wahrhaftig, jetzt bin ich es ganz zufrieden, nur in Ihre schönen Augen zu sehen und die milde Zärtlichkeit Ihrer kühlen Hände an meiner fiebrigen Stirn zu fühlen.« Er blickte sie schmachtend an.

Mit einiger Mühe unterdrückte Susan ihre Verwirrung, räusperte sich und fuhr fort: »Also, Ihre Augenlider. Sie sind mit winzigen Gummiwischern versehen, die Ihre Augäpfel bei jedem Blinzeln automatisch reinigen. Dadurch bleibt Ihre Sicht selbst bei stärkstem Regen klar.«

»Fein.« ADAM blinzelte einigemal. »Wunderbar. Eines Tages werde ich ein Buch darüber schreiben, und ...«

»Als nächstes – Ihre Nase. Wenn Sie darauf achten, werden Sie bemerken, daß durch Ihre Nasenlöcher ständig etwas frische Luft einströmt. Das kommt durch kleine Ventilatoren, welche die Luft ansaugen, um das Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen und die Gehirnpumpe zu kühlen. Sie müssen sich daran erinnern, die Anlage auszuschalten, wenn Sie schwimmen gehen. Andernfalls würden Sie Wasser einsaugen und sich selbst kurzschließen.«

»Schwimmen gehen? Sie meinen, ich kann diesen Sammelbehälter technischer Raffinessen in Wasser tauchen?«

»Selbstverständlich. Sie sind absolut wasserfest.«

»Oh, ich bin glücklich, das zu hören.«

»Gewisse Vorsichtsmaßnahmen müssen Sie allerdings beachten. Zum Beispiel müssen Sie Ihre Luftpumpe abschalten. Zu gegebener Zeit werden Sie gedruckte Instruktionen über alles dies erhalten. Sie müssen lernen, Ihre verschiedenen Systeme sozusagen im Schlaf zu beherrschen.«

»Jetzt verstehe ich, weshalb man das Gehirn eines Testpiloten haben wollte. Es ist wie das Ausprobieren eines neuen Flugzeugtyps.«

»Genau. Sobald Sie gelernt haben, mit Ihrem neuen Körper umzugehen, wird es wie beim Autofahren sein – Sie werden es automatisch tun.«

»Ich bin beeindruckt.«

»Wollen wir uns jetzt Ihrem Mund widmen?«

»Gut. Noch besser wäre es freilich, wir würden uns Ihrem Mund widmen.«

Susan ignorierte diese Bemerkung. Aus ihrer Stimme klang ein wenig Mitgefühl, als sie sagte: »Ich fürchte, Sie haben keine Zunge.«

ADAM überlegte einen Moment lang. »Richtig«, bestätigte er. »Ich erinnere mich einiger ›Halluzinationen‹ hierüber. Ich muß bekennen, daß es ein ziemlicher Schlag war.«

»Tatsächlich haben Sie gar keinen Bedarf für eine Zunge«, fuhr Susan strahlend fort, »da Sie nicht essen.«

»Ja, ich hörte davon. Ich werde das Essen vermissen. Ich war recht gut darin. Andererseits mag es von Vorteil sein, keinen Magen zu haben. Ich hatte seit einiger Zeit den Verdacht, daß ich in meinem alten Körper ein kleines Magengeschwür kultivierte. Manchmal brannte mir der Magen sehr unangenehm. Besonders nach mexikanischem Essen. Und rumpeln tat er. Er rumpelte ziemlich viel. Das hing wohl mit dem Fliegen zusammen. Rumpelt Ihr Magen auch?«

»Oh, hin und wieder tut das wohl jeder Magen. Ich habe allerdings Glück – meiner rumpelt nicht, meiner schnurrt wie eine zufriedene Katze, vor allem nach einer guten Mahlzeit.«

»Es ist hübsch, mit Ihnen zu sprechen, Schwester Riley. Sie sind sehr nett.«

Schwester Riley war überrascht zu sehen, das ADAM es irgendwie bewerkstelligt hatte, seinen Kopf ganz in die Nähe ihres Kopfes zu bringen. »Mir scheint«, sagte sie mit einem nicht sehr überzeugenden Versuch, krankenschwesternhaft sachlich zu klingen, »diese Unterhaltung ist ein wenig aus der Bahn geraten.«

»Tut mir leid, Schwester. Es soll nicht wieder vorkommen. Bitte, fahren Sie fort.«

»Nun –«, Susan räusperte sich, »hat es Sie nicht verwundert, daß Sie ohne Zunge so deutlich sprechen können?«

»Doch, dieser Gedanke ist mir durch den Kopf gegangen.«

»Ich bin keine Elektronik-Expertin, aber ich will versuchen es Ihnen zu erklären, wie es mir von einem Techniker der Gilfillan Corporation erklärt wurde.«

»Erklären Sie.«

»Ihre Gedankenwellen gehen direkt zum Nervenzentrum, wo sie sortiert und an einen Verstärker übermittelt werden, der sie an das Hi-Fi-Sprechgerät in Ihrer Kehle weitergibt. Ihre Lippenbewegungen sind auf die Worte synchronisiert, die Sie sprechen. Die Toningenieure haben Ihnen eine schöne, klangvolle Stimme verliehen. Singen Sie mal die Tonleiter.«

»Suzy, ich bin kein Sänger. Ich habe sogar das Singen unter der Dusche aufgegeben, weil mir eines Tages der Badezimmerspiegel in Stücke sprang.«

»Versuchen Sie es nur. Einfach die Tonleiter. Aaaaa ...«

ADAM versuchte es und war so verwundert über die reiche Fülle seiner Stimme, daß er die Tonleiter gleich wieder rückwärts sang. Dabei geriet er in immer tiefere und tiefere Töne bis er sich schließlich anhörte wie Paul Robeson.

