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Als McDermott Dr. Ludwig Ehricks Studierzimmer betrat, war ihm, als sei er versehentlich in ein Bühnenbild von ›Alt-Heidelberg‹ geraten. Der Raum war in altdeutschem Stil möbliert. Tausende von Büchern in schweren, riesigen Regalen verdeckten die Wände. Auf dem eichenen Schreibtisch türmten sich Stapel von Papieren. Eine Sammlung tönerner Bierkrüge zierte das Kaminsims. Am Kaminmantel hingen anderthalb Dutzend halblanger Tabakspfeifen mit geschnitzten Köpfen. Aus ihrem Schlafkorb beim Kamin blinzelten zwei gähnende Kurzhaardackel. Just die rechte Umgebung für einen der fähigsten Gehirnspezialisten der Welt, dachte McDermott.
Der berühmte Doktor, vor Jahren für befristete Zeit als wissenschaftlicher Berater der amerikanischen Raumfahrtbehörde nach Kap Kennedy gekommen, war von dem warmen, sonnigen Floridaklima so entzückt gewesen, daß er sich schon bald entschlossen hatte, für den Rest seines Lebens nahe dem Versuchsgelände von Kap Kennedy ansässig zu bleiben. Mittlerweile halb und halb pensioniert, ruhte er auf seinen Lorbeeren aus und beschäftigte sich nebenbei mit Problemen, die ihn interessierten, wie – zum Beispiel – die Auswirkungen gewisser Gegebenheiten der Raumfahrt auf das menschliche Gehirn.
McDermott, der beim Betreten des Studierzimmers das Gefühl hatte, im nächsten Moment werde durch eine andere Tür eine Schar buntbemützter deutscher Studenten hereinmarschiert kommen, Mensurschmisse auf den Wangen, überschäumende Bierkrüge in den Händen, um ein Loblied auf ›Alt-Heidelberg‹ anzustimmen, war überrascht, statt dessen aus einem der riesigen Kaminsessel eine kleine schlanke Greisengestalt aufstehen zu sehen, die ihm freundlich lächelnd die rechte Hand entgegenstreckte.
»Ich freue mich, Sie zu begrüßen, Captain McDermott.«
»Doktor Ehrick, ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie dankbar ich bin, daß Sie mich noch heute abend empfangen«, erwiderte McDermott, während er vorsichtig die dargebotene Hand schüttelte und dem Doktor in die milden blauen Augen sah, die ihm durch einen altmodischen Kneifer entgegenblickten.
»Das Vergnügen, Captain, ist ganz auf meiner Seite. Bitte, nehmen Sie Platz. Darf ich Sie mit einem kleinen Brandy laben?«
»Vielen Dank, nein, Doktor. Da ich weiß, wie beansprucht Sie sind, möchte ich lieber ohne Umschweife zum Thema kommen.«
»Nun, ich hörte, daß Helios, dieser unberechenbare Schlingel, Ihnen wieder Kummer gemacht hat. Erzählen Sie mir alles darüber. Ich werde meine Pfeife stopfen und aufmerksam zuhören.«
McDermott berichtete von den Schwierigkeiten mit dem Leitsystem der neuen Rakete. Als er geendet hatte, zündete sich der Doktor die sorgfältig gestopfte Pfeife an und paffte munter drauflos, bis sie den richtigen Zug hatte.
