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Der Knappe des Prinzen

Im August, am Tag vor Jonathans Geburtstag, machte sich Alanna spätabends auf den Weg zum Tanzenden Täubchen, das den Untertanen des Königs der Diebe als Treffpunkt diente. Sie erinnerte Trusty an seine guten Manieren, setzte ihn auf ihre Schulter und betrat die Schenke. Sie brauchte einen Moment, bis sie sich an den Rauch und den Lärm in der großen Wirtsstube gewöhnte; die Diebe und ihre Begleiterinnen waren lauter als gewöhnlich. Sie begrüßten Alanna und Trusty mit Freudengeschrei und luden Knappe und Kater ein, sich zu ihnen zu setzen. Alanna nickte Georg zu, der an seinem üblichen Platz bei der jetzt kalten Feuerstelle saß. »Danke«, erklärte sie den anderen. »Aber ich bin wegen einer Besorgung hier.«
»Kommst du denn nie mal vorbei, um was zu trinken?«, wollte ein Mann wissen, den man den Gelehrten nannte. »Was für ’n nüchterner Kerl! Du und dieser Johnny – nie trinkt ihr auch nur’nen einzigen Tropfen!« Keiner der Diebe wusste, dass Georgs junger Freund, der reiche Johnny, in Wirklichkeit Prinz Jonathan war.
»Das nenn ich nicht normal!«, rief Langfinger. Er zog sich eine hübsche Blumenverkäuferin, die »Lachende Nell« genannt wurde, auf den Schoß. »Nicht mal zur Feier von Prinz Jonathans Geburtstag willst du was trinken?«
Alanna lachte. »Ihr feiert den Geburtstag Seiner Hoheit? Es ist ja noch nicht mal Mitternacht! Weiß er denn, dass du ihm so treu ergeben bist, Langfinger?«
Alle blickten zu Georg hinüber, als der sich erhob. »Langfinger trinkt ganz einfach gern, Alan.« Langfinger nickte und grinste. »Und wenn er keinen Anlass findet, dann trinkt er aus Kummer. Komm mit nach oben, Kleiner.«
Alanna folgte dem König der Diebe in seine Zimmer und ließ sich erleichtert auf einen Stuhl sinken. »Göttin, bin ich müde!«, gähnte sie, während Trusty zuließ, dass ihm Georg die Ohren kraulte. »Ich bin heute schon vor Morgengrauen aufgestanden, und morgen steht mir dasselbe bevor. Vielleicht sollte ich mir’s anders überlegen und stattdessen Stallbursche oder so was werden.«
Georg schenkte sich und Alanna Wein ein und riss dann die Fensterläden auf, um den kühlen Nachtwind hereinzulassen. »Meiner Meinung nach ist jeder verrückt, der Ritter werden will. Ich habe erfahren, dass du dich heute ganz gut gemacht hast bei Herzog Gareths Unterricht.«
Alanna lachte, während Trusty das Zimmer erforschte. »Du bist unglaublich, Georg. Wenn sich nur die Spione unseres Königs in Tusain ebenso geschickt anstellen wollten wie du!«
»Das ließe sich machen«, murmelte er.
Alanna setzte sich kerzengerade auf. »Willst du damit sagen, du könntest ... du würdest ...?«
»Ja, ich könnte schon ein paar Erkundigungen einholen. Aber du müsstest erst einmal eine Möglichkeit finden deine Quelle zu vertuschen.«
Alanna nickte. »Ja, das wäre wirklich nicht so einfach. Ich lasse mir das mal durch den Kopf gehen, und du – würdest du deine Erkundigungen einholen?« Alanna lächelte verlegen. »Es könnte nämlich wichtig sein. Du weißt ja, wie es zwischen Tusain und Tortall steht.«
Georg öffnete eine große Truhe in der Ecke, holte ein dickes Paket und ein zweites, kleineres hervor und legte beide auf den Tisch. »Natürlich«, sagte er. »Ich mache es nicht für den König, sondern für dich und Jon. Wir sind ja schließlich Freunde, oder? Da, für dich. Von Lord Thom aus der Stadt der Götter für dich höchstpersönlich.«
Das große Paket enthielt ein silbernes, mit winzigen Diamanten und Saphiren geschmücktes Kettenhemd und einen aus Silberdraht gewirkten Gürtel. So eine schöne Arbeit hatte Alanna selten gesehen und freudestrahlend öffnete sie den Brief ihres Zwillingsbruders.
Liebe Schwester,
ich hoffe, dass dies zum Anlass des Geburtstags Seiner Hoheit als Ehrerbietung derer von Trebond angemessen ist. Hast du vor, mich zu ruinieren? Vergiss bloß nicht, meinen Namen zu erwähnen. Deinem Wunsch entsprechend habe ich das Hemd und den Gürtel mit ein paar schützenden Zaubersprüchen versehen. Tatsächlich habe ich die wirkungsvollsten benutzt, die ich finden konnte. Die Meister haben uns tagelang verhört, weil sie herausfinden wollten, wer von uns unerlaubterweise so viel Zauberkraft benutzt hat. Ich musste, du würdest nur das Beste wollen.
