Der Magister García

»Ich sehe sowieso nichts. Alles, was weiter als drei Schritte entfernt ist, erscheint mir nur als Nebel. Aber wenn du gestattest, bleibe ich bei meinem Optimismus und sage: Was von Süden auf uns zukommt, dürfte kaum zur Armada gehören.«

Am 21. August lag die Camborne noch immer in der Donegal-Bucht, weil ein steifer Westwind sie dort festnagelte. Sie zerrte an ihren Ankertauen, schwoite im Wind und kam nicht vom Fleck.

Gegen Mittag erschien der Magister auf dem Hauptdeck, hielt die Nase in die frische Brise und blinzelte zu der zerstört am Strand liegenden Santa Maria hinüber. Vitus, der ihn vom Kommandantendeck aus gesehen hatte, kam den Niedergang herunter und trat neben ihn. »Ich wusste gar nicht, dass der Patient schon aufstehen darf?«

»Wo ist denn hier ein Patient?« Der Magister blickte sich um und spielte den Unwissenden. »Falls du mich meinst, der Kratzer ist schon so gut wie verheilt. Wann geht es denn endlich ab in Richtung Heimat?«

»Hast du eben ›Heimat‹ gesagt?«

»Hab ich.« Der kleine Gelehrte grinste. »Ich meinte damit Greenvale Castle. Ich sehe mich schon wieder bei Nina am Klavichord stehen und spanische Wiegenlieder trällern.«

Vitus stand die Freude im Gesicht. Es war klar, dass der Magister seine Worte mit Absicht gewählt hatte; sie entsprachen seinem Wunsch, alles möge wieder so werden wie früher – ein Wunsch, der sich mit Vitus’ Hoffnungen deckte. »Wir brauchen nördlichen oder östlichen Wind, sonst kommen wir nicht aus der Bucht heraus.«

»Das hat Fancisco de Marcos, der schurkische Capitán, vor ein paar Tagen auch gesagt.«

»War er wirklich so schlimm?«

»Ja, das war er, mein Alter.« Die Augen des Magisters umwölkten sich, er zeigte auf die Santa Maria. »Ich bin mit hohen Erwartungen und besten Absichten an Bord gegangen, aber schon nach einem oder zwei Tagen wäre ich am liebsten wieder an Land gesprungen. Doch da waren wir schon auf See. Wegen meiner Kurzsichtigkeit machte mich der Capitán zu seinem Schreiber, zu etwas anderem taugte ich ja nicht. Es dauerte nicht lange, da erkannte ich anhand der Papiere, dass der Capitán die Mannschaften nach Strich und Faden betrog. Er hatte Staatsgelder für Proviant und Ausrüstung erhalten, sie aber in die eigene Tasche fließen lassen. Entsprechend schmal waren Kost und Ausstattung. Die Matrosen und die Seesoldaten versuchten trotzdem, das Beste daraus zu machen, und wie du erlebt hast, schlugen sie sich wacker im Kampf. Weil es aber an allen Ecken und Enden fehlte, hatte sogar der ›Schlachter‹ kaum Medikamente. Aus den Büchern ging hervor, dass keine fiebersenkende Rinde, keine purgierende Arznei, keine schmerzlindernde Droge, ja nicht einmal Pulver oder Tinkturen gegen Hautflechten und Ekzeme an Bord waren. Dafür war der Schlachter immer schnell mit dem Skalpell zur Hand. Wer zögerte, seine zweifelhaften Dienste anzunehmen, dem sagte er: ›Quae medicamenta non sanant, ferum sanat.‹ Als ob das Messer alles heilen könne.«

»Das ist kaum zu glauben.«

»Und doch war es so. Und wie immer, wenn Versorgung und Ausrüstung schlecht sind, kam es zu der einen oder anderen Disziplinlosigkeit, was wiederum gnadenloses Auspeitschen zur Folge hatte.«

»Wo du gerade davon sprichst: Stimmt es eigentlich, dass die Armada ganze Schiffe voller Geißeln mit sich führte, um die ketzerischen blonden englischen Frauen zu züchtigen?«

Der Magister winkte ab. »Gerüchte, mehr nicht.«

»Und was ist mit den Ammen, die für die erschlagenen Mütter einspringen sollten? Was ist mit den Folterinstrumenten, die mitgeführt wurden, um Geständnisse zu erpressen, den Gluteisen, um Häretiker auf der Stirn zu brandmarken, den Hanfstricken, um hartnäckige Sünder aufzuknüpfen?«

»Gerüchte, Klatsch, Parolen! Dafür hatten wir drei eifernde Priester an Bord. Äußerst unangenehme Zeitgenossen, die zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten zur Messe am Hauptmast riefen. Nicht einmal der Capitán mochte etwas dagegen sagen, weil Unsere Majestät in Madrid ja so sehr katholisch ist. Du weißt, ich habe nichts gegen ein frommes Gebet und glaube auch an meinen Schöpfer, aber diese bigotte Heuchelei war unerträglich.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Die ärmsten Kreaturen an Bord aber waren die Pferde. Sie standen an Deck in engen Verschlägen und wurden verrückt vor Angst, wenn die See hochging und sie hin und her warf, wenn es blitzte und donnerte oder wenn zerfetzte Segel ihnen die Sicht nahmen. Sie brachen sich buchstäblich Hals und Bein und mussten während der Unwetter über Bord geworfen werden. Viele von ihnen lebten noch, und jene, die noch lebten, ersoffen jämmerlich.«

»Wir haben welche gesehen, treibend im Meer, sie wiesen uns bei Schottland den Kurs nach Westen und gaben uns die Sicherheit, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.«

»Das könnten unsere gewesen sein.« Der Magister seufzte. »So waren die armen Viecher doch noch zu etwas nütze.«

»Ja, sie haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass wir beide wieder zusammen sind. Und weil das so ist, hast du jetzt wieder jemanden, der auf dich aufpasst und dir sagt, dass es höchste Zeit ist, das Krankenbett aufzusuchen.«

»Ich bin nicht krank.«

»Ob jemand krank ist oder nicht, entscheidet der Arzt. Und der sagt: ab ins Bett!«

»Ja, doch. Kaum hat man sich wiedergefunden, wird man auch schon drangsaliert. Du bist wirklich unverbesserlich!«

»Ebenso, ebenso.«

 

 

 

Am Abend bestand der Magister darauf, am gemeinsamen Essen in Steels Kajüte teilzunehmen, denn er wollte endlich »die Lichtgestalt des spanischen Mannestums«, wie er sich ausdrückte, kennenlernen. Doch als er Don Pedro vorgestellt worden war, sagte er zunächst einmal nichts. Zu karg erschien ihm das, was auf den Tisch gekommen war. »Fürwahr«, sagte er schließlich, »auf diesem Schiff scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein, wie karg wird da erst die Kost der Mannschaften aussehen?«

»Wir essen dasselbe wie alle anderen«, sagte Don Pedro ernst. »Auf ausdrücklichen Wunsch von Vitus.«

»Keine Extrawürste?«

»Nein.« Don Pedro schmunzelte. »Das Einzige, was wir uns gönnen, ist ein guter Tropfen. Ich bin zwar der Jüngere von uns beiden, aber ich möchte dir trotzdem das Du anbieten. Ich heiße Pedro.«

Der Magister blinzelte. »Du scheinst von schnellem Entschluss zu sein.«

Vitus grinste. »Wir haben es vorher abgesprochen. Pedro und ich duzen uns, und da wäre es komisch, wenn ihr beide es nicht auch tätet.«

Der Magister gab das Grinsen zurück. »Was ist denn in den Gläsern, mit denen das Du besiegelt werden soll?«

»Bester spanischer Brandy.«

»Dann bin ich einverstanden. Salud, Landsmann, ich heiße Ramiro, aber es ist besser, du sagst ›Magister‹ zu mir, weil alle meine Freunde mich so nennen.«

»Salud, Magister! Salud, Vitus!«

»Salud und cheers!«

Sie prosteten sich zu und tranken.