»Ei, ei«, sagte er dann und betrachtete McDermott zwinkernd über den Rand seines Kneifers hinweg, »mir scheint, diese neuen komplizierten Apparate gebärden sich bisweilen launisch wie junge Mädchen. Tja, Captain, und was soll ich tun, um Ihnen zu helfen?«
»Ich habe viele Ihrer Aufsätze über die Erforschung des menschlichen Gehirns gelesen, Doktor, und mich besonders für die Experimente interessiert, die Sie während des Krieges im Auftrag der deutschen Luftwaffenführung unternahmen. Ich meine vor allem die von Ihnen entwickelte Technik, künstliche Gliedmaßen durch elektronische Stromstöße zu bewegen, die vom Gehirn ausgehen.«
»Nun ja, es gab damals eine Forschungszentrale für die Wiederinstandsetzung von Kriegsverstümmelten. Anfangs glaubte ich an eine großartige humanitäre Aufgabe. Aber in Wirklichkeit sollte unsere Arbeit dazu dienen, die mit künstlichen Gliedmaßen ausgestatteten Verstümmelten wieder zu frontverwendungsfähigen Soldaten zu machen.«
»Wurde das Projekt nach dem Krieg aufgegeben?«
»Nein, die ärztliche Forschung in aller Welt hat diese Aufgabe weiterverfolgt. Dank der neuen Leichtmetalle wird es wohl eines Tages gelingen, vollendet funktionierende künstliche Gliedmaßen zu schaffen.«
»Sie waren als Gehirnspezialist an diesen Arbeiten beteiligt?«
»Ja. Ich habe mein Leben lang das menschliche Gehirn studiert. Ich wollte herausfinden, wie es seine Botschaften an die Nerven übermittelt, von denen die Körpermuskeln dirigiert werden. Und das weiß ich seit einiger Zeit.« Dr. Ehrick zwinkerte durch den Rauch seiner Pfeife zu McDermott hinüber. »Sehen Sie, mein Freund, viele unserer Forschungen während des Krieges schufen die Grundlagen für die ungeheuren Fortschritte der medizinischen Wissenschaft in den beiden letzten Jahrzehnten. Mich, zum Beispiel, brachten sie dazu, das in sich selbst abgeschlossene Gehirn zu entwickeln.«
»Ein in sich selbst abgeschlossenes Gehirn – das ist es, weshalb ich hauptsächlich zu Ihnen gekommen bin, Doktor! Soviel ich hörte, experimentieren Sie mit dem Gehirn eines Affen, der längst nicht mehr lebt. Wie lange haben Sie es bis jetzt künstlich am Leben halten können?«
»Nächsten Dienstag werden es sechsundzwanzig Monate sein.«
»Und dieses Gehirn ist noch völlig intakt?«
»Jawohl, völlig! In Jahrzehnten unermüdlichen Experimentierens habe ich nach und nach alle Fehlerquellen ausgeschaltet. Es gibt heute keinen Grund mehr, weshalb dieses Affengehirn nicht das menschliche Greisenalter erreichen sollte.«
»Ein buchstäblich in sich selbst abgeschlossenes Gehirn?« McDermott konnte sein fast fieberhaft gewordenes Interesse kaum noch zügeln.
»Freilich. Die ganze Einheit – Gehirn, Filter und Pumpe – wäre in einer Keksdose unterzubringen. Wie Sie wissen dürften, wird die Pumpe von kleinen Hochleistungsbatterien gespeist. Und jeden Monat wechseln wir die Gehirnflüssigkeit, wie Sie das Öl Ihres Autos wechseln.«
»Unglaublich!«
»Nicht so sehr. Das Gehirn stellt zwar den kompliziertesten Apparat dar, den es gibt – allein die technische Rekonstruktion des sogenannten Erinnerungsspeichers würde einen Vakuumröhrenkomputer von der Größe des Empire State Building erfordern –, aber es ist gleichzeitig äußerst robust. Durch die unübertrefflich geformte Hirnschale geschützt, kann es sehr grobe Attacken ohne nennenswerte Schäden überstehen.«
»Aber wie halten Sie ein Gehirn am Leben? Das menschliche Gehirn stirbt doch binnen weniger Minuten nach dem Aussetzen der Herztätigkeit.«
»Das tut es, ja. Die Lösung dieses Problems hat mich Jahre gekostet. Schließlich gelang es mir, eine Substanz zusammenzustellen, die das Gehirn lebendig hält, bis ich es an die Gehirnpumpe anschließen kann, die dann die Funktionen des Herzens übernimmt. Die erwähnte Substanz kann so angesetzt werden, daß sie mehrere Stunden lang wirksam bleibt.«
»Ich verstehe«, murmelte McDermott und nickte so ernst, als hätte er es wirklich verstanden. »Doch nun zu unserer großen Frage, Doktor. Erscheint es Ihnen denkbar, auch ein menschliches Gehirn als in sich selbst abgeschlossene Einheit am Leben zu halten?« Gespannt wartete McDermott auf die außerordentlich bedeutsame Antwort.
