6
Die schnelle kleine T-39-Düsenmaschine stieß durch den Smogschleier, der über dem Internationalen Flughafen von Los Angeles hing, landete glatt und rollte zum Flughafengebäude. Dort stand ein Stabswagen der Air Force bereit. Die mitgebrachte chirurgische Ausrüstung wurde umgeladen, Dr. Ehrick und McDermott stiegen ein, und ab ging die Fahrt zum Städtischen Zentralkrankenhaus. Eine Motorradeskorte mit heulenden Sirenen sorgte für freie Bahn.
Während der Fahrt waren McDermott und der Doktor recht still und nachdenklich. Schließlich murmelte McDermott: »Ich möchte unserem Patienten nichts Schlechtes wünschen. Aber hoffentlich erweist es sich nicht wieder als falscher Alarm.«
»Ach ja«, seufzte der alte Doktor, »unser Projekt beschert uns ein böses Dilemma. Erfolg für uns ist nur möglich, wenn jemand ins Jenseits entweicht. So etwas verschafft einem gemischte Gefühle.«
»Mindestens das«, pflichtete McDermott bei, und beide versanken wieder in Schweigen, bis das Auto vor dem Krankenhauseingang stoppte.
Die Leitung des Krankenhauses war über das Kommen der beiden Männer unterrichtet. General Fletcher, Chef des Medical Center in San Antonio, hatte es selbst übernommen, dem ärztlichen Leiter des Krankenhauses in einem langen, vertraulichen Telefongespräch die Situation zu erklären und von ihm die Zusicherung vorbehaltloser Zusammenarbeit erhalten.
Die Zusage wurde vom ersten Augenblick an verwirklicht. Der ärztliche Leiter des Krankenhauses nahm die beiden Gäste am Eingang in Empfang und fuhr mit ihnen im Lift zur Chirurgischen Abteilung hinauf, wo sie von Chefarzt Dr. Jerome erwartet wurden, der sich persönlich um Horace Murphy gekümmert hatte.
»Wie ist Murphys Befinden, Kollege?« fragte Dr. Ehrick nach der Begrüßung.
»Hoffnung besteht nicht mehr«, erwiderte Dr. Jerome. »Ich rechne jede Minute mit seinem Ableben.«
»Welcher Art sind seine Verletzungen genau?« fragte Dr. Ehrick weiter.
»Wie Sie wahrscheinlich wissen, Doktor, wurde er von einer Unterwasserharpune getroffen. Sie zerriß ihm Leber und Galle. Wir operierten unverzüglich, aber die ausgetretene Gallenflüssigkeit hatte bereits zu einer schweren Bauchfellentzündung geführt. Er liegt im Koma. Seit dem Unfall ist er nicht mehr zu Bewußtsein gekommen. Lassen Sie uns zu ihm gehen.«
Dr. Ehrick folgte dem Chefarzt in das Zimmer des Sterbenden. McDermott entschloß sich, lieber bei der Tür stehenzubleiben. Er beobachtete, wie Dr. Ehrick sich über die reglose Gestalt auf dem Bett beugte, um sie mit einem langen, forschenden Blick zu betrachten und schließlich zufrieden mit dem Kopf zu nicken.
Da spürte McDermott, daß ihm übel zu werden drohte. Diesen Teil des Programms hatte er sich bisher nicht ausgemalt. Als er nun noch sah, wie Dr. Ehrick einen Stuhl an das Bett zog und seine Pfeife herausholte, um es sich neben dem Sterbenden bequem zu machen, hastete er ins nächste WC und übergab sich.
Die T-39 malte einen langen silbrigen Kondensstreifen an den wolkenlosen Himmel über der Arizonawüste. Die Sichtweite schien unbegrenzt. Die Wärmestrahlung der Morgensonne war noch zu schwach, um die Luftschichten durcheinanderzuwirbeln.
McDermott hatte seinen Kaffee genossen und fühlte sich recht behaglich. Er rauchte die erste Zigarette des Tages, blickte durch das Fenster an seiner Seite hinab auf die Konturen der Wüste, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, und empfand mit Gewißheit, daß dies ein guter Tag werden würde.
