5

 

 

»Voilà! Mein sanctum sanctorum«, sprudelte Melodie, als sie mit McDermott in ihre Wohnung kam. »Mein kleines Refugium gegen die Niedrigkeiten dieser materialistischen Welt. Wie gefällt's dir?«

McDermott fühlte sich überrascht vom Charme dieser hübschen Wohnung. Die Ausstattung war warm, modern, nicht extravagant; sie zeugte für den guten Geschmack der beiden Bewohnerinnen, die allerlei Geld aufgewendet haben mußten, um Dinge anzuschaffen wie den von Wand zu Wand reichenden weißlich-grauen, dicken, weichen Teppich, die bis zum Boden reichenden Fenstervorhänge und die reizenden Möbel in schwedischem Stil.

Melodie hatte seit ihrer Ankunft vor zwei Jahren einen festen Vertrag bei dem Lokal, in dem sie auftrat, und konnte, als die erfolgreichste Sängerin weit und breit, unschwer durchsetzen, daß ihr Gehalt mit ihren Erfolgen Schritt hielt. Das Mädchen, mit dem sie die Wohnung teilte, war eine intelligente, schlanke Brünette, die an der höheren Schule von Cocoa Springs Englisch und bildende Kunst lehrte. Ein bloßer Zufall war diese etwas seltsame Wohnungspartnerschaft nicht. Denn Melodie, obwohl sie gewisse Aspekte des ›American way of life‹ durchaus schätzte, dachte sehr kritisch über volkswirtschaftliche Ungerechtigkeiten. Von der Natur mit einer guten Stimme und entsprechend gutem Aussehen begabt, empfand sie es als peinlich, und bedrückend, daß sie durch ihr nur minutenlanges Auftreten vor einem mehr oder weniger betrunkenen Clubpublikum viermal soviel Geld verdiente wie eine Lehrerin, die sich täglich viele Stunden damit plagen mußte, widerstrebenden oder gleichgültigen Kindern Wissen und Können zu vermitteln. Um diese Ungerechtigkeit wenigstens ein bißchen auszugleichen, hatte sie bald nach ihrer Ankunft alle Schulen der Umgegend auf der Suche nach einer netten jungen Lehrerin abgeklappert, die die geräumige Wohnung mit ihr teilen sollte.

Sie hätte keine bessere Wahl treffen können. Helen Baxter war eine liebenswerte, warmherzige und aufrichtige Gefährtin und obendrein vielseitig begabt; die kleinen künstlerischen Dinge, die der Wohnung eine besondere Note verliehen – abstrakte Zeichnungen und graziöse Miniaturplastiken – stammten von ihrer Hand. Und die bescheidene Helen dankte jeden Tag dem Allmächtigen, daß er sie aus ihrer tristen Souterrainwohnung mit Klappbett und Kaltwasserdusche in eine Umgebung versetzt hatte, wo Dinge wie ein gekacheltes Bad, ein automatischer Müllschlucker und eine transportable Bar zu den Selbstverständlichkeiten gehörten.

»Sag, Melodie«, fragte McDermott, nachdem er sich von seinem Staunen ein wenig erholt hatte, »wer hat diese Wohnung eingerichtet? Etwa Frank Lloyd Wright persönlich?«

»Nein, Helen und ich. Aber ich freue mich, daß sie dir gefällt, Geliebter. Lange genug habe ich ja gebraucht, um dich hierher zu locken.«

»Wenn du soviel von Raumausstattung verstehst, kannst du mir vielleicht raten, was ich mit meiner Bude in der U.U.O. machen soll?«

»›U.U.O.‹?«

»Unterkunft unverheirateter Offiziere.«

»Ach so ... Nun, kündige diese Bude und schlag dein Feldbett hier auf. Wir könnten es sehr nett haben.«

»Führe mich nicht in Versuchung, holder Engel des Nachtlebens. Übrigens – hast du je in einer Unterkunft für Ledige gewohnt?«

»Nein. Aber ich denke, es könnte sehr spaßig sein.«

»Irrtum. Es ist, als hättest du dein Zelt mitten auf einer Autoschnellstraße in der Umgebung von Los Angeles aufgeschlagen.«

