14
ADAM sang laut und schmetternd vor sich hin. Noch nie war er besser bei Stimme gewesen. Erfrischt von einem langen, festen Schlaf, machte er sich bereit, zur Erde zurückzukehren. Er zündete die Bremsraketen, um die Fluggeschwindigkeit zu mindern. Bald würde er wieder in die Atmosphäre eintauchen, und dann ...
»Helios-Kontrolle ruft Brontosaurus eins.«
»Bitte kommen, Helios-Kontrolle«, sagte ADAM fröhlich, er hatte McDermotts Stimme erkannt.
»Ich höre merkwürdig heulenden Radau auf Ihrer Wellenlänge. Klingt, als wären Sie in einen sausenden Sternschnuppenschwarm geraten.«
»Kein Sternschnuppengeheul, mein Freund – Gesang! Ich tauche binnen weniger Minuten in die Atmosphäre ein, aber bis dahin kann ich Sie gern noch mit meinem Gesang ergötzen.«
»ADAM, das Kontrollzentrum meldet, Sie hätten Ihre Bremsraketen gezündet. Natürlich haben Sie Ihre lächerliche Idee aufgegeben, in Washington zu landen?«
»Tut mir leid, Sie zu enttäuschen, Jeff, aber das ist mein Ziel. Habe bei letzter Erdumkreisung dortige Wetterlage geprüft. Ideal.«
»Verdammt, ADAM! Wenn Sie in Washington landen, bringe ich Sie vors Kriegsgericht!«
»Einen Zivilisten vors Kriegsgericht bringen? Wie wollen Sie das denn machen, alter Freund?«
»Ganz einfach – wir lassen Sie einziehen! ADAM, Sie dürfen eine Landung in Washington nicht riskieren!«
»Nicht zetern, Jeff! Ich gedenke die ungeahnten militärischen Möglichkeiten eines Raumflugzeugs zu demonstrieren, das von Hand gesteuert und mit eigener Kraft aus dem Weltraum zurückkehrt.«
»ADAM, Sie haben diese Landung in Washington schon vorher geplant! Hätten wir das gewußt, dann ...«
»... dann hätten Sie mich nie mit der ›Helios‹ losgeschickt, nicht wahr? Aber wen sonst? Und jetzt ist sowieso nichts mehr zu machen.«
»Na gut«, knirschte McDermott. »Ich werde das Kontrollzentrum informieren. Doch warne ich Sie! Wenn Gillespie davon hört, dann ...«
»... dann soll er mal versuchen, über diese Radiowelle zu mir emporzuhangeln und mir den Auspuff zu verstopfen ... Schnell, ehe ich in die Atmosphäre tauche und die Radioverbindung ausfällt – wollen Sie mir einen Gefallen tun, alter Junge?«
»Welchen?«
»Dafür sorgen, daß ich auf dem Dulles-Flughafen ein großes eisgekühltes Bier vorfinde. Ich will es mir in die Haare reiben ... Bis bald, alter Junge ...«
»ADAM, bitte! Um Gottes willen ...«
McDermott wußte, daß weitere Beschwörungen zwecklos wären. Er brach die Verbindung ab und bedachte, da ADAM unerreichbar war, wenigstens den in der Nähe befindlichen General Beauregard mit einem so bitterbösen Blick, daß der empfindsame General sich scheu in die nächste Ecke verzog.
Mit behutsamen Händen schmeichelte ADAM die schwarze Maschine der Erde entgegen. Bei Erreichen der äußersten Atmosphäreschicht begann sie etwas Halt für ihre kurzen Flügel zu finden. Doch dieselbe dünne Luft, die den Flügeln Halt gab, erzeugte enorme Reibungswiderstände auf der gesamten Außenhaut der Maschine. Scharf beobachtete ADAM die Temperaturskalen. Wenn die Meßwerte kritisch werden wollten, gab er etwas Höhenruder und zog die Maschine vorsichtig in die Höhe, so daß sie erheblich an Geschwindigkeit verlor, ehe er sie in die nächste Gleitflugetappe brachte. Dadurch bewahrte er sie davor, beim Durchrasen der Atmosphäre wie Zunder aufzuflammen. Mehr als einmal glühten ihre Flügelkanten schon kirschrot, ehe er das Steigmanöver durchführen und die Geschwindigkeit verringern konnte.
Weitere Schwierigkeiten entstanden nicht. Das genial konstruierte Raumflugzeug war dafür gebaut, ungeheuren Temperaturschwankungen und Druckbelastungen standzuhalten. Binnen weniger Minuten hatte ADAM die Zone durchstoßen, die keinen Funkverkehr erlaubte.