Von den vergangenen vierundzwanzig Stunden war dies nicht zu sagen; sie lagen wie ein böser Traum hinter ihm. Der unglückliche Horace Murphy war am frühen Nachmittag gestorben und schleunigst in den Operationssaal gebracht worden, wo Dr. Ehrick den schwierigen Eingriff vollzog, ehe der Körper erkaltete und das Gehirn anfangen konnte zu degenerieren. Die Operation wurde ein voller Erfolg. Die kleine Gehirnpumpe war schnell genug angeschlossen worden, um das Organ mit den lebenerhaltenden Flüssigkeiten zu versorgen, die das zum Stillstand gekommene Herz nicht mehr zu liefern vermochte.
McDermott konnte die Tatsache noch nicht recht fassen, daß des toten Horace Murphy Gehirn lebendig in einer Art Hutschachtel auf einem Fondsitz des Flugzeuges lag. Je weniger er daran dachte, um so wohler fühlte er sich. Mehr als ein Zweifel über das ganze Projekt war ihm gekommen, seit er das Städtische Zentralkrankenhaus in Los Angeles betreten hatte.
Dr. Ehrick hingegen schien nie in besserer Stimmung gewesen zu sein. Seine geschickten Finger hatten eine schwierige Operation vollzogen, die nie zuvor versucht worden war und die ihm die ehrfürchtige Bewunderung aller dabei anwesenden Ärzte eingetragen hatte. Jetzt, im Flugzeug, beschäftigte er sich immer wieder mit seiner seltsamen Hutschachtel, als sei er eine besorgte Glucke, die ein Ei auszubrüten hat.
»Wie ist denn die persönliche Geschichte unseres lieben Mr. Murphy?« erkundigte er sich bei McDermott, während er wohl zum fünfzehntenmal seit dem Start das Funktionieren der Gehirnpumpe kontrollierte.
»Darüber kann ich leider noch nicht viel sagen. Man wird uns eine Abschrift des Lebenslaufs aus seiner Personalakte schicken. Er war ein Junggeselle ohne nahe Verwandte und arbeitete als Testpilot bei der Rockwell-Aviation. Rockwell baut bekanntlich Düsenflugzeuge für Trainingszwecke der Air Force. Sein Chef bei Rockwell meint, er sei der waghalsigste Testpilot gewesen, den sie je hatten. Die Firma schätzte ihn sehr.«
»Das klingt gut, nicht wahr?«
»Ja. Aber ich sprach auch mit der Stationsschwester im Krankenhaus. Sie sagte, Murphy müsse sehr vertraut mit sehr vielen Frauen gewesen sein. Während der kurzen Zeit, die er im Krankenhaus lag, wurde sie von Telefonanrufen förmlich überschwemmt – fast ausnahmslos Anrufe von Frauen.«
Dr. Ehrick lachte still vor sich hin. »Nun, ich kann bezeugen, daß er jung und hübsch war. Kein Wunder, daß er heiße Gefühle für Mädchen hegte, wenn er Tag um Tag heiße Düsenflugzeuge durch die Lüfte jagte. So etwas steckt an, nicht wahr?«
Auch McDermott mußte lachen, obwohl ihm dabei nicht ganz behaglich zumute war. Dann fragte er: »Wie geht es dem Gehirn?«
»Prächtig. Die kleine Pumpe arbeitet wie ein Uhrwerk.«
Da sich der Doktor wieder in eine Kontrolle der Gehirnpumpe vertiefte, drückte McDermott den Rest seiner Zigarette in den Aschenbecher neben seinem Sitz und entfaltete die Morgenzeitung, die er unmittelbar vor dem Start auf dem Flughafen gekauft hatte. Sein erschrockener Blick traf die Schlagzeile:
»›Crash‹ Murphy bei Stelldichein getötet!«
Darunter stand zu lesen:
»Gestern nachmittag starb im Zentralkrankenhaus der berühmte Testpilot Horace ›Crash‹ Murphy an den Verletzungen, die er tags zuvor durch einen Harpunenschuß erlitten hatte.
Die Polizei untersucht die mysteriösen Umstände beim Tod des unverheirateten Fliegers, der im Swimmingpool der luxuriösen Beverly-Hills-Residenz des bekannten Schauspielers André LaFlare von einer Unterwasserharpune in die Brust getroffen wurde.
