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Die Frau, die wie ein Mann reitet

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Alanna von Trebond, der einzige weibliche Ritter des Königreichs Tortall, planschte glücklich im Teich einer Oase und genoss ihr Bad – das erste seit drei Tagen. Kaum zu glauben, dass im Norden Winter ist, überlegte sie. Hier in der Südwüste war die Temperatur gerade richtig, nur ging ihr der viele Sand auf die Nerven.

»Beeil dich lieber!«, befahl Coram. Ihr großer, schwer bewaffneter Begleiter hielt Wache hinter den Büschen, die den Teich abschirmten. »Falls das ’ne Wasserstelle von den Bazhir ist, halt ich’s für ratsam, nicht hier rumzulungern, bis wir erfahren, ob sie unserm König die Treue geschworen haben oder nicht.«

Alanna kletterte aus dem Wasser und griff nach ihrer Kleidung.

Sie war nicht besonders scharf darauf, auf Angehörige des Volkes Bazhir zu treffen, vor allem dann nicht, wenn es sich um Abtrünnige handelte. Sie und Coram waren auf dem Weg nach Tyra im Süden. Falls sie mit den kriegerischen Männern aus der Wüste aneinandergerieten, war ihre Reise schon zu Ende, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.

Die junge Ritterin trocknete sich ab und zog ein blaues Männerhemd und Kniehosen über. Zwar war die Tatsache, dass sie in Wirklichkeit ein Mädchen war, nicht mehr so geheim wie damals während ihrer Ausbildung im königlichen Palast, aber sie bevorzugte immer noch Männerkleidung, weil sie darin mehr Bewegungsfreiheit hatte. Es war komisch, wenn sie daran dachte, dass sie bei ihrem letzten Bad in einer Oase noch Page gewesen war. Damals hatte Prinz Jonathan gerade erfahren, dass sie ein Mädchen war. Jene Tage, in denen sie sich ihre Brüste mit Bandagen flach presste und nie schwimmen ging, waren vorüber. Sie trauerte ihnen nicht nach.

Trusty, ihr Kater, miaute eine Warnung. »Alanna!«, schrie im selben Moment auch Coram. »Wir bekommen Ärger!« Alanna packte ihr Schwert und rannte zu Coram und den Pferden hinüber. Eine Staubwolke näherte sich. Das mussten Angehörige eines Bazhir-Stammes oder Räuber sein. Alanna zog eine Grimasse, als sie in Moonlights Sattel sprang. Sie ritt ein Stück im Trott, bis Trusty wie ein kleiner schwarzer Strich über den Sand gesaust kam, einen Satz machte, genau vor seiner Herrin landete und dann in den ledernen Korb kletterte, der am Sattel für ihn befestigt war. Moonlight, Alannas sanfte Stute, war an das abrupte Kommen und Gehen des Katers gewöhnt und blieb ruhig. »Los! Wir versuchen, die Straße zu erreichen!«, rief Alanna Coram zu. Sie preschten los. Alanna, tief über Moonlights fahle Mähne gekauert, warf einen Blick nach hinten zu Coram. Sie sah, dass er den Kopf schüttelte. »Keine Chance!«, brüllte er. »Sie haben uns entdeckt! Reit weiter – ich halte sie auf!«

Alanna wirbelte herum und stoppte. In ihrer Hand funkelte Blitz, ihr Schwert. »Wofür hältst du mich? Wir warten hier auf sie.«

Coram fluchte. »Wenn du meine Tochter wärst, würd ich dir den Hintern versohlen! Verschwinde!«

Alanna schüttelte störrisch den Kopf. Jetzt konnte sie ihre Verfolger sehen. Es waren Männer von den Hügeln, und schlimmere Wüstenbanditen als die gab es nicht. Sie griff hinter sich, löste ihren Schild aus den Riemen und nahm ihn mit dem linken Arm auf. Coram tat es ihr nach.

»Ein störrisches Balg bist du!«, knurrte er. »Ich hätt lieber mit zehn Bazhir-Stämmen gekämpft als mit ein paar von diesen Kerlen aus den Hügeln.«

Alanna nickte. Die Bazhir waren zwar gefährliche Kämpfer, aber sie hatten einen strengen Ehrenkodex. Die Männer von den Hügeln lebten, um zu töten und zu plündern.

Sie packte Blitz fester und legte ihren Schild noch einmal zurecht. Die Männer schlossen rasch auf und formierten sich zu einem Halbkreis, um Alanna und ihren Begleiter zu umzingeln. Alanna biss die Zähne zusammen und befahl: »Wir starten einen Angriff!«

»Bist du verrückt geworden?«, brüllte Coram. Alanna preschte geradewegs auf die Männer los. Coram schluckte schwer, stieß einen Kriegsschrei aus und folgte ihr nach. Moonlight bäumte sich auf, als sie auf die ersten Banditen stieß, und schlug mit den Hufen aus. Sie war schon vor Jahren für den Kampf geschult worden. Alanna verteilte ringsum Hiebe mit ihrem Schwert. Das Wutgeschrei der Feinde ignorierte sie.