»Air Force X zweiundzwanzig ruft Kontrollturm Dulles-Flughafen«, sagte er in sein Sprechgerät.
Keine Antwort. ADAM versuchte es von neuem: »Air Force X zweiundzwanzig ruft Kontrollturm Dulles-Flughafen. Bitte melden.« Diesesmal wurde sein Ruf aufgefangen.
»Air Force X zweiundzwanzig, hier Kontrollturm Dulles-Flughafen, Washington. Bitte sprechen.«
»Dulles, verstanden. Erbitte Landeeinweisung.«
»Air Force X zweiundzwanzig, verstanden. Landung gegen Süd, Landebahn neunzehn. Wie ist Ihre gegenwärtige Position?«
»Dulles, verstanden. Ansetze zu weitem Rechtsbogen, um Landebahn neunzehn von Norden her zu erreichen.«
Kurze Stille. Dann war der Kontrollturm wieder zu vernehmen: »Air Force X zweiundzwanzig, ich habe Sie nicht in Sicht. Wiederholen Sie bitte Ihre Position.«
»Dulles, verstanden. Gegenwärtige Position von Air Force X zweiundzwanzig – über Südostaustralien. Genauer gesagt – über Sydney, glaube ich.«
Im Dulles-Kontrollturm herrschte einen Moment lang Schweigen. Dann schloß der Vermittler sein Mikrophon und sagte zu seinem Kollegen: »He, Sam, da habe ich so einen auf der Welle! Gibt an, in Dulles landen zu wollen und zur Zeit über Sydney, Australien, zu sein. Ich wünschte, diese Trunkenbolde beschränkten sich auf die Autostraßen und ließen die Luftwege ungeschoren.«
»Nimm auf Tonband, was er sagt«, rief der Kollege. »Wir melden es weiter, und die FAA kann ihn festnageln.«
»Kontrollturm Dulles an Air Force X zweiundzwanzig. Sie sagten eben, Ihre Position sei über Sydney, Australien?«
»Schon wieder vorbei, Dulles«, antwortete ADAM. »Jetzt bin ich über den Salomoninseln. Habe guten Rückenwind, müssen Sie wissen.«
»Na, großartig«, sagte der Vermittler, schloß das Mikrophon abermals und wandte sich wieder an seinen Kollegen: »Du, Sam – jetzt ist er über den Salomoninseln!«
»Ha, bestimmt ein Cockpitcocktailpartyfan! Halte ihn am Sprechen. Ich informiere die FAA. Wie ist seine Nummer?«
»Seine Nummer ist – heiliger Strohsack! Jetzt dämmert mir was. Air Force X zweiundzwanzig – ist das nicht die Nummer von ›Brontosaurus‹?«
»Verdammt, ja! Das ist sie!«
Das Mikrophon wurde wieder geöffnet. »Kontrollturm Dulles an Air Force X zweiundzwanzig. Sind Sie es, ADAM?«
»Wer sonst könnte es sein? Überfliege jetzt Hawaii. Schätze, Dulles in etwa dreiundzwanzig Minuten zu erreichen. Wie ist das Wetter bei euch?«
»Prima. Aber ich dachte, Sie landen in Edwards?«
»Ich kenne doch keine Seele in Edwards. Außerdem hörte ich rühmen, daß es im Pentagon buchstäblich wimmelt von vollbusigen Sekretärinnen.«
»Mir unbekannt. Meine Frau läßt mich nicht nachforschen.«
»Aufrichtiges Beileid ... Wie ist der Bodenwind bei euch?«
»Zwölf bis fünfzehn Knoten, stetig aus Süd.«
»Fein. Sehe Sie bald.« ADAM machte Eintragungen in sein Bordbuch. Als die Westküste von Kalifornien in Sicht kam, schaltete er sein Sprechgerät wieder ein: »Air Force X zweiundzwanzig an Kontrollturm Dulles. Passiere Los Angeles um achtzehn Uhr zwölf, werde Dulles gegen achtzehn Uhr einundzwanzig erreichen. Dulles, melden Sie meinen Anflug der FAA? Ich möchte vermeiden, daß Abfangjäger gegen ein unbekanntes Flugobjekt eingesetzt werden.«
»Bereits gemacht, ADAM. Flugdienst und FAA sind informiert. Bleiben Sie dabei, daß Sie in Dulles landen wollen? In Edwards ist doch viel mehr ungenütztes Terrain ...«
»Mann, ich habe mich festgelegt«, sagte ADAM. »Sorgen Sie für freie Einflugschneise und huschen Sie in Ihren Kartoffelkeller.«
»Einflugschneise ist klar, ADAM. Keine Konkurrenz zu befürchten. Alle Maschinen vom Linienflugverkehr wurden informiert. Stoben davon wie ein Schwarm aufgescheuchter Enten.«
»Feiglinge!«
»Eben schwenkt über dem Flugfeldrand ein großer Luftbus ab. Scheint nach Baltimore auszuweichen.«
»Hmm, hören Sie, Dulles. Ich fürchte, ich habe etwas zu viel Höhe verloren. Diese Maschine hat wirklich die Segeleigenschaften eines Bleischlittens! Über New Mexico, wo der Krach nicht viel stören dürfte, will ich ihr wieder etwas Auftrieb geben.«
Als ADAM einige Meilen über Albuquerque hinaus war, öffnete er die Antriebsdrossel. Unter donnerndem Getöse schoß die Maschine in mächtigem Sprung vorwärts und gewann schnell wieder an Höhe.