Nach kurzem Zögern erwiderte Dr. Ehrick durch die Rauchschwaden seiner Pfeife: »Ja, daran zweifle ich nicht. Unter Anwendung gewisser Verfeinerungen, die das wesentlich kompliziertere menschliche Gehirn erfordern wurde, konnte ich es für praktisch unbegrenzte Zeit am Leben halten.«
McDermott wäre am liebsten aus seinem Sessel aufgesprungen. »Doktor«, rief er, »Sie sind ein Genie! Ich kann Ihnen kaum sagen, was mir das bedeutet – vom nationalen Weltraumprogramm ganz zu schweigen.«
»Ach du meine Güte, nicht so schnell, Captain«, entgegnete Dr. Ehrick, anscheinend etwas amüsiert über McDermotts Erregung. »Wir diskutieren hier nur gewisse Möglichkeiten der ärztlichen Wissenschaft. Daneben bleiben zahlreiche andere Fragen zu erwägen. Zum Beispiel wissen wir nicht, wie sich Persönlichkeit und Charakter eines Menschen auswirken können, dessen Gehirn an eine Gehirnpumpe angeschlossen wird. Bewahrt das Gehirn seine alten Erinnerungen? Verändert sich seine geistige Haltung? Entstehen womöglich als Folge der Verpflanzung geistige Schäden? Noch weitere Umstände sind zu berücksichtigen – humanitäre, psycho-soziale –, und selbst das Gesetz muß in Betracht gezogen werden. Das alles hat mich bisher davon abgehalten, mit einem menschlichen Gehirn zu experimentieren.«
»Durchaus begreiflich, Doktor. Doch wenn alle diese Fragen geklärt sind – wären Sie dann bereit, mit einem menschlichen Gehirn zu experimentieren?«
»Ja, natürlich. Es wäre der Traum meines Lebens. Ich bin vor allem Wissenschaftler. Aber ich habe Sie auf die ungeheuren Hindernisse hinzuweisen, die bewältigt werden müssen.«
»Ich weiß noch nicht genau, wie, doch werde ich dafür sorgen, daß Ihr Traum sich verwirklichen läßt. Doktor, vielleicht wird dies ein großer Tag in unser beider Leben. Es war mir eine Ehre, von Ihnen empfangen zu werden. Aber wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten – ich muß schleunigst an die Arbeit gehen.«
»Nun gut, Captain. Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Der alte Mann begleitete McDermott zur Tür.
»Sie werden bald wieder von mir hören, Doktor.«
»Ich hoffe es, Captain. Auf Wiedersehen.«
»Leben Sie wohl, Doktor.«
Dr. Ehrick sah McDermott eilig durch die Haustür entschwinden, dann kehrte er in seinen Sessel zurück. »Welch Enthusiasmus«, murmelte er, während er seine Pfeife wieder anzündete.
»Gentlemen, ich weiß, daß Sie alle sich wundern, warum Sie unter so geheimnisvollen Umständen in das Medical Center der Air Force hier in San Antonio gebeten worden sind.« McDermott blickte in dem kleinen Konferenzsaal umher, als suche er die genauen Worte für seine Erläuterungen an die Versammlung ausgesuchter Männer, die ihn umgab. »Wir wissen natürlich, daß Sie als führende Persönlichkeiten Ihrer jeweiligen Fachgebiete außerordentlich beansprucht sind. Im Namen der Air Force und der amerikanischen Regierung danke ich Ihnen für Ihren Patriotismus und Ihre selbstlose Einordnung in höhere Interessen unseres Landes.
Ehe ich zur Sache komme, muß ich darauf hinweisen, daß diese Konferenz als ›streng geheim‹ gilt. Über die gebotenen Geheimhaltungsmaßnahmen werden Sie durch ein besonderes Merkblatt unterrichtet. Nun möchte ich Sie untereinander bekannt machen. Der Gentleman zu meiner Linken ist Doktor Ludwig Ehrick, einer der bedeutendsten Gehirnspezialisten unserer Zeit.« Allgemeines Beifallsgemurmel ertönte. Dr. Ehrick quittierte es lächelnd und schwenkte seine Tabakspfeife grüßend in alle Richtungen.