»Für die tiefen Töne haben Sie einen besonderen Baßlautsprecher in der Brust«, erläuterte Susan. »Ihre Stimme ist wahrhaftig wunderbar.«

»Ich könnte verrückt werden«, stöhnte ADAM. »Seit je habe ich mir gewünscht, eine Stimme zu besitzen wie ein richtiger Sänger, und nun ...«

»Wie wär's mit einem Liedchen?«

»Oh, lieber nicht.«

»Zieren Sie sich nicht. Versuchen Sie es.«

»Nun, Sie haben es herausgefordert. Ich kenne da ein Seemannsliedchen. Hören Sie.« ADAM lehnte sich zurück und begann:

 

Sie war die Tochter des Admirals

und hatte einen lieblichen Hals,

doch die Seeleute sahen sie schwimmen geh'n

und fanden sie anderswo doppelt so schön,

als am Hals, als am Hals ...

 

»Fein, danke. Sie sind gut bei Stimme.«

»Das Liedchen geht noch weiter.«

»Danke, mir hat es genügt. Wenden wir uns nun Ihren Zähnen zu.«

»Gut, wenden wir uns meinen Zähnen zu.«

»Wie gefallen sie Ihnen?«

ADAM zog seine Lippen zurück, um zwei Reihen ebenmäßiger, strahlend weißer Zähne zu enthüllen, und betrachtete sie im Spiegel. »Prächtig. Zwar weiß ich nicht, wozu ich sie brauche, da ich nicht mehr esse. Aber es ist nett, sie zu haben.«

»Wozu Sie sie brauchen? Erstens, um hübsch auszusehen – was unleugbar der Fall ist. Zweitens enthält jeder Zahn der unteren Reihe ein Kristall für Ihr Ultrakurzwellengerät. Sie wissen noch nicht, daß Sie in der Zwerchfellgegend ein UKW-Gerät mit sechzehn Kanälen haben.«

»Schwester, Sie belieben zu scherzen – wie?«

»Ich scherze nicht. Die Radiofachleute sagen, Sie können so viele UKW-Stationen empfangen wie ein großes Düsenpassagierflugzeug.«

»Das glaube ich nicht.«

»Gut, ungläubiger Thomas, schalten wir es ein. Das wird Sie überzeugen.« Susan klappte die Decke zurück.

»Hee, Lady! Vorsicht!«

»Keine Angst, ich will nur Ihre Kontrolltafel freilegen.«

»Ich wüßte Ihnen Dank, wenn Sie Ihre Finger von meiner Kontrolltafel ließen – was auch immer damit gemeint sein mag.«

Susan kümmerte sich nicht um den Einspruch und ließ die kleine Klappe an ADAMs Taille aufspringen. »Sehen Sie dieses Knöpfchen? Es setzt Ihr Gerät in Betrieb und dient außerdem zum Wählen der verschiedenen Kanäle. Versuchen wir Kanal fünf. Das ist, glaube ich, der, den sie für den örtlichen Flughafen Randolph-Field benutzen.« Sie stellte Kanal fünf ein. »Natürlich ist es ein Transistorgerät und in Sekunden angewärmt.«

»Natürlich«, murmelte ADAM kopfschüttelnd, als aus seinem Innern laut und deutlich die Stimme des Kommandoturms von Randolph-Field ertönte, die einem landebereiten Flugzeug Anweisungen erteilte.

»Dies«, sagte Susan und deutete auf ein anderes winziges Knöpfchen, »ist die Lautstärkeregelung.«

»Ich will verdammt sein!« ADAM drehte das zweite Knöpfchen, um die Lautstärke zu mindern. »Ist es nur ein Empfänger, oder kann ich auch senden?«

»Selbstverständlich können Sie auch senden. Wenn wir einen Weltraummann bauen, dann machen wir ihn auch erstklassig. Aber vorläufig sollen Sie noch nicht senden. Das hat mit dem Wellenverteilungsplan zu tun und auch mit Geheimhaltung. Die Öffentlichkeit darf noch nichts von Ihnen erfahren.«

ADAM schaltete nacheinander einige andere Kanäle ein und lauschte bei jedem sekundenlang. »Suzy«, sagte er dann erregt, »mir scheint, ich kann beinah jeden Flughafen in hundert Meilen Umkreis empfangen! Fabelhaft! Aber was ich nicht verstehe – wie hat man ein solches Gerät in mir unterbringen können, ohne daß ich dadurch einen dicken Bauch oder anderweitige Ausbuchtungen bekomme?«