Ein einäugiger Mann bedrängte sie und griff nach ihrem Schwertarm. Wild fauchend machte Trusty mit gezückten Krallen einen Satz aus seinem Korb. Der Einäugige stieß einen Schrei aus, ließ Alanna los und versuchte, den fauchenden Kater abzuwehren, der ihm ins Gesicht gesprungen war.

»Sieh dich vor, Mädchen!«, schrie da Coram, der sich eben bemühte drei Kerle gleichzeitig abzuwehren. Er stieß einen Schmerzensschrei aus, als ihm einer von ihnen am Schwertarm eine tiefe Wunde versetzte. Fluchend ließ er seinen Schild fahren, wechselte das Schwert in die linke Hand und griff von Neuem an.

Von ihrem Begleiter gewarnt, wirbelte Alanna herum. Sie sah sich einem riesigen Banditen gegenüber, einem grinsenden Koloss mit rotem Haar und einem langen, zu zwei Zöpfen geflochtenen Schnurrbart. Er lenkte sein zottiges Pony mit den Knien und schwenkte mit beiden Händen ein Schwert, das mit einer eigentümlichen Kristallklinge ausgestattet war. Alanna warf einen Blick auf die rasiermesserscharfe Waffe, musste schlucken und duckte sich unter dem ersten Hieb des Rothaarigen durch. Er führte einen weiteren Streich, den sie gerade noch rechtzeitig mit ihrem Schild auffing. Unter der Wucht des Aufpralls stieß sie einen Schmerzensschrei aus. Sie schlug mit Blitz zurück, aber sie traf daneben, weil ihr Gegner blitzschnell davongaloppierte.

Sie weigerte sich die Verfolgung aufzunehmen und nach seinen Regeln zu kämpfen.

Stattdessen riss sie ihren Schild hoch, der eine Löwin als Emblem trug, und wartete ab.

Der riesige Kerl kam wieder, um sie wachsam zu umkreisen. Sein Pony machte einen Satz nach vorn, Moonlight bäumte sich auf und wehrte es mit Huftritten ab. Ein zweites Mal traf die kristallene Klinge Alannas Schild. Der heftige Schlag fuhr ihr durch den ganzen Körper.

Hoffentlich hat mein Bruder diesen Schild mit einem mächtigen Zauber versehen, dachte sie. Sonst übersteht er nicht mal seine erste Schlacht!

Sie riss Moonlight herum, während der riesige Kerl sie auf seinem wendigen Pony umrundete. Mit den Fersen spornte sie die goldfarbene Stute an und hieb nach ihrem Gegner. Sie war eine Ritterin des Königreichs Tortall! Mit ihr spielte man nicht!

Sie nahm jede Gelegenheit wahr eine Lücke in seiner Abwehr zu finden, doch mit einem aufreizenden Grinsen blockte er sie jedes Mal ab.

Keuchend wich sie zurück. Sie hatte Mühe nicht die Beherrschung zu verlieren. Nun erwiderte der Bandit ihre Attacke. Sie musste sich die herablaufenden Schweißtropfen aus den Augen blinzeln. Einen Fehler konnte sie sich jetzt nicht leisten! Seine Taktik war anders als die der Ritter, gegen die sie bisher gefochten hatte; es gelang ihr nicht, vorherzusehen, was er im nächsten Augenblick plante.

Plötzlich schien ihr die Mittagssonne genau in die Augenin diese Position hatte er sie absichtlich hineinmanövriert. Dass sein Schwert wieder heruntergefahren kam, sah sie erst im letzten Augenblick. Hart riss sie Blitz hoch und fing den Hieb des Kerls ab. Metall klirrte auf Metall, als die Schwerter gleich unter dem Heft aufeinandertrafen.

Dann brach Blitz knapp unter dem Knauf.

Moonlight galoppierte davon und trug sie aus der Reichweite des Banditen. Alanna starrte auf den Schwertknauf in ihrer Hand. Blitz war ihr Schwert gewesen, seit man sie für würdig befunden hatte eines zu tragen. Wie sollte sie kämpfen ohne Blitz in der Hand?

Sie tauchte aus ihrer Betäubung auf und tastete nach ihrer Axt. Sie zitterte vor Wut. Sie musste ihre ganze Willenskraft zusammennehmen, sonst hätte sie völlig die Beherrschung verloren und vielleicht einen verhängnisvollen Fehler gemacht. Aber dann stieß sie einen Schrei aus und preschte mit der Axt in der Hand auf den Banditen los. Die warnenden Rufe der anderen Männer von den Hügeln hörte sie nicht, ebenso wenig wie Corams Freudengeschrei. Sie hörte nur den pfeifenden Atem des Ponys, dazu ihr eigenes Keuchen. Alanna holte aus und fluchte, als sich der Bandit duckte und zurückwich. Gerade schloss sie wieder auf, da stieß er einen Schrei aus, weil er hinter ihr etwas entdeckte. Wutentbrannt musste sie mit ansehen, wie er sein Pony herumwirbelte, nach den paar wenigen Männern brüllte, die ihm noch geblieben waren, und die Flucht ergriff. Alanna jagte hinterher.