Wieder einmal werden in der Stadt Fragen gestellt, die uns betreffen. Ich glaube, dass zumindest einer der hier in den Mithran-Klöstern neu eingestellten Diener dafür bezahlt wird, mich im Auge zu behalten. Also stell ich mich doppelt dumm und bin sehr wachsam. Vielleicht findest du ja, dass ich mir zu viel Sorgen mache, aber ich glaube, dass du etwas getan hast, was deinen »lächelnden Freund« nervös gemacht hat. Denk darüber nach. Grüße den unehrenhaften Georg von mir und übermittle der Königsfamilie die förmlichen Grüße des Lord von Trebond – du weißt ja, wie man so etwas macht.
Thom
Alanna las Georg den Brief vor und verbrannte ihn dann in der Kerzenflamme.
»Er leidet unter Wahnvorstellungen«, sagte sie. »Warum sollte Herzog Roger ausgerechnet jetzt besonderes Interesse an uns haben?«
Georg trank sein Glas leer und schenkte sich nach. »Erzähltest du mir nicht, der Herzog habe in letzter Zeit deine Zauberkraft ein wenig unter die Lupe genommen? Außerdem wurdest du schon zweimal von Männern aus dem Palast bis in die Stadt verfolgt.«
Alanna starrte den Dieb an. »Verfolgt?«
Georg tätschelte ihre Schulter. »Sie haben es nicht mal bis zum Marktplatz geschafft. Ich lasse dich und deine Freunde auf dem Weg hierher immer von meinen Leuten beschatten, für den Fall, dass der Oberste Palastverwalter eure Stadtbesuche eigenartig findet.«
Alanna zog die Stirn in Falten. »Warum lässt er mich verfolgen und Thom beobachten? Und warum stellt er meine Zauberkraft auf die Probe?«
Georg zuckte die Schultern. »Jetzt haben wir Juli, und im Juni hast du Dain von Melor besiegt. Deine Zauberkraft stellt er auf die Probe, seit du in der Schwarzen Stadt warst; das war vor einem Jahr. Und verfolgt wirst du seit letzten Monat. Ich würde also sagen, dass du ihm letztes Jahr mit deiner Zauberkraft und jetzt beim Sieg über Dain mit deiner Kampfkunst Angst eingejagt hast.«
Alanna seufzte und schüttelte den Kopf. »Das ist doch unsinnig.«
Georg lächelte dünn. »Ist es nicht. Und das weißt du ganz genau.«
Alanna wusste, was er meinte, aber daran wollte sie nicht einmal denken. Sie wechselte das Thema. »Jedenfalls vielen Dank. Hör zu, ich spitze die Ohren, was meinen Obersten Richter betrifft. Du bist mir immer ein guter Freund gewesen. Mehr als das. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
»Solange ich Freunde wie dich und Jon habe, bezweifle ich, dass mir jemals viel zustoßen wird.« Plötzlich wurde er nachdenklich. »Wie alt bist du, Kleine?«
»Das müsstest du doch wissen«, sagte sie. »Ich bin eben fünfzehn geworden.«
Er griff nach ihrer Hand. »Hier in der Stadt heiraten wir manchmal schon mit fünfzehn.«
Alanna lachte. »Ich heirate nicht, Georg, das weißt du doch.«
»Solltest du die Liebe nicht erst mal kennenlernen, bevor du sie zurückweist?« Georg beobachtete sie mit einem seltsamen Blick. Alannas Herz schlug zu schnell; ihre Hand lag noch immer in der seinen. Er stand auf, zog sie auf die Füße und zu sich her.
»Georg, du hast zu viel getrunken.« Sie versuchte ihre Stimme sorglos und unbeschwert klingen zu lassen. »Ich hätte nie gedacht, dass du jemals so daherreden würdest.«
»Warum nicht?« Seine Stimme war so leicht und unbeschwert wie ihre. Wenn er nur ihre Hand loslassen würde!
»Weil – na ja, du müsstest mich doch kennen. Ich habe andere Pläne.«
»Bist du nicht mal neugierig?« Er weigerte sich seinen Blick abzuwenden. Ihr war nie aufgefallen, wie viel Grün in seinen braunen Augen lag und wie lang seine Wimpern waren.
Sie musste ihre Hand wegziehen, auch wenn es unhöflich war. »Nein«, sagte sie. Dieses Gespräch war ihr viel zu persönlich! »Ich bin überhaupt nicht neugierig.«
Trusty, der auf dem Fensterbrett geschlafen hatte, gähnte und streckte sich.
»Ich bin ganz deiner Meinung. Es wird Zeit«, erklärte sie ihrem Kater. Nervös nahm sie das Paket mit dem Panzerhemd und dem Gürtel. »Ich muss gehen«, sagte sie.
