Die Zwergentochter Nella
»Ich will an die Küste!«
Nella stand an diesem Morgen früh auf, denn in letzter Zeit ging sie gern zu den Ställen, wo Keith mit seinen Männern die Pferde versorgte. Keith war ein netter Kerl und ihr Freund. Er behandelte sie schon seit längerem nicht mehr wie ein Kind, sondern fast wie eine Erwachsene. Er hatte lustige, abstehende Ohren und ein verschmitztes Gesicht, und Nella war ein bisschen verliebt in ihn. Aber das durfte sie auch sein, weil es keiner wusste und weil sie in drei Monaten schon neun Jahre alt wurde. Odo und Carlos waren noch Kinder – sie nicht.
»Hallo, Keith«, sagte sie möglichst gleichgültig, damit er nicht ahnte, wie es um sie stand. »Kann ich dir bei irgendwas helfen?«
Keith lachte. »Du bist wohl aus dem Bett gefallen, junge Dame?«
»Nein«, sagte Nella ernsthaft. »Kann ich dir nun bei irgendwas helfen oder nicht?«
»Kannst du. Aber warum hast du denn so ein schönes Kleid an? Das ist nicht der richtige Aufzug für die Ställe.«
Darauf fiel Nella nichts Richtiges ein, weil Keith ja nicht wissen durfte, warum sie das schöne Kleid angezogen hatte. Deshalb sagte sie: »Was kann ich denn machen?«
Keith überlegte, dann sagte er: »Watty striegelt gerade den braunen Wallach. Das könntest du übernehmen. Watty soll dir die große Kiste aus dem Gang zu dem Braunen stellen, dann kommst du besser ran.«
»Hm.« Es gefiel Nella gar nicht, dass sie zu Watty gehen sollte. Viel lieber wollte sie bei Keith bleiben. »Kann ich dir nicht helfen?«
»Ich will nur die Hufe von Telemach reinigen. Ich denke, die Hufeisen müssten mal wieder erneuert werden. Der Schmied aus dem Dorf kommt nächste Woche. Aber so lange dürfen wir nicht warten. Pferdehufe müssen regelmäßig an der Ober- und Unterseite gereinigt werden, sonst kann die gefährliche Strahlfäule auftreten.«
»Was ist das?« Es interessierte Nella nicht so sehr, was die Strahlfäule war, aber sie wollte bei Keith bleiben, und sie hörte ihm gern zu.
»Wenn der Huf nicht regelmäßig gereinigt und ausgekratzt wird, kann sie auftreten.«
»Erzähl mir davon!«
Keith lachte. »Interessierst du dich auch so sehr fürs Lateinische, wenn Doktor Burns aus dem Dorf kommt und euch Kinder … äh, ich meine, dich und die Kinder unterrichtet?«
»Nein.« Nella runzelte die Stirn. Dann sagte sie altklug: »Latein und Strahlenfäule, das kann man nicht vergleichen.«
Keith lachte noch mehr. »Da hast du wahrhaftig recht!« Dann erzählte er ihr lang und breit von der Krankheit und sagte am Schluss: »Aber wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, Telemach ist gesund, und wenn Ihre Lordschaft, Lady Nina, es möchte, kann sie jederzeit mit ihm ausreiten.«
Das letzte Wort erinnerte Nella an das Gespräch, das Hartford mit Tante Nina geführt hatte und in dem er einen gemeinsamen Ausritt an den Kanal vorgeschlagen hatte. Hartford war ein grässlicher Mann, der nichts so meinte, wie er sagte. Sie sah es ihm am Gesicht an, wenn er log. Und wenn er von einer Stelle gesprochen hatte, von der man einen schönen Blick auf das Wasser hatte, dann log er bestimmt auch. Die Frage war, warum er log. Was wollte er von Tante Nina? Er war nur ein Diener, und Tante Nina war die Herrin. Noch nie hatte er mit ihr ausreiten wollen.
»Woran denkst du, junge Dame?« Keith hob Nellas Kinn mit dem Zeigefinger an und schaute ihr in die Augen. Nella schaute rasch nach unten, damit er nicht sah, dass sie errötete. »Och«, sagte sie. »Tante Nina will vielleicht ausreiten, wenn das Wetter besser ist, und ich würd gern mitreiten. Kann ich dann eins von den Shetlandponys haben, die drüben auf der Koppel sind?«
»Aber natürlich, junge Dame! Du nimmst am besten Shorty, der ist gut zugeritten und lammfromm.«
»Danke, Keith. Du … du bist nett.«
Am Samstag, dem 3. August, stand die Camborne nordöstlich des Firth of Forth. Sie hatte in Kirkcaldy frisches Wasser, Proviant und ausreichend Arzneien an Bord genommen, und Vitus hatte die Gelegenheit genutzt, einen Brief an Nina zu schreiben, in dem er von der erfolgreichen Abwehrschlacht gegen die Armada berichtete, von der Verletzung des Magisters sprach und überdies seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, den kleinen Gelehrten zu finden und zu heilen. Er versuchte klarzumachen, wie lächerlich ihm der Zwist mit seinem Freund nach all den Geschehnissen vorkam, aber es gelang ihm nicht. Ebenso wenig vermochte er es, Isabella zu erwähnen. Vielmehr bat er Nina, sich noch einige Zeit bis zu seiner Rückkehr zu gedulden. Ansonsten gehe es ihm gut, er liebe sie und die Kinder über alles und sehne sich mit jedem Tag mehr nach ihr.
Anschließend hatte er einem berittenen Boten den Brief übergeben, und die Camborne hatte Kirkcaldy verlassen, um sich wieder auf die Suche nach der Santa Maria de Visón zu machen.
Doch auch nordöstlich des Firth of Forth war nichts von ihr zu sehen. Zwar hatte McQuarrie in der Zwischenzeit den einen oder anderen Spanier ausgemacht, der sich nordwärts steuernd dahinschleppte, aber das Schiff des Magisters war nicht dabei gewesen. Es schien, als hätten die Götter der vier Winde die Santa Maria für alle Zeiten vom Meer geblasen.
Umso ereignisreicher waren die Tage gewesen, die hinter der Camborne lagen: Vitus hatte direkt nach dem Gespräch mit McQuarrie die Mannschaft zusammengerufen und ihr von der Entscheidung berichtet, nicht zurück nach Plymouth zu fahren, sondern die Santa Maria zu verfolgen. Wie vorauszusehen, zeigten die Männer sich wenig begeistert, was sich jedoch schnell änderte, als ihnen ein halber Becher Brandy pro Tag versprochen wurde. Darüber hinaus lockte sie ein guter Anteil an der Prise, sollte es gelingen, den Spanier zu kapern.
Kapitän Steel war noch am selben Abend mit allen Ehren der See übergeben worden – selbstverständlich nach einer kurzen, aber weihevollen Andacht, die Vitus abhielt, sowie unter den klagenden Tönen von McQuarries Dudelsack.