»Komm zurück, du Feigling!«, schrie sie.

Der riesige Kerl drehte sich um und schwenkte lachend sein Schwert. Doch er verstummte, als sich ein schwarzer Pfeil in seine Brust bohrte. Weitere Pfeile brachten die übrigen Banditen zu Fall; nur zweien gelang die Flucht. Von fünf weiß gekleideten Wüstenleuten verfolgt, galoppierten sie, als wäre der Teufel hinter ihnen her.

Ein Bazhir, dessen weißer Burnus mit einer scharlachroten Kordel gegürtet war, kam auf Alanna zugeritten, gerade als sie vom Pferd stieg. Sie starrte auf den Körper des Banditen hinunter, der das Kristallschwert geschwungen hatte. Schimmernd lag es neben ihm im Sand. Es funkelte und ganz plötzlich blitzte es auf, sodass Alanna einen Moment lang geblendet war. Sie erstarrte: Vor dem gelb-orangefarbenen Feuer, das sie vor sich sah, tauchte ein Bild auf.

Ein dunkler Finger – oder war es ein Pfahl? – deutete in den kristallklaren, blauen Himmel hinauf. Davor stand ein Mann in zerlumpter, grauer Kleidung. In seinen Augen lag Wahnsinn. Sie konnte den Rauch eines Holzfeuers riechen.

Ihre Augen wurden klar, die Vision verschwand.

Alanna griff unter ihr Hemd und zog den Talisman hervor, den ihr vor drei Jahren die Muttergöttin geschenkt hatte. Einst war er ein Stück glühendes Holz aus ihrem Lagerfeuer gewesen. Jetzt war seine Glut von einem durchsichtigen Stein umschlossen, aber unter der Oberfläche flackerte sie noch immer. Sobald Alanna diesen Talisman in die Hand nahm, sah sie, wenn Magie mit im Spiel war, die Zauberkraft als glühendes Licht in der Luft. So sah sie auch jetzt, wie ein orangefarbenes Licht das Schwert umflackerte. Sie zog die Stirn in Falten. Mit Magie von genau derselben Farbschattierung hatte sie erst kürzlich zu tun gehabt. Die Erinnerung daran war nicht angenehm.

Der Bazhir, der ihr gefolgt war, stieß mit dem Fuß Sand über das Schwert.

»Es ist böse«, sagte er mit leiser, etwas rauer Stimme. »Soll es die Wüste behalten.«

Von der Magie abgelenkt, bemerkte Alanna erst jetzt, dass ihr die Tränen über die Backen liefen. Ihr war zumute, als habe sie einen Kameraden verloren, nicht nur Blitz, ihr Schwert.

Ein Schimmern von Metall fiel ihr ins Auge. Sie blieb stehen, hob die abgebrochene Klinge auf, ließ sie in die Scheide gleiten und befestigte das nun nutzlos gewordene Heft. Solange sie ihre Waffe nicht zog, würde keiner merken, dass sie zerbrochen war.

Sie kletterte auf ihr Pferd und setzte eben Trusty vor sich zurecht, als Coram auf seinem Wallach angeritten kam. »Tut mir leid, mein Mädchen«, sagte er leise und legte eine Hand auf ihren Arm. »Ich weiß, was dir das Schwert bedeutet hat. Aber daran musst du jetzt nicht denken. Diese Kerle hier – vielleicht sind sie ja Freunde, vielleicht aber auch nicht. Ich hab keine Ahnung, wieso sie uns das Leben gerettet haben. Am besten stellst du dich jetzt drauf ein, mit ihnen zu reden.«

Alanna nickte und versuchte sich zu sammeln. Ihre Retter hatten einen lockeren Kreis um sie und Coram gebildet. Nun trat der Mann, der das Kristallschwert mit Sand bedeckt hatte, zu ihnen. Mit leichter Hand führte er einen mächtigen, kastanienbraunen Hengst. Die anderen machten Platz. Eine Weile sagte er nichts.

Er starrte sie nur an.

Schließlich nickte er. »Ich bin Halef Seif, Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken vom Volke der Bazhir«, sagte er förmlich. »Jene, die tot sind, waren Unbefugte auf unserem Sand. Sie ritten hier ohne Erlaubnis. Auch ihr kommt ungebeten. Weshalb sollten wir nicht mit euch verfahren, wie wir mit jenen verfuhren, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet?«

Alanna rieb sich erschöpft die Stirn. Sie war zu müde und zu benommen für das höfliche Geplänkel, das bei den Bazhir als Konversation galt. Der Umgang mit diesen Wüstenkriegern war schwierig. Glücklicherweise war sie von einem Experten in ihre Bräuche eingewiesen worden.