Zeugen berichten, daß kurze Zeit vorher eine lautstarke Auseinandersetzung über die Aufmerksamkeiten zu hören gewesen sei, die der Flieger dem Filmstarlet Diane LaFlare, Ehefrau des Gastgebers, widmete. Bald danach wurde Murphy im Swimmingpool mit einer Harpune in der Brust gefunden. Diane LaFlare stand mit einem Harpunengewehr ganz in der Nähe. Sie wurde in polizeilichen Gewahrsam genommen.
Der plötzliche Tod des berühmten Testpiloten bedeutet einen Schock für viele Bewohner dieser Stadt insbesondere auch für weite Kreise der Filmschaffenden in Hollywood, mit denen ihn freundschaftliche Beziehungen verbanden. Er galt als einer der tollkühnsten Testpiloten der ganzen Welt. Erst letzten Monat machte er von sich reden, als er mit seinem defekt gewordenen Privatflugzeug sicher auf der leeren Ladefläche eines Lastautos landete.
Soviel wir erfahren konnten, hatte der Verstorbene keine nahen Verwandten.«
Mitten in der Textspalte war ein Foto von Murphy vor einem Düsenjäger. Es zeigte einen hochgewachsenen, schlanken, breitschultrigen, männlich hübschen Kerl mit blondem Haarschopf. Ohne Kommentar reichte McDermott die Zeitung dem Doktor hinüber, wies aber auf die Story und das Foto. Dr. Ehrick rückte seinen Kneifer zurecht und las. Als er damit fertig war, sah er auf und blinzelte McDermott heiter zu. »Scheint ja so«, sagte er, »als hätte unser Freund großen Erfolg bei Frauen gehabt.«
»Ja, so scheint es.« McDermott starrte aus dem Fenster. »Wissen Sie, Doktor, daß wir im Begriff sind, einen von Hollywoods wildesten Schwerenötern wiederauferstehen zu lassen? Haben Sie nicht das Gefühl, daß wir uns da in etwas einmischen, in das wir uns lieber nicht einmischen sollten? Ich weiß – dies klingt sehr unwissenschaftlich. Aber seit unserem Besuch im Krankenhaus habe ich über vieles nachdenken müssen. Handeln wir richtig, Doktor?«
»Lieber junger Freund«, antwortete Dr. Ehrick und betrachtete McDermott über den Rand seines Kneifers, »jeder große wissenschaftliche Fortschritt, von der Erfindung des Schießpulvers bis zur Erschließung der Kernenergie, hat seinen geistigen Vätern böse Ahnungen beschert. Wahrscheinlich verbrachte sogar der Erfinder der Sicherheitsnadel schlaflose Nächte mit sorgenvollen Gedanken, daß zarte Babykehrseiten durch seine Erfindung schmerzhafte Stichverletzungen erleiden könnten. Wir können den Vormarsch der Wissenschaft nicht stoppen. Wir können nur versuchen, dafür zu sorgen, daß die wissenschaftlichen Fortschritte in demselben Geist genutzt werden, wie sie errungen wurden. Beruhigen Sie Ihr Gewissen, mein Freund. Wir stehen an der Schwelle einer großen und verblüffenden wissenschaftlichen Entwicklung. Lassen Sie uns diese Schwelle nicht unsicher stolpernd überschreiten.«
McDermott blickte bewundernd zu Dr. Ehrick. Dieser alte Wissenschaftler hatte eine geniale Art, große Ideen in einfachste Form zu bringen.
»Ich denke, Sie haben recht, Doktor«, sagte er lächelnd und wandte sich halb zur Seite, um der Hutschachtel auf dem Fondsitz einen liebevollen kleinen Klaps zu versetzen. »Ich weiß nicht, welche Art Ungeheuer wir ins Leben rufen werden. Aber wir wollen unser Bestes tun.«
»Bravo! Das ist die richtige Auffassung, Captain«, rief der Doktor und versetzte McDermott einen freundschaftlichen Rippenstoß. »Nur keine Angst. Wir werden es schon schaffen.«
Es galt als längst beschlossene Sache, daß die Montierung des Gehirns im Auditorium Maximum des Medical Center in San Antonio stattfinden würde. Im Medical Center stand alles zur Verfügung, was zu einem hypermodern eingerichteten Hospital gehörte, außerdem beherbergte es die Labors und feinmechanischen Werkstätten, in denen alle Einzelteile des Körpers von ADAM M-1 entstanden, immer wieder überprüft und verbessert und schließlich zusammengebaut worden waren.