»Links neben Doktor Ehrick sitzt Mr. Harwood Brown, Chefingenieur für Elektronik bei der IBM, ein führender Fachmann auf diesem Gebiet. Der nächste ist Mr. Robert H. Anderson, Präsident der Northwest Plastics Inc., weltbekannt als hervorragender Kunststoffexperte. Dann folgt Mr. Wilfred Bruno, Professor an der Technischen Universität von Massachusetts, und Hydraulikexperte. Dann Mr. Vannamir Jackson, Chefingenieur der Staatlichen Raumfahrtlaboratorien. Dann Major Orville Johnson, Leitender Neurologe beim Medical Center der Air Force, sozusagen unser heutiger Gastgeber. Dann Doktor Isaac Gottleib, ein prominenter Wissenschaftler aus dem NASA-Center für bemannten Raumflug. Dann Mr. Harold Wallace, Chefingenieur für Automatik bei den General Motors. Und schließlich, zu meiner Rechten, Mr. Horace Lockwood von Disneyland.« Jeder der Genannten beantwortete seine Vorstellung mit kurzem Kopfnicken nach beiden Seiten. McDermott fuhr fort: »So imponierend die heute hier versammelte Expertengruppe sein mag – vollständig ist sie noch nicht. Wir beabsichtigen, von Fall zu Fall weitere Experten hinzuzuziehen.
Vermutlich wundern Sie sich über das anscheinend wenig harmonische Durcheinander von Fachgebieten, die heute hier vertreten sind, aber den Grund werde ich gleich erläutern. Zuvor möchte ich allerdings ein paar warnende Wort sagen. Das Projekt, das zur Sprache kommen soll, dürfte Sie alle verblüffen, vielleicht sogar erschrecken. Bitte, Gentlemen, seien Sie von unserer Ernsthaftigkeit gerade in dieser Sache überzeugt und kommen Sie nicht zu voreiligen Fehlschlüssen.
Ungemein Wichtiges steht auf dem Spiel. Es geht in der Tat um das Ansehen unserer Nation. Ob wir das Wettrennen um die Weltraumfahrt gewinnen oder nicht, dürfte weitgehend von der Arbeit abhängen, in der wir uns dem Programm widmen, das ich gleich umreißen werde. Ich beschwöre jeden von Ihnen, dieses Programm – gleichgültig, wie phantastisch es zunächst erscheinen mag – vorurteilslos zu erwägen.«
McDermott hielt lange genug inne, um eine Zigarette anzuzünden und die soeben gesprochenen Worte wirken zu lassen. »Gewiß sind Sie alle bestens vertraut mit dem Helios-Projekt – nicht zuletzt dank der gründlichen Berichterstattung unserer eifrigen Presse.« Rings um den Konferenztisch war niemand, der nicht mehr oder weniger diskret gelächelt hätte; der dritte Fehlstart einer Helios-Rakete war in der öffentlichen Meinung wenig liebenswürdig kommentiert worden. »Um Ihre Erinnerung aufzufrischen – die ›Helios‹ ist eine Dreistufenrakete mit mehr als zweitausend Tonnen Schubkraft und soll dazu dienen, richtige Weltraumflugzeuge vom Typ ›Brontosaurus‹ in die Höhe zu tragen. Der Typ ›Brontosaurus‹ wird verschiedenerlei Aufgaben im Weltraum erfüllen – wie, zum Beispiel, Aufspüren und Abfangen unbekannter oder feindlicher Raumfahrzeuge, Material- und Menschentransporte von der Erde zu Weltraumstationen und umgekehrt, Erforschung und Aufklärung, Rettung schiffbrüchig gewordener Raumfahrer, und so weiter. Wegen der zahlreichen Risiken wurden bei den bisherigen Helios-Starts unbemannte ›Brontosaurus‹-Attrappen verwendet. Da trotzdem jeder dieser Versuche fünfundzwanzig Millionen Dollar verschlungen hat, ist leicht zu begreifen, daß wir von nun ab mit Erfolgen aufwarten müssen.