Vitus rief: »Damit wäre der offizielle Teil erledigt, jetzt kommen wir zum gemütlichen Teil des Abends.«

»Der aber leider nicht lange dauern wird«, ergänzte Don Pedro. »Jedenfalls für mich. Ich hatte bisher noch keine Zeit, die spanischen Matrosen von der Santa Maria zu begrüßen, und will das jetzt nachholen. Danach sollen sie die Männer an den Pumpen ablösen. Außerdem spüre ich, dass der Wind bald umspringt und uns die Möglichkeit gibt, diese ungastlichen Gewässer zu verlassen.«

»Das höre ich gern«, sagte Vitus und nahm einen Löffel der Fleischbrühe, die mit Köpfen des Stockfischs und grünem Gemüse angereichert war, um eine antiskorbutische Wirkung zu erzielen. »Je früher wir zu Hause sind, desto besser!«

»Sicher«, sagte Don Pedro, und ein Schatten legte sich auf sein Gesicht, bevor er die Kajüte verließ.

Als er fort war, sagte der Magister: »Ich wusste gar nicht, dass spanische Admirale so menschlich sein können. Dass er einfache Speise, ohne mit der Wimper zu zucken, vertilgt, finde ich bemerkenswert. Ach, wo ich gerade von einfacher Speise rede: Ich vermisse den Zwerg. Er war es doch sicher, der für diese Suppe den Kochlöffel geschwungen hat?«

»Dem Zwerg geht es gut. Es gibt nichts, was ihn erschüttern könnte. Er war gestern schon unten im Orlopdeck, um nach dir zu sehen, aber du hast geschlafen. ›Wui, wui, der Blinzler lullt‹, hat er gefistelt. ›Soller ruhich. Hat’n Loch in der Lende, is aber nich bösich, ich spür’s im Hintergeschirr. Knäbbig, dasser krick präsent is, is besser für alle, nich, Örl?‹«

»Dem ist nicht zu widersprechen«, sagte der Magister. »Trotzdem werde ich bald mit dem Winzling reden müssen, damit seine Portionen größer werden. Er scheint vergessen zu haben, dass ich ein starker Esser bin.«

Vitus lachte. »Komm, wir gehen hinunter in den Behandlungsraum. Ich will nach den Kranken sehen.«

»Einverstanden, aber ich weiß natürlich, was du in Wahrheit willst.«

»So, was will ich denn?«

»Mich schon wieder ins Bett nötigen.«

 

 

 

Don Pedro sollte recht behalten, denn eine halbe Stunde später sprang der Wind tatsächlich um. Die Anker wurden gelichtet, und die Camborne machte sich daran, bei einem frischen Nordost aus der Donegal-Bucht hinauszukreuzen, wobei das Unterfangen schwieriger als angenommen war, denn es herrschte Finsternis, und ihre Manövrierfähigkeit war durch den Verlust von Kreuz- und Besanmast eingeschränkt. Dazu kam, dass sie ständig Wasser machte und tiefer als normal lag.

Dennoch gelang es Don Pedro, sein Schiff im fahlen Licht des Mondes an Felsen und Untiefen vorbei nach Westen auf das große Meer hinauszusteuern.

Gegen Morgen, als die Camborne sich freigesegelt hatte, ließ er Kurs Süd abstecken, rief Chock, damit dieser ihn auf dem Kommandantendeck ablöse, und fiel todmüde in seine Koje.

 

 

 

Zum selben Zeitpunkt kletterte Vitus hinunter in den Bauch des Schiffs, um nach den Kranken im Allgemeinen und dem Magister im Besonderen zu sehen. Zu dem vorhandenen Krankenstand waren noch zwei Matrosen von der Santa Maria gekommen, deren Hände und Unterarme blutige Ekzeme aufwiesen. Die Hautkrankheiten waren feucht, weshalb Vitus sie mit Kalkpulver behandelte, immer getreu der Erkenntnis der alten Meisterärzte, nach der Feuchtes mit Trockenem und Trockenes mit Feuchtem bekämpft werden sollte.

Während Vitus die Männer behandelte, spürte er, wie sie ihn verstohlen musterten. Wahrscheinlich fanden sie es erstaunlich, dass der spanische Admiral, der ihnen am Streedagh-Strand das Leben gerettet hatte, in Wahrheit ein Schiffsarzt und Cirurgicus war, aber Vitus beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Mochte Don Pedro bei Gelegenheit einige erklärende Worte dazu sagen.

McQuarrie laborierte weiterhin an seiner Ruhr, dennoch fand er die Kraft, sich nach dem Zustand des Schiffs zu erkundigen, woraufhin er aber nur unbestimmte Antworten von Vitus erhielt. Er wollte den drahtigen Schotten nicht beunruhigen. Stonewell dagegen schien den Kampf gegen die Ruhr zu gewinnen. Er fühlte sich schon so weit wieder hergestellt, dass er die Pflege von McQuarrie teilweise übernahm. Vitus ließ ihn gewähren, ermahnte ihn aber, er dürfe die Quarantänestation auf keinen Fall verlassen. Er wünschte allseits gute Besserung und verließ die Station, um sich in den Kammern nach den anderen Patienten umzusehen.

Der Mann, dem das zerschossene Schienbein amputiert werden musste, machte weiterhin gute Fortschritte.

Der Bursche mit der abgequetschten Hand würde wieder Dienst machen können – allerdings mit drei Fingern weniger.

Der Matrose Clark, dem eine Musketenkugel das Gesäß quer durchschlagen hatte, musste nicht mehr auf dem Bauch liegen, sondern konnte schon wieder auf einer Backe sitzen. Er schien ein Spaßvogel zu sein, denn er erklärte, diese Position sei gar nicht so schlecht, wenn man sie einnehme, könne man viel leichter furzen. Vitus lachte höflich, bat ihn aber, er möge den Beweis dafür nicht antreten.

Die anderen Amputationen, Brüche, Quetschungen, Stauchungen und Wunden sahen alle mehr oder weniger gut aus. Vitus sprach den Kranken Mut zu und ging zu seinem letzten Patienten – dem Magister. »Na, wie geht’s, altes Unkraut?«

»Habe prächtig geschlafen.« Der kleine Gelehrte gähnte.