Nachdem Steel sein nasses Grab gefunden hatte, waren auch die ersten Toten unter den Kranken ins Meer geglitten. Es handelte sich um die beiden Matrosen mit den schweren inneren Verletzungen und um Creedys Leidensgenossen von der Moon, den die Ruhr dahingerafft hatte.
Außer Stonewell, der nach wie vor unter Fieber, Krämpfen und einer beschleunigten Darmpassage litt, hatte kein neuer Fall in die Quarantänestation eingeliefert werden müssen, wofür niemand dankbarer war als Vitus.
Aber auch Don Pedro hatte aufgeatmet, als sicher zu sein schien, dass die disentería nicht weiter um sich griff. Er war nicht nur ein angenehmer Gesprächspartner, sondern auch zu einem geschickten, zupackenden Helfer in der Krankenversorgung geworden. Ein paarmal, besonders bei Amputationen, wenn zwischen ihm und Vitus alles blitzschnell gehen musste, war beiden das »Du« herausgerutscht, aber sie hatten so getan, als hätten sie es nicht bemerkt.
McQuarrie war in die Kapitänskajüte gezogen, nachdem er sich vorübergehend gesträubt hatte, weil er meinte, sie stehe Vitus zu. Vitus wiederum hatte das entschieden abgelehnt, da er befürchtete, dem neuen Kommandanten könnte nicht genug Respekt entgegengebracht werden, wenn er nicht in Steels Behausung lebte.
Isabella wohnte nach wie vor in der ehemals gemeinsamen Kammer und zeigte sich bei Vitus’ wenigen Besuchen jedes Mal von einer anderen Seite: Mal war sie launisch, jähzornig und angriffslustig, dann wieder sanft wie ein Kätzchen, sehnsuchtsvoll und verführerisch. Doch Vitus hatte nicht vergessen, wer sie in Wirklichkeit war, und hielt stets Abstand zu ihr – selbst wenn sie vor Wut mit den Fäusten gegen die Wände trommelte und ihre Verzweiflung hinausschrie. Er hatte dem Posten vor der Tür gesagt, die Anfälle von Mylady gehörten zu ihrer Krankheit, er solle sich ja nicht unterstehen, jemals hineinzugehen.
Dem Zwerg, der Isabella regelmäßig Speise brachte, hatte Vitus längst Abbitte geleistet. Er hatte ihm gestanden, er sei blind gewesen, blind vor Fleischeslust, und er hoffe auf seine Verschwiegenheit, und der Winzling hatte geantwortet: »Ich hab nix gespäht un nix erlauscht, Örl, bist mein tritratreuer Gack alleweil.«
Doch auch dieser 3. August sollte noch ein bewegter Tag werden, obwohl McQuarrie und Vitus, die oben auf dem Kommandantendeck standen, das noch nicht ahnten. Das Wetter hatte sich die ganze Woche von seiner ungnädigen Seite gezeigt, hatte den Männern der Camborne Wind, Sturm und Regen entgegengeschickt und ihnen an und unter Deck das Leben schwergemacht. »Mit etwas Glück wird es morgen besser, ich spüre es in meinen alten Seemannsknochen!«, rief McQuarrie durch die Regenschleier.
»Es wird auch Zeit!«, brüllte Vitus zurück. »Wenn es so bleibt, finden wir die Santa Maria nie. Glaubt Ihr, sie ist noch vor uns?«
»Kann gut sein, Sir. Langsamer als wir ist sie auf keinen Fall, und wir haben immerhin über einen Tag in Kirkcaldy verloren.«
»Das ist wahr!«
»Hauptsache, sie setzt nicht Kurs nach Dänemark oder Norwegen, dann ginge sie uns wahrscheinlich durch die Lappen, aber genau wissen wir’s nicht, Sir … He, Mister Abbot, Ihr seid in Gedanken wohl noch an Land, lasst die Hauptsegel mehr anbrassen, wir verlieren Fahrt!«
»Aye, aye, Sir!«
McQuarrie wandte sich wieder an Vitus: »Wo waren wir stehengeblieben, Sir?«
»Bei der Frage, wohin sich die Schiffe der Armada wenden werden. Ich glaube eher, sie werden zwischen den Orkneys und den Shetlands nach Westen halten und danach südlichen Kurs steuern, vorbei an den Äußeren Hebriden. Es ist der kürzeste Weg zurück nach Spanien.«
»Das glaube ich auch, Sir. Hoffentlich behalten wir beide recht!«
Eine Stunde später sollte das Rätselraten ein Ende haben, denn der Ausguck im Vormast schrie: »Wale voraus!«
»Wale?«, rief McQuarrie. »Was für Wale?«
»Schwer zu sagen, Sir. Könnte sich um Schweinswale handeln.«
»Meinetwegen! Kurs halten, da unten am Kolderstab! Wir werden ja sehen!«
Doch es zeigte sich, dass es alles andere als Wale waren, die ihnen in der lang rollenden Dünung begegneten.
Es waren die aufgedunsenen Leiber toter Pferde.
McQuarrie brüllte: »Was machen die armen Viecher denn im Wasser? Sollten doch eher auf der Weide sein!«
»Ich habe eine Vermutung!«, gab Vitus in gleicher Lautstärke zurück, denn der Wind heulte noch immer beträchtlich. »Es sind die Pferde der Seesoldaten unserer verschwundenen Armada!«
McQuarrie wischte sich das Regenwasser aus den Augen. »Mag sein! Aber statt die Viecher zu ersäufen, sollten die Dons sie lieber schlachten und fressen. Ich glaube nicht, dass ihre Vorratskammern zum Bersten voll sind. Wieso schmeißen sie die Gäule über Bord?«
»Ich weiß es nicht, McQuarrie! Vielleicht waren die Pferde krank, vielleicht sind die Kochfeuer der Dons erloschen, vielleicht musste einfach Ballast abgeworfen werden, um nicht zu sinken – in jedem Fall ist eines jetzt klar: Die Armada segelt um Schottland herum, und wir sind hinter ihr her!«
»Jawohl, Sir!«, brüllte McQuarrie. »Das sind wir!«
Später am Abend besuchte Vitus die Kranken und Verwundeten tief unten im Bauch des Schiffs, wechselte ein paar Worte mit ihnen, munterte sie auf und ging dann weiter in die Quarantänestation, wo er zu seiner Überraschung nicht nur Stonewell und Creedy, sondern auch McQuarrie antraf. Der frischgebackene Captain der Camborne unterhielt sich mit dem Decksoffizier der Moon, während Stonewell unruhig schlief und dabei rasselnd atmete. »Was macht Ihr denn hier, McQuarrie, wollt Ihr Euch den Tod holen?« Vitus’ Stimme klang härter als beabsichtigt. Aber Zugang zu der Quarantänestation hatten nur er selbst, Don Pedro und der Zwerg. Daran hatte sich auch ein Kapitän zu halten.