Als der verantwortliche Mann für das bisher verwendete Leitsystem bin ich überzeugt, daß die immer stärker und komplizierter gewordenen Raketen allmählich über unsere Fähigkeit hinausgewachsen sind, hinreichend sichere synthetische Leitsysteme zu entwickeln. Ich erinnere hier an das X-15-Projekt, ein Forschungsflugzeug für extremen Höhenflug, ausgerüstet mit vollautomatischen Leitsystemen. Hätte aber diese X-15 nicht außerdem einen menschlichen Piloten an Bord gehabt, der erforderlich werdende Korrekturen sofort vornehmen konnte, dann wären über vierzig Prozent der durchgeführten Flüge unglücklich verlaufen. Die einzige Lösung ist also ein Leitsystem, das – ungeachtet aller noch so hoch entwickelten Fernsteuerungen – zusätzlich direkt von einem menschlichen Verstand kontrolliert und gegebenenfalls sofort korrigiert werden kann.«
Aus der Art, wie die Anwesenden nickten und bedeutungsvolle Blicke wechselten, erkannte McDermott, daß sie seine Meinung teilten.
»Akzeptieren wir diese Folgerung, dann, Gentlemen, mag es logisch erscheinen, unser Aggregat ›Helios-Brontosaurus‹ so zu gestalten, daß der Astronaut im ›Brontosaurus‹-Raumflugzeug direkten Einfluß auf das Arbeiten der Rakete nehmen kann. Aber leider ist dies nicht die Antwort, die wir brauchen. Unsere drei Startversuche haben erwiesen, daß die enorme Beschleunigung der Helios-Rakete und ihre ungeheuren Vibrationen den Astronauten während der ersten Aufstiegsphasen mindestens bewußtlos machen würden. Gingen wir nun daran, die Rakete so zu ändern, daß sie der begrenzten Widerstandskraft des Astronauten besser entspricht, dann müßten wir auf so viel Schubkraft verzichten, daß der ›Brontosaurus‹ kaum noch in die erforderliche Höhe zu bringen wäre.
Deshalb, Gentlemen – und hier treten Sie auf den Plan –, müssen wir einen neuen Weg versuchen. Wir müssen den menschlichen Körper so umgestalten, daß er den Gegebenheiten der Rakete entspricht. Schlicht gesagt: Wir brauchen den Verstand des Menschen, aber nicht seinen erdgebundenen Körper. Wir sind hier versammelt, um ein neues Gehäuse für das menschliche Gehirn zu finden. Wir haben den Menschen des Raumfahrtzeitalters zu entwerfen!«
Tiefes Schweigen folgte diesen Worten. Keiner der Männer am Konferenztisch rührte sich. Sie saßen da und starrten McDermott an, als wäre er ein Geschöpf aus einem anderen Sonnensystem. Schließlich blinzelten einige und begannen mit ihren Nachbarn zu flüstern. Dann, auf einmal, redete alles durcheinander.