»Ich will mir deine Wunde ansehen.« Vitus nahm den Verband ab und betrachtete den Zustand im Schein von mehreren Laternen. »Mit dem Heilungsverlauf bin ich zufrieden, doch in den Rändern steckt immer noch die inflammatio. Wir werden sie weiter mit Arzneipulver behandeln.« Er gab das Pulver auf die entsprechenden Stellen und legte einen neuen Verband an. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er das plötzliche Geschrei an Deck überhörte. Erst als der Magister ihn darauf aufmerksam machte, wurde er es gewahr. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er.

»Ich weiß es nicht«, sagte der Magister »Aber es könnte damit zusammenhängen, dass du mit deinen schönen gelben Pantoffeln im Wasser stehst.«

»Was?« Vitus fuhr hoch und sah, dass der Magister recht hatte. Er eilte nach oben und griff sich an Deck den erstbesten Matrosen. »Was ist los?«

Der Mann hatte schreckgeweitete Augen. »Wassereinbruch am Bug, Sir, mehrere Planken hat es fortgerissen. Wir versuchen, das Leck abzudichten.«

»Und? Schafft ihr es?«

»Weiß nicht, Sir, sieht schlecht aus. Muss weiter.« Der Mann rannte fort, und Vitus blickte nach oben zum Kommandantendeck, wo er Don Pedro sah, der heftig auf Chock und Manoel einredete und sie anschließend fortscheuchte. Die Situation schien in der Tat prekär zu sein. Die Camborne hatte seit dem letzten Sturm nur durch ständiges Pumpen schwimmfähig gehalten werden können, und ob dieser Zustand so bleiben würde, war angesichts der neuen Entwicklung mehr als fraglich.

Wenn der Wasserspiegel im Schiff weiter stieg, musste er dafür sorgen, dass seine Kranken umgebettet wurden in ein höheres Deck.

Ein Deck höher aber befanden sich zahllose Fässer mit Trinkwasser, Proviant, Segeln und Tauen. Dieses Ladegut würde wiederum ein Deck höher zu verstauen sein, und die Dinge, die dort gelagert wurden, erneut ein Deck höher, bis hinauf zum Batteriedeck …

Als Vitus mit seinen Gedanken so weit gekommen war, hatte er eine Idee. Er lief zum höchsten Punkt des Schiffs, wo Don Pedro mit sorgenvoller Miene stand. »Das Wasser steht schon im Orlopdeck, Pedro«, sagte er möglichst ruhig. »Ich kann meine Kranken nicht da unten ertrinken lassen. Sie müssen umziehen.«

»Natürlich«, sagte Don Pedro, »daran habe ich auch schon gedacht. Wir könnten ihre Pritschen aufs Hauptdeck bringen lassen, dann wären sie gleichzeitig an der frischen Luft.«

»Ich glaube, das wird nicht ausreichen«, sagte Vitus. »Wenn die Camborne trotz aller Bemühungen weiter Wasser macht, müssten wir sie erleichtern, und zwar erheblich.«

»Du meinst …?«

»Ja, ich glaube, wir haben keine andere Wahl.«

Don Pedro nickte. »Dann machen wir es … Chock!«

Als der bewährte Veteran der Falcon erschien, befahl Don Pedro knapp: »Alle Kanonen über Bord, rápido, rápido!«

»Sir?« Chock schluckte. »Aye, aye, Sir. Darf ich mir eine Bemerkung erlauben?«

»Bitte.«

»Sollte uns ein Schiff der Dons, äh, ich meine der Spanier, über den Weg laufen, sind wir wehrlos, Sir.«

»Das müssen wir in Kauf nehmen«, sagte Don Pedro.

»Lieber wehrlos als abgesoffen«, sagte Vitus.

 

 

 

Die nächsten Stunden waren eine einzige Schinderei. Jede der Kanonen wog mehrere hundert Pfund, musste mit Hilfe von Taljen vom Batteriedeck aufs Hauptdeck gehievt und von dort mühsam mit Stangen und anderem Gerät über Bord gehebelt werden.

Die Arbeit war so hart, dass sie alle Gegensätze, alle Unterschiede zwischen den Männern unwichtig machte. Zank, Neidereien, kleinliches Geplänkel waren vergessen. Was zählte, war einzig und allein das Überleben. Sie kämpften Seite an Seite bis zur völligen Erschöpfung, halfen einander, fluchten in allen Sprachen, zogen, schoben, stemmten die schweren bronzenen Geschütze, dass ihnen die Stirnadern schwollen und die Luft aus den Lungen wich. Sie boten ein Bild bester Kameradschaft, und doch ging die Plackerei nur schleppend voran.

Gleichzeitig versuchte ein anderer Trupp, das große Leck im Vorschiff abzudichten. Die Männer arbeiteten von innen und außen, wobei die Matrosen, die sich außenbords hatten abseilen lassen, zusätzlich mit den Widrigkeiten der gischtenden See kämpfen mussten. Sie waren von oben bis unten durchnässt und bemühten sich, neue Planken aufzuziehen und kleinere Löcher mit Werg abzudichten, doch die Bugwelle machte ihr Werk immer wieder zunichte. Es war eine Sisyphusarbeit.

Vitus richtete derweil über dem Orlopdeck eine neue Quarantänestation ein, stattete Krankenkammern aus und ließ den Operationstisch seefest machen. Alles musste in Windeseile vonstatten gehen, was auf große Schwierigkleiten stieß, denn obwohl der Magister tatkräftig half und Stonewell sich kurzerhand als geheilt erklärte, fehlte es überall an helfenden Händen.

Zu alledem musste das Schiff weitergesegelt werden, was unter den erschwerten Bedingungen äußerste Anstrengungen erforderte.

Einziger Hoffnungsschimmer war das Wetter. Es besserte sich zusehends. Seegang und Wind nahmen ab und beanspruchten die arg gezeichnete Camborne nicht mehr so stark. Doch das Leck im Vorschiff konnte nicht abgedichtet werden. Nach wie vor drangen große Wassermassen in den Schiffsrumpf, was dazu führte, dass die Pumpen immer schneller bedient werden mussten und Don Pedro sich gezwungen sah, die Männer in immer rascherem Wechsel ablösen zu lassen.

Die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden nicht kleiner. Er stand allein auf seinem erhöhten Posten und musste mit ansehen, wie der Rumpf des Schiffs trotz aller Bemühungen tiefer und tiefer in die See eintauchte. Er überlegte gerade, ob er Kurswechsel befehlen sollte, um die Camborne an der Südspitze Irlands auf Grund zu setzen, als eine Stimme ihn vom Hauptdeck aus anrief: »Buenos días, Landsmann, mein Augenlicht lässt zwar zu wünschen übrig, aber ich habe eine gute Portion Optimismus zu verteilen. Wie steht’s, darf ich deine heilige Stätte betreten?«

Trotz der misslichen Lage musste Don Pedro lächeln. »Komm nur, Magister, eine Portion Optimismus ist immer willkommen. Ich frage mich allerdings, woher du sie nehmen willst.«

»Das weiß ich selbst noch nicht.« Der kleine Gelehrte grinste entwaffnend. »Aber auch da bin ich Optimist.«

»So wie du aussiehst, könnte das tatsächlich stimmen. Wenn sich nur das vermaledeite Leck am Bug abdichten ließe, dann ginge es mir gleich viel besser.«