Georg griff nach seinem Schwertgurt. »Ich begleite dich bis zum Tempelbezirk. Vergiss nicht, du hast Wertgegenstände bei dir, und nicht mal ich traue meinen Leuten so recht. Ein guter Schwertfechter magst du ja sein, aber vielleicht sind sie in der Überzahl.« Er grinste, als er sein Schwert um die muskulöse Taille legte. »Außerdem wäre es ja möglich, dass dich ein Ringkämpfer attackiert.«
Alanna schnitt eine Grimasse. Sie war erleichtert, dass er wieder normal mit ihr redete. »Danke. Ich liebe es über alles, wenn man mich mit der Nase auf meine Schwächen stößt.«
Georg steckte sich das zweite, ungeöffnete Paket unters Hemd. »Du würdest mir Angst einjagen, wenn du nicht ein paar Schwächen hättest, Kleine«, erklärte er ihr. »Wir nehmen die Hintertreppe.«
Es machte Spaß, mit ihm durch die Unterstadt zu laufen und über die Feierlichkeiten des kommenden Tages zu plaudern, während sich Trusty auf die Jagd nach wirklicher oder eingebildeter Beute machte. Es war schon spät und die Straßen waren verlassen. So beladen, wie sie war, hätte sie sich bei einem Angriff tatsächlich kaum zur Wehr setzen können, aber jeder würde es sich zweimal überlegen, bevor er einen Mann angriff, der sich mit derart muskulöser Grazie bewegte. Manchmal war es auch einfach schön, mit Georg zusammen zu sein, sich zu entspannen und zu vergessen, dass man von edler Geburt war, dass einem eine Ritterprüfung bevorstand und dass man ein Mädchen war, das sich mühte, den Ritterschild zu erringen. Georg nahm sie einfach als das, was sie war.
»Hm?«, fragte sie, als sie mitbekam, dass seine letzte Bemerkung eine Frage gewesen sein musste.
»Ich wollte wissen, ob die Sache mit den Edlen in Tusain wirklich so ernst ist. Die Tusainer Diebe halten das Ganze nur für einen Sturm am Hof, aber sie geben zu, dass sie die Edlen nicht so gut kennen wie wir.«
»Ich glaube, die Lage ist ziemlich ernst«, sagte sie. »Alles, was du in Erfahrung bringen kannst, wäre hilfreich.«
»Dann werde ich mein Bestes tun.« Sie waren am Rand des Tempelbezirks angelangt. Von hier aus konnte Georg sie gefahrlos allein gehen lassen. In diesem Bezirk patrouillierten Krieger der verschiedensten Glaubensbekenntnisse, und der restliche Weg bis hinauf zum Palast verlief in voller Sicht der Palastwachen.
Der Dieb zog Alanna in den Schatten eines großen Baumes und holte das kleine Paket aus seinem Hemd. »Das ist mein Geschenk für Jon. Gib es ihm, wenn er allein ist. Ich will nicht, dass die Leute fragen, von wem es ist.«
Alanna steckte das Geschenk in ihr großes Paket, hatte aber Mühe nichts fallen zu lassen. Sie schaute vorwurfsvoll zu ihrem Freund auf. »Georg, hast du ...«
Er lachte. »Hast du denn kein Vertrauen zu mir? Nein, ich habe es nicht geklaut. Ich habe es eigens für Jon machen lassen. Es ist ganz hübsch, auch wenn ich dafür bezahlen musste.«
Er sah sich um, ob auch keiner kam, und hob plötzlich mit einer Hand ihr Gesicht. »Alanna«, flüsterte er. »Ich nutze jetzt die Situation aus, weil ich dich vielleicht nie mehr mit vollen Händen erwische.« Er küsste sie sanft. Alanna zitterte. Sie war so erschrocken, dass sie es einfach geschehen ließ.
»So.« Georg ließ sie los. »Denk darüber nach, was ich über die Liebe sagte.«
»Da müsste schon ein Wunder geschehen«, fauchte sie mit unsicherer Stimme. »Ich hätte dich erdolchen sollen.«
Er grinste auf eine Art, die sie wütend machte. »Nein. Ich lasse es nicht zu, dass du mich erdolchst und somit unsere Freundschaft zerstörst. Wirst du nach dem, was eben geschehen ist, in Zukunft Angst haben mir gegenüberzutreten?«
Alanna spürte, dass sie dunkelrot wurde. Unglaublich! »Ich habe vor keinem Angst, Georg Cooper!«, rief sie. »Auch nicht vor dir.«
»Dann also bis zum nächsten Mal.« Er winkte ihr zu und machte sich pfeifend auf den Weg hinunter zur Stadt. Trusty strich schnurrend um Alannas Füße.
»Wo warst du, als ich dich brauchte?«, fragte sie ihn verdrossen. »Als Anstandswauwau taugst du nicht viel.«
Ich bin nicht dein Anstandswauwau, entgegnete der Kater. Außerdem wollte ich nicht stören. Mir kam es so vor, als mache es dir Spaß.
Auf einen derartigen Blödsinn gab es keine vernünftige Antwort. Alanna drehte sich um und ging schnell- sehr schnell – zum Palast zurück.
Obwohl sich Alanna anschließend kaum an die Feierlichkeiten erinnerte, die im Verlauf des Tages zu Ehren von Jonathans neunzehntem Geburtstag abgehalten wurden, blieb ihr der Ball an jenem Abend klar und deutlich im Gedächtnis haften, denn da lernte sie Delia von Eldorn kennen.