»Bitte, Gentlemen!« McDermott klopfte ruhegebietend auf den Tisch. »Ich weiß, wie verdreht dieses Projekt klingt. Aber glauben Sie mir – wir nehmen es tödlich ernst. Ich habe Sie nicht hierher gebeten, um das Drehbuch für eine utopische Fernsehsendung zu diskutieren. Ich möchte jetzt Doktor Ehrick um einige Erläuterungen bitten. Wenn es Ihnen recht ist, Doktor ...?«
Als der berühmte Wissenschaftler aufstand, wurde alles still. Er rückte seinen Kneifer zurecht und begann: »Verehrte Kollegen, gestützt auf experimentelle Erfahrungen mit einem Schimpansengehirn, das seit nunmehr sechsundzwanzig Monaten für sich allein gesund und munter weiterlebt, glauben wir uns jetzt auch in der Lage, ein aus seiner natürlichen Umgebung gelöstes menschliches Gehirn auf praktisch unbeschränkte Zeit am Leben zu halten. Wir haben die Apparaturen, die hierzu benötigt werden, so verfeinert, daß sie zusammen mit dem Gehirn in einem Hohlraum unterzubringen sind, der nur wenig größer ist als eine normale menschliche Hirnschale. Unsere in vielen Jahren erarbeiteten Studienergebnisse zeigen, daß dieses Gehirn durch Ausstrahlung winziger elektrischer Impulse imstande sein wird, die verschiedenen Gliedmaßen eines künstlichen Körpers sinnvoll zu bewegen. Die Impulse des Gehirns gelangen zu einem künstlichen Nervenzentrum, welches ihre Wirkung verstärkt. Die erhaltene Energie wird dann durch ein Kabelnetz, ähnlich dem Nervensystem des menschlichen Körpers, zu den verschiedenen Kontrollstellen des künstlichen Körpers geleitet, die ihrerseits hydraulische Apparaturen auslösen. Hydraulische Flüssigkeit, komprimiert durch eine kleine Pumpe, die die Funktionen des Herzens übernimmt, wird die Kraft zur Bewegung der Gliedmaßen liefern. Mit wenigen Worten, Gentlemen – wir haben die Aufgabe, einen künstlichen Körper zu gestalten, der die Anweisungen des menschlichen Gehirns ausführt. Ich denke, diese Aufgabe ist zu lösen.«
Wieder folgte tiefes, benommenes Schweigen. Harold Wallace von den General Motors war der erste, der sich aus seiner Benommenheit aufrappelte, um kopfschüttelnd zu sagen: »Daß das Gehirn elektrische Impulse zum Nervenzentrum senden kann, ist mir klar. Aber wie sich dadurch auf hydraulischem Wege Gliedmaßen bewegen ließen, verstehe ich nicht.«
»Dafür haben wir Professor Bruno zu uns gebeten«, warf McDermott ein. »Als Hydraulikexperte müßte er ein hydraulisches System entwickeln können, das diese Leistung vollbringt.«
Professor Bruno wirkte etwas verstört. Im Kreuzfeuer fragender Blicke räusperte er sich und erwiderte: »Entschuldigen Sie, wenn ich zunächst einigermaßen perplex ausgesehen haben sollte. Ich habe nachgedacht. Und ich beginne zu glauben, daß sich so etwas konstruieren läßt.« Plötzlich strahlte er über das ganze Gesicht. »Ja, bei Gott! Wir haben so viele Erfahrungen mit hydraulischen Anlagen kleinster Dimensionen, daß ich sicher bin, wir können nach demselben Prinzip ein hydraulisches System zur Bewegung von Gliedmaßen konstruieren.«
»Das ist der Geist, den wir brauchen«, rief McDermott enthusiastisch. »Gentlemen, vergessen wir den anfänglichen Schock über das Projekt und wenden wir uns den Aufgaben zu, die gelöst werden sollen.«
»Ganz einfach wird es nicht sein«, ließ Harwood Brown von der IBM sich vernehmen. »Aber wir haben bereits eine Art Nervenzentrum für eine IBM-Maschine gebaut, die, abgesehen von der Fortpflanzung, beinah alles kann. Bilden wir also ein menschliches Nervenzentrum nach. Ein Modell, das wir kopieren können, ist ja vorhanden.«
»Ausgezeichnet, Gentlemen«, bemerkte McDermott zufrieden. »Ich brauche nicht zu beteuern, wie erhebend es für mich ist, Ihre Einstellung zu unserem Projekt zu sehen. Ich bitte nun Major Johnson vom Medical Center der Air Force, die Anforderungen zu nennen, denen unser Entwurf genügen muß.«
Johnson, lang, schlaksig, mit Bürstentolle und randloser Brille wirkte viel jünger, als er war. Als Chefneurologe der Air Force hatte er gründliche Erfahrungen mit den Auswahlprozeduren für Astronauten. »Gentlemen«, begann er mit heller, autoritativer Stimme, »unser Weltraummann muß so konstruiert sein, daß er dem Andruck von fünfzig Schwerkrafteinheiten widerstehen kann, vorzugsweise in sitzender Haltung. Er muß völlig immun sein gegen Schwerelosigkeit, weltraumbedingte Disorientierung und negative Fliehkräfte. Er muß buchstäblich selbstgenügsam sein, ohne Bedarf an Nahrung, Wasser und Sauerstoff. Er muß bei Temperaturen zwischen minus einhundertvierzig und plus achtzig Grad funktionieren. Seine Haut muß unempfindlich sein gegen Alkohol, hydraulische Flüssigkeit und extreme Temperaturschwankungen. Schematische Umrißzeichnungen, die Angaben der wünschenswerten Abmessungen und andere detaillierte Einzelheiten finden Sie in den Unterlagen, die wir jedem von Ihnen überreichen werden. Zweifellos werden Sie sich bei Ihren Überlegungen vor Tausende von Fragen gestellt sehen. Wenden Sie sich im Bedarfsfall bitte an unser Medical Center. Seine gesamte Belegschaft und alle seine Einrichtungen stehen zu Ihrer Verfügung. Ich danke Ihnen.« Major Johnson setzte sich wieder hin.