»Die Ruhr kann mir nichts anhaben, Sir, ich hab die Scheißerei schon so oft gehabt und lebe immer noch.«
Vitus musste sich beherrschen, um höflich zu bleiben. »Ich glaube nicht, dass Ihr den Unterschied zwischen der Ruhr und einem fieberhaften Durchfluss kennt, und ich wünsche Euch auch nicht, dass Ihr ihn kennenlernt. Habt Ihr Creedy berührt?«
»Ja, Sir, aber nur kurz. Ich habe ihm die Hand gegeben, denn wir sind uns einig, dass er, wenn er wieder gesund ist, als Maat auf diesem Schiff fährt. Gute Männer sind rar, und Creedy ist ein guter Mann, nicht, Creedy?«
Der Decksoffizier nickte nicht ohne Stolz.
Vitus wollte die Sache zu Ende bringen und sagte: »Ich muss Euch bitten, Captain McQuarrie, unverzüglich diesen Raum zu verlassen, und ich bestehe darauf, dass Ihr ihn nie wieder betretet.«
McQuarrie war es peinlich, vor Creedy so behandelt zu werden, aber er ahnte, dass Vitus recht hatte, und gab deshalb klein bei. »Jawohl, Sir.«
»Und wascht Euch draußen sofort die Hände. Reinlichkeit ist im Umgang mit der Ruhr oberstes Gebot.«
»Jawohl, Sir.« McQuarrie verschwand.
Als er draußen war, fragte Vitus: »Fühlt Ihr Euch tatsächlich so viel besser, Creedy?«
Creedy richtete sich halb auf. »Aye, Sir. Das Fieber ist seit gestern runter, und auf den Kübel muss ich auch nicht mehr so oft.«
»Das höre ich gern«, sagte Vitus. »Aber wehe, Ihr verlasst Euer Lager, bevor ich es erlaube.«
»Aye, aye, Sir. Geht klar.« Creedy, ein hagerer Mensch von nahezu sechs Fuß Länge, legte sich wieder hin. »Wann ist es denn so weit?«
»Das werden wir sehen.« Vitus nickte Creedy zu, beschloss, Stonewell nicht zu wecken, und verließ die Quarantäne-station.
Im Behandlungsraum legte er die Schwerwetterkleidung ab und streckte sich auf dem Operationstisch aus. Der Tisch war seit Tagen seine Bettstatt, deren harte Fläche er abgepolstert hatte. Wenn der Rücken sich einmal daran gewöhnt hatte, war das Lager gar nicht so schlecht, und in jedem Fall breiter und besser als eine normale Pritsche, wie sie den Kranken zugewiesen wurde.
Die See war in den Abendstunden rauher geworden, die Camborne stampfte und rollte, was bedeutete, dass er sich anschnallen musste, wollte er im Schlaf nicht herunterfallen. Es gab an zwei Seiten des Tischs jeweils zwei Gurte, die zum Festzurren der Gliedmaßen bei einer Operation dienten. Drei davon pflegte er zu nutzen: einen für das linke Bein, einen für das rechte Bein und einen für den linken Arm. Der letzte Gurt musste offen bleiben, da er die rechte Hand für das An- und Abschnallen brauchte.
Nachdem er die Prozedur hinter sich gebracht hatte, lag er auf dem Rücken und schaute nach oben. Es war eine Stellung, die er schätzte, denn die schwankenden Planken über ihm hatten etwas Beruhigendes und Einschläferndes. Die Camborne war ein sicheres Schiff, gut konstruiert und stark in den Verbänden. Es würde ihn sicher tragen, auch im Schlaf. Und mit ein wenig Glück würde es ihn zum Magister führen.
Der Magister … Was der kleine Gelehrte wohl gerade machte? Ob er Schmerzen hatte? Ob er überhaupt noch lebte? Er musste leben! Wie sinnlos dieser Krieg doch war! Dieser verfluchte Krieg, der einen Keil zwischen ihn und seinen langjährigen Gefährten getrieben hatte.
Aber er würde ihn finden. Und er würde ihn heilen, egal, wie schwer seine Verletzung war.
Und er würde heimkehren, mit ihm und dem Zwerg – und ohne Isabella.
Isabella … Sie war der größte Fehltritt seines Lebens. Er liebte sie nicht, er hatte sie nie geliebt. Es war nur Leidenschaft und Trieb gewesen, mehr nicht. Starke Gefühle zu einer charakterschwachen Frau.
»Ich liebe dich!«, sagte sie zu ihm, aber er wollte nichts davon wissen. Er schüttelte den Kopf.
»Ich liebe dich, ob es dir passt oder nicht. Du gehörst mir!«
Wieder schüttelte er den Kopf, aber diesmal griff ihm jemand in die Haare und hielt ihn fest. Er wurde wach und sah Isabella. Er kniff die Augen zusammen, aber das Bild blieb. Sie beugte sich wahrhaftig über ihn und sprach mit ihrer metallischen Stimme: »Da staunst du, was? Du hattest gedacht, du könntest mich einsperren, aber niemand kann mich einsperren, wenn ich es nicht will!«
Er wollte sich aufrichten, aber es ging nicht. Er konnte sich weder rücken noch rühren. Sie hatte seine freie rechte Hand festgeschnallt. »Mach mich los!«
Sie lachte.
»Herrgott noch mal, mach mich los!«
»Ich denke nicht daran. Du sollst sehen, wie schön es ist, wenn einem die Freiheit geraubt wird. Auf diesen Augenblick habe ich lange gewartet.« Wieder lachte sie. Es war ein hässliches, abgründiges Lachen, unverstellt und deshalb echt.
Er zwang sich, ruhig zu bleiben. »Beende dieses törichte Spiel, mach mich los, und lass uns vernünftig miteinander reden.«
»Gern, aber sag mir erst, dass du mich liebst.«
»Ich liebe dich nicht.«
»Sag es!«
»Nein!«
»Verfluchter, bockiger Hund! Du sollst es sagen!«
»Nein.« Für einen Augenblick spürte er trotz seiner Hilflosigkeit die Macht, die er über sie hatte. »Ich werde es niemals sagen. Denn es gibt nur eine Frau, die ich liebe, und das ist Lady Nina, die wahre Lady Nina, die in Greenvale Castle auf mich wartet.«
»Pah, steck sie dir in deinen culo! Sie wird tot sein, wenn wir zurückkommen. Tot, tot, tot!«
»Was sagst du da?«
»Was willst du mit der kleinen puta aus der provincia. Sie ist nichts für dich, vergiss sie. Liebst du mich?«
»Was hast du eben gesagt? Nina wäre tot, wenn ich zurückkomme? Was soll das heißen?«
»Nichts, nichts, mein Liebster. Sag, dass du mich liebst, sag es endlich!«
»Niemals!«
»Verfluchter Hund!«
Im nächsten Augenblick spürte er einen brennenden Schmerz auf seiner linken Wange. Sie hatte ihn mit aller Kraft geschlagen. Aus seinem Ärger wurde helle Wut. »Das wirst du niemals wieder machen«, knurrte er heiser. »Niemals wieder, oder …«
»Oder was?« Sie schlug ihn abermals. »Da siehst du, was ich mit denen mache, die mich nicht lieben.« Sie hielt inne, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. »Um Gottes willen, Liebster, was habe ich nur getan …?« Sie warf sich auf ihn und küsste ihn wild.
