19
Mit einem Gekreisch wie von tausend Ungeheuern schnellte sich die riesige Rakete aus den Halterungen ihres Startmastes. Empor, empor, empor donnerte sie, bis ihr entfesseltes Getöse nicht mehr vernehmlich war für die vielen, vielen Gaffer an Floridas Stränden. Als sie durch die höheren, immer kälter werdenden Zonen der Atmosphäre jagte, formte sich hinter ihr ein silbriger Kondensstreifen, der ihren Himmelsweg markierte. Mit der Präzision eines Geschosses gelangte ihre letzte Stufe in die vollendet errechnete Umlaufbahn. Dort löste sich der ›Brontosaurus‹ von ihr und flog allein weiter.
»Jetzt sind wir im Weltraum, Liebste«, sagte ADAM. »Du kannst den müßigen Versuch aufgeben, mich zu erwürgen.«
»Ist – ist alles in Ordnung?« fragte EVA durch die zusammengebissenen Zähne.
»Bestens. Ein vollendeter Aufstieg. Wie fühlst du dich?«
»Soweit gut, wie es scheint.« Sie zog gehorsam den Arm zurück, mit dem sie den Hals ihres Mannes umklammert hatte, und machte es sich auf ihrem Sitz bequem. »Bildlich gesprochen ist mir allerdings, als hätte ich meinen Magen irgendwo unten in den Wolken gelassen.«
ADAM war damit beschäftigt, Tabellen zu vergleichen, Schaltknöpfe zu drücken, Meßgeräte zu prüfen, Rheostaten einzustellen und Kontrolleintragungen zu machen. »Nun, wie fühlt man sich als erste amerikanische Frau im Weltraum?«
»Ich – ich kann noch nicht vernünftig reden, ADAM. Ich bin so überwältigt von all diesen Wundern.« Sie brachte den Mut auf, durch die Chintzvorhänge zu spähen, mit denen sie die Seitenfenster der Kabine geschmückt hatte. »Es ist atemberaubend! Einfach atemberaubend!«
»Jedenfalls schöner als die überfüllten Autostraßen.« ADAM beendete seine Eintragungen und steckte die Tabellen weg.
Plötzlich erfüllte die Stimme des Kontrolloffiziers die Kabine: »Hallo, Brontosaurus! Wie geht's, ADAM? Alles okay?«
»Verstanden«, erwiderte ADAM. »Alles ist, wie man zu sagen pflegt, A-okay. Eine schiere Pracht!«
»Irgendwelche Leitprobleme?«
»Nicht die geringsten. Sagen Sie McDermott, er hat einen solchen Pfundsjob geleistet, daß er den Rest des Tages frei haben kann.«
»Verstanden, ADAM. Ich weiß, daß Sie zu tun haben. Ich melde mich erst wieder, wenn Sie über Südafrika sind. Halten Sie sich den Spielhöllen fern. Ende.«
»Verstanden.« ADAM löste seinen Sicherheitsgurt und langte hinüber, um EVA beim Aufschnallen ihres Gürtels zu helfen. Dabei schien er irgendwelche Schwierigkeiten mit den Gurten an ihrem Schoß zu haben.
»Hee, du! Gib acht auf deine Finger! Meine Mutter hat mich gewarnt vor Flügen ins Blaue mit Weltraumpiloten.«
»Ich will es dir doch nur etwas bequemer machen«, entgegnete ADAM grinsend. »Ich dachte, wir könnten ein bißchen schäkern.«
»Warum nicht?« flüsterte sie und spitzte die Lippen. »Wir sind ja in den Flitterwochen – oder?« Sie gab ihm einen Kuß, der der Klimaanlage eine unerwartete Arbeitslast aufbürdete. »Hei«, raunte sie dann, »das war aber mal ein überirdischer Dauerbrenner!«
»Hee, hee, hee, was geht dort oben vor?« tönte Callaghans Stimme aus dem Lautsprecher. »Als Steuerzahler gebe ich nicht dieses sündhaft viele Geld her, um euch zwei Liebesvögel in den Weltraum zu schicken, damit ihr dort schäkern könnt! Geht an die Arbeit!«
»Ich versuche das ja immerzu, Cal«, klagte ADAM. »Aber meine Frau läßt mich nicht.«
»Schon gut. Hmmm, wäre da etwas, das ihr mir für die atemlos wartende Weltöffentlichkeit sagen wollt?«
»Ja. Sagen Sie der Weltöffentlichkeit, wir sind in den Flitterwochen, und die werte Weltöffentlichkeit möge aufhören, uns durch diese starken Teleskope auszuspähen.«
»Wird gemacht. Sonst noch etwas?«
»Nein. Ich werde jetzt abschalten. Es fängt an, dunkel zu werden.«
»Oh, fast hätte ich's vergessen. Im Kartenfach ist ein Päckchen für euch zwei. Nicht viel. Nur ein kleines Hochzeitsgeschenk. Ihr könnt es nach der vierten oder fünften Erdumkreisung öffnen.«
»Wie reizend von Ihnen, Cal«, sagte EVA und brachte aus dem Kartenfach ein kleines würfelförmiges Paket in Goldpapier zum Vorschein.