Seit seiner gelungenen ersten Vorführung lehnte der Weltraummann reglos in einer Ecke des großen Zentrallabors, das zur Zeit ausschließlich für das ADAM-Projekt benutzt wurde, und sah aus unbelebten Augen dem emsigen Treiben wissenschaftlicher und technischer Experten zu, die ständig neue Verfeinerungen ersannen, entwarfen und ausführten. Er war bereit für das lebendige Organ, das seinem bis jetzt unbeweglichen Körper wirkliches Leben verleihen würde. Und nun war dieses Organ auf dem Weg zu ihm.
Die Gummireifen der T-39 jaulten über die Landebahn des Air Force-Flugplatzes bei San Antonio. Als das Flugzeug zum Stehen gekommen war und ein Stabswagen des Medical Center herbeirollte, wunderte sich McDermott, neben dem Air Force-Offizier am Lenkrad ein bekanntes Gesicht zu entdecken – das sommersprossige, leicht bejahrte Lausbubengesicht von Major C. C. Callaghan, dem Informationsoffizier aus dem Pentagon.
»Hallo, ihr meine Lieblingsgespenster«, grüßte Callaghan beim Aussteigen. »Wie geht's?«
»Oh, nicht schlecht«, antwortete McDermott. »Aber was treiben Sie hier, Cal?«
»Davon später.«
McDermott machte Callaghan mit Dr. Ehrick bekannt, der die Vorstellung kaum beachtete, weil seine ganze Aufmerksamkeit dem Kleinod von Hutschachtel galt, das er nicht aus den Händen ließ. Callaghan half ihm mit seinem kostbaren Gepäck in den Stabswagen und sagte: »Doktor, dieser Wagen wird meinem Wagen folgen. Wir fahren auf kürzestem Weg zum Medical Center. Wenn Sie damit einverstanden sind, möchte ich Captain McDermott in meinem Wagen mitnehmen, um einiges mit ihm zu besprechen.«
»Gewiß, Major«, antwortete Dr. Ehrick zerstreut. »Hauptsache, wir sehen uns im Medical Center wieder.«
Callaghan geleitete McDermott zur anderen Seite des Flugplatzgebäudes, wo ein langer schwarzer Cadillac-Leichenwagen geparkt stand. »Steigen Sie ein, Jeff«, sagte er und setzte sich hinter das Lenkrad.
McDermott war verdutzt. »Woher haben Sie dieses Vehikel?« fragte er beim Einsteigen. »Der Air Force gehört es bestimmt nicht.«
»Natürlich nicht.« Callaghan weckte die hundert Pferdekräfte, die unter der makellos polierten Motorhaube geschlummert hatten und nun den langen Wagen fast lautlos auf die zur Stadt führende Straße zogen. »Dieses Vehikel ist ein sogenannter Nebennutzen.«
»Nebennutzen?«
»Richtig. Eine der nützlichen Begleiterscheinungen, wenn man Eigentümer der Callaghan-Casket-Corporation ist. Wir haben Filialen in allen größeren Städten. Wenn ich in einer fremden Stadt bin, brauche ich nur unsere Filiale anzurufen und habe binnen kürzester Zeit einen dieser schönen Spezial-Cadillacs zur Verfügung. Großartig, wie?«
»Hmm, ein etwas ausgefallenes Beförderungsmittel, nicht wahr? Es macht mich ein bißchen gruseln.«
»Nur, weil Sie noch nie in einem gefahren sind, Jeff! Vergessen Sie für einen Moment, daß man mit einem Leichenwagen gewisse Vorurteile verbindet. Betrachten Sie die Sache strikt unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Bequemlichkeit. Hatten Sie je eine glattere Fahrt?«
McDermott mußte bekennen, daß dies tatsächlich noch nie der Fall gewesen war. Das lange Auto glitt so sanft über die Straße wie ein riesiger Ozeandampfer über den sommerlich ruhigen Atlantik.