Es ging so schnell, dass er den Kopf nicht zur Seite werfen konnte.
»Liebster, Liebster! Versteh mich doch! Es tut mir so leid, ich wollte dich nicht schlagen. Es ist nur, weil ich so verzweifelt bin. Seit Tagen hältst du mich in der Kammer gefangen und behandelst mich wie eine Kranke. Nur der Zwerg, diese hässliche, bucklige Kreatur, besucht mich ab und zu und bringt mir dieses schreckliche Essen. Du und ich, wir sind doch ein Paar, du bist der Earl of Worthing, und ich bin Isabella del Pilar y Ribera, eine Nichte des siebten Herzogs von Medina Sidonia, Alonso Pérez de Guzmán El Bueno, und wir haben uns schon auf der Falcon geliebt, wir sind füreinander bestimmt!« Sie streichelte voller Zärtlichkeit die Stelle auf seiner Wange, die sie soeben geschlagen hatte. »Manchmal bist du ein ungezogener Junge, aber ich liebe dich trotzdem.«
Er wollte sie nicht wieder reizen, denn er spürte, dass sich ihr Geist in einem Ausnahmezustand befand. Deshalb fragte er: »Wie bist du an dem Wachtposten vor der Kammer vorbeigekommen?«
Sie lachte. »Ach, das war einfach. Er musste mal nach vorn in den Garten und entfernte sich.«
»Bitte mach mich los.«
»Darf ich dich küssen?«
Er wollte nein sagen, besann sich aber. Vielleicht war es besser, zuzustimmen. Wenn er erst einmal seine Bewegungsfreiheit wiedererlangt hatte, könnte er dem Spuk schnell ein Ende setzen.
Sie küsste ihn leidenschaftlich und stieß ihre Zunge in seinen Mund, wieder und wieder. »Sag, dass du mich liebst und dass ich deine Frau bin und dass du mit mir nach Greenvale Castle fährst, wo ich deine Schlossherrin sein werde.«
»Nein.«
»Nein?«
»Du hast mich richtig verstanden. Nun mach mich los, es bringt doch nichts. Du wirst diese Worte niemals von mir hören.«
»Aber du gehörst mir.«
»Ich gehöre Nina, meiner geliebten Nina.«
»Verfluchter Hund!« Wieder schlug sie ihn, aber da er den Kopf zur Seite riss, traf sie nur sein Ohr. »Du wirst mich lieben, ob du willst oder nicht!« Mit fliegenden Fingern machte sie sich an den Knöpfen seiner Hose zu schaffen.
Fassungslos beobachtete er ihr Tun. Er fühlte sich gedemütigt und entwürdigt. Er war nun endgültig überzeugt, dass der Wahn sie gepackt hatte. Wie sollte er nur aus dieser Lage herauskommen? Er überlegte, ob er schreien sollte, aber schon passierte die nächste Ungeheuerlichkeit: Sie hob ihren Rock bis zur Hüfte.
»Bitte«, sagte er heiser, »bitte nicht.«
Sie beachtete ihn nicht, sondern wollte sich breitbeinig auf ihn setzen.
»Lass das«, keuchte er. »Herrgott noch mal, lass das!«
Sie lachte nur. »Ich will …«
Ein Ausruf der Verblüffung unterbrach ihre Worte: »Ah, perdón! Ich, äh, ich wollte nicht stören.« In der Tür stand Don Pedro, der sich anschickte, den Raum sofort wieder zu verlassen.
»Bitte bleibt, Ihr stört nicht!«, rief Vitus gedankenschnell. »Ihr stört beileibe nicht! Meine Frau ist nicht ganz bei sich, müsst Ihr wissen, eine, nun ja, eine Folge des Schwarzen Erbrechens, bitte, geleitet sie wieder in ihre Kammer. Und bindet mich danach los.«
Don Pedro schluckte. Er stand vor einer nie erlebten Situation, doch er ließ sich nichts anmerken und reagierte souverän. »Natürlich, Sir, verlasst Euch auf mich.«
Isabella blickte verstört. Sie schien aus einem Rausch zu erwachen.
Don Pedro trat neben sie und bot ihr den Arm. »Ich darf bitten, Mylady.«
Der 4. August war ein Sonntag, der Tag des Herrn, und er brachte endlich wieder besseres Wetter. Schon am Morgen hatte die Sonne sich zwischen den Regenwolken der vergangenen Tage gezeigt und sie mit jeder Stunde, die der Tag älter wurde, weiter aufgelöst.
Am späten Vormittag, nach dem Gottesdienst in der alten Schlosskapelle von Greenvale Castle, wagte Hartford einen erneuten Vorstoß. Er fing seine Herrin an der großen Freitreppe ab und verbeugte sich: »Verzeiht, Mylady, aber wäre heute nicht ein wundervoller Tag, die Camborne mit seiner Lordschaft an Bord vom Kanalufer aus zu beobachten?«
Nina hatte in der Zwischenzeit ein paarmal an den Vorschlag des Dieners gedacht und fand ihn durchaus reizvoll – obwohl sich ein gemeinsamer Ausritt mit ihm eigentlich nicht schickte. »Meinst du denn, wir hätten Glück und würden die englische Flotte sehen? Manche sagen, sie stünde schon weiter östlich im Kanal.«
»Bestimmt nicht, die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist!« Hartford legte alle Überzeugungskraft in seine Worte.
»Nun, vielleicht sollten wir tatsächlich hinreiten.« Nina überlegte, ob sie Keith oder einen anderen Mann aus den Ställen bitten sollte, sie zu begleiten, entschied sich dann aber, es nicht zu tun, da Sonntag war und die Männer sich ihren Ruhetag verdient hatten.
»Ich werde alles vorbereiten, auch einen kleinen Korb mit Essbarem, wenn es Euch recht ist, Mylady!«
»Du denkst an alles, Hartford.«
»Selbstverständlich, verlasst Euch nur auf mich, Mylady.«
Nina ging ins Schloss, um ihre Reitkleidung anzulegen.
Kurz vor der Mittagsstunde ritt sie auf Telemach nach Süden, neben ihr Hartford, der sich von Keith wieder den braunen Wallach hatte geben lassen. Das Wetter war herrlich. Ein warmer Augusttag, den Nina in vollen Zügen genoss. Dazu kam die angenehme Erwartung, am Kanal einen Blick auf die Camborne werfen zu können. »Sag mal, Hartford, wie sieht die Camborne eigentlich aus? Woran kann ich sie erkennen, wenn sie vorbeikommt?«
»Äh, nun.« Auf diese Frage war Hartford nicht vorbereitet. »Das ist die Schwierigkeit, Mylady. Um ehrlich zu sein, ich weiß es auch nicht genau. Aber wir werden gewiss dem Fischer Teddy Dunn begegnen.«
»Dem aus Southwick?«
»Genau. Besagter Fischer pflegt an schönen Tagen ebenfalls den Blick von Mary’s Stool aus zu genießen. Wir werden ihn sicher treffen, und dann kann er uns die Camborne zeigen.«
»Mary’s Stool?«
»So wird der Aussichtspunkt genannt.«
Für einen Augenblick kam es Nina seltsam vor, dass ein Fischer am Sonntag zu einem Aussichtspunkt ging, um aufs Meer zu schauen, aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Sie freute sich viel zu sehr auf das Wiedersehen – auch wenn es nur sehr einseitig sein würde.