»Wie lange bleibst du diesmal hier in der Stadt?«

»Nur ein paar Tage, fürchte ich. Bis neuentstandene Schwierigkeiten an unserem Sorgenkind Helios beseitigt sind. Spätestens am Wochenende werde ich nach San Antonio zurückkehren.«

»Oh, wie schade. Ich vermisse dich sehr, seit du so oft nach San Antonio mußt.«

»Ob du es glaubst oder nicht, Melodie – ich vermisse dich auch.« McDermott setzte sich in einen Sessel und blickte umher. »Wo ist deine Freundin Helen?«

»Im Abendseminar, ein Vortrag über zeitgenössische englische Dichtkunst ... Weißt du, Geliebter, mix dir einen Drink, während ich die Kleidung wechsle. Die kleine Bar steht dort drüben beim Plattenspieler.« Mit diesen Worten verschwand Melodie im Schlafzimmer.

Da McDermott das Gefühl hatte, daß es unpassend wäre, mit Straßenschuhen auf dem weichen, hellen Teppich herumzutrampeln, stieß er die Schuhe von den Füßen. Dann wandelte er genießerisch auf Strümpfen wie über zartes Waldmoos zur Bar, schenkte zwei Martinis ein, nahm eins der Gläser in die Hand und ging damit zum Plattenspieler, um sich die Plattenauswahl anzusehen. Er entdeckte eine Platte mit dem beziehungsreichen Titel ›Musik, um die Zehen danach wackeln zu lassen‹ und legte sie auf. Die Musik war leise, süß, einschmeichelnd. McDermott setzte sich mit seinem Drink auf den Diwan und ließ seine Zehen im Takt der Musik wackeln. Wenig später erschien Melodie in der offenen Schlafzimmertür.

»Nur weil ich meinen Lebensunterhalt durch Singen verdiene, denkt mein Manager, ich müßte angezogen sein wie ein herausgeputzter Kanarienvogel«, klagte sie. »Aber dich stört es hoffentlich nicht, daß ich meinen Federschmuck abgestreift habe und einfach als die schlichte alte Melodie erscheine.«

Die schlichte alte Melodie, entfiedert, hätte das Blut eines neunzigjährigen Eskimos zum Wallen gebracht. Sie holte ihren Drink von der Bar und näherte sich McDermott in einer hautengen Torerohose und einer tiefausgeschnittenen Bluse, die sich vergebens bemühte, Melodies Busen züchtig bedeckt zu halten. Sobald sie auf einem Polsterhocker nahe dem Diwan Platz genommen hatte, erreichte ihr zarter Parfümduft McDermotts Nüstern und begann seine Sinne zu verwirren.

»Nein, mich stört es nicht«, sagte McDermott, rutschte aber vorsichtshalber zum entfernten Ende des Diwans. »Du weißt ja, daß ich dich als schlichte alte Melodie am liebsten mag.«

»Dann rutsch doch nicht so zaghaft davon!« Sie rückte ihm nach.

»Ahemm – es ist das Parfüm. So etwas habe ich noch nie gerochen. Wie heißt es?«

»›Raub‹.«

»Einfach ›Raub‹?«

»Ja.«

»Es scheint eine besondere Wirkung zu haben. Ich hielt es für eine neue Errungenschaft der biologischen Kriegführung.«

»Irgendwie ist es das auch.« Melodie lächelte und betrachtete McDermott über den Rand ihres Martiniglases. »Nun sag ehrlich – ist das hier nicht fast so nett wie deine Weltraummännerbastelei?«

»Doch, das kann man sagen.« McDermott versuchte angestrengt, seine Abwehrkräfte zu mobilisieren. »Auf eine andere Art, natürlich.«

»Auch fast so nett, wie in der Gegend herumlaufen, um ein gebrauchtes, aber noch verwendbares Gehirn zu finden?« Melodie ließ ihre langen, schlanken Finger durch McDermotts Haar gleiten.