»Die Autofabrikanten in Detroit«, fuhr Callaghan fort, »schlagen sich selbst k.o., indem sie weichste Fahrt solchen Benutzern bescheren, denen es nichts ausmachen würde, von einem stolpernden Kamel über steinige Gebirgspfade getragen zu werden. Das konnte ich nie ganz begreifen.«
»Da haben Sie eigentlich recht.«
»Und dann die vielen verborgenen Vorzüge eines Leichenwagens«, frohlockte Callaghan. »Vermutlich haben Sie noch nie versucht, im ruckwärtigen Teil eines dieser wundervoll ausgestatteten und sehr geräumigen Spezial-Cadillacs mit einer hübschen Frau zu flirten?« Er pfiff genießerisch vor sich hin. »Es gibt nichts Schöneres auf der Welt! Das ist ein Nebennutzen, von dem Sie nie geträumt hätten, was?«
»Wohl kaum. Ich bin nicht ganz sicher, daß es meinem Geschmack entspräche.«
Rotes Licht an einer Straßenkreuzung zwang Callaghan zum Stoppen. Der Cadillac hielt neben einem roten Kabriolett mit heruntergeklapptem Verdeck. Am Lenkrad des Kabrioletts saß eine sonnengebräunte und sehr anmutige junge Frau. Als sie unwillkürlich zu dem Cadillac hinübersah, bekam sie vor Verwunderung ganz große Augen. Normalerweise erwartet man in einem Leichenwagen die würdevolle Miene eines betont seriösen Fahrers zu sehen. Die anmutige junge Frau hingegen erblickte C. C. Callaghans sommersprossiges Gesicht unter einem verwegen aufgesetzten Air Force-Käppi. Daß dieses Gesicht fröhlich grinste und ihr zu allem Überfluß auch noch zublinzelte, versetzte ihr einen Schock. Beim Lichtwechsel verlor sie keine Zeit, mit ihrem Kabriolett davonzujagen.
»Sie sehen«, sagte Callaghan beim Anfahren, »daß ich Eindruck auf Frauen mache.«
»Ja, so schien es mir auch.«
»Dieser Spezial-Cadillac hat viele Vorzüge, aber für Verfolgungsjagden ist er nicht gebaut.« Das Kabriolett war schon fast außer Sicht gekommen. »Wie traurig. Die anmutige Fremde ist aus meinem Leben entschwunden, kaum daß sie darin erschienen war. Sie weiß nicht, was ihr dadurch verloren geht. So ist das Leben.« Callaghan verlangsamte das Tempo, damit der Stabswagen aufschließen konnte.
»Cal«, fragte McDermott, »weswegen sind Sie eigentlich nach San Antonio gekommen?«
»Ihretwegen.«
»Meinetwegen? Wie das?«
»Sie scheinen mir irgendwie gram zu sein. Andernfalls würden Sie mich nicht so lieblos behandeln. Zuerst machen Sie die Presse wild, indem sie kreuz und quer durch das ganze Land Fernschreiben schicken, mit denen Sie Gehirnspender suchen. Leider vergessen Sie dabei, das Standort-Informationsbüro zu unterrichten, so daß auch das Pentagon ahnungslos bleibt und ich eigens aus Washington herbeieilen muß, um den Wirbel zu dämpfen. Sie geloben Besserung. Doch was tun Sie jetzt, nur wenige Wochen später? Sie Riegen heimlich nach Los Angeles, besorgen sich dort das Gehirn eines Hollywood-Playboys und fliegen heimlich zurück nach San Antonio. Nein, mehr haben Sie nicht getan.«
McDermott war erschrocken. Bis zu diesem Moment hatte er gar nicht daran gedacht, daß die Presse für seine nette kleine Gehirnbeschaffungsaktion auch nur das leiseste Interesse haben könnte. Jetzt erkannte er, daß er abermals seine Beziehungen zum Informationsoffizier der Air Force getrübt hatte. »Meine Güte, Cal! Wieder habe ich denselben Fehler gemacht.«
»Und ob. Als gestern jeder Pressedienst, einschließlich Reuters, beim Medical Center anzutelefonieren begann, schickte General Fletcher einen Hilferuf ans Pentagon. Und wieder mußte ich kommen, um den Wirbel zu dämpfen.«