Nach einiger Zeit verspürte sie Durst, und sie fragte Hartford, ob er etwas zu trinken dabei habe.
»Oh, Mylady, selbstverständlich! Ich habe eine versiegelte Karaffe mit vorzüglichem Roten einpacken lassen. Wollen wir absitzen? Ich könnte Euch ein Gläschen einschenken!«
Das wollte Nina eigentlich nicht, denn Rotwein zur Mittagszeit, noch dazu an einem so warmen Tag, würde ihr nicht bekommen. Andererseits mochte sie nicht einfach ablehnen, da sich Hartford mit allem viel Mühe gegeben hatte, deshalb sagte sie: »Ich würde gern ein Glas trinken, aber unverdünnt ist mir der Wein zu schwer.«
Hartford schien für einen Augenblick enttäuscht, dann hellte sich sein Gesicht wieder auf. »In zwei Meilen Entfernung gibt es einen kleinen Gasthof mit Brunnen, Mylady, Hickory Inn geheißen, dort könnte ich frisches Wasser holen und den Wein verdünnen. Was haltet Ihr davon?«
Nina lächelte. Sie musste zugeben, dass Hartford doch kein so schlechter Begleiter war, wie sie befürchtet hatte, im Gegenteil: Wenn er seinen Hochmut hinter einem Lächeln verbarg, konnte er sogar recht sympathisch sein.
Der Gasthof, den sie bald darauf erreichten, lag unter der schattenspendenden Krone eines prächtigen Hickorybaums, den der erste Besitzer, der ein Seefahrer gewesen war, als unscheinbare Nuss aus dem Osten Amerikas mitgebracht hatte. Hartford und Nina saßen ab, und Nina trat ins Haus, wo sie allerdings niemanden antraf. Vielleicht waren der Wirt und seine Frau noch nicht vom Kirchgang zurück. Deshalb kehrte sie um und setzte sich auf eine Bank unter den Baum, während Hartford sich am Ziehbrunnen hinter dem Haus zu schaffen machte. Es lag lange zurück, dass er Wasser aus einem Brunnen holen musste, deshalb dauerte es etwas länger, und als er endlich den Eimer mit dem kühlen Nass heraufgezogen hatte, spürte er ein menschliches Regen.
Er blickte sich um und entdeckte in einiger Entfernung ein Häuschen, das so aussah, als könne es seinem Bedürfnis dienlich sein. Er nahm den Eimer mit aufs Häuschen und erleichterte sich. Und während er sich erleichterte, hörte er plötzlich ein Wiehern. Das war nichts Ungewöhnliches, schließlich waren die Herrin und er mit Pferden gekommen, aber dieses Wiehern klang anders, als das seines Braunen und auch anders, als das von Telemach.
Nun, das musste nichts bedeuten. Vielleicht hatte er sich auch geirrt. Er verstand nicht viel von Pferden.
Er beendete sein Geschäft, verließ das Häuschen und hörte erneut das Wiehern.
Nun war er doch neugierig geworden. Er hatte bemerkt, dass die Tierlaute aus einer Ansammlung von hohen Sträuchern kamen, die hinter dem Ort der Bedürfnisse lag. Den Eimer in der Hand, ging er zu den Sträuchern, umrundete sie – und hielt verdutzt inne.
Wenn seine Augen ihn nicht täuschten, stand da Nella, die freche Göre, und mit ihr ein Pony, auf das sie beschwörend einsprach.
Ganz offenbar war sie ihm und der Herrin gefolgt – und ganz offenbar wollte sie nicht, dass man sie sah. So ein kleines Biest! Bei dem, was er vorhatte, konnte er keine neugierigen Kinderaugen gebrauchen.
Was sollte er tun? Sollte er auf sie zugehen und ihr befehlen, zurückzureiten? Während er den Gedanken abwog, sah er, wie das Kind ihr Pony an einen starken Zweig band und suchend um sich blickte. Sie prüfte, ob jemand sie beobachtete. Ja, du kleines Biest, dachte Hartford, ich sehe dich, aber du siehst mich nicht, weil ich mich versteckt habe. Was hast du vor? Ah, ich sehe, du bist auch nur ein Mensch und musst mal. Mögest du in dem Häuschen an meinem Mief ersticken! Aber Moment mal, da kommt mir eine fabelhafte Idee …
Hartford wartete, bis Nella die Tür hinter sich geschlossen hatte, und hielt Ausschau nach etwas, das er als Keil benutzen konnte. Er fand es in Form eines toten Asts des Hickorybaums, der ganz in seiner Nähe lag. Er hob ihn auf, schlich sich zu dem Häuschen und schob ihn geräuschlos in den unteren Türspalt. Sein Herz jubelte. Nun saß die freche Göre in der Falle – und würde ihm nicht mehr in die Quere kommen.
Er ging mit dem Eimer zurück zu Nina und sah, dass seine Herrin eingeschlafen war. Er weckte sie vorsichtig, indem er sich räusperte. Sie schlug die Augen auf und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie war. Dann fragte sie: »Warum hat das so lange gedauert, Hartford?«
Hartford überlegte blitzschnell und erkannte, dass in diesem Fall die Wahrheit die beste Antwort sein würde. Er tat verlegen und sagte: »Nun, Mylady, Mrs.Melrose brachte gestern Abend eingelegtes Kraut auf den Tisch, und dem habe ich wohl ein wenig zu sehr zugesprochen …«
Nina lachte und wurde dann ernst. »Ich verstehe. Wird das, äh, noch einmal vorkommen? Ich meine, wäre es nicht besser, den Ausritt abzubrechen und zum Schloss zurückzureiten?«
»Aber nein, Mylady!« In Hartfords Gesicht stand ehrlicher Schrecken. »Gewiss nicht.« Er bot ihr einen Becher mit verdünntem Wein an und beobachtete sie, wie sie mit kleinen Schlucken trank. »Wohl bekomm’s, Mylady«, sagte er und dachte: Es wird der letzte Wein deines Lebens sein.
Als Nina getrunken hatte, sagte sie: »Am liebsten würde ich noch sitzen bleiben, es ist so lauschig hier, aber ich fürchte, wir kämen dann zu spät zurück.«
»Das fürchte ich auch, Mylady.« Hartford dachte an Nella, das kleine Biest, und sagte: »Wenn es euch recht ist, reiten wir weiter.«
Als sie aufgesessen waren und das Gelände verließen, hielt Nina plötzlich Telemach an. »Warte mal, Hartford. Mir ist, als hätte ich plötzlich wütendes Kinderschreien gehört. Wo mag das herkommen? Im Gasthof schien niemand zu sein.«
»Ich höre es auch«, sagte Hartford. »Ich kann es mir nicht erklären. Oder halt: Hinter dem Haus ist sehr hohes Gesträuch, wie ihr seht, und dahinter wiederum werden Schweine gehalten. Vielleicht waren es ein paar quiekende Ferkel?«
»Das mag sein«, sagte Nina und schnalzte mit der Zunge. Telemach setzte sich brav in Bewegung.