Der Magister überlegte. »Wenn uns das große Schiff unter den Händen wegsinkt, könnten wir vielleicht das kleine nehmen?«

»Du meinst das Beiboot? Das würde uns nicht weit bringen, da gehen höchstens fünfzig Mann hinein, und wir sind über dreihundert.«

»Dann müssten wir eben den Schiffsraum vergrößern.«

»Was meinst du damit?«

»Wir könnten ein Floß bauen, indem wir mehrere Dutzend Fässer zusammenbinden.«

Don Pedro pfiff durch die Zähne. »Allmählich begreife ich, warum Vitus so große Stücke auf dich hält. Du bist wirklich nicht unterzukriegen.«

»Serva me, servabo te«, wie wir Lateiner sagen. »Ihr habt mich gerettet, jetzt rette ich euch … nanu, Landsmann, warum kneifst du auf einmal die Augen zusammen, gefällt dir mein Vorschlag nicht?«

»Das schon«, erwiderte Don Pedro gedehnt, »aber es könnte sein, dass deine Rettungsversuche gar nicht mehr zur Ausführung kommen. Sieh nur, Steuerbord voraus nähert sich ein Schiff.«

»Da brauche ich gar nicht erst hinzugucken.« Der Magister schürzte die Lippen. »Ich sehe sowieso nichts. Alles, was weiter als drei Schritte entfernt ist, erscheint mir nur als Nebel. Aber wenn du gestattest, bleibe ich bei meinem Optimismus und sage: Was von Süden auf uns zukommt, dürfte kaum zur Armada gehören.«

»Da könntest du recht haben. Warte hier, ich bin gleich zurück.« Don Pedro eilte zur Schiffsmitte und stieg dort höchstselbst in die Wanten des Hauptmasts. Nach wenigen Minuten war er wieder da. Seine Stirn hatte sich etwas geglättet. »Der Bauweise nach ist es ein Engländer. Wenn die Distanz nicht so groß wäre, würde ich sogar sagen, das Schiff kommt mir sehr bekannt vor.«

»Welches ist es denn?«

»Das möchte ich lieber nicht sagen, womöglich irre ich mich.«

»Komm schon, Landsmann, wie heißt es so schön: Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen. Also?«

»Nun gut. Es könnte sich um die Falcon handeln.«

 

 

 

Es war die Falcon. Eine Stunde nach der Sichtung durch Don Pedro kam sie längsseits und mit ihr ein auf einer Elfenbeinprothese stehender, grimmig dreinblickender alter Seebär. »Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, das wurde aber auch höchste Zeit!«, brüllte er. »Ihr sauft ja ab wie ein vollgesogener Schwamm!«

Vitus, der mittlerweile zu Don Pedro und dem Magister gestoßen war, brüllte zurück: »So sieht man sich wieder, Sir! Wenn das kein Zufall ist!«

»Ob das Zufall ist, möchte ich bezweifeln, Cirurgicus! Ich kreuze hier seit geschlagenen zwölf Tagen herum, seit ich weiß, dass die Camborne als einziges Schiff die Spanier verfolgt. Von den Outer Islands im Norden bis Lizard Point im Süden spricht mittlerweile ganz England davon. Habe mir schon gedacht, dass die Camborne von den gewaltigen Stürmen ziemlich gerupft sein würde, und musste mir zig fette spanische Prisen entgehen lassen, nur um Euch hier aufzugabeln. Das könnt Ihr niemals wieder gutmachen.«

Vitus lachte. »Dann will ich es gar nicht erst versuchen. Würdet Ihr uns Schiffbrüchige trotzdem aufnehmen?«

»Was bleibt mir anderes übrig! Bringen wir die Sache schnell hinter uns, anschließend darf ich auf ein Gläschen in meine Kajüte bitten!«

 

 

 

Mit dem Gläschen in Taggarts Kajüte sollte es jedoch für die nächsten vierundzwanzig Stunden nichts werden, zu viel war hüben wie drüben zu tun, um die Männer der Camborne auf die Falcon zu schaffen. Neben der Besatzung, die bis zum Eintreffen in England mit den Männern der Falcon in drangvoller Enge würde leben müssen, wurde auch mancherlei an Ausrüstung, das von Wert war, übernommen, sowie Proviant, Wasser und stärkende Getränke, dazu seemännisches Gerät, nautische Bestecke, Karten, Insel- und Küstensilhouetten und sonstiges Material. Selbst das große Beiboot der Camborne wurde zu Wasser gelassen und durch eine Schleppleine mit der Falcon verbunden.

Als endlich alles getan war, kam der Moment der offiziellen Begrüßung in Taggarts Kajüte. Am großen Tisch saßen Taggart und sein Erster, ein neuer Mann namens Summer, ferner Vitus, der Magister, Don Pedro, der wieder genesene Stonewell und der Zwerg. Letzterer hatte sogar die Ehre, rechts neben dem alten Korsaren Platz nehmen zu dürfen, während Vitus die linke Position einnahm.

Taggart schnaufte geräuschvoll und erhob sein Glas: »Gentlemen, gestattet mir, vor der allgemeinen Begrüßung ein Wort an den Admiral Don Pedro de Acuña zu richten: Sir, es ist mir eine Ehre, Euch an Bord haben zu dürfen. Ihr seid ein tapferer Mann und schneidiger Kommandeur, wie ich in Cádiz mehrfach beobachten konnte, überdies habt Ihr, ungeachtet der Kriegssituation, mit der Camborne ein feindliches Schiff übernommen und gen Heimat gesegelt, weil die Menschlichkeit es gebot. Ich trinke auf Euch und auf alle Spanier, die so sind wie Ihr.«

Der Magister rief dazwischen: »Das ist ein Wort!«

»Wui, wui!«, krähte der Zwerg, »der span’sche Peter is’n fitzer Gack!«

»Können wir jetzt?«, fragte Taggart leicht irritiert.

Die Männer tranken.

Don Pedro setzte als Einziger sein Glas nicht ab, sondern sagte: »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Capitán Taggart. Ich danke Euch für Eure freundlichen Worte und bin froh, den Mann kennenlernen zu dürfen, der meine Männer in der Schlacht von Cádiz verschont hat. Es wäre Euch ein Leichtes gewesen, die brennende Galeere zu zerstören, aber Ihr habt es aus Rücksicht auf die wehrlose Besatzung nicht getan. Dafür gebührt Euch höchster Respekt. Wenn Ihr gestattet, trinke ich auf Euch und auf die Ritterlichkeit, die uns alle verbindet. Salud!«

Die Herren tranken erneut, und Taggart, der sich seine Befangenheit um alles in der Welt nicht anmerken lassen wollte, brüllte: »Tipperton! … Tipperton!«

Endlich erschien der Schreiber in der Tür. »Ihr habt mich gerufen, Sir?«

»Nein, ich wollte nur ein Lied singen! Natürlich habe ich Euch gerufen. Füllt unsere Gläser neu, aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf.«

Tipperton gehorchte mit beleidigter Miene, und als er seine Pflicht erfüllt hatte, sagte Vitus: »Leider kann McQuarrie nicht mit am Tisch sitzen. Er hat die Ruhr, und zwar ziemlich schwer. Ich denke, wir sollten auf den alten Haudegen ebenfalls anstoßen.«

Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Die Herren tranken erneut.