»Nja«, entgegnete McDermott mit etwas heiserer Stimme. »Ich möchte so weit gehen, dies unter Vorbehalt zu bejahen.«

»Dann bin ich glücklich.« Melodie erhaschte eine seiner Hände und drückte sie sich an die Wange. Das hatte eine seltsame Wirkung auf McDermott. Zum erstenmal seit Monaten begann er wieder an etwas anderes zu denken als an Probleme, die mit dem Helios-Leitsystem zusammenhingen. Da er gleichzeitig fühlte, daß seine moralischen Bastionen ins Wanken kamen, gedachte er des militärischen Lehrsatzes, daß Angriff die beste Verteidigung sei, und fragte. »Warum hast du dich von deinem Mann scheiden lassen, Melodie?«

Melodie hätte nicht überraschter sein können, wenn er auf den Gedanken gekommen wäre, sie zu einem gemeinsamen Wochenendtrip nach den Bahamas einzuladen. Sie ließ seine Hand los, stand auf, ging zur Bar, goß neue Drinks ein, kam zurück, gab ihm sein Glas und nahm dann auf dem Diwan Platz. »Müssen wir ausgerechnet jetzt darüber sprechen?« schmollte sie. »Es paßt kaum zu der ›Musik, um die Zehen danach wackeln zu lassen‹.«

»Oh, ich denke, jetzt wäre gerade die richtige Zeit.«

»Na schön, du Feigling. Ich werde dir die Geschichte meines Lebens erzählen. Aber besonders hübsch ist sie nicht.«

»Bitte, erzähl sie mir lieber vom anderen Ende des Diwans, wenn es dir nichts ausmacht. Ich traue weder dir, noch deinen Martinis, noch deinem verwünschten Parfüm.«

»Was ist los? Magst du Mädchen nicht?«

»Doch. Auch solche, die mich in ihre Wohnung locken, wo es süße Musik, schummeriges Licht und ein Parfüm namens ›Raub‹ gibt. Nur habe ich nicht die Zeit, mich damit zu befassen. Ich werde so hinreichend beansprucht von den Versuchen, ein Raumflugzeug in den Weltraum zu bringen, daß ich mich nicht obendrein mit Frauen einlassen kann. Insbesondere nicht mit einer so schönen Frau, wie du es bist, Melodie.« Das klang nicht recht überzeugend, und er wußte es. »Nichts Persönliches«, fügte er achselzuckend hinzu. »Mir fehlt einfach die Zeit.«

»Aha.« Melodie rutschte pflichtschuldigst zum anderen Ende des Diwans und lächelte etwas verzagt. »Ich will mich dir nicht aufdrängen oder dich betrunken machen und daraus Vorteile ziehen. Es ist nur so, daß ich ein gesundes, normales Mädchen bin, das dich schrecklich gern mag. Verzeih, wenn ich manchmal etwas stürmisch wirke. Das gehört zu meinem Plan, dich zu verführen.«

McDermott glaubte plötzlich zu fühlen, daß ihm der Kragen zu eng wurde. Er zog den Schlipsknoten hinunter und machte den obersten Kragenknopf auf.

»Ah, das ist es, Geliebter«, trällerte Melodie. »Mach's dir bequem. Es ist warm hier. Falls du dein Hemd ausziehen möchtest ...«

»Bitte, Melodie! Du wolltest mir von deinem Mann erzählen.«

»O ja, mein Mann. Die Geschichte meines Lebens.« Sie zog ihre Beine unter sich und lehnte lässig in ihrer Diwanecke. »Nun wie du weißt, wurden meine Eltern beim Rückflug von der Feier meines Schulabschlußexamens getötet, als ihr Flugzeug gegen einen Berg prallte. Das traf mich sehr hart. Mam und Dad hatten sich wirklich geliebt. Ich war das einzige Kind. Als ich von ihrem Tod erfuhr, ging meine Welt in Trümmer.« Zum erstenmal, seit er sie kannte, bemerkte McDermott einen traurigen Ausdruck in Melodies großen blauen Augen.