Erst war Nella wütend, dann hatte sie Angst, sie würde ihr Lebtag nicht wieder aus dem Häuschen kommen, und dann war sie wieder wütend. Sie untersuchte die Tür, die sich so hartnäckig gegen alle Öffnungsversuche stemmte, und fand schließlich heraus, dass sie von einem Ast verkeilt wurde. Das war nicht von selbst so gekommen! Das hatte jemand mit Absicht gemacht! Aber wer?
Wenn sie es recht bedachte, kam dafür nur Hartford in Frage. »Hartford, du fieser Schomser!«, rief sie und musste kurz an ihren lieben Altlatz denken, der bei Onkel Vitus auf dem Lazarettschiff war und der den fiesen Hartford auch immer Schomser nannte. Dann wandte sie sich wieder dem Ast zu, der unten im Türspalt steckte, und versuchte, ihn von innen wegzudrücken. Natürlich klappte es nicht, und fast wären ihr deshalb die Tränen gekommen. Aber Tränen halfen nicht weiter. Sie musste hinter Hartford und Tante Nina herreiten, denn bestimmt hatte Hartford, dieser Schomser, mit der Tante etwas Böses vor. Eigentlich hatte sie der Tante auch sagen wollen, dass Hartford nichts Gutes mit dem Ausritt im Sinn hatte, weil er schlecht war, schlechter als jeder Hühnerdieb, aber dann hatte sie doch nichts gesagt, weil sie sicher war, dass die Tante ihr nicht glauben würde. Ihr war nichts anderes übriggeblieben, als die Dinge abzuwarten und den beiden zu folgen.
Aber nun konnte sie das nicht mehr, weil sie hier nicht rauskam. Verflixt und zugenäht! Wieso war niemand in dem Gasthof?
Nella formte die Hände zu einem Trichter, weil sie das schon einmal bei Keith gesehen hatte, als dieser besonders laut rufen wollte, und brüllte: »Hilfeee! Holt mich hier raus, Hilfeee!«
»Nanu, was ist denn da los?« Eine Stimme näherte sich. »Da sitzt doch jemand im Donnerhäuschen und kommt nicht raus? Das haben wir gleich!«
Nella hörte Scharren und Ächzen, und dann verschwand der Ast mit einem Ruck. Die Tür schwang auf, vor ihr stand ein kleiner, dicker, rotgesichtiger Mann. »Da hat sich wohl einer einen Spaß mit dir gemacht«, sagte er. »Wer könnte das gewesen sein?«
»Weiß nicht«, antwortete Nella.
»Wie heißt du denn?«
»Nella.«
»Und wo kommst du her?«
»Von Greenvale Castle. Ich bin mit Shorty ausgeritten.«
»Shorty, wer ist Shorty?«
»Mein Pony.«
»Ach so.« Der kleine, dicke, rotgesichtige Mann drohte halb scherzhaft mit dem Finger. »Ich hoffe, deine Mutter weiß, dass du allein unterwegs bist. Ich bin Stevens, der Wirt. Hast du Hunger? Bestimmt hast du Hunger. Wer allein auf einem Pony durch West-Sussex reitet, muss Hunger haben. Meine Frau hat einen Kuchen gebacken, wenn du willst, kannst du ein Stück kriegen.«
Das fand Nella nett, denn sie mochte Kuchen sehr, aber noch wichtiger war, dass sie weiterkam, sonst würde der Vorsprung von Hartford, dem Schomser, zu groß werden. »Vielen Dank«, sagte sie deshalb und deutete einen Knicks an, »aber ich hab keine Zeit, ich muss zurück nach Hause.«
»Dacht ich mir’s doch.« Stevens lachte gutmütig. »Dann reite mal los. Ich sag immer, reisende Leute soll man nicht aufhalten.«
Nella lief zu Shorty, band ihn los und saß auf. Sie wollte sich schon an die Verfolgung machen, da fiel ihr ein, dass sie zunächst so tun musste, als müsse sie nach Greenvale Castle zurück. Also ritt sie Richtung Schloss und winkte Stevens zu, der ihr hinterherblickte.
Sie ritt ein paar hundert Schritte, bis Stevens sie nicht mehr sehen konnte, wendete dann und machte einen großen Bogen um das Hickory Inn. Zum Glück gab es in diesem Gebiet nur einen Weg, der nach Süden führte, so dass sie sicher sein konnte, den Schomser und Tante Nina einzuholen, wenn sie nur schnell genug war.
»Hü, Shorty, hü!«, rief sie, und der kleine Shetlandhengst fiel für kurze Zeit in Galopp. Danach nahm Nella die Zügel etwas kürzer, denn sie wusste nicht, wie weit sie noch reiten musste, und sie wollte Shorty schonen. Aber mit seinen kleinen trippelnden Schritten lief Shorty immer noch schnell, und Nella stellte sich im Sattel auf, um einen besseren Blick nach vorn zu haben. Da! Fast hätte sie aufgeschrien vor Freude. Da vorn waren die beiden ja!
Sie nahm sich vor, nicht zu nah heranzureiten, um nicht noch einmal entdeckt zu werden. Am besten, sie würde immer eine Wegbiegung zwischen sich und den beiden lassen. Die Gefahr, sie zu verlieren, musste dabei in Kauf genommen werden. Anders ging es nicht.
Nach einer Weile kam eine lange, gerade Strecke, und Nella musste abwarten, bis der Schomser und Tante Nina sie bewältigt hatten, bevor sie aus ihrer Deckung heraus weiterreiten konnte. Während sie wartete, kam ihr ein Gedanke, der sie beunruhigte. Was sollte sie machen, wenn der Schomser der Tante etwas Böses tat? Sie spürte, dass er etwas im Schilde führte. Aber was? Sie nahm sich vor, in jedem Fall ganz laut zu schreien, wenn es so weit war. Dann würde bestimmt jemand kommen und der Tante helfen. Und die Tante würde den Schomser endlich durchschauen und ihn vom Schloss jagen.
Der Gedanke gefiel Nella sehr.
Zur gleichen Zeit befand sich die Camborne viele hundert Meilen im Norden zwischen den Orkney-Inseln und den Shetland-Inseln. Sie hielt stetig westlichen Kurs und kreuzte, nachdem das Wetter sich für kurze Zeit gebessert hatte, in eine neue Schlechtwetterfront hinein.
Alles, was an Deck nicht niet- und nagelfest war, wurde sturmsicher verzurrt, und auch ganz unten im Schiff, wo die Kranken in verschiedenen Kammern neben der Quarantänestation und dem Behandlungsraum lagen, waren herumliegende Gerätschaften weggesperrt worden. Vitus saß mit dem Buch De morbis auf einem festverschraubten Stuhl und las darin, als Don Pedro eintrat. Es war das erste Mal, dass sie sich nach dem peinlichen Zwischenfall mit Isabella begegneten.