Tipperton wurde als Mundschenk abermals bemüht, und da er wie immer zu langsam war, musste er sich von Taggart die Frage gefallen lassen, wann er endlich gedenke, mit den Getränken zu Stuhle zu kommen.

Danach machte Stonewell den Vorschlag, auf den Zwerg zu trinken, da dieser den Kranken bei jedem Wetter kräftigende Kost zubereitet habe und darüber hinaus als Blutstiller erfolgreich gewesen sei. Die Idee fand allseitige Zustimmung und wurde prompt in die Tat umgesetzt.

Don Pedro wiederum regte an, auf Vitus, den Cirurgicus, zu trinken, da dieser ihn nach dem Untergang der San Salvador so kunstgerecht verarztet habe. Der Anregung mochte niemand widersprechen.

Der Magister mahnte, man dürfe nicht vergessen, auch auf sich selbst und die Göttin Fortuna zu trinken, schließlich heiße es: Sui quique mores fingunt fortunam. Diese Aussage wurde von niemandem bezweifelt, schon gar nicht von jenen, die des Lateinischen nicht mächtig waren.

Später meinte der Zwerg, man solle auf den »Mattich« trinken, und als keiner wusste, wen er damit meinte, erklärte er in seinem Kauderwelsch, Mattich heiße Sommer, und der Sommer sei ja nun da und mache als Erster Dienst, auch wenn er sich »angelsch« schriebe.

Noch später, als die Zungen schwerer und die Reden distanzloser wurden, meinte Summer, man müsse auch auf Tipperton trinken, aber da dieser selbst nach wiederholtem Rufen nicht erschien, mussten die Gläser so geleert werden.

Es wurde an diesem Abend noch auf viele und vieles angestoßen, auf Persönlichkeiten wie auf Gegenstände, auf Galionsfiguren, Talismane und altes Unkraut, auf Golddublonen in Schädeldecken, turbanförmige Verbände und Beinprothesen aus Elfenbein, auf die Gesundheit und den gesunden Appetit, auf die Jugend, auf das Alter, auf Wein, Schnaps und den Alkohol an sich, einfach auf alles, was einem benebelten Hirn einfiel, nur auf die gekrönten Häupter der kriegführenden Länder wurde nicht getrunken, was aber niemand groß vermisste.

Ebenso wie niemand bedauerte, dass die offizielle Begrüßung durch Taggart unter den Tisch gefallen war.

 

 

 

Am darauffolgenden Tag, einem Samstag, stieg eine goldene Augustsonne aus dem Meer und schien ein letztes Mal auf die sinkende Camborne. Der Bug des braven Schiffs war schon vollständig vom Wasser bedeckt, und bald würde auch das Heck verschwunden sein.

Taggart, der jedes Schiff liebte, stand grimmig dreinblickend auf dem Kommandantendeck seiner Falcon und fluchte lautlos vor sich hin. Vitus, der neben ihm stand, missdeutete den Gesichtsausdruck und fragte: »Sir, ich hoffe, Euch brummt nicht allzu sehr der Schädel?«

»Von dem bisschen Alkohol gestern Abend? Lächerlich!«

»Dann macht Euch sicher das verbliebene Knie zu schaffen?«

»Das Knie? Ich strafe es mit Missachtung, stehe sowieso mehr auf meinem Elfenbeinbein.«

»Was bedrückt Euch dann?«

»Der Untergang der Camborne. Sie stellt beste englische Schiffbaukunst dar; es ist ein Jammer, dass Poseidon sie zu sich holt. Viel zu früh! Ich werde in dem Moment, wo ihre letzte Planke im Meer versinkt, einen Salut schießen lassen. Sie hat es verdient, und die tapferen Männer, die ihr Leben auf ihr ließen, auch.«

»Recht so, Sir.« Vitus musste an Isabella denken, die ebenfalls ihr Leben auf der Camborne gelassen hatte, um das Leben eines anderen zu retten – seines.

»Mister Summer!«

»Sir?« Der Erste eilte herbei.

»Wir wollen die Camborne würdig verabschieden, wenn sie auf ihre letzte Reise in die Tiefe geht. Die Stückmeister sollen Backbord und Steuerbord je eine Breitseite abschießen. Geschützpforten öffnen, Kanonen ausrennen, laden, richten und so weiter. Feuerbefehl erfolgt extra. Ich erwarte schnellstmöglichen Vollzug.«

»Aye, aye, Sir!« Summer wollte gehen, aber Taggart fiel noch etwas ein. »Meine Empfehlung an den Admiral de Acuña und an den Magister der Jurisprudenz Ramiro García, ich bäte beide Herren zu mir.«

»Aye, aye, Sir!« Summer verschwand, und Vitus nutzte die Gelegenheit, um Taggart zu fragen: »Sir, Ihr sagtet, ganz England spräche davon, dass die Camborne hinter den Spaniern her sei, aber wieso wusste ganz England das?«

Taggart grinste schief. »Ihr habt wohl vergessen, dass Ihr in Kirkcaldy haltgemacht habt, um Wasser und Proviant an Bord zu nehmen? Außerdem ist es Lord Howard natürlich nicht entgangen, dass eines seiner Schiffe nicht befehlsgemäß umgekehrt, sondern weitergefahren ist. Was er davon hält, wird er Euch sicher irgendwann selbst sagen. Ich jedenfalls habe mir gedacht, dass vor Poseidons Wut alle Schiffe gleich sind und auch die Camborne von den Stürmen über Schottland arg mitgenommen sein würde. Also habe ich mich mit meiner Falcon auf die Socken gemacht, um Euch abzufangen, für den Fall, dass meine Hilfe vonnöten sein sollte. Und wie sich herausgestellt hat, war sie das in der Tat.«

»Ganz recht, Sir.«

»Aber auch ich habe eine Frage: Warum seid Ihr eigentlich den Spaniern so wild entschlossen hinterhergejagt?«

Vitus zögerte, entschied sich dann aber, die Wahrheit zu sagen. Er erzählte von dem Streit mit dem Magister, der Suche nach ihm, dem Gefecht mit der Santa Maria de Visón, der Verletzung des kleinen Gelehrten und dem glücklichen Ausgang am Streedagh-Strand.