Sie fuhr fort: »Zu den Dingen, die ich von ihnen erbte, gehörte eine leidliche Singstimme. Ich nahm etwas Unterricht und erhielt schon bald einen Job bei einem Nachtclub. Insoweit ging alles gut. Doch dann traf ich dort Lester la Rue.«

»Lester la Rue? So kann doch niemand heißen.«

»Er schon. Er hatte ein hübsches Gesicht und einen schwarzlockigen Haarschopf und war Sänger. Ich muß wohl noch unter dem Einfluß des Todes meiner Eltern gestanden haben. Denn als Lester mir bei unserem zweiten Rendezvous vorschlug, wir könnten doch heiraten, war ich einverstanden – gegen den Rat aller Leute, die ihn kannten und mich kannten. Ich will dich nicht mit Einzelheiten langweilen. In unserer Hochzeitsnacht entdeckte ich, daß Lester fetischistische Neigungen für schwarze Damenunterwäsche und schwarze Damenstrümpfe hatte. Kaum waren wir in unserem Hotelzimmer allein, als er eine Modenschau in Unterwäsche und Strümpfen begehrte – und sonst nichts.«

McDermott räusperte sich. »Nun, vielleicht mag es etwas seltsam sein. Aber es war eure Hochzeitsnacht, Melodie. Wenn dein Mann es hübsch fand, dich in schwarzer Unterwäsche und schwarzen Strümpfen herumparadieren zu sehen, so ist das eigentlich noch kein Scheidungsgrund.«

»Nicht ich, Dummchen – er! Er wünschte in meiner schwarzen Unterwäsche herumzuparadieren!«

McDermott suchte hilflos nach Worten. Er fand keine.

»Ja«, sagte Melodie, nachdem sie ein Weilchen gewartet hatte, »und das ist die Geschichte meines Lebens. Überflüssig zu sagen, daß es eine unerfreuliche Erfahrung war. Manche Frauen könnten vielleicht damit leben. Ich nicht. Ich bin ein gesundes Mädchen, das einen richtigen Mann haben will – keinen verklemmten Narren, der mir meine schwarze Unterwäsche aus der Fasson bringt.«

»Es muß ziemlich hart gewesen sein.«

»Ein Spaß war es nicht. Ich habe eine ganze Weile darunter gelitten. Bis ich dich traf, um genau zu sein. Jetzt tut es mir nicht einmal weh, darüber zu sprechen. Aber ich muß bekennen, daß ich auch nicht herumlaufe, um damit zu prahlen.«

McDermott sah erleichtert auf, daß aus Melodies Augen wieder die alte Heiterkeit leuchtete. »Die Narbe ist völlig verheilt?«

»Völlig. Lester dürfte jetzt auch glücklicher sein, nehme ich an. Er ist verheiratet und lebt in Greenwich Village. Seine Frau ist ein anderthalb Meter großes und fast ebenso breites Biertönnchen von Berufsringkämpferin mit dem bezaubernden Decknamen ›Wanda, die wütende Wildsau‹, und in ihren Kreisen gefürchtet. Sie macht das Geld, und er macht Gedichte. Ein harmonisches Paar, wie ich hörte.«

»Keine schöne Erfahrung für ein junges Mädchen«, murmelte McDermott mitfühlend.

»Es hätte schlimmer kommen können. Im übrigen hat es mich gelehrt, etwas Wundervolles richtig zu würdigen.«

»Was denn?«

»Dich!«

McDermott war so perplex, daß er nichts anderes zu tun wußte, als zwei Zigaretten anzuzünden und eine davon zu Melodie hinüberzureichen. Dabei fragte er: »Was für eine Art Mädchen bist du eigentlich, Melodie?«

»Eine faire Frage, die eine ehrliche Antwort verdient. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber als ich fünfzehn war, hat meine Mutter mich aufgeklärt – so klug und verständig, daß ich einen echten Begriff von wahrer Liebe und von der Ehre einer Frau bekam. Infolgedessen habe ich bis auf den heutigen Tag keinem Mann erlaubt – Lester war sowieso nicht qualifiziert –, mir nahe zu sein.«