»Das hängt irgendwie mit außerordentlicher Verkleinerung zusammen – ›Miniaturisation‹, wie die Fachleute sagen, die es Ihnen erklären werden. Jedenfalls sind Sie innerlich ein furchtbar komplizierter Behälter für Transistoren und Widerstände und alles mögliche andere technische Zeug, aber äußerlich trotzdem hübsch.«

»Nett von Ihnen, das zu sagen.«

»Nicht der Rede wert. Wollen Sie etwas über Ihre Ohren wissen?«

»Sicher. Was ist darüber zu wissen?«

»Außer den Sendern, die Töne und Geräusche an Ihr Gehirn übermitteln, enthalten Ihre Ohren die Antennen für das UKW-Gerät.«

»Ah, verstehe.«

»Nun, soviel über Ihren Kopf. Ich habe es nur in groben Umrissen darlegen können. Sie werden eine Art Grundschule durchmachen, sobald Sie völlig geheilt sind. Die zuständigen Fachleute werden Ihnen dann alles im einzelnen auseinandersetzen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

»Über drei Millionen, doch die meisten haben Zeit. Nur eins möchte ich jetzt wissen. Werde ich je irgendwelches Gefühl in diesem Körper haben, den ich nun spazierentrage? Ich will nicht undankbar erscheinen. Aber ich meine – wenn ich trotz allem doch wieder lebendig sein soll, dann möchte ich ganz gern auch ein bißchen leben. Oder ist das zuviel erwartet bei einem Körper aus Plastik und Leichtmetall?«

Susan war von ADAMs ernstem Ausdruck tief berührt. Sie mußte sich erst räuspern, ehe sie antworten konnte: »Ich weiß, was Sie empfinden. Auch Doktor Ehrick weiß das – dessen dürfen Sie sicher sein. Er hat sein Bestes dazu beigetragen, Ihnen einen Körper zu geben, der so zweckmäßig wie möglich ist und es Ihnen dennoch angenehm macht, darin zu leben. Deshalb wurden in alle Ihre Gliedmaßen empfindliche Nervenenden geführt. Versuchen Sie Ihre Fingerspitzen. Sie sollten Gefühl darin haben.«

ADAM rieb seine Fingerspitzen gegeneinander, und ein Lächeln erhellte seine Züge. »Bei Gott, es ist Gefühl darin. Das hatte ich noch nicht bemerkt.« Er fuhr sich mit den Fingern über Gesicht und Brust. »Wunderbar! Ich kann fühlen!«

»Diese Fähigkeit wird noch zunehmen, je mehr sich die Verbindungen eingewöhnen. Vergessen Sie nicht – Sie haben eine schwere Operation durchgemacht, eine Art Neugeburt, und alles braucht seine Zeit.«

»Wo sonst werde ich noch fühlen können?«

Susans Wangen röteten sich. »Oh, ich denke – an gewissen exponierten Stellen. Zum Beispiel an Ihren Lippen.«

ADAM berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen. »Ich kann nicht unterscheiden, ob das Gefühl in den Lippen ist oder in den Fingerspitzen. Vielleicht, wenn meine Lippen von etwas Sanfterem berührt würden ...?«

»Wie etwa ...?«

»Wie etwa ein anderes Paar Lippen.«

»Denken Sie da an ein spezielles Paar anderer Lippen?«

ADAM lächelte entwaffnend. »Oh, es wäre nicht nötig, deswegen besondere Umstände zu machen. Man brauchte sie nicht erst aus der Ferne herbeizuholen und alles das. Ihre würden es tun, Schwester Suzy.«

»Bedauere. Die Aufgaben einer Krankenschwester beschränken sich eindeutig auf pflegerische Obliegenheiten.«

»Hören Sie, Schwester Suzy. Ich habe der Wissenschaft zuliebe eine Menge Schwierigkeiten auf mich genommen. Sicher würde ein kleiner Kuß Sie nicht überfordern. Nur der Wissenschaft zuliebe, natürlich.«

»Ach, ich weiß nicht recht ... Allerdings, wenn es für die Wissenschaft wäre ...«

»Oder soll ich dem guten Doktor Ehrick erzählen, daß Sie unter meine Decke gelangt und sich an meinem UKW-Knöpfchen zu schaffen gemacht haben?«

»Schon gut, schon gut! Sprechen Sie doch nicht so laut.« Susan sah über die Schultern, um sich zu vergewissern, daß die Tür geschlossen und daß niemand hereingekommen war. »Und Sie sind ganz sicher, daß es nur für wissenschaftliche Zwecke sein soll?«

»Absolut.«

»Ich dürfte es nicht tun, aber da es für die Wissenschaft ist ...«

Zögernd legte Susan eine Hand an ADAMs Wange. Dann beugte sie sich zu ihm und drückte ihre Lippen sanft auf seinen Mund.

Genau in diesem Moment geschah zweierlei: Die erste Stufe von ADAMs Hexa-Sicherung brannte durch, und Dr. Ludwig Ehrick betrat den Raum.