Taggart schnaufte zufrieden. »Gut, dass Gott Euch wieder zusammengeführt hat. Der Magister ist ein prächtiger Mensch.«

»Das höre ich gern«, sagte der Magister, der in diesem Augenblick auf das Kommandantendeck kletterte. »Wie komme ich zu dem Kompliment?«

»Nichts, nichts«, knirschte Taggart, der froh war, dass Don Pedro im Kielwasser des kleinen Gelehrten folgte. »Willkommen hier oben, Sir. Ich hoffe, Ihr hattet eine ruhige Nacht?«

»Danke, Capitán.« Don Pedro blickte sich um. »Sie war, dank Eurer freundlichen Einladung, nur kurz, aber ich konnte endlich einmal wieder durchschlafen.«

»Das kenne ich … He, Mister Summer, bald ist Weihnachten, und ich warte noch immer auf Vollzug!«

Summer hastete mit gerötetem Gesicht herbei. »Feuerbereitschaft hergestellt, Sir.«

»Mein Gott, hat das gedauert. In der Zeit wachsen ganze Jungfrauen heran!« Taggart wandte sich an Don Pedro: »Ihr müsst einen schlechten Eindruck von der Schnelligkeit englischer Geschützmannschaften bekommen haben, Sir.«

»Das Gegenteil ist der Fall.« Don Pedro blickte auf Summer, der in strammer Haltung dastand. »Wenn unsere spanischen Kanoniere so schnell wären wie die Euren, wäre manches Gefecht zwischen uns wohl anders ausgegangen.«

»Mag sein, mag sein. Wenn ich es richtig sehe, fehlt es auf Euren Schiffen an vierrädrigen Lafetten, auf denen die Kanonen besser bewegt werden können?«

Bevor Don Pedro antworten konnte, erscholl ein Ruf vom Hauptdeck: »Sie sackt gleich weg!«

Sofort richteten sich alle Augen auf die Camborne, die sich in der Tat anschickte, ihre Reise auf den Grund des Meeres anzutreten.

Taggart ließ bis auf die Geschützbedienungen alle Mann an Deck pfeifen und in gerader Ausrichtung Aufstellung nehmen. Dann straffte er sich und sagte zu Don Pedro: »Es muss jeden Moment so weit sein. Ihr als letzter Captain dieser stolzen Galeone sollt das Privileg haben, ihr einen eisernen Abschiedsgruß hinterherzuschicken. Gebt unseren englischen Befehl ›Port side: fire!‹, und die Culverines werden losdonnern.«

»Ich … ich danke Euch.« Don Pedros Stimme klang belegt. »Das ist wirklich eine große Ehre für mich. Sollte ich jemals die Heimat wiedersehen, wird mir das niemand glauben.« Er beobachtete zusammen mit Hunderten anderer Männer, wie die Camborne langsam, fast widerwillig, mit dem Bug voran versank. Das Heck richtete sich senkrecht auf und stand dann einige Herzschläge lang still.

»Port side: fire!«, rief Don Pedro, und sämtliche Backbordfeldschlangen der Falcon brüllten auf.

Als hätte sie darauf gewartet, setzte die Camborne sich wieder in Bewegung, knarrte, ächzte und glitt dann mit einem majestätischen Rauschen hinab in die nasse Finsternis. Was von ihr blieb, war einiges Treibholz und wirbelndes Wasser an der Untergangsstelle.

Taggart, Summer und auch Don Pedro grüßten militärisch, und Taggart bellte: »Starboard: fire!«, woraufhin die Steuerbordgeschütze mit gewaltigem Krachen antworteten.

Doch es blieb nicht bei diesen Breitseiten, denn abermals erklang das Getöse feuernder Kanonen, nur war es viel weiter entfernt. Alle blickten zum Horizont, wo im Norden mehrere Schiffe auftauchten. Offenbar waren sie es gewesen, die den Salut so kriegerisch beantwortet hatten. »Könnten Spanier sein«, knurrte Taggart. »Ted mit seinen scharfen Augen soll mal nachsehen.«

Wenig später meldete Ted vom Krähennest des Hauptmasts herunter: »Ein Riesenpott, Sir. Könnte sich um das Flaggschiff der Armada handeln.«

»So groß?«, bellte Taggart ungläubig.

»Aye, Sir, sieht nach der São Martinho aus. Zwei kleinere Schiffe sind dabei.«

»Bei allen Riesenkraken! Hat der Herzog von Medina Sidonia es also bis hierher geschafft, nachdem Dutzende seiner Schiffe bei den Stürmen im Orkus gelandet sind.« Taggart überlegte, ob er das Gefecht aufnehmen sollte, aber Ted unterbrach seine Gedanken mit dem Ruf: »Sie scheinen nach Hause zu fahren, Sir.«

»Und die Schüsse?«

»Könnten Warnschüsse gewesen sein, Sir. Die Dons interessieren sich nicht für uns.«

»Wollen unbehelligt bleiben, die Burschen«, knurrte Taggart. »Nun ja, vielleicht haben sie recht. Der Krieg ist aus.«

»Wenn Ihr erlaubt, Sir«, sagte der Magister, sollten wir den Herzog und seine São Martinho vielleicht doch behelligen.«

»Wie das?«

Der kleine Gelehrte blinzelte. »Nachdem Don Pedro sich so selbstlos für die englischen Belange eingesetzt hat, sollte er die Gelegenheit erhalten, mit dem Herzog zurück in die Heimat zu segeln.«

Taggart kratzte sich an seiner Narbe. »Ihr habt Ideen wie ein altes Pferd! Aber mal davon abgesehen: Wie soll das funktionieren?«

»Ganz einfach: Don Pedro nimmt das Beiboot der Camborne und rudert hinüber. Wir könnten ihm eine spanische Flagge mitgeben, damit er freundlich empfangen wird.«

»Nein.« Zur Überraschung aller winkte Don Pedro energisch ab. »Das ist gut gemeint, aber nicht möglich.«

Vitus mischte sich ein: »Warum sollte das nicht möglich sein, Pedro? Wenn Captain Taggart seine Genehmigung gibt, ist das kein Problem, nicht wahr, Sir?«

Taggart grunzte.

»Es geht trotzdem nicht. Ich lasse meine Landsleute nicht im Stich. Es wäre mir unerträglich, zu Hause in Freiheit zu sein, während auf die Matrosen der Santa Maria die Gefangenschaft wartet.«

»Wer sagt denn, dass es so sein muss?«, fragte Vitus und blickte Taggart auffordernd an.

Der grunzte abermals, gab sich einen Ruck und knurrte in Richtung Don Pedro: »Von mir aus nehmt die Männer mit, Sir. Meine Falcon platzt sowieso schon aus allen Nähten, so vollgestopft, wie sie ist. Das Beiboot dürfte groß genug sein.«

Don Pedro staunte, blickte ungläubig, dann strahlte er über das ganze Gesicht. »Das nenne ich großmütig, Capitán! Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll.«

»Schon gut!« Taggart wandte sich ab, damit man ihm die Rührung nicht ansah. »Mister Summer, Ihr habt gehört, worüber wir geredet haben. Lasst das Beiboot klarmachen und verteilt genug Riemen, damit Admiral de Acuña standesgemäß von seinen Leuten zum Flaggschiff hinübergerudert werden kann. Und beeilt Euch, der Herzog mit seinen Schiffen steht schon fast querab!«

»Aye, aye, Sir!«

Während der Befehl ausgeführt wurde, nutzten Vitus, der Magister und auch Taggart die Zeit, um sich von dem ungewöhnlichen Spanier zu verabschieden. Nachdem der alte Korsar und Don Pedro einen kräftigen Händedruck gewechselt und sich allzeit raumen Wind gewünscht hatten, umarmten Vitus und der Magister den Scheidenden kurz, aber heftig. »Grüß mir die spanische Erde, Landsmann«, murmelte der kleine Gelehrte, und Vitus sagte: »Es ist gut, dass es in diesen Zeiten Menschen wie dich gibt. Bleib, wie du bist.«

Don Pedro nickte nur, man sah, dass ihm ein Kloß im Hals steckte. Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er sich jäh ab und lief hinunter zur Deckspforte an Steuerbord, wo die Männer der Santa Maria bereits angetreten waren.