»ADAM«, fragte die besorgte Stimme vom Kontrollturm Dulles, »haben wir noch Verbindung?«
»Klar, Dulles. Bin jetzt über Kentucky. Flughöhe und- neigung sind gut. Schwenke das Landegestell aus.«
»Der verdammteste Anflug, den ich je erlebt habe«, sagte die Stimme vom Kontrollturm Dulles.
»Landegestell ist ausgefahren«, meldete ADAM.
»Washington Radar wird Sie einweisen, falls Sie dies wünschen«, verkündete der Kontrollturm.
»Nicht nötig, Dulles. Ich werde nicht einmal das automatische Landesystem benutzen. Ich will beweisen, daß diese Maschine von Hand zu landen ist.«
»Verstanden. Wie hoch schätzen Sie Ihre Einfluggeschwindigkeit?«
»Laut Komputer einhundertneunzig Knoten beim Passieren der nördlichen Flugfeldgrenze.«
»Verstanden, ADAM.«
»Noch eins, Dulles. Stellen Sie einen Abschleppwagen bereit, der mich nach dem Landen vom Rollfeld zieht. Mein Gummibürstensystem rollt nicht so gut.« Statt mit normalen Fahrgestellen war der ›Brontosaurus‹ mit drei riesigen Gummibürsten ausgerüstet, die nach Meinung der Ingenieure am besten geeignet sein würden, der enormen Hitzeentwicklung standzuhalten, mit der bei einer Landung in extrem hoher Geschwindigkeit zu rechnen war.
»Wird gemacht, ADAM«, antwortete der Kontrollturm. »Abschleppwagen, Bergungswagen und Feuerwehren stehen bereit. Leichenwagen ebenfalls erwünscht?«
»Nicht nötig, Dulles. Wenn ich nicht heil zum Halten komme, genügt für die Überbleibsel ein nasser Schwamm. Schwenke jetzt zur Landung ein.«
»Verstanden, ADAM. Habe Sie auf weite Entfernung in Sicht. Bodenwind nach wie vor zwölf bis fünfzehn Knoten, stetig von Süd.«
»Verstanden, Dulles.«
»Hals- und Beinbruch, ADAM.«
ADAM antwortete nicht. Jede Faser seines Körpers war gespannt wie eine Banjosaite, als die schwere schwarze Maschine über das Hügelland dahinsauste und sich der Viertausend-Meter-Landebahn des Dulles-Flughafens näherte. ADAM sah die Nadel seines Geschwindigkeitsmessers über die Skala gleiten wie einen Sekundenzeiger. Dreihundertachtzig Knoten, 370, 360, 350, 340 ... Falls sein Komputer exakt arbeitete, würde die Geschwindigkeit beim Passieren der Flugfeldgrenze nahe bei einhundertneunzig Knoten liegen. Zweihundertsiebzig, 260, 250, 240, 230 ... Ein Blick auf die Instrumente zeigte ADAM, daß der Neigungswinkel goldrichtig war. Zweihundertzehn, 200, 195, 190 ... Er sah unten die Grenzmarkierung des Flugfeldes und voraus die breite Landebahn, die ihm mit Expreßzuggeschwindigkeit entgegenzustürmen schien.
Er riß den Steuerknüppel zurück, gab etwas Rechtsruder, um die leichte Linksdrift der Maschine auszugleichen, und verspürte gleich darauf eine ungeheure Vibration, als die Gummibürsten mit der Landebahn in Berührung kamen. Die Bürsten verwandelten die gewaltige Energie der Vorwärtsbewegung in Hitze und vergingen in einem Schauer von Funken und Rauch, während das Raumflugzeug die Landebahn entlangschlitterte. In einer rollenden Woge von Rauch und Staub kam es schließlich zum Halten.