»Verzeihung«, sagte Don Pedro, »ich wollte Euch nicht stören. Ich will nur rasch die Verbände kontrollieren. Der Mann mit dem offenen Armbruch hat gottlob keine Wundfäule bekommen.«
Vitus legte das Buch zur Seite. »Ihr stört nicht, Don Pedro. Im Gegenteil, es ist gut, dass Ihr da seid, so kann ich mich noch einmal für Eure Hilfe bei dem gestrigen, äh, Vorfall bedanken.«
Don Pedro winkte ab. »Ich habe gern geholfen.«
Vitus musste daran denken, mit wie viel Takt der Spanier vorgegangen war, nicht nur, dass er Isabella, ohne lange zu fragen, in ihre Kammer geleitet hatte, er hatte ihn auch, ohne mit der Wimper zu zucken, aus seiner beschämenden Lage befreit. »Ich denke, ich bin Euch eine Erklärung für das Verhalten meiner, äh, Frau schuldig. Ich weiß, dass Ihr es nicht für nötig halten werdet, aber ich möchte trotzdem darüber sprechen. Ihr müsst wissen, dass sie eine lange Leidenszeit auf der Falcon hinter sich hat …«
Vitus erzählte ausführlich von den Heimsuchungen und den Demütigungen, die Isabella viele Monate lang hatte erdulden müssen, und wollte auch erwähnen, dass sie für Spanien spioniert hatte, doch dann unterließ er es. Es schien ihm nicht zum Thema zu passen.
»Jeder Mensch hat sein Schicksal«, sagte Don Pedro ernst. »Meistens kennen wir es nicht, deshalb ist es falsch, vorschnell zu urteilen.«
»Das sehe ich genauso.« Vitus zögerte, dann sagte er den Satz, den er eigentlich nicht sagen wollte: »Isabella ist nicht meine Frau.« Es verschaffte ihm eine gewisse Erleichterung, das festgestellt zu haben, denn es machte den Auftritt Isabellas für ihn weniger peinlich.
»Etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht.«
»Meine richtige Frau heißt Nina, sie ist ebenfalls Spanierin. Sie ist die Mutter meiner drei Kinder. Ich liebe sie über alles.«
Don Pedro nickte. Als er merkte, dass Vitus nicht weitersprechen wollte, räusperte er sich und sagte: »Meine Frau ist tot. Sie starb vor drei Jahren an Brustfraß. Ich habe viele Messen in der Kathedrale von Cádiz lesen lassen und den Allmächtigen immer wieder angefleht, er möge Fernanda von der Krankheit befreien und die Geschwüre in meinen Körper verpflanzen, aber meine Gebete wurden nicht erhört. Seitdem bin ich Witwer.«
»Ich weiß, was Ihr durchlitten habt. Auch ich habe einmal eine Frau verloren. Sie hieß Arlette, und sie starb den Schwarzen Tod. Ich habe Gott seinerzeit ebenfalls den Tausch angeboten, viele, viele Male, aber er ließ sich nicht darauf ein.«
»Die Wege des Allmächtigen sind unergründlich.«
Beide Männer schwiegen und hingen ihren Erinnerungen nach.
Dann stand Vitus auf und holte zwei Gläser, die er mit Brandy füllte. Eines davon gab er Don Pedro und sagte: »Mein bester Freund ist Spanier, er heißt Ramiro García und befindet sich verletzt auf der Santa Maria de Visón, der wir auf den Fersen sind, weil ich ihn unbedingt behandeln will. Warum sollte ich nicht einen zweiten spanischen Freund haben?«
»Ja, warum nicht«, sagte Don Pedro.
Sie blickten einander an und hoben die Gläser.
»Salud, Pedro.«
»Cheers, Vitus.«
McQuarrie stand seit Stunden auf dem Kommandantendeck. Er hatte Hunger und Durst, und er sehnte sich nach seiner Koje, aber in diesem Augenblick rief der Ausguck im Fockmast: »Schiffe! Spanische Schiffe voraus!«
»Wie viele?«, brüllte McQuarrie.
»Drei, Sir!«
»Gut! He, Mister Abbot, der Mann am Kolderstab soll weiter Kurs halten! Und lasst die Marse setzen, wir wollen näher ran!«
»Aye, aye, Sir!«
»He, Läufer!«
»Sir?«
»Meine Empfehlung an den Cirurgicus, wir hätten drei Schiffe der Dons gesichtet. Sag ihm, er sei auf dem Kommandantendeck willkommen. Los, schwing die Hacken!«
»Aye, aye, Sir!«
Während McQuarrie Befehl auf Befehl brüllte und die Camborne für alle Fälle gefechtsbereit machen ließ, erschien Vitus an seiner Seite, grüßte kurz und spähte nach vorn. Gleiches tat Don Pedro, der mitgekommen war, obwohl er keine ausdrückliche Einladung erhalten hatte.
Die Schlechtwetterfront war näher gerückt, die hellen Rahsegel der Spanier hoben sich deutlich vor den dunklen Wolken des Horizonts ab. Die Camborne, die wie die Falcon zu der neuen Klasse der von dem genialen Matthew Baker entwickelten Race ships gehörte, schloss rasch auf. Vitus schirmte die Augen gegen den Nieselregen ab und spähte angestrengt nach vorn. »Ich glaube, sie ist es!«, rief er.
»Was meint Ihr, Sir?«, brüllte McQuarrie zurück.
»Wir haben sie! Ich glaube, wir haben die Santa Maria de Visón entdeckt, sie kreuzt in der Mitte der drei Spanier, ich erkenne sie am Heck, wo sie das Kreuz Sant Jago de Compostela trägt.«
»Ja, sie ist es«, pflichtete Don Pedro bei. »Die beiden anderen Schiffe erkenne ich nicht, aber sie gehören ebenfalls dem Levante-Geschwader an.«
»Und alle drei scheinen etwas gegen uns zu haben, denn sie öffnen ihre Geschützpforten und zeigen uns die Zähne«, ergänzte McQuarrie grimmig. »Don Pedro, es wird nicht mehr lange dauern, und uns fliegt Eisen um die Ohren. Wenn Ihr unter Deck gehen wollt, wird Euch das niemand verübeln.«
»Ich bleibe!«, rief Don Pedro und zog seine Schwerwetterjacke fester um die Schultern.
Die drei spanischen Schiffe hatten unterdessen Tuch weggenommen und standen fast querab zu der aufschließenden Camborne – ein überraschendes Manöver, durch das sie ihren englischen Gegner in die Zange nehmen konnten. Ganz so, wie es der Santa Maria fünf Tage zuvor ergangen war.
»Wir werden sie auf Abstand halten«, brüllte McQuarrie, und wenn es ihrer zehn wären!«
»Kampfsicheln an die Rahnocken, Sir?«, fragte Abbot, der triefnass das Kommandantendeck erklommen hatte.