Taggart und die Freunde standen hoch oben auf dem Kommandantendeck und beobachteten, wie die spanischen Matrosen das Beiboot bestiegen, die Riemen aufrecht stellten und warteten, bis Don Pedro den Befehl zum Anrudern gab. Vitus winkte aus seiner luftigen Höhe, und Don Pedro winkte zurück, bevor er auf der hintersten Ducht Platz nahm.

Das Boot entfernte sich rasch und steuerte auf die spanischen Schiffe zu.

»Hoffentlich schießen sie ihm nicht zur Begrüßung ein paar Kugeln um die Ohren«, knurrte Taggart. »Hätte nie gedacht, dass ich mir irgendwann Sorgen um das Leben eines Dons machen würde.«

»Nein, das Flaggschiff dreht bei, und die beiden Begleitfahrzeuge machen es ihm nach«, sagte Vitus. »Scheint tatsächlich so, als würde Don Pedro nach Hause kommen.«

»Verflucht sei mein Augenlicht«, sagte der Magister. »Ich sehe nur einen bunten Brei.«

Da auch Taggarts Augen nicht mehr die besten waren, übernahm Vitus es, die beiden auf dem Laufenden zu halten. Er schilderte ihnen, wie man auf der São Martinho die Geschützpforten schloss und stattdessen den Ankömmlingen Leinen zuwarf, wie Don Pedro die Jakobsleiter langsam emporkletterte, noch einmal herüberwinkte und hinter dem hohen Schanzkleid des Flaggschiffs verschwand, wie seine Matrosen nacheinander folgten und wie schließlich das Beiboot der Camborne in Schlepp genommen wurde.

Dann gingen die Spanier wieder in den Wind, steuerten in guter Ordnung nach Süden, und Taggart knurrte: »Da ziehen sie dahin, als wäre nie etwas gewesen. Mögen sie niemals wiederkommen.«

 

 

 

Acht Tage später, am Sonntag, dem 1. September, machte die Falcon in Portsmouth fest, nachdem sie drei Tage zuvor schon Plymouth angelaufen hatte, und die Männer der Camborne von Bord gegangen waren.

Vitus befand sich in der provisorischen Krankenstation unter Deck und entschied, welche seiner Patienten noch weiterer Behandlung in einem Hospital an Land bedurften. Leider gehörte auch McQuarrie dazu, der immer noch nicht vollständig genesen war. Zwar hatte er auf die Frage nach der Beschaffenheit seines Stuhls grinsend geantwortet: »Der hatte heute Morgen schon wieder Konturen, Sir, zwei stattliche Ringe und ’ne Spitze«, aber Vitus wusste um die Hartnäckigkeit der Ruhr und wollte kein Risiko eingehen.

Der Bursche mit dem amputierten Schienbein würde ebenfalls noch der Pflege bedürfen, ebenso wie einige andere.

Zu den Glücklicheren gehörte Clark, der Spaßvogel mit dem durchschossenen Gesäß: Er wurde als geheilt entlassen, nachdem er bewiesen hatte, dass er wieder auf beiden Backen sitzen konnte.

Vitus wies Stonewell an, die letzten Formalitäten zu erledigen, und stieg an Deck, wo schon große Aufbruchsstimmung herrschte. Tipperton zahlte wie üblich die Mannschaft aus, und Taggart stand mit grimmiger Miene daneben, denn er musste den Lohn für seine Falcons aus der eigenen Tasche begleichen. Allerdings stand er damit nicht allein, denn so dankbar die Lady of the Seas den Männern ihrer Flotte war, so knauserig zeigte sie sich bei der Entlohnung: Auch Lord Howard hatte das schon erfahren müssen und viele seiner tapferen Teerjacken aus der eigenen Schatulle bezahlt.

Doch das konnte die allgemeine Freude an diesem Tag nicht trüben. Wie alle Matrosen dieser Welt zog es die Falcons mit Macht in den Hafen und in die dortigen Schenken und Bordelle. Sie standen in Grüppchen auf der Pier und beratschlagten, wohin sie zuerst gehen sollten.

Auch Vitus, der Magister und der Zwerg standen da, nachdem sie Taggart, Stonewell, Chock, Muddy, Ted, Dunc und den vielen anderen prächtigen Männern Lebewohl gesagt hatten.

Taggart hatte Vitus’ Hand einen Augenblick länger als notwendig gedrückt und gesagt: »Grüßt mir recht herzlich Lady Nina, Cirurgicus, oder soll ich wieder ›Mylord‹ sagen, jetzt, wo die Reise zu Ende ist?«

Vitus hatte abgewinkt und an seine sanfte, schöne, strenge Gemahlin denken müssen, der er versprochen hatte, in zwei Wochen wieder daheim zu sein, und die nun schon knapp sieben Wochen auf ihn wartete. »Ich werde für Euch immer der Cirurgicus sein, Sir. Grüßt mir im Gegenzug Euer Weib und sagt Ihr, ich wäre auf dieser Reise leider nicht dazu gekommen, ihre legendären salzwasserfesten Biskuits zu kosten. Vielleicht beim nächsten Mal.«

»Werde ich ausrichten, Cirurgicus, werde ich ausrichten«, hatte Taggart geknurrt und war, bevor es vertraulicher werden konnte, unter Deck gestelzt, um sich von McQuarrie, seinem alten Maat, zu verabschieden.

Das alles lag erst eine halbe Stunde zurück, und die drei Freunde wollten gerade eine Kutsche besteigen, als plötzlich eine schwungsvolle Melodie im Dreihalbetakt über die Pier wehte. Es war eine Hornpipe, einer der beliebtesten Matrosentänze überhaupt. »Knäbbig, knäbbig«, fistelte der Zwerg, »wo strömt die Schallerei wohl her?«

Seine Frage sollte umgehend beantwortet werden, denn unter den aufmerksamen Augen von Stonewell wurden die Kranken auf Tragen an Land geschleppt, und auf der ersten Trage befand sich McQuarrie, der die Backen aufblies und seinen Dudelsack mit Inbrunst im Liegen spielte. Gelächter und Gebrüll setzten überall ein, und viele der Matrosen begannen tatsächlich zu tanzen.

McQuarrie rief: »Wenn wir schon krank sind und nicht zu den Hafenschwalben können, wollen wir wenigstens lustig sein, was, Leute?«

Und seine Leidensgenossen antworteten: »Aye, das wollen wir.«

McQuarrie spielte weiter, und während die Kranken zu den wartenden Transportwagen getragen wurden, stimmten sie stolz ihr Lied an: »Brave bird, Falcon, brave bird, fights like an eagle, fights like a knight, fights by day and fights at night …«

»Das nenne ich Haltung«, sagte der Magister blinzelnd, »diese Falcons sind wirklich durch nichts zu erschüttern, wahre Teufelskerle!«

»Das sind sie.« Vitus fühlte Stolz, denn er war einer von ihnen.