»Ach, es ist nichts Besonderes«, behauptete Callaghan. Dann lachte er leise und fügte vielsagend hinzu: »ADAM, Sie schlauer alter Fuchs!«
»Wieso das?«
»Na, wer sonst würde daran denken, mit seiner Frau auf eine Hochzeitsreise zu gehen, bei der es alle fünfzig Minuten Schlafenszeit wird? Ich hab' Sie mächtig unterschätzt, mein Junge.«
»Gute Nacht!« sagte ADAM. »Und Schluß.« Er schaltete die Anlage aus.
EVA kicherte. »Nun weißt du es, ADAM M-1 – du bist ein schlauer alter Fuchs! Das bist du doch, nicht wahr?«
»Ich versuche hier nur, meine Pflicht fürs Vaterland zu tun, und alle bemühen sich, meinen patriotischen Anstrengungen niedrige Nebenabsichten zu unterschieben!«
»Ach, ich liebe dich, du schlauer alter Fuchs.« Sie lehnte sich hinüber und gab ihm einen Kuß, der die Klimaanlage wieder zu verdoppelter Leistung nötigte.
»Genug, genug«, ächzte ADAM nach einem Weilchen. »Sonst gehen auf einmal unsere Bremsraketen los!«
»Oh ...!« EVA setzte sich wieder brav zurecht.
»Dieser Callaghan ist übrigens nicht der einzige mit einem Hochzeitsgeschenk«, verkündete ADAM grinsend. »Ich habe auch eins für dich.«
»Was ist es, ADAM?«
»Eine kleine Spritztour. Ganz speziell für unsere Flitterwochen.«
»Das klingt wundervoll. Wohin?«
»Wie würde dir ein Ausflug zum Mond gefallen, Schätzchen?«
»Zum Mond?«
»Was könnte logischer sein?«
EVA kicherte. »Eigentlich nichts.«
»Ich plane es, seit ich erfuhr, daß wir eine Woche im Weltraum bleiben sollen. Ich überlegte, warum ich mir nicht die Freiheit nehmen könnte, die Aufgabe ein wenig zu erweitern?«
»Kein Wunder, wenn der arme McDermott Magengeschwüre kriegt!« lachte EVA. »Der Mond – ein ziemlich weiter Weg. Haben wir denn genug Treibstoff?«
»Nun, da wir sowieso eine Woche oben bleiben sollen und nicht all den Ballast mitschleppen, den die Raumfahrer sonst brauchen – Sauerstoff, Nahrung, Wasser und so weiter –, werden wir es hin und zurück mit unserem neuen festen Treibstoff ohne weiteres schaffen, nehme ich an.«
»Klingt aufregend. Ja – machen wir es!«
»Neben der Treibstofffrage sind natürlich noch andere Dinge zu bedenken.«
»Ich weiß – Sonnenflecken, Van-Allen-Gürtel, und so weiter.«
»Landen können wir nicht. Wir kämen nicht wieder hoch.«
»Aber wir können um den Mond kreisen und ihn begucken, nicht wahr?«
»Das ist sicher. Natürlich werden wir die Hilfe der Bodenstation brauchen. Die Eierköpfe müssen den Flug durch ihre Komputer programmieren lassen. Wird ein Höllengeschrei geben, wenn sie von unserer Absicht erfahren.«
»Ja. Bestimmt werden sie so laut schreien, daß wir es noch hören, wenn wir unser Radio ausgeschaltet haben.«
»Etwas unorthodox ist die Sache ja«, gab ADAM zu. »Aber zum Teufel, sie dient den besten Interessen der Nation! Wenn wir Erfolg haben, bedeutet es einen enormen Sprung vorwärts im Raumfahrtprogramm! Denn das größte Problem für eine Landung auf dem Mond ist, daß wir nicht genug von der Mondoberfläche wissen, um zu sagen, wo die Astronauten die besten Landemöglichkeiten hätten. Bei Mondumkreisungen in verhältnismäßig geringer Höhe könnten wir mit unseren teleskopischen Augen wertvolle Erkenntnisse sammeln.«