Gelangweilt und unglücklich hatte sie auf einer Fensterbank gesessen, als Gary sie fand. Sie hasste derartige Abendveranstaltungen und normalerweise nahm sie nur daran teil, wenn sie als Knappe Getränke ausschenken und Essen servieren musste. An diesem Abend besorgten das aber die Diener, und da sie Jonathans persönlicher Knappe war, hatte man ihr mehr oder weniger befohlen auch teilzunehmen. Sie hielt das Ganze für reine Zeitverschwendung. Sie tat sich schwer, mit Fremden zu reden, und natürlich konnte sie nicht wie ihre Freunde mit den Damen flirten. Gerade dachte sie darüber nach, wie sie es wohl anstellen konnte zu verschwinden, als Gary, der in braunen Samt gekleidet war und unglaublich gut darin aussah, sie in ihrem Versteck entdeckte. »Ich weiß ja, dass du solche Feste hasst, aber so gewöhnst du dich nie daran.«
»Ich brauche mich nicht daran zu gewöhnen«, gab Alanna zurück. »Wenn ich meinen Schild kriege, dann setze ich mich auf mein Pferd und erlebe Abenteuer.«
»Unsinn.« Er lachte. »Komm doch mal etwas aus deinem Schneckenhaus heraus. Eine Menge der Edelfräulein hier hätten Lust den Knappen des Prinzen kennenzulernen. Vor allem seit Juni.«
»Ich bin erst fünfzehn«, entgegnete Alanna. »Für Mädchen bin ich zu jung.«
Gary fuhr sich über seinen erst kürzlich gewachsenen Oberlippenbart. »Für Mädchen ist man nie zu jung. Na, komm schon. Ich stelle dich der Allerneuesten vor. Sie ist erst gestern angekommen, aber – mein lieber Mithros!« Er pfiff anerkennend und fügte selbstgefällig hinzu: »Aber zuerst muss ich sie selbst kennenlernen.« Er umklammerte Alannas Arm und hob sie von ihrer Bank. Alanna hatte die Wahl: Entweder sie folgte ihm freiwillig oder sie wurde mitgezerrt. Manchmal fragte sie sich, ob Gary eigentlich wusste, wie stark er war.
Sie entdeckte sofort den Unruheherd: Jonathan stand inmitten einer Gruppe von Rittern und sprach mit jemandem, den Alanna nicht sehen konnte. Die jungen Männer machten Gary Platz. Sie grinsten, als sie Alanna entdeckten. Es war im ganzen Palast bekannt, dass Alan keine Lust hatte Mädchen kennenzulernen.
Als Jonathan die beiden sah, lächelte er und winkte sie zu sich. »Du hast ihn ja gefunden, Gary. Alan, komm her.«
Ein königlicher Befehl war ein königlicher Befehl. Alanna trat widerstrebend neben den Prinzen.
Inmitten der Gruppe saß ein bildschönes Mädchen mit kastanienbraunem Haar. Alanna zog eine Augenbraue hoch. Die meisten jungen Damen im Palast trugen pastellfarbene oder weiße Gewänder, aber die hier hatte ein tief ausgeschnittenes grünes Seidenkleid an. Alanna musste zugeben, dass die kräftige Farbe die grünen Augen des Mädchens besser betonte, als es ein helles Kleid getan hätte.
Jonathan verbeugte sich vor dem traumhaft schönen Wesen. »Lady Delia von Eldorn, darf ich Euch meinen persönlichen Knappen Alan von Trebond vorstellen?«
Alanna verneigte sich und bekam eine zierliche, weiße Hand gereicht. Leicht errötend berührte sie diese flüchtig mit den Lippen. Nie war ihr mehr bewusst, dass sie ein Mädchen war, als in solchen Momenten! Sie sah in Delias Gesicht empor und betrachtete die vorwitzige kleine Nase und die vollen roten Lippen. Sie ist eine Schönheit, das steht fest, sagte sich Alanna. Und das weiß sie auch ganz genau.
»Alan von Trebond«, murmelte Delia mit sorgloser, kehliger Stimme. »Von Euch habe ich doch schon gehört, oder täusche ich mich?« Sie klopfte sich leicht mit dem Fächer gegen die roten Lippen und zog eine Augenbraue hoch. Dann lachte sie fröhlich. »Der heldenhafte Knappe! Ihr habt diesen schrecklichen Ritter aus Tusain besiegt! Wie aufregend!«
Alanna verbeugte sich höflich. »Es war nicht der Rede wert, Lady Delia«, murmelte sie.
»Ihr seid zu bescheiden. Ich bin sicher, dass keiner der Tortaller denkt, dass es nicht der Rede wert war – oder, meine Herren?«, erkundigte sich Delia bei den inzwischen vor Neid erblassten Rittern, die sie umringten. Alanna war vollkommen klar, dass jeder ihrer Freunde sie in diesem Augenblick zum Teufel wünschte und sich insgeheim vorwarf, dass er nicht höchstpersönlich diesen Dain besiegt hatte. Gegen beides hätte Alanna nichts einzuwenden gehabt. Sie mochte Delia nicht und sie wollte fort von hier. »Tanzt Ihr, Alan von Trebond?«, fragte Delia eben.