Trusty kletterte auf ihre Schulter, was die zuschauenden Stammesleute mit einem Murmeln quittierten. Alanna sah ihren Kater wütend an. Er wusste genau, wie nervös er die Bazhir machte, das war klar. Schwarze Katzen mit purpurfarbenen Augen bekommen sie nicht oft zu Gesicht, dachte sie sich. »Du wirst langsam zu groß, um da oben zu hocken«, flüsterte sie.

Mach dir mal darüber keine Sorgen, erwiderte Trusty. Sein Miauen war für Alanna seit jeher ebenso verständlich wie die menschliche Sprache. Red jetzt mit ihnen.

Plötzlich fühlte sie ihre Zuversicht und Energie zurückkommen. »Ich hoffte, Ihr werdet Gerechtigkeit walten lassen, Halef Seif vom Stamm des Blutigen Falken«, entgegnete sie. »Wir begingen keinen Diebstahl, auch taten wir keinem etwas zuleide. Wir, mein Freund und ich, reiten lediglich gen Süden. Würdet Ihr einem Krieger des Königs etwas zuleide tun?«

Ihr Spiel verfehlte die Wirkung. Halef Seif zuckte die Achseln. »Wir kennen keinen König.«

Alanna hörte, wie Coram nervös in seinem Sattel hin und her rutschte. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, wenn sie mit Männern zu tun gehabt hätten, die König Roald von Tortall anerkannten. Bestimmt waren Abtrünnige nicht gerade begeistert Roalds ungewöhnlichsten jungen Ritter in ihrer Mitte zu sehen.

»Ihr kennt keinen König, doch andere Eures Volkes kennen ihn wohl. Wenn sie wüssten, dass Ihr eine königliche Ritterin und ihren Begleiter festhaltet, würden sie Euch möglicherweise zur Vorsicht raten«, warnte Alanna.

Das sorgte für Belustigung unter den Reitern. Nur ihr Anführer machte immer noch ein finsteres Gesicht. »Ist Euer König so machtlos, dass er Frauen als Krieger nimmt? Einen solchen König können wir nicht wertschätzen, ebenso wenig wie eine Frau, die so schamlos ist, dass sie Männerkleidung trägt und mit bloßem Gesicht reitet.«

Alanna deutete auf die Männer von den Hügeln, die sie mit Coram zusammen zu Fall gebracht hatte. »Auch sie hielten mich nicht für einen würdigen Gegner. Seid Ihr sicher, dass mein Freund und ich ihren Schwertern zum Opfer gefallen wären, wenn Ihr uns nicht beigestanden hättet? Sie zerbrachen mein Schwert.« Sie fügte mutig hinzu: »Aber was ist schon ein Schwert? Ich habe meine Axt, meinen Dolch und meinen Speer. Ich habe Coram Smythesson, der mir den Rücken deckt, wie ich den seinen decke.«

»Große Worte von einer kleinen Frau«, bemerkte Halef Seif. An seinem Gesichtsausdruck ließ sich nicht ablesen, was in ihm vorging.

Einer der Reiter, der die meisten anderen weit überragte, trieb sein Pferd nach vorn. Er starrte Alanna an, bis er plötzlich zufrieden nickte. »Sie ist es!«, rief er. »Halef, sie ist jene, die in unseren Legenden als Lichtgöttin bezeichnet wird.«

»Fahr fort, Gammal!«, befahl Halef.

Der Krieger verbeugte sich so tief vor Alanna, wie es ihm sein Sattel gestattete. »Erinnert Ihr Euch noch an mich?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ich stand am kleinsten Westtor der Steinernen Stadt, die von denen aus dem Norden Persopolis genannt wird. Vor sechs Regenzeiten war es. Euer Herr, der Blauäugige, kaufte mein Schweigen mit Gold.«

»Natürlich!«, sagte Alanna und strahlte. Jetzt fiel es ihr wieder ein. »Und du hast auf die Münze gespuckt und draufgebissen.«

Der große Mann warf einen Blick zu seinem Häuptling hinüber. »Sie ist es! Sie kam mit dem blauäugigen Prinzen, dem Nachtgott, und die beiden befreiten uns vom Joch der Schwarzen Stadt.« Er schlug dicht vor seiner Brust das Zeichen gegen das Böse. »Ich ließ sie an jenem Morgen durchs Tor hinaus!«

Halef musterte Alanna mit gerunzelter Stirn. »Spricht er die Wahrheit?«

Alanna zuckte die Achseln. »Prinz Jonathan und ich ritten zur Schwarzen Stadt, das ist richtig«, gab sie zu. »Und wir kämpften mit den Ysandir – den Namenlosen«, fügte sie hastig hinzu, als die Männer unruhig zu murmeln begannen. »Und wir besiegten sie. Leicht war es nicht.«

Ein dürrer Mann im grünen Gewand der Bazhir-Schamanen – sie waren Zauberer, doch sie verfügten nur über eine beschränkte Zauberkraft – warf seine Kapuze zurück. Sein zottiger Bart ging von seinem fahlen Kinn nach vorne ab. »Sie lügt!«, schrie er und trieb sein Pferd zwischen Alanna und die Stammesleute. »Die Lichtgöttin und der Nachtgott ritten auf einer Feuerkutsche zum Himmel, als die Namenlosen verschieden. Das ist allgemein bekannt!«

»Sie ritten zur Steinernen Stadt zurück, und zwar auf Pferden«, entgegnete Gammal störrisch. »Und die Stute, auf der die Lichtgöttin ritt, war wie diese hier – sie hatte die Farbe von Sand und Mähne und Schweif waren wie Wolken.« Während die Bazhir untereinander stritten, kam Coram näher. »Was hast du denn da bloß wieder angestellt?«, fragte er leise.