McDermott errötete. »Ich sehe keinen Grund, das zu bezweifeln.«

»Um der Wahrheit willen muß ich gestehen, daß es nicht immer einfach war. Besonders, seit ich hier Abend für Abend vor einem Lokal voll munterer Air Force-Jünglinge auftrete.«

»Ähemm«, räusperte sich McDermott verlegen. Dann fügte er hinzu: »Ich denke, ich gehe jetzt lieber wieder in meine Dienststelle. Da sind noch einige dringende Sachen zu erledigen.« Bei dem Versuch, vom Diwan aufzustehen, verblüffte es ihn, daß ein kleiner, wohlgeformter nackter Fuß sich in sein linkes Hosenbein gemogelt hatte und mit den Zehen an seinem Knie herumzutasten begann.

»Sie bleiben, wo Sie sind, Captain«, sagte Melodie in gut imitiertem Befehlston. »Es ist erst Viertel nach neun, was kaum spät genannt werden kann. Und ich weiß, was Sie tun sollten – Ihr Hemd ausziehen!«

»Sieh mal, Melodie«, versuchte McDermott so bescheiden wie möglich, »ich bin, auf meine verdrehte Art, ein Mann der Wissenschaft. Ich denke, du bist eine nette, liebe Freundin, und ich mag dich sehr gern. Aber ich fürchte, auf mehr kann ich mich nicht einlassen. Ich darf mich nicht zersplittern. Binnen weniger Monate habe ich fünfundsiebzig Millionen Dollar an Steuergeldern verpulvert. Ich darf mich durch nichts davon abhalten lassen, meine überragend wichtige Aufgabe zu erfüllen – einen erfolgreichen Start der Helios-Rakete ... Wo ist mein Hut?«

»Du besitzt gar keinen Hut.«

Erschrocken bemerkte McDermott, daß ein zweiter Fuß irgendwie unter sein Hemd geraten war und sich anschickte, in der kitzligen Gegend oberhalb seines Bauchnabels herumzukrabbeln. »Verdammt, Melodie, laß das«, sagte er unter Aufbietung ungewohnter Energie. »Ich bleibe noch für einen Martini, wenn du versprichst, deine Füße wieder an dich zu nehmen. Nie habe ich eine solche Frau erlebt. Ich versuche, ein Gentleman zu sein.«

»Wärst du das nicht, dann hätte ich nie versucht, dich zu verführen.«

»Melodie!«

»Schon gut«, beschwichtigte Melodie, »ich werde neue Drinks holen.« Widerstrebend zog sie ihre nackten Füße aus McDermotts Kleidung und ging zur Bar.

McDermott seufzte wie erlöst und wischte sich die Stirn. Dann beobachtete er die harmonischen Bewegungen, mit denen Melodie neue Martinis einschenkte. Es konnte keinen Zweifel geben – Melodie Monahan war eine sehr anmutige und begehrenswerte Frau.

»Melodie, mich quält eine Frage«, sagte er in der Hoffnung, etwas Konversation würde seine Aufmerksamkeit von den interessanten Konturen ablenken, die sich in seinem Blickfeld bewegten.

»Dann frag doch. Mich quälen einige Antworten. Vielleicht paßt eine davon zu deiner Frage.«

»Also gut. Warum ausgerechnet ich?«

»Eine ausgezeichnete Frage. Ich habe sie mir manchmal selbst gestellt.« Melodie kehrte mit den neu gefüllten Gläsern zum Diwan zurück. »Tatsache mag sein, naß du ein brillanter Wissenschaftler bist. Aber als Liebhaber taugst du nichts. Hätte unser Club nicht den besten Martini, den es in dieser Stadt gibt, dann wärst du mir wahrscheinlich nicht zu Gesicht gekommen.«

»Genau das versuche ich dir zu sagen. In meinem Leben ist keine Zeit für Romanzen. Warum entscheidest du dich nicht lieber für einen deiner reichen Bewunderer, die dir Blumen in die Garderobe schicken?«

»Aus einem ganz triftigen Grund. Weil ich dich liebe.« Sie legte ihm einen Arm um den Hals. »Frag mich nicht, wieso. Ich könnte es nicht erklären.« Sie stellte ihr Glas auf das Diwantischchen und hob die frei gewordene Hand an sein Gesicht.