McDermott ergriff noch einmal das Wort. »Ich brauche nicht zu betonen, Gentlemen«, sagte er, »daß wir in dieser Sache völlig unorthodox verfahren müssen. Der nächste Helios-Start soll in genau zwölf Wochen stattfinden. Wir erwarten also von Ihnen, Unmögliches zu tun und noch dazu in lächerlich kurzer Zeit. Da es um das Ansehen der Nation geht, werden Sie uns nicht im Stich lassen. Ich danke Ihnen.«
»Eine Frage«, meldete sich Mr. Anderson von der Northwest Plastics Inc. »Angenommen, es gelingt uns, den neuen Weltraummann wunschgemäß zusammenzubasteln. Woher kommt dann das Gehirn, das ihn beseelen soll? Dieser kleine Punkt wurde bisher nicht erwähnt.«
»Eine gute Frage«, erwiderte McDermott, nicht allzu erfreut.
»Man kann ja«, fuhr der etwas geschwätzige Mr. Anderson fort, »leider nicht in das nächste Warenhaus gehen und ein menschliches Gehirn verlangen, achtzehnhundert Gramm schwer, bitte, alles überflüssige Drum und Dran entfernt ...«
»An diesem Problem«, unterbrach McDermott, »arbeiten wir bereits und werden es gelöst haben, wenn der Weltraummann fertig ist.« Das klang zuversichtlicher, als McDermott sich fühlte. Er fügte hinzu: »Und nun, Gentlemen, bitte ich Sie, Major Johnson zu folgen, der Ihnen die Laboratorien und sonstigen sehenswerten Einrichtungen des Medical Center zeigen wird.«
Die Anwesenden erhielten die verheißenen Unterlagen und gingen mit Major Johnson hinaus. Nur Dr. Ehrick blieb zurück.
»Ich denke, Sie haben sie gekauft, Captain McDermott«, sagte er und blinzelte strahlend über den Rand seines Kneifers hinweg.
»Hoffentlich haben Sie recht, Doktor. Wenn jemand uns helfen kann, dann nur diese Leute – jeder ein Spitzenkönner in seinem Fachgebiet. Den Körper unseres Weltraummannes werden wir wohl bekommen. Jetzt fehlt uns nur noch ein menschliches Gehirn.«
»Ja. Und zwar eins, dessen Eigentümer bereit ist, sich von ihm zu trennen.«
»Ich will gleich anfangen, mich darum zu kümmern.« Ausmaß und Absurdität dieses Unterfangens bedrückten McDermott. Auf seiner Stirn erschienen Sorgenfalten, während er die nächsten Schritte überlegte.
»Ich hätte da eine Idee«, sagte der Doktor und schickte sich zum Gehen an.
»Ja, Doktor?«
Dr. Ehrick betrachtete den ratlosen Captain mit leicht amüsiertem Blick. »Versuchen Sie es mal mit Zeitungsanzeigen.«