»Du solltest lieber fragen, was wir da wieder angestellt haben, Jon und ich«, wisperte Alanna zurück. »Ich erzählte dir doch, dass wir in der Schwarzen Stadt waren. Oder etwa nicht? Wir kämpften dort gegen Dämonen und Jon erfuhr, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen bin. Das war vor sechs Jahren.«

»Hätt ich gewusst, dass ich mit ’ner Legende durch die Gegend reite, dann hätt ich mir’s noch mal überlegt, ob ich überhaupt mitkommen will«, brummte Coram.

»Schweigt!«, befahl da Halef allen. Dann wandte er sich Alanna zu. »Lasst uns für den Augenblick annehmen, dass Ihr eine Kriegerin des nordischen Königs seid, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet. Euer Schild ist Beweis dafür. Als Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken lade ich euch ein heute Nacht das Feuer mit uns zu teilen.«

Alanna warf dem hoch gewachsenen Bazhir einen Blick zu. Ob ich wohl eine andere Wahl habe? überlegte sie. Schließlich verbeugte sie sich. »Eure Einladung ehrt uns. Selbstverständlich käme es uns nicht in den Sinn, sie abzulehnen.«

Das Zelt, das man ihr und Coram zugewiesen hatte, war geräumig und luftig. Auch war es großzügig mit bequemen Kissen und Teppichen ausgestattet. Alanna ließ sich zu Boden fallen und dachte darüber nach, was sie vom Dorf selbst gesehen hatte. Wenn sie grob die Zahl der Zelte überschlug, ergab sich daraus, dass der Stamm des Blutigen Falken zumindest zwanzig Familien umfasste. Einige der Ledigen lebten vermutlich von ihren Eltern getrennt gemeinsam in einem großen Zelt. Der Schamane, derjenige, der seinen Burnus mit einer grünen Kordel gegürtet trug, war im größten Zelt des Dorfes verschwunden. Nach dem zu schließen, was Sir Myles, ihr Lehrer, gesagt hatte, diente seine Unterkunft auch als Tempel des Stammes.

Ihre Grübelei wurde von drei jungen Stammesangehörigen unterbrochen. Zwei trugen den Gesichtsschleier, den alle Bazhir-Frauen anlegten, sobald sie zum ersten Mal ihre Monatsblutungen bekamen. Das größere Mädchen balancierte ein Tablett mit Speisen und Wein, das es sorgsam zwischen Coram und Alanna auf die Erde stellte. Das andere Mädchen und ein großer, hübscher Junge starrten währenddessen die Gäste an.

»Eine Frau mit hellen Augen haben wir noch nie gesehen«, meinte der Junge. »Hat das Wasser, das im Norden vom Himmel fällt, alle Farbe ausgewaschen?«

»Natürlich nicht, Ishak«, gab das kleine Mädchen zurück. »Wie käme es dann, dass ihre Augen purpurfarben sind?«

»Ishak! Kourrem! Wollt ihr still sein!«, fauchte das Mädchen, das mit dem Tablett gekommen war. Es verbeugte sich tief vor Alanna und Coram. »Vergebt meinen Freunden. Die beiden vergessen, dass sie zu Erwachsenen des Stammes erklärt wurden.« Wütend funkelte es seine Freunde an. »Ich ließ euch mitkommen, weil ihr verspracht kein Wort zu reden. Ihr habt euer Wort gebrochen.«

»Ich habe nicht bei meinen Ahnen geschworen«, verteidigte sich der Junge namens Ishak.

»Wird Euer Kater sich von mir streicheln lassen?«, fragte Kourrem, das kleinere Mädchen, zu Alanna gewandt. »Er hat auch purpurfarbene Augen. Schön ist er. Ist er Euer Bruder, der durch einen mächtigen Zauber in einen Kater verwandelt wurde?«

Trusty nahm das Lob mit selbstgefälliger Miene entgegen, schlenderte zu den Besuchern hinüber, ließ sich streicheln und bewundern.

Die Vermutung, sie müsse mit Trusty verwandt sein, entlockte Alanna ein Lächeln. Schon viele hatten sich darüber gewundert, dass sie und ihr Kater dieselbe Augenfarbe hatten.