Jonathan grinste boshaft und entgegnete: »Natürlich kann er tanzen. Er hat es als Page gelernt, so wie wir alle.« Alanna beschloss auf der Stelle, ihrem Freund bei nächster Gelegenheit etwas eklig Weiches und Klebriges ins Bett zu legen.
»Und er ist allen ständig auf den Füßen herumgetrampelt«, brummte Raoul.
Delia legte ihre Hand auf Alannas Arm und erhob sich anmutig aus ihrem Sessel. »Ich bin sicher, dass er jetzt wunderbar tanzen kann.« Sie lachte.
In derartigen Dingen war der Ritterkodex eindeutig. Rot wie eine Tomate führte Alanna Delia zur Tanzfläche, als die Musik einsetzte. So lächerlich war sie sich noch nie in ihrem Leben vorgekommen. Zu allem Übel war Delia auch noch größer als sie.
Vorsichtig bewegte Alanna Delia über die Tanzfläche, während das Mädchen erzählte, wie nett doch alle seien, besonders Prinz Jonathan. Alanna war inzwischen klar, dass sie Delia nicht ausstehen konnte, und wenn sie von Jonathan schwärmte, überkam sie ein ganz komisches Gefühl. Endlich war es vorbei, und sie brachte das Edelfräulein wieder zu ihren Bewunderern zurück. Sie selbst hatte vor, das Fest zu verlassen, ob sich das nun schickte oder nicht. Bestimmt war sogar die Ritterprüfung weniger schlimm, als mit diesem grünäugigen koketten Ding zu tanzen. Auf dem Weg nach draußen stieß sie mit Myles zusammen. Ihr Freund war, gelinde gesagt, nicht gerade in bester Form.
Er prostete ihr mit seinem Branntweinglas zu. »Nicht so gesellig, Alan?«, fragte er. »Das solltest du aber lernen. Ein Ritter ist ein geselliges Wesen.«
»Da küsse ich doch lieber ein...«
»Bitte nicht. Manchmal bist du zu ehrlich für einen alten Mann.«
Alanna musterte ihn. »Soll ich Euch zu Eurer Suite begleiten?« , erkundigte sie sich.
»Nein. Ich bleibe da und sehe mir an, wie sich die hübsche kleine Delia jeden verfügbaren Mann am Hof angelt.«
Alanna biss die Zähne zusammen. »Wenn es ihr nicht gelingt, dann liegt es gewiss nicht daran, dass sie es nicht versucht.«
Myles zog beide Augenbrauen hoch. »Bist du eifersüchtig wegen Jonathan?«
»Warum sollte ich wegen Jonathan eifersüchtig sein?«, fauchte sie.
Myles zuckte die Achseln. »Manche Frauen zerstören gern die Freundschaft zwischen zwei Männern. Das würde ich mir an deiner Stelle merken.«
»Ich komme morgen früh mit meiner Medizin vorbei, damit Ihr Euren Kater wieder loskriegt. Ich glaube, Ihr werdet sie brauchen.«
Die seltsamen Dinge, die Myles sagte, waren manchmal leider zu treffend für ihren Seelenfrieden.
»Du bist ein guter Junge, Alan. Zu gut, um dich in höfische Ränkespiele verstricken zu lassen. Lauf jetzt und geh zu Bett.«
Alanna gehorchte nachdenklich. Mit höfischen Ränkespielen meinte Myles die Tricks, mit denen sich die Leute die Gunst von einflussreichen Edlen erschlichen, mit denen sie sich aneinander rächten oder mit denen sie sich Macht verschafften. War Delias Spiel etwas in dieser Art? Wie es auch immer geartet sein mochte, es hinterließ einen schlechten Geschmack.
Es war ein harter Winter für Alanna und manchmal fragte sie sich, ob sie ihn andauern schlecht gelaunt verbringen würde. Die Kälte war schlimmer als jemals zuvor und biss ihr gehörig in die Knochen. Trotz Trusty, vielen heißen Ziegelsteinen und einem gut geschürten Feuer erwachte sie nachts nur allzu oft zitternd vor Kälte. Einmal oder zweimal ertappte sie sich dabei, dass sie sich überlegte, wie es wohl wäre, zu Jonathan ins Bett zu kriechen! Wenn ihr die Kälte derart zusetzte, benutzte sie ihre Gabe, um sich zu wärmen. Diese Anstrengung führte dazu, dass sie morgens müde und übel gelaunt aufwachte, aber alles war besser, als zu frieren und auf derartige Gedanken zu kommen. Wenn sie auf den im Freien liegenden Übungshöfen trainierte, musste sie voller Sehnsucht an die Hitze in der Großen Südwüste denken.
Die Kälte führte dazu, dass die Dinge auch in Trebond nicht zum Besten standen. Coram schrieb ihr, frühe Fröste hätten die Ernte beeinträchtigt, also machte sich Alanna an die Arbeit und ließ Lebensmittel und warme Kleidung nach Hause schicken. Coram tat sein Bestes, aber er hatte noch nicht viel Zeit gehabt, auf dem von Lord Alan vernachlässigten Lehensgut wieder Ordnung zu schaffen. Mehr als einmal suchte Alanna Myles oder Herzog Gareth auf, um sich Rat zu holen. Für jemanden, der nie ein Lehensgut führen wird, dachte sie sich oft, bekomme ich ganz schön viel Übung darin.