»Cal, es tut mir leid ...«
»Wissen Sie, Jeff – Sie erinnern mich an einen anderen Witzbold, der mir eine Menge Schwierigkeiten einbrockte. Haben Sie zufällig mal von einem Captain Williams gehört?«
»N-nein, ich glaube nicht.«
»Nun, er ist auch ein Wissenschaftler der Air Force. Und er stiftete ganz hübsche Verwirrung, als er im Zuge wissenschaftlicher Forschungen einer Delphinin namens Penelope das Sprechen beibrachte. Wollte das zutrauliche Dreizentnertierchen in seiner Badewanne haben! Scheint so, als sei ich dazu ausersehen mir nach und nach eine ganz nette Sammlung von Idioten anzuschaffen. Finden Sie das nicht auch?«
»Cal, es tut mir wirklich leid. Wie hat bloß die Presse Wind davon gekriegt?«
»Die Stadt Los Angeles kann kaum als militärische Einrichtung betrachtet werden. Daher läßt sich dort so etwas nicht geheimhalten. Irgendwer im Krankenhaus scheint geplaudert zu haben – ein Arzt, eine Schwester, wer weiß? Immerhin ist die Story faszinierend. Und sie verbreitete sich wie ein Buschfeuer.«
»Verdammt! Was haben Sie der Presse gesagt?«
»Noch gar nichts. Bis jetzt habe ich das altbewährte ›Geheim‹-Laken über die ganze Sache gebreitet. Nur weiß ich nicht, wie lange wir das noch machen können.«
»Wenn es nur so lange wäre, bis wir den ersten Flug glücklich hinter uns haben. Auch ohne die gesellschaftlichen und psychologischen Einwände der Öffentlichkeit plagen uns genug Probleme. Eine ungünstige Presse könnte ein schweres Hindernis sein.«
»Damit sollten Sie auf jeden Fall rechnen«, riet Callaghan und erwiderte lässig den militärischen Gruß des verdutzten Wachtpostens an der Einfahrt zum Medical Center. »Erinnern Sie sich an den Wirbel, als der erste Schleudersitz für Düsenjägerpiloten erprobt werden sollte?«
»Nein, das war vor meiner Zeit.«
»Nun, wir wollten einen Schimpansen als Versuchsperson benutzen. Aber das wurde durch eine wütende Pressekampagne der Tierschutzvereine verhindert. Also kommandierte man einen Sergeanten dazu ab. Niemand widersprach, ausgenommen der Sergeant. Er hatte seine eigenen Gedanken über das Experiment. Nicht einmal unrichtige Gedanken, wie sich erwies. Denn der arme Kerl mußte nachher mehrere Monate im Hospital zubringen, ehe er wieder unter Menschen gehen konnte.«
»Cal, wie lange kann unsere Sache geheimgehalten werden?«
»Zunächst werde ich versuchen, die Reporter zu überzeugen, daß es sich um eine Angelegenheit rein wissenschaftlicher Forschung handelt. Ich glaube nicht, daß jemand die Wahrheit ahnt.« Callaghan stoppte den Cadillac vor dem Laborgebäude und wandte sich wieder an McDermott. »Ich hoffe, auf diese Art können wir es noch eine Weile unter Verschluß halten. Unterrichten Sie mich über Ihre Fortschritte, Jeff.«
»Danke, Cal. Und entschuldigen Sie ...«
»Schon halb vergessen«, unterbrach Callaghan. Nachdem McDermott ausgestiegen war, fügte er hinzu: »Sagen Sie mir Bescheid, Jeff, wenn Sie sich eines Abends diesen Wagen leihen wollen. Die rückwärtige Kabine ist weich gepolstert und breit wie ein französisches Bett. Ganz in Rosa gehalten.«
»Sehr verbunden«, murmelte McDermott. »Aber wir haben wichtige Arbeit zu tun, die mir kaum Zeit lassen wird, auch nur daran zu denken.« Er wandte sich dem Stabswagen zu, der hinter dem Cadillac stoppte.
»Wie Sie wollen. Bis später, also.« Callaghan winkte einen Gruß und rollte mit seinem Spezial-Cadillac lautlos davon.