»Nein«, entgegnete sie und goss Coram und sich selbst Wein ein. »Trusty ist ein Kater, sonst gar nichts. Mein Bruder ist zwar Zauberer, aber er hat immer noch Menschengestalt. Zumindest hatte er das, als ich ihn das letzte Mal traf.«

»Ich heiße Kara«, verkündete das große Mädchen. »Ich soll Euch bedienen, bis der Stamm über Euer Schicksal entschieden hat. Und jetzt müssen wir gehen«, fügte es widerstrebend hinzu. »Man hat uns verboten, lange zu bleiben. Akhnan Ibn Nazzir sagt, dass Ihr uns verderbt, wenn wir nicht Acht geben.«

Alanna und Coram wechselten sorgenvolle Blicke. »Wer ist denn...« Coram verzog das Gesicht, weil er unfähig war, sich die misstönenden Bazhir-Namen zu merken. »... der, der da sagt, wir würden euch verderben?«

»Akhnan Ibn Nazzir«, sagte Ishak von der Tür her. »Der Schamane. Er sagte, ihr wärt Dämonen und ihr wärt gekommen, um unseren Glauben auf die Probe zu stellen.«

Kourrem verdrehte die Augen. »Ibn Nazzir ist ein alter Trottel mit einem Bart, der aussieht wie struppiges Unkraut.«

Entsetzt schob Kara die beiden aus dem Zelt. Coram schüttelte den Kopf. »Die Sache gefällt mir nicht«, meinte er. »Glaubst du, wir können irgendwas unternehmen?«

Alanna wickelte sich gerade in eine bestickte Decke. »Ich habe vor ein Nickerchen zu machen.« Sie gähnte. »Solange der Stamm keinen Entschluss gefasst hat, was sie mit uns anfangen wollen, können wir rein gar nichts tun.« Schon einen Augenblick später war sie fest eingeschlafen. Trusty hatte sich neben ihrer Nase zusammengekringelt.

Coram war gerade bei seinem dritten Becher Dattelwein, als Halef Seif einen Blick ins Zelt warf. »Wenn sie schläft, sieht sie sanfter aus«, bemerkte er leise. »Wenn sie aufwacht, dann sag ihr, dass der Stamm vor dem Abendessen am Lagerfeuer über euer Schicksal entscheiden wird. Ich lasse euch dann rufen.«

Coram nickte und trank seinen Wein aus. Alanna hatte recht. Vorerst konnten sie wenig tun. Also machte er es sich bequem und machte ebenfalls ein Nickerchen.

 

Gerade verblassten im Westen die letzten Sonnenstrahlen, als Alanna erwachte. Coram schnarchte im Schlaf, Trusty war verschwunden. Gähnend und sich streckend trat sie vors Zelt. Das Dorf wirkte eigentümlich still und wie verlassen. Gerade wollte sie auf einen Erkundungsgang gehen, da packte sie Ishak, der neben dem Zelteingang kauerte, am Hosenbein. Warnend legte er einen Finger vor den Mund und führte sie zurück ins Zelt.

»Dies ist die Zeit der Stimme«, erklärte er drinnen. Coram strich sich eben sein vom Schlaf zerzaustes Haar glatt. »Alle Erwachsenen des Stammes müssen teilnehmen, bloß ich wurde beauftragt mich um euch zu kümmern.«

Er hob den Kopf, als draußen Stimmen erklangen. »Es ist vorbei. Bald werden sie euch rufen. Ich werde euch zu ihnen bringen.«

»Hast du denn keine Angst, dass wir dich verderben?«, erkundigte sich Coram freundlich.

Der Junge schüttelte den Kopf. »Halef Seif sagt, dass nur derjenige, der verdorben werden will, dem Bösen anheimfällt. Halef Seif ist weise, er kennt die Menschen.«

»Weiser als euer Schamane?«, fragte Alanna.

»Akhnan Ibn Nazzir ist ein alter Wüstengockel«, entgegnete der Junge zornig. »Seine Magie richtet mehr Schaden an als Gutes.« Er warf Alanna einen erwartungsvollen Blick zu. »Ibn Nazzir sagt, Ihr wärt eine Zauberin aus dem Norden. Bringt Ihr mir Eure Magie bei? Seht her! Ein bisschen kann ich schon.« Er streckte die Hand aus und konzentrierte sich auf die Kugel aus rötlichem Feuer, die an seinen Fingerspitzen entstand.

Alanna schlug ihm die Hand weg und durchbrach seine Konzentration. »Mit Magie kenne ich mich nicht aus«, sagte sie schroff. »Und ich will mich auch nicht auskennen. Die Zaubergabe bringt nur Leid und Tod.«

Kara steckte den Kopf durch den Eingang und verbeugte sich. Dann befahl sie: »Ishak, hilf unseren Gästen dabei, sich fertig zu machen.« Sie zögerte einen Augenblick und sah dann Alanna an. »Braucht Ihr Hilfe, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet?«

Alanna lächelte. »Dank dir, Kara, aber ich komme allein zurecht.«

Das Mädchen verbeugte sich ein zweites Mal. »Ishak bringt Euch zum großen Feuer, sobald Ihr fertig seid«, sagte es, bevor es den Zeltvorhang fallen ließ.