In diesem Winter mussten die Knappen als Vorbereitung auf die Ritterprüfung eine Januarnacht draußen im Königswald verbringen. Alanna unterdrückte ihre panische Angstsie würde nicht erfrieren, wenn sie sich vorsah – und legte die Dinge zurecht, die sie brauchen würde. Draußen und auf sich allein gestellt, grub sie sich tief in eine Schneebank ein und schaufelte für ihr Zelt und für ihre fellgefütterte Schlafrolle vor einem Baum, der die schlimmsten Schneeverwehungen abhalten würde, falls es wieder schneien sollte, eine gemütliche kleine Höhle. Trusty hatte sich entschlossen ihr Gesellschaft zu leisten. Er schien viel weniger zu frieren als sie, obwohl sie mehrere Schichten aus wollener und seidener Kleidung und darüber mit Fell gefüttertes Leder trug.
Sie hatte vorgehabt für ihr Abendessen eisfischen zu gehen, um Herzog Gareth zu zeigen, dass sie es schaffte, in der Kälte zu überleben, aber am späten Nachmittag zog plötzlich ein Sturm auf und begrub den Wald unter einer Schneedecke. Alanna und Trusty verkrochen sich in ihrer Höhle. Von Zeit zu Zeit bohrte Alanna ihr Schwert durch die Schneedecke, damit sie nicht erstickten. Für den Rest der Nacht schliefen sie und plauderten. Alanna wusste, dass Trustys Sprache für die meisten anderen wie ein Miauen klang, doch für sie sprach er ebenso verständlich wie ein Mensch.
Kurz vor dem Morgengrauen, als der heulende Wind endlich verstummte, waren die beiden eingeschlafen. Alanna träumte gerade von der Wüste und von einem Schläfchen in der warmen Sonne, als sie schlagartig erwachte. Etwas grub grunzend und zielstrebig im Schnee über ihr. Neben ihr in der Dunkelheit glühten Trustys violette Augen.
»Ich glaube, es ist ein Eber«, flüsterte Alanna so leise wie möglich. Lautlos und vorsichtig zog sie ihr Schwert. Als ein hässlicher, gespaltener Huf durch die feste Schneedecke über der Zeltöffnung brach, stieß Alanna zu, so fest sie nur konnte. Sie schnellte durch die weiße Decke, schüttelte sich Schneeklumpen aus dem Gesicht und spürte, wie ihr das Schwert aus der Hand gerissen wurde.
Der Eber stieß schrille Wutschreie aus und versuchte, die Klinge loszuwerden, die seine Brust und seinen Rücken durchbohrt hatte. Plötzlich erstarrte er und stürzte. Als sich Alanna vorsichtig näherte, sah sie, wie seine Augen trüb wurden. Sie packte ihr Schwert, um es herauszuziehen, und blieb stocksteif stehen; die Augen des Ebers waren so rot wie die eines Dämons. Er zuckte noch ein letztes Mal – und verschwand.
Wortlos packte Alanna ihre Sachen zusammen. Trusty brauchte ihr nicht erst zu erklären – wie er es gerade eindringlich tat –, dass gerade jemand versucht hatte, sie zu töten: und zwar einer, der über Zauberkräfte verfügte.
»Ich habe keine Beweise«, gab sie barsch zurück, und damit war die Sache für sie erledigt. Solange sie keine Beweise hätte, würde sie nie jemandem davon erzählen.
Zu allem Überfluss war da noch Delia. Mehr als einmal in diesem Winter dachte Alanna, sie müsse schreien, wenn sie den Namen dieses Mädchens noch einmal zu hören bekäme. Jonathan verbrachte seine Freizeit damit, Delia schlechte Gedichte zu schreiben, und er bestand darauf, sie erst einmal Alanna vorzutragen. Gary und Raoul duellierten sich um einen ihrer Reithandschuhe und Herzog Gareth schickte alle beide auf Grenzpatrouille, damit sie sich beruhigten. An dieser Strafe war nur ein Gutes: Sie mussten auch Douglass und Sacherell mitnehmen, denn sogar die beiden waren im Liebestaumel.
Alanna hegte noch immer eine unergründliche Abneigung gegen das Mädchen und blieb ihm fern, soweit es ihr gelang. Manchmal hatte sie das Gefühl, als wisse Delia, dass Alanna sie nicht leiden konnte. Außerdem hatte sie den Eindruck, als gefiele es Delia, sich von Jonathans Knappen bedienen zu lassen: Sie ließ sich Luft zufächeln, wenn ihr heiß war, ließ sich Limonade bringen und verlangte sogar, dass Alanna mit ihr tanzte. Und all diese Dinge führten wiederum dazu, dass Alanna Schwierigkeiten mit ihren vom Liebeskummer geplagten Freunden bekam. Jonathan ging so weit, dass er ihr vorwarf, sie benutze Delia, um ihre Maskerade als Junge glaubhafter zu machen! Später entschuldigte er sich, aber es war ihr erster ernsthafter Streit, und Alanna konnte es dem Mädchen nicht verzeihen, dass es der Anlass dazu gewesen war.