»Das wäre großartig, ADAM.«
»Wir könnten noch anderes prüfen – Atmosphäre, Radioaktivität, Temperaturen, wirkliche Stärke der Anziehungskraft. Nebenbei bemerkt habe ich noch einen persönlichen Grund.«
»Oh, ADAM – wie merkwürdig! Ich nämlich auch. Welchen hast du?«
»Nun, ich habe eine kleine Flagge an Bord, auf der unsere Namen stehen. Sie ist an eine Rakete montiert. Bei einer unserer Mondumkreisungen möchte ich sie zur Sicherung unseres Besitzanspruches hinabfeuern auf ein kleines Stück Land, das ich mir auf den Mondkarten und Mondfotos schon ausgesucht habe. Es liegt auf einem Höhenzug am sogenannten Meer der Ruhe und müßte eine märchenhaft schöne Aussicht bieten.«
»Oh, ADAM, denk doch nur! Unser eigener kleiner Bungalow auf dem Mond, mit Gärtchen und einem weißen Lattenzaun ringsum. Wir könnten Mondblumen ziehen und Galakteen, und ...«
»Ich sehe es so, EVA ...«
»... und für den Vordergarten würden Sternmagnolien hübsch sein, meinst du das nicht auch?«
»Ich sehe es so, EVA. Vielleicht sind wir die Vorläufer einer wunderbaren neuen Rasse, einer Rasse mit praktisch wartungsfreien, gesunden Körpern. Einer Rasse, wo ein Bursche, wenn ihm seine Hautfarbe nicht gefällt, kinderleicht in eine Haut anderer Farbe schlüpfen kann. Was würde dem Wahnsinn rassischer Vorurteile schneller ein Ende setzen?«
»ADAM, ein beglückender Gedanke!«
»Ich habe viel darüber nachgesonnen. Die Wissenschaftler meinen, wenn die Bevölkerungsexplosion im selben Maß fortdauert, dann wird die Erde in hundert Jahren so überfüllt sein, daß man die bis dahin entwickelten ertragsstarken Mini-Getreidesorten auch auf behaarten Menschenköpfen anbauen muß, um genügend Nahrung zu schaffen. Ehe es soweit kommt, wollen wir beide zum Mond entschwirren und uns dort ein neues Zuhause bauen.«
»Und eine neue, bessere Kolonie gründen ...«
»Vielleicht werden wir sogar ein Mondhospital errichten – eine Art Service- und Reparaturstation für schrullige Weltraumreisende. Allzu starke Inanspruchnahme hätten wir wohl nicht zu befürchten – es würde uns angenehm beschäftigt halten.«
»Tagsüber, meinst du natürlich. Nachts gedenke ich dich anderweitig beschäftigt zu halten.«
»Ach, du meine Güte! EVA, du sprichst genau wie Melodie.«
»Das weiß ich, Liebster. Gefällt es dir nicht? Ich glaube, die Vibrationen beim Start haben mich mächtig angeregt. Oder liegt es an den Flitterwochen? Können wir uns nicht beeilen und mit diesem Ding irgendwo landen?«
ADAM wurde ernst. »Hör mal, Schätzchen – so ein Flug ist nicht ohne Gefahren.«
»Das weiß ich doch, kleiner Dummkopf! Denkst du, ich hätte während der Instruktionsstunden geschlafen? Willst du den wirklichen Grund wissen, weshalb ich gern zum Mond möchte?«
»Was ist es?«
Sie berührte einen verborgenen Knopf neben ihrer linken Kniescheibe. Ein kleiner Spender öffnete sich und gab ein Döschen Compactpuder frei. Sie nahm das Döschen, klappte es auf, betrachtete sich im Deckelspiegel und begann sich die Nase zu pudern. Dabei fragte sie: »Hast du Melodie oder McDermott seit unserer Verlobungsfeier gesehen?«