»Wui, wui, sin eckerne Gacken, die Teichfahrer!«

»So kann man es auch nennen, Zwerg.« Vitus, der seine alte Kiepe umgeschnallt hatte und den Wanderstock trug, warf noch einen letzten Blick auf die belebte Pier und drängte die Freunde dann in die bereitstehende Kutsche. »Reißt euch los«, sagte er. »Auf nach Greenvale Castle!«

 

 

 

Er hatte beabsichtigt, schon am nächsten Tag das Schloss seiner Väter zu erreichen, um Nina in die Arme schließen zu können, aber ein Radbruch kurz vor Chichester machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Reparatur schien ewig zu dauern, zumal der Kutscher, ein junger, unerfahrener Mann, sich der Situation kaum gewachsen zeigte.

Dem Zwerg und dem Magister machte die Verzögerung nichts aus, im Gegenteil: Der kleine Gelehrte gab auf der Weiterfahrt aus voller Brust einige spanische Weisen zum Besten, und der Zwerg steuerte einen lustigen Ländler aus dem Askunesischen bei.

Vitus sang nicht. Er war in Gedanken schon bei Nina. Je näher das Wiedersehen mit ihr rückte, desto häufiger fragte er sich, ob zwischen ihnen alles wieder so wie früher werden würde. Die Affäre mit Isabella war für ihn zwar abgeschlossen, aber beendet sein würde sie erst, wenn er sie Nina gestanden hatte.

Konnte er das?

Wäre es nicht klüger, zu schweigen und die geliebte Frau nicht zu belasten?

Die Zeit verging, Wälder, Wiesen und abgeerntete Felder zogen am Kutschenfenster vorbei, und es dunkelte bereits an diesem 2. September, als der Kutscher anhielt und fragte, ob es nicht besser sei, in einem Gasthof zu übernachten und die Reise am nächsten Tag fortzusetzen.

»Nein«, sagte Vitus. »Es sind nur noch rund zwanzig Meilen bis zu unserem Ziel, entzünde die Laternen an der Kutsche und fahr weiter.«

»Jawohl, Mylord.« Der Kutscher fügte sich.

Bald darauf fuhren sie in völliger Dunkelheit, und es war nur Vitus’ guter Ortskenntnis zu verdanken, dass sie sich nicht verirrten. Vitus verteilte Decken, in die sich die drei Freunde hüllten, denn die Septembernacht war kühl und feucht.

Plötzlich blieb die Kutsche stehen.

»Was ist los?«, rief Vitus.

»Nebel, Mylord«, meldete der Kutscher. »Man sieht die Hand nicht mehr vor Augen. Wir können nicht weiter.«

Vitus blickte hinaus. Der Mann hatte recht. Im schwachen Licht der Kutschlaternen war nur eine graue Wand erkennbar.

»Da seht ihr mal, wie wenig ich immer sehe«, witzelte der Magister.

»Wui, wui, die Dunkelwüst is dull«, krähte der Zwerg.

Vitus biss sich auf die Lippen. Er war der Einzige, der die Situation nicht lustig fand. »Es sieht nicht so aus, als würde sich der Nebel bald lichten. Wir gehen zu Fuß weiter, es sind höchstens noch zwei Meilen bis Greenvale Castle, wir können den Weg nicht verfehlen.«

Der Magister blickte zweifelnd. »Bist du sicher, dass du das wirklich willst? Errare humanum est!«

»Ich möchte endlich ankommen.«

»Na dann, erledigen wir den Rest per pedes apostolorum.« Der kleine Gelehrte sprang hinaus auf den Weg und verkündete: »Es ist, als würde man in einen Topf mit Grießbrei eintauchen. Das kann ja heiter werden.«

»Wir werden es schon schaffen.« Vitus half dem Zwerg aus der Kutsche und entlohnte den Fahrer. »Wenn du nicht weiterwillst, bleibe hier«, sagte er zu ihm. »Morgen früh kannst du dir im Schloss eine Mahlzeit geben lassen. Sage einfach, der Herr habe es so angeordnet.«

»Danke, Mylord.« Der Kutscher zählte die Münzen nach, erkannte, dass er ein gutes Trinkgeld bekommen hatte, und strahlte: »Ergebensten Dank, Mylord, möge der Herr alle Eure Wünsche in Erfüllung gehen lassen.«

Vitus antwortete nicht, hoffte aber, dass die Worte des Mannes sich bewahrheiten würden. Er hieß die Freunde, sich links und rechts bei ihm unterzuhaken, damit sie sich gegenseitig Halt geben konnten, und begann, den letzten Teil der Strecke unter die Füße zu nehmen.

Es war ein mühsames Marschieren. Alle Augenblicke drohten sie zu fallen, weil einer von ihnen gestolpert war. Sie rappelten sich hoch, stützten sich erneut und tasteten sich weiter vor. Sie verloren jegliches Zeitgefühl, sprachen nicht und hörten nur das angestrengte Atmen der anderen.

»Geht es noch, Magister?«, fragte Vitus einmal. »Was macht deine Verletzung?«

»Welche Verletzung?«, war die Antwort.

Als sie endlich den vertrauten Platz vor der großen Freitreppe des Schlosses erreicht hatten, glaubten sie, der neue Tag sei schon Stunden alt.

Wie zum Hohn lichtete sich bei ihrer Ankunft der Nebel; ein schwach scheinender Mond wurde zwischen Wolkenfetzen sichtbar und beschien die Umrisse des Schlosses.

Ein einsames Käuzchen schrie.

»Wir sind schon zahlreicher begrüßt worden«, sagte der Magister, aber niemand lachte.

»Hauptsache, wir sind da.« Vitus versuchte, sich seine Eile nicht anmerken zu lassen. »Gute Nacht, Freunde. Morgen früh sehen wir uns wieder.«

»Nacht, altes Unkraut. Will mal sehen, ob mein Bett noch an der alten Stelle steht.« Der Magister machte sich auf den Weg zu seiner Kammer.

»Glatte Schwärze, Örl.« Der Zwerg hüpfte zum linken Flügel des Schlosses, in dem sich die Küche befand und die ungeliebte Mrs.Melrose dem neuen Tag entgegenschlummerte.

Vitus lief die große Freitreppe zum Hauptgebäude empor und gab sich dem Wachtposten gegenüber zu erkennen. Der Mann machte große Augen, seinen Herrn plötzlich vor sich zu sehen, stellte aber keine Fragen und grüßte nur militärisch. Bereitwillig gab er den Weg frei.

Vitus betrat das Schloss. Drinnen nahm er eine der Nachtfackeln aus der Wandhalterung und eilte hinauf zum gemeinsamen Schlafzimmer. Vor der Tür hielt er inne. Er wollte nicht so hineinplatzen. Nina schlief sicher tief und fest und würde sich zu Tode erschrecken, wenn er unverhofft vor ihr stünde. Er atmete durch und steckte die Nachtfackel in eine leere Wandhalterung. Dann entzündete er eine Laterne. In ihrem sanften Schein würde die Begrüßung harmonischer ausfallen.

»Liebste?«, rief er leise, während er die Tür öffnete. »Liebste, werde wach, ich bin wieder da.«

Er ging mit der Laterne zum Bett und leuchtete hinein.

Es war leer.