ADAM hatte es geschafft. Er hatte das erste gelenkte Raumflugzeug aus dem Weltraum zurück auf die Erde gebracht. Er hatte keine anderen Navigationshilfen als seinen Bordkomputer gebraucht, um eine Präzisionslandung auf einem normalen Flughafen zu machen. Auf einem Zivilflughafen noch dazu.
Er war plötzlich sehr müde. Die gewaltige Spannung der letzten Stunden verflog und ließ ihn erschöpft zurück.
Das Sirenengeheul der heranjagenden Wagenkolonne belebte ihn wieder. Er wußte von so manchem Piloten, der eine dramatische Landung nur überlebt hatte, um gleich danach den Schädel eingeschlagen zu kriegen, weil übereifrige Retter mit ihren Äxten blindwütig das Kabinendach zerhackten, ohne richtig hinzusehen. Er schob also das Dachluk zurück, stand im Cockpit auf und schwenkte die Arme, um den Leuten vom Bergungstrupp zu bedeuten, sie sollten ihre Äxte sinken lassen und ihm in brüderlicher Liebe nahen.
Diese Handlung wurde zum einzigen Fehler, den ADAM während des ganzen Raumfluges beging. Aber wie hätte er auch wissen sollen, daß ausgerechnet der junge Silas Cornwell den neuen Schaumlöschwagen der Flughafenfeuerwehr lenkte?
Silas Cornwell war mit Leib und Seele Feuerwehrmann – ein Feuerwehrmann aus Leidenschaft, sozusagen. Tag und Nacht träumte er von Heldentaten, die er mit seinem sechsrädrigen Schaumlöschwagen, diesem Meisterwerk modernster Feuerlöschtechnik, vollbringen würde – einen Schaumteppich auf ein brennendes Passagierflugzeug legen, um die Insassen, Männer, Frauen und Kinder, vor dem schrecklichen Feuertod zu bewahren.
Bis zu diesem Tag indessen hatte es auf dem Dulles-Flughafen, dem bestangelegten und bestausgestatteten Jet-Flughafen der Welt, noch nicht mal einen Grasbrand zu löschen gegeben. So mag die Gemütsbewegung verständlich sein, die den jungen Mann erfüllte, als er von der Bodenkontrolle zum südlichen Ende der Landebahn 19 beordert wurde, wo er bereits Bergungswagen, andere Feuerwehrwagen und noch einige Fahrzeuge mehr versammelt fand.
Dann sah er die ungeheuer schnelle schwarze Maschine vom Himmel herniederstoßen und die Landebahn entlanggerast kommen, wobei Funken und Rauch aus ihrem seltsamen Fahrwerk stoben. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Dies war der Tag, für den er gelebt hatte!
Blitzschnell den Punkt berechnend, wo die Maschine zum Stehen kommen würde, erkannte er, daß sein monströser Schaumlöschwagen die günstigste Startposition aller anwesenden Fahrzeuge hatte, brüllte: »Auf ihn mit Sankt Florian!«, gab Gas und steuerte querfeldein den errechneten Punkt an. Als er die schwarze Maschine wirklich dort zum Halten kommen sah, bremste er scharf und brachte seinen Wagen in Richtung.
Rauch und Staub aus dem Fahrwerk der Maschine wogten über dem Cockpit empor. In seinem Zielgerät, das mit dem schwenkbaren Schaumsprührohr gekoppelt und von dem Fahrersitz aus zu bedienen war, peilte er das Cockpit an und drückte den Abzug.
In genau diesem Moment stand ADAM auf, schwenkte die Arme und – bekam eine erste Ladung von schätzungsweise neunzig bis hundert Litern hochkomprimiertem Schaum gegen den Kopf gespritzt. Der Aufprall warf ihn aus der Cockpit und ließ ihn, mit Schaum bedeckt und von Schaum umgeben, in einem Schaumhaufen unter dem rechten Flügel der Maschine landen.
Da immer mehr Schaum herangeflogen kam, versuchte er gar nicht erst aufzustehen. Auf einen Ellbogen gestützt, spähte er zur Fahrerkabine des Schaumlöschwagens, der seinem heroischen Flug solchen unrühmlichen Abschluß bereitete. Dabei erblickte er auch den Fahrer, der selig grinsend etwas wie »... Flooo-rian ...« schrie.
Einen Moment lang überlegte er, ob er die Erde verfehlt haben und auf einem anderen Planeten gelandet sein mochte. Doch schnell wurde ihm klar, daß so etwas wie dieses nur auf Erden passieren kann. Da es sinnlos gewesen wäre, Gewalten zu trotzen, die stärker waren als er selbst, seufzte er, schloß gottergeben die Augen und ließ sich in das blubbernde Schaumbad sinken, das ihn bald ganz bedeckte.