»Du bist nicht sehr hübsch. Deine Nase ist etwas zu groß, dein Haaransatz lichtet sich. Mit fünfunddreißig wirst du vielleicht schon kahl sein. Aber ich mag deinen Mund und dein Kinn.«

»Immerhin gut, daß ich keine völlige Fehlkonstruktion bin.« Als er diesen Satz sagte, merkte McDermott, daß sein Atem sehr flach und hastig ging. Melodies rechte Hand, die sich plötzlich innerhalb seines Hemdes tummelte, tat wenig zur Normalisierung seiner Atemzüge.

»Ah, und du hast Haare auf der Brust. Das mag ich. Vielleicht ist es das, weshalb ich dich liebe. Und du hast eine nette, feste, flache Magenpartie.«

»Melodie, hör auf«, keuchte McDermott. »Jetzt ist's genug! So etwas Unglaubliches von Frau kriegt man nicht einmal in unzensierten italienischen Filmen zu sehen.«

Melodie lehnte sich gegen das Rückenpolster des Diwans, um McDermott nachdenklich zu betrachten. »Ja«, sagte sie dann, »das ist es, weshalb ich dich liebe – weil du ein Mann bist. Der Mann für mich. Captain McDermott, Sie dürfen mich küssen.«

McDermott versuchte nun, sich eingehend mit seinem Martiniglas zu beschäftigen. Es blieb ein erfolgloses Bemühen, denn das Glas war leer und die Olive bereits verspeist. Nervös mit den Fingern der freien Hand auf dem Diwan trommelnd, stellte er das Glas langsam auf das Diwantischchen und riskierte schließlich einen vorsichtigen Blick zu der betörenden Frau an seiner Seite.

Melodie hielt die Augen geschlossen. Ihre schönen roten Lippen bebten erwartungsvoll. In Captain Jeffrey McDermotts leicht betäubtem Verstand schnappte etwas. Der Parfümduft, die genossenen Drinks, die Nähe dieser begehrenswerten Frau lähmten seine letzten Abwehrkräfte. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, streckte er plötzlich die Arme aus, zog Melodie an sich und blickte ihr ganz aus der Nähe in das hübsche Gesicht.

»Zur Hölle mit allem, was Helios heißt«, murmelte er und neigte sich dem einladenden Mund entgegen.

Im selben Moment begann Melodie aus ganzem Herzen zu wünschen, ein gewisser Alexander Graham Bell hätte nie das Licht der Welt erblickt. Denn dann wäre vielleicht das Telefon nicht erfunden worden. Und wäre es nicht erfunden worden, dann hätte es nicht ausgerechnet diesen Augenblick wählen können, um unmittelbar neben Melodie schrill draufloszuklingeln.

»Verdammtes Ding«, zischte Melodie nicht ganz damenhaft. »Das Kabel gehört aus der Wand gerissen!«

McDermott, kaum noch einen Zentimeter von Melodies verlockendem Mund entfernt, war im ersten Sekundenbruchteil willens, dies wahrhaftig zu tun. Doch dann erreichte ein Alarmsignal sein Gehirn und veranlaßte ihn zu der sachlichen Äußerung: »Ich werde antworten. Vielleicht ist es für mich.«

»Das Kabel gehört aus der Wand gerissen«, wiederholte Melodie klagend, ohne McDermott loszulassen.

Er aber streckte seinen Arm zum Diwantischchen aus und nahm den Hörer ans Ohr. »Hallo?«

»Fernamt. Ich versuche, Captain Jeffrey McDermott zu erreichen. Seine Dienststelle sagte, vielleicht wäre er unter dieser Nummer anzutreffen. Ist er anwesend, bitte?«

»Er ist selbst am Apparat«, erwiderte McDermott und fügte flüsternd hinzu: »Melodie, hör auf, in mein Ohr zu beißen.«

»Wie bitte?« fragte die Vermittlerin. »Was sagten Sie?«

»Ich sagte – hier spricht Captain McDermott.«

»Sie werden aus Los Angeles verlangt, Sir ... Los Angeles, bitte melden. Captain McDermott ist am Apparat.«

»Captain McDermott?« erklang eine ferne Männerstimme.