Alanna musste sich anhören, wie Jon sich darüber aufregte, dass Delia mit anderen Rittern flirtete, und sie litt Qualen bei seinen Versuchen als Dichter. Sie versuchte ihm ein guter Freund zu sein, denn es war offensichtlich (wenn auch nicht für Jonathan, so doch für sie), dass Delia mit ihm spielte. Am einen Tag redete ihm das Mädchen ein, sie gehöre nur ihm allein, und am nächsten ignorierte sie ihn. Bald schliefen sie miteinander – ab und zu. Was die Sache noch komplizierter machte, denn dadurch war Jon entweder überglücklich oder am Boden zerstört.
Nur Alex und sein Knappe Geoffrey von Meron schienen sich nicht von Delia beeindrucken zu lassen, und es war eine angenehme Abwechslung, sich mit den beiden zu unterhalten. Im Verlauf eines dieser Gespräche mit Alex an einem windigen Tag im März stellte Alanna fest, dass sie beide Lust hatten, sich aneinander zu messen. Bevor Alex die Ritterprüfung abgelegt hatte, war er der Beste unter den Knappen gewesen; jetzt kam er nach und nach in den Ruf, einer der fähigsten Ritter von Tortall zu sein.
Er und Alanna hatten sich darüber unterhalten, wie es sich anfühlte, wenn man gut war und wenn einem jeder zusah und nach Fehlern suchte. So ergab es sich schließlich, dass sie zu den überdachten Übungshöfen gingen, um herauszufinden, wer der bessere Schwertfechter war. Sie waren sich einig, dass sie keinen Schiedsrichter brauchten, da sie nur die stumpfen Übungsschwerter benutzen wollten. Nicht einmal Trusty war dabei.
Alanna sah Alex bei seinen Dehnübungen zu, während sie ihre eigenen machte. Sie war aufgeregt. Sie hatte sich immer gefragt, ob sie so gut war wie ihr dunkelhaariger Freund. Jetzt würde sie es erfahren.
Als sie ihre Lockerungsübungen beendet hatten, grüßten sie sich mit den Übungsschwertern. Ohne Vorwarnung schlug Alex zu. Seine Hand wirbelte in einem schwierigen, von oben kommenden Pass, und er führte seine Klinge dicht an ihrem ungeschützten Gesicht vorbei. Nur ein rascher Satz nach hinten rettete sie. Sie umkreise Alex und beobachtete seine Brust. Außer bei den allerbesten Kämpfern verrieten die Muskelbewegungen auf der Brust des Gegners oft, in welche Richtung der nächste Schlag gerichtet sein würde – nur war Alex einer der besten. Wie Herzog Gareth, der kämpfte, ohne dass sein nächster Schlag zu erkennen war, bewegte sich auch Alex ohne sein Vorhaben zu verraten. Jetzt riss er blitzschnell seine Waffe hoch; der Schlag hätte Alanna vom Unterleib bis zur Brust aufgeschlitzt, wenn sie richtige Schwerter benutzt hätten.
Sie machte wieder einen Satz nach hinten, aber sie war nicht schnell genug. Die Schwertspitze zerfetzte ihre Kniehose an der Hüfte und riss ihr einen tiefen Kratzer ins Bein.
»He! Alex!«, protestierte sie. »Pass doch auf!«
Der Ritter antwortete nicht. Sein dunkles Gesicht war ausdruckslos; seine Augen verrieten nichts. Alanna wich zurück, machte einen Satz zur Seite und vorwärts und führte einen geradeaus gerichteten Hieb gegen ihn. Alex parierte; die Knaufe ihrer Schwerter trafen aufeinander und verhakten sich. Körper-zu-Körper nannte Herzog Gareth das, und es kam nur selten einmal vor. Für Alanna, die viel kleiner war, war eine solche Situation höchst problematisch. Alex presste sie mit seinem ganzen Gewicht nach unten und versuchte, sie auf die Knie zu zwingen. Alanna löste sich, kam augenblicklich wieder zurück und schlug seine Klinge beiseite. Dabei traf sie Alex mit der flachen Seite ihres Schwertes fest auf den Wangenknochen. Beschämt trat sie zurück. Es war sehr unehrenhaft, dass sie sich in ihrer Wut dazu hatte hinreißen lassen.
»Tut mir leid, Alex«, sagte sie kleinlaut und sah den Striemen an, der über seine dunkle Haut lief. »Tut es ...«
Alex hob wieder sein Schwert. Er lächelte schwach. In seinen dunklen Augen blitzte etwas, was sie nicht benennen konnte. Er flüsterte: »Weiter.«
Plötzlich hatte Alanna genug von diesem Spiel. Sie war entschlossen den Kampf auf irgendeine Weise zu beenden und machte einen Ausfall. Alex fing den Hieb mit seinem Schwert auf und warf Alanna zu Boden.