Coram war schon damit beschäftigt, eine von Alannas Satteltaschen zu öffnen und ihr Kettenhemd und die Beinkleider hervorzuholen. Ishak sog vor Bewunderung laut die Luft ein. Ehrfürchtig fuhr er mit den Fingern über das vergoldete Metall. Alanna hatte beides zum achtzehnten Geburtstag von ihren Freunden bekommen. Kettenhemd und Beinkleider waren extra für sie angefertigt worden und waren viel leichter als ihre Rüstung aus gewöhnlichem Metall. Sie schnallte sich den mit Amethysten besetzten Gürtel um die Taille und löste die Scheiden für Schwert und Dolch, da es unhöflich gewesen wäre, bewaffnet zu gehen. Außerdem schmerzte es sie immer noch, Blitz anzusehen. Zuletzt hängte sie sich die mit einer drohend aufgerichteten Löwin verzierten Panzerhandschuhe an den Gürtel und nickte Coram zu. »Ich warte draußen auf euch beide«, sagte sie beiläufig. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«

In Wirklichkeit hatte sie gehört, dass Trusty dicht vor dem Zelt leise fauchte. Sie trat hinaus zu ihrem Kater und sah sich in der rasch herabsenkenden Dunkelheit nach allen Seiten um. »Was willst du?«, flüsterte sie. »Wir müssen diesen Leuten...«

Schatten bewegten sich in der Dunkelheit. Alanna erstarrte. Da tauchte Akhnan Ibn Nazzir auf. Er führte ein Pferd und verschwand mit ihm in der Nacht. »Was glaubst du wohl, was der im Schilde führt?«, fragte Alanna ihren Kater. »Glaubst du, er will uns Ärger machen?«

Ja, das glaube ich, entgegnete der Kater. Er hat sich bei den jungen Leuten, die in dein Zelt kamen, erkundigt, was du Wertvolles besitzt. Ich glaube kaum, dass er gefragt hat, weil er es so gut mit dir meint.

Alanna seufzte und ging dann hinter Ishak und Coram her zum Lagerfeuer. War das Leben nicht so schon schwierig genug, auch ohne dass sie einen Bazhir-Schamanen zum Feind hatte?

Man gab ihr den Platz zur Rechten von Halef Seif. Coram ließ sich neben ihr nieder, Trusty machte es sich vor ihren überkreuzten Beinen bequem. Während sich die Männer des Stammes in dem großen, vom Licht des Feuers erhellten Kreis versammelten, nahm Alanna Halef Seif genauer in Augenschein. Jetzt, wo er die Kapuze seines Burnus vom Kopf gestreift hatte, schätzte sie ihn auf Ende dreißig. Er war mager, hatte eine Hakennase und von seinen Nasenflügeln liefen scharfe Linien bis hinunter zu seinem schmallippigen Mund. Ein Mann, der schon eine Menge erlebt hat, dachte Alanna bei sich.

Die Frauen des Stammes standen hinter den Männern. Ihre Augen funkelten über den Gesichtsschleiern. Alanna versuchte ihre Nervosität zu verbergen. Sie wollte sich mit diesen Leuten gut stellen, doch hatte sie keine Ahnung, ob die sich auch mit ihr gut stellen wollten. Ein grüner Schatten fiel ihr in die Augen. Mit den anderen zusammen drehte sie sich um und sah zu, wie sich der Schamane gegenüber von Halef Seif niederließ. Er sah sehr zufrieden mit sich aus, und ein Gefühl sagte Alanna, dass er nichts Gutes im Schilde führte.

Halef erhob die Stimme, damit ihn alle hören konnten. »Unser Stamm ist in zwei Lager gespalten. Das eine sagt, man solle die beiden Eindringlinge aufnehmen, denn es handle sich um eine von den Göttern Erwählte und ihren Bediensteten und beiden gebühre es, dass wir ihnen Ehre erweisen. Das andere Lager verlangt ihren Tod, da sie Untertanen des Königs im Norden seien und weil sich eine Frau nicht aufführen dürfe wie ein Mann. Unsere Bräuche verlangen, dass sich die Fremden beide Meinungen anhören und Stellung dazu nehmen. So war es von jeher. Bevor andere sprechen, will ich sagen, was ich sagen muss. Ich bin der Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken: Dies ist mein Recht.

Ich weiß nicht, ob diese Frau die Lichtgöttin ist, die mit dem Nachtgott kam, um uns vom Joch der Schwarzen Stadt zu befreien. Sie behauptet im Dienste des Königs aus dem Norden zu stehen, der unser Feind ist. Doch kam sie in friedlicher Absicht, bis die Männer aus den Hügeln sie angriffen. Sie kämpfte gut; sie und ihr Diener töteten viele der Männer von den Hügeln, die auch unsere Feinde sind.

Sie reitet wie ein Mann, geht unverschleiert wie ein Mann, kämpft wie ein Mann. Sie soll sich als Mann beweisen, sie soll zeigen, dass sie ihre Waffen zu Recht trägt und unsere Freundschaft verdient.« Halef Seif hatte geendet und neigte den Kopf.