»Am Apparat.«

»Hier spricht Doktor Hellman vom Städtischen Zentralkrankenhaus Los Angeles. Bei uns wurde eben ein Patient eingeliefert. Er trägt eine Art Identifizierungsarmband, welches besagt, im Fall einer ernstlichen Verletzung sollten Sie sofort verständigt werden.«

McDermott setzte sich so hastig auf, daß Melodie ihm fast vom Schoß gefallen wäre. »Wer ist der Patient?« fragte er erregt.

»Ein gewisser Horace Murphy. Seinem Ausweis zufolge beschäftigt bei der Rockwell-Aviation-Company in Burbank.«

»Wahrscheinlich ein ziviler Testpilot«, überlegte McDermott laut. »Welcher Art ist seine Verletzung?«

»Schwere Körperwunde. Von einer Harpune angeschossen.«

»Harpune?«

»Ja. Die leichtere Art, wie Unterwasserjäger sie verwenden.«

»Verstehe. Keine Verletzung am Kopf?«

»Soviel wir wissen, nicht.«

»Ausgezeichnet.«

»Wie bitte ...?«

»Ich sagte – äh, wie ist sein Befinden?«

»Er liegt im Koma. Hat viel Blut verloren. Es geht zu Ende mit ihm. Ich glaube nicht, daß wir ihn durchbringen können.«

»Ideal!«

»Captain, wir scheinen eine schlechte Verbindung zu haben. Ich höre so merkwürdige Antworten von Ihnen.«

»Vielleicht eine kleine Störung. Ich kann Sie gut verstehen, Doktor. Vielen Dank für Ihren Anruf. Ich werde zusammen mit Doktor Ludwig Ehrick morgen vormittag in Ihrem Krankenhaus eintreffen. Guten Abend.«

McDermott legte den Hörer zurück und erhob sich mit solchem Elan, daß Melodie ihm nun endgültig vom Schoß rutschte und auf den Teppich plumpste. »Oh, tut mir leid, Melodie.« Er half ihr beim Aufstehen.

»Und ich dachte«, murmelte sie enttäuscht, »ich hätte es geschafft.«

»Ach, Melodie, ich bedaure es auch. Aber die Pflicht ruft. Ich muß Doktor Ehrick holen und mit ihm nach Los Angeles flitzen.«

»Ja, natürlich.« Trotz redlichen Mühens konnte Melodie ihre Enttäuschung nicht unterdrücken. »Aber wenn du es mal müde wirst, Leichen zu jagen – denk an mich.«

McDermott umarmte sie. »Wenn ich bereit bin für einen warmen Körper, weiß ich, wo ich ihn finde.« Er hielt sie fest umschlungen. Plötzlich war ihm, als würden seine Knie weich. Hastig ließ er Melodie los und schob sie von sich. »Nein«, rief er, »ich werde dich jetzt nicht küssen. Eine innere Stimme sagt mir, daß ich sonst nicht fortgehen kann.« Er knöpfte sein Hemd zu und zog sich den Schlipsknoten zurecht. Auf dem Weg zur Tür blieb er stehen und wandte sich noch einmal um. »Dank für den reizenden Abend, Melodie. Du bist eine wundervolle Frau!« Damit eilte er zur Tür hinaus.

Melodie, die noch stand, wohin er sie geschoben hatte, schwankte leicht. »Und du«, murmelte sie, »du bist ... doch das sage ich besser nicht, weil ich dich eigentlich liebe. Aber momentan hasse ich dich!«

McDermott war in seinem Auto schon auf dem halben Weg zu Dr. Ehricks Haus, ehe er etwas Ungewöhnliches bemerkte.

Das Gaspedal war so unangenehm kalt unter seinem Fuß. Er blickte hinab, um nachzusehen. »Oh«, stöhnte er dann. »Wie, zum Teufel, kann man nur seine Schuhe vergessen?«