Sie überschlug sich. Die Schwertspitze des Ritters traf einen Zoll neben ihrem Kopf auf dem Boden auf und schlug einen Splitter aus dem harten Holz. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf sein Gesicht, und was sie da sah, machte ihr Angst. Seine Augen blitzten; das Lächeln, das auf seinen Lippen lag, war plötzlich gehässig. Sie sprang hastig auf, als er wieder angriff, aber sie war nicht schnell genug. Die Flachseite seines Schwertes klatschte auf ihre Rippen, dass sie nach Luft schnappen musste. Sie führte einen Stoß gegen seine Seite und traf. Alex zuckte vor Schmerz zusammen. Diesmal senkte sie das Schwert. »Ich will aufhören«, erklärte sie ihm. »Da stimmt etwas nicht!«
Sie bekam ihr Schwert gerade noch rechtzeitig hoch, bevor er zuschlug. Ihre Klingen trafen aufeinander, dass es nur so krachte. Alanna löste sich und wich zurück.
Schweißtropfen liefen ihr in die Augen; sie schüttelte den Kopf, um sie loszuwerden. Das war verrückt! Alex benahm sich, als wolle er sie wirklich töten, und mit einem stumpfen Übungsschwert würde das Sterben ausgesprochen schmerzhaft sein.
Alex griff erneut an. Er riss sein Schwert hoch über den Kopf und ließ es mit voller Wucht heruntersausen. Alanna wich gerade noch rechtzeitig aus, wodurch die stumpfe Kante nicht auf ihren Kopf, sondern auf ihr Schlüsselbein auftraf. Es knackte in ihrer Schulter, als sie mit einem Schmerzensschrei auf die Knie stürzte. Hilflos sah sie zu, wie sich das Schwert von neuem hob und senkte. Sie schloss die Augen. Mit diesem Schlag würde ihr Alex das Genick brechen, und sie konnte sich nicht dagegen wehren.
»Sehr interessant, Alex.«
Wie durch ein Wunder ließ Alex sein Schwert sinken und drehte sich um. An der Tür stand Myles mit Trusty zu seinen Füßen. »Du hast zweifellos bewiesen, dass du besser bist als Alan. Natürlich bist du auch vier Jahre älter und hast schon einige Schlachten gefochten.« Die Worte des älteren Ritters durchschnitten die Luft wie Peitschenhiebe. »Ich bin allerdings der Meinung, dass euer Spiel ›Wer ist der beste Krieger im ganzen Land‹ lange genug gedauert hat. Oder solltest du nicht bemerkt haben, dass du Alan verwundet hast?«
Alex drehte sich zu Alanna um. Das gehässige Lächeln war verschwunden, und nun lag Sorge auf seinem Gesicht. »Alan, ich habe nicht – da, lass mich dir aufhelfen...«
»Rühr mich nicht an!«, schrie Alanna, als er nach ihr griff. Schnell fügte sie hinzu: »Bitte, Alex – es ist mein Schlüsselbein. Ich glaube, es ist gebrochen.«
Alex kniete sich mit angespanntem Gesicht neben sie. »Alan, das werde ich mir nie verzeihen ...«
Sie lächelte verkniffen. Langsam wurde ihr schlecht. »Mach dir keine Sorgen. Wir haben uns lediglich – na ja, ein bisschen hinreißen lassen. Da ich ja die Gabe besitze, bin ich in ein paar Tagen wieder in Ordnung.«
Alex sah zu Myles hinüber. »Sir Myles, ich wollte nicht ...«
»Der Oberste Palastverwalter sucht nach dir«, entgegnete Myles, ohne Alex aus den Augen zu lassen. »Ich glaube, er will dich auf Grenzpatrouille schicken. Es muss schwierig für dich gewesen sein, den ganzen Winter hier eingesperrt zu verbringen, während alle anderen Aufgaben übertragen bekamen.«
Alex stand auf. »Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann ...«
Alanna nickte. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. »Ich lasse es dich auf der Stelle wissen.«
Alex eilte hinaus. Myles kam schnellen Schrittes zu Alanna herüber. »Bleib ruhig liegen«, erklärte er ihr. »Ich hole einen Heiler und ein paar Bedienstete. Ich fürchte, wir werden dich tragen müssen.«
»Weshalb seid Ihr denn gekommen?«, flüsterte Alanna. »Keiner wusste ...«
Myles nickte zu dem Kater hin, der gegen Alannas gesunden Arm stupste. »Trusty hat mich geholt. Er ließ nicht locker. Ich bin froh, dass ich auf ihn hörte. Alan – Alex wollte dich umbringen!«
Alanna schüttelte den Kopf. Von der Anstrengung wurde ihr wieder übel. »Er ist schon seit Jahren mein Freund.«
Er sah nicht sonderlich freundlich aus, als wir hereinkamen, erklärte ihr Trusty.
Alanna zog eine Grimasse. »Ich will nichts mehr davon hören.«
Aber in ihrem Kopf sagte eine Stimme: Er ist schon seit Jahren kein guter Freund mehr gewesen. Seit er Herzog Rogers Knappe wurde. Sie seufzte und schob den Gedanken beiseite. Damit wollte sie sich erst befassen, wenn es sich in ihrem Kopf nicht mehr so drehte. Und bis sie Beweise hatte, musste sie ihren Verdacht für sich behalten.