»Melodie nicht. Aber McDermott habe ich einigemal getroffen.«
»Wie sah er aus?«
»Schrecklich. Wäre er Katzenfutter – keine Katze, die auf sich hält, würde ihn anrühren.«
»Nun, Melodie war kürzlich zum Tee bei mir. Sie sieht genauso schrecklich aus.«
»Kann ich mir schwer vorstellen bei dieser schönen Frau. Aber was hat das mit unserer Spritztour zum Mond zu tun?«
»Höchst einfach, mein Geliebter. Erinnere dich an das, was McDermott gegen Ende unserer Verlobungsfeier sagte – daß er sich keinem anderen Projekt widmen könnte, ehe ein amerikanisches Raumschiff auf dem Weg zum Mond wäre. Nun ...? Wenn er uns auf dem Weg zum Mond weiß, müßte er also imstande sein, ein neues Interesse ...«
»Ein neues Interesse, wie etwa eine wohlgestaltete Brünette mit sehr melodiösem Namen – vielleicht?«
»Mag sein.«
»Und du nennst mich einen schlauen alten Fuchs!« ADAM grinste. »EVA, du bist eine unheilbare Romantikerin.«
»Bin ich. Erst recht nach allem, was du für den armen alten General Beauregard getan hast.« Aus dem Fond des Raumflugzeugs ertönten Geräusche, denen zu entnehmen war, daß General Beauregard auf die Nennung seines Namens reagierte.
General Beauregard war noch nicht recht gewöhnt an seinen neuen Bernhardinerkörper, und einige seiner Bewegungen wirkten etwas unbeholfen. Dasselbe wäre übrigens, um der Wahrheit willen, von den Bewegungen der Leute im Medical Center zu sagen – wenigstens während der drei Wochen, die sie mit der Anfertigung von G.B.s neuem Körper verbrachten. Es fehlte die nötige Erfahrung in der Anfertigung von Bernhardinerkörpern, und für die Transplantation des leicht umnebelten Gehirns eines alkoholsüchtigen Bassethundes gab es überhaupt keinen Präzedenzfall.
Das erzielte Resultat indessen hatte nicht nur die medizinische Welt verblüfft, es hatte auch Wunder gewirkt an der ins Rutschen gekommenen Moral des alten G.B. und ihm ein völlig neues Hundelebensgefühl verschafft. Gezwungenermaßen befreit vom alten Dämon Alkohol, wurde er seines neuen Körpers froh, daß er dem langweiligen Bäumebewachen entsagte und sich dem standesgemäßeren Job widmete, Hündinnen zu beschnüffeln. Daß er es hierbei bewenden lassen mußte, wirkte nicht deprimierend auf seine Moral; die übrigen Spielregeln waren ihm ja ungewohnt.
Ohne nennenswerte Mühe erklomm er das Cockpit, wedelte zur Begrüßung mit dem Schweif und legte seinen hübschen Kopf auf EVAs Knie. Während sie ihm den Kopf tätschelte, beugte sie sich hinüber und küßte ihren Gatten zärtlich auf die Wange. »Ich liebe dich, du verdrehter, durch und durch romantischer Kerl!«
ADAM grinste verlegen. »Halt den Mund, Weib, und halte dich fest.« Er legte seine rechte Hand um den Hebel für den Raketenantrieb. »Alles klar für die Spritztour zum Mond?«
»Meine Nase ist gepudert.« EVA klappte das Puderdöschen zu und steckte es weg. »Ich bin bereit.«
»Dann gib acht, Mond! Hier kommen wir!« ADAM drückte den Hebel langsam nach vorn.