Jetzt begann die Diskussion. Der Schamane sprach als Nächster. Alanna war nicht überrascht, als er sie wegen ihres Aufzugs und ihrer Lebensweise der Götterlästerung bezichtigte. Einige der Priester im Königspalast hatten mehr oder weniger dasselbe gesagt, als sie erfahren hatten, dass Alanna in Wirklichkeit ein Mädchen war. Nach dem Schamanen ergriff Gammal das Wort. Noch einmal erzählte er von den seltsamen Begebenheiten, die sich sechs Jahre zuvor in der Schwarzen Stadt zugetragen hatten.

Ein hoch gewachsener Bazhir namens Hakim Fahrar sprach von der Strafe, die jedem Fremdling gebührte: Tod. Andere im Stamm waren für Mäßigung und meinten, Menschen, die sich nicht änderten, wenn sich die Zeiten wandelten, seien dem Untergang geweiht. Die Debatte nahm kein Ende. Trusty machte inzwischen ein Nickerchen. Wenn es nicht um ihr Leben und um das Corams gegangen wäre, hätte Alanna bei diesen langen Reden die Langeweile gepackt. So wie die Dinge standen, wuchs ihr Respekt vor Halef Seif, der darauf bestand, sich die Meinung eines jeden Mannes anzuhören. Dies war nicht das erste Mal – und es würde auch nicht das letzte Mal sein –, dass ihr auffiel, wie wichtig es den Angehörigen des Volkes der Bazhir war, dass jeder Mann das Recht bekam seine Meinung zu äußern. (In manchen Dingen ließ man sogar die Frauen mitreden, wie sie später erfuhr.)

Nur einmal wurde etwas gesagt, das sie verwirrte. »Die Stimme ließ sie und den blauäugigen Prinzen ehren, als sie vom Kampf mit den Namenlosen zurückkehrten«, erklärte Gammal dem Schamanen aufgeregt.

»Die Stimme sagt auch, wir müssten selbst über ihr Schicksal entscheiden«, warnte Halef. »Sei ruhig. Wir werden Gerechtigkeit üben.«

Alanna runzelte die Stirn. Ishak hatte eine »Zeit der Stimme« erwähnt, jetzt sprachen Gammal und der Häuptling von der »Stimme«. Hat mir Myles jemals von einem Gott oder einem Priester der Bazhir erzählt, der diesen Namen trägt?, überlegte sie. Ich glaube nicht. Wenn ich diese Nacht überlebe, muss ich Halef Seif fragen, was es mit dieser »Stimme« auf sich hat.

Der älteste Mann des Stammes hob die Hand. »Es gibt einen Weg, um den Stand dieser Frau zu klären. Sie trägt Waffen wie ein Mann – lasst sie doch kämpfen wie ein Mann. Gebt ihr das Recht auf einen Urteilsspruch durch Zweikampf. Gewinnt sie, tut der Stamm gut daran, sie aufzunehmen. Verliert sie, soll auch ihr Diener sterben.«

Der Schamane sprang auf und kreischte: »Dem, der sie tötet, werden die Götter gnädig sein! Das schwöre ich!«

»Warum tötet Ihr mich nicht selbst, wenn Ihr dadurch die Gnade der Götter erringt?«, erkundigte sich Alanna mit sanfter Stimme. Unterdrücktes Gelächter erklang; der Schamane wirbelte herum und funkelte Alanna böse an.

»Sie macht sich lustig über unsere Bräuche!«, rief er.

»Ich mache mich lustig über einen Schamanen, der sich meine Besitztümer ansieht und dann nach meinem Tod schreit, weil ich angeblich die Götter beleidige. Wollt Ihr abstreiten, dass Ihr Euch für mein Eigentum interessiert?«, fragte sie ruhig und sah ihm dabei unverwandt in die Augen.

Halef rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ein Drittel dessen, was Ihr besitzt, geht an den, der Euch tötet. Ein Drittel fällt dem Häuptling zu, ein Drittel dem Priester. So war es schon seit jeher.«

Alanna grinste hämisch. »Das dachte ich mir.«

Halef Seif hob die Hände. »Die Männer des Stammes werden darüber abstimmen, ob der Frau-die-wie-ein-Mann-reitet das Recht auf den Urteilsspruch durch Zweikampf gewährt werden soll.«

Frauen schlängelten sich zwischen den Männern hindurch und verteilten kleine Pergamentzettel, Binsenhalme zum Schreiben und Tinte. Dann kamen sie wieder, um die zusammengefalteten Zettel einzusammeln. Halef Seif zählte, entfaltete sie mit großer Sorgfalt und verteilte sie dann vor sich auf zwei Häufchen, sodass ihm keiner vorwerfen konnte, er habe bei der Abstimmung in irgendeiner Weise eingegriffen. Wieder beeindruckte es Alanna, wie redlich die Bazhir waren.

Schließlich wurden die Stimmen ausgezählt. »Der Zweikampf soll stattfinden. So wurde entschieden«, verkündete Halef Seif.