»Nein! Doppelte Besetzung der Drehbassen, wir wollen uns die Dons vom Leibe halten. Und lasst Scharfschützen in den Masten postieren, die Dons tun es auch, und sie zielen verdammt gut, wie unser guter Captain Steel am eigenen Leib erfahren musste.«
»Aye, aye, Sir!« Abbot wollte abdrehen und die Befehle ausführen, wurde aber von McQuarrie daran gehindert. »Mister Abbot!«
»Sir?«
»Ihr lasst backbord- und steuerbordseitig nach freiem Ermessen feuern« – McQuarrie zog Abbot nah an sich heran, damit die anderen ihn nicht hören konnten – »und gib’s ihnen feste, Bruder.«
»Aye, aye, Bruder«, gab Abbot ebenso leise zurück und eilte grinsend davon.
Alsbald setzte das ohrenbetäubende Donnern der Kanonen ein, das dumpfe der großkalibrigen spanischen Geschütze und das hellere der englischen Culverines. Den Vorteil der englischen Feldschlangen, die auf beweglichen vierrädrigen Lafetten ruhten und nicht zuletzt deshalb eine schnellere Schussfolge ermöglichten, glichen die Spanier durch ihre Überzahl aus. Trotz der Treffer, die Abbot und seine Männer erzielten, näherten sie sich mehr und mehr. Da die Camborne eingekreist war, konnte sie immer schwerer Abstand halten, obwohl mittlerweile ihre acht Drehbassen in den Kampf eingegriffen hatten und Feuer und Eisen aus allen Mündungen spien. Auch die Musketenschützen der Camborne hielten sich tapfer, denn ihre Vorderlader hatten die größere Reichweite und die stärkere Durchschlagskraft.
Nach einiger Zeit wurden die Kanonenschüsse der Spanier seltener, und auch die Camborne feuerte weniger, was auf beiden Seiten denselben Grund hatte: der Mangel an Munition. Doch umso heftiger war hüben und drüben das Bemühen der Scharfschützen, dem Gegner Verluste beizubringen. An die zehn Mann auf der Camborne waren schon getroffen, und das Geknatter der Arkebusen hörte noch immer nicht auf. »Mister Abbot!«, brüllte McQuarrie, »Hartruder, alles, was Hände hat, an die Brassen! Wir müssen durchbrechen, sonst haben die Dons uns am Kragen! Auf Biegen oder Brechen!«
Die Camborne legte sich bedrohlich auf die Seite, als sie durch den Wind ging, kam wieder hoch und gewann auf dem neuen Kurs langsam Fahrt. Der Kanonendonner war auf beiden Seiten verstummt, die rußschweren Pulverwolken wurden vom Wind schnell zerstreut. Die Schlechtwetterfront hatte Freund und Feind endgültig in ihre Fänge genommen. Selbst der üppigste Vorrat an Munition hätte keinem der Kontrahenten mehr genützt; die See ging einfach zu hoch und machte ein weiteres Gefecht unmöglich.
Nur die Arkebusiere der Spanier gaben noch keine Ruhe, während die Camborne ihr halsbrecherisches Manöver beendete und der Einkreisung mit viel Glück entrann. Ein paar Kugeln pfiffen noch über ihre Decks, und Vitus sah, wie Chock in der Nähe des Kreuzmasts getroffen wurde, gleichzeitig nahm er einen von hinten heraneilenden Schatten wahr, hörte einen weiteren Schuss und kurz danach ein Aufstöhnen. Er drehte sich um und erkannte zu seinem Entsetzen Isabella. Auch McQuarrie und Don Pedro starrten die Spanierin an, die in rubinroter Abendrobe und makellos geschminkt erschienen war. Nur ihr Blick passte nicht zu ihrer vollendeten Staffage; er war starr und ausdruckslos, während sie kraftlos auf die Knie fiel, für den Bruchteil eines Augenblicks in dieser Position verharrte und dann mit dem Oberkörper auf die Planken schlug. Ihre Perücke löste sich und flog im Sturmwind davon.
Vitus sprang hinzu und drehte Isabellas Kopf zu sich, um sie anzusprechen, aber er sah, dass sie bewusstlos war. Ihre Augen waren halb geschlossen, ihre Lider zitterten wie die Flügel eines Schmetterlings. Eine Kugel hatte ihr Gesicht durchschlagen. Das Geschoss war rechts oberhalb des Auges in die Schläfe gedrungen und links unterhalb des Jochbeins ausgetreten.
»Isabella, hörst du mich?« Er rüttelte sie. »Isabella, kannst du mich hören?«
Sie reagierte nicht.
Fassungslos hob er sie hoch und trug sie mit Mühe über das schwankende Deck in ihre Kammer.
Nella tat der Po weh. Noch nie hatte sie so lange im Sattel gesessen. Aber es musste sein, denn vor ihr waren noch immer der Schomser und Tante Nina, die sich offenbar lebhaft unterhielten. Hoffentlich waren sie bald da!
Nella ritt wieder ein Stück näher an sie heran, denn der Weg führte beide in diesem Augenblick um einen Felsen herum, wodurch sie aus dem Blickfeld verschwanden. Dafür erschien ein alter, buckliger Mann hinter dem Felsen, der einen Beutel in der Hand trug. Als er heran war, sprach er Nella krächzend an: »Na, mein Kind, wohin des Wegs?«
Eigentlich wollte Nella ihm nicht antworten, denn er hatte sie »Kind« genannt und außerdem hatte sie keine Zeit, aber sie mochte nicht unhöflich sein, und deshalb sagte sie: »Ich will an die Küste.«
»Was …?«
»Ich will an die Küste!«
Der Alte lachte meckernd. »Da wollen wohl alle heute hin! Der Herr eben auch, dabei hab ich ihm doch neulich schon den Weg zu Mary’s Stool gezeigt.«
Weil Nella nichts Falsches sagen wollte, schwieg sie dazu lieber.
»Mary’s Stool ist der Platz, wo man schön auf den Kanal gucken kann.«
»Ist das noch weit?«, fragte Nella.
»Was sagst du, mein Kind?«
»Ob das noch weit ist!«
»Schrei doch nicht so, ich bin ja nicht taub. Nee, nee, weit ist’s nicht. Hinter dem Felsen noch zweihundert Yards, immer dicht an der Steilküste lang, dann bist du da.«
Nella wollte losreiten, aber der Alte hielt sie zurück: »Du hast nicht zufällig ’nen Penny für ein schönes Stück Bernstein übrig? Ist auch ’ne Fliege drin in dem Bernstein, guck mal.« Er holte aus seinem Beutel einen kleinen Brocken hervor und hielt ihn Nella hin.
Nella beugte sich vor und sah tatsächlich ein Insekt in dem goldgelben Stück. »Das ist hübsch«, sagte sie, obwohl sie Fliegen eigentlich nicht mochte. »Aber ich hab keinen Penny, ich hab überhaupt kein Geld.«
»Sagtest du, du hast kein Geld?« Der Alte schniefte. »Na, dann nimmst du den Brocken eben so. Mach’s gut, Kind, und bete mal für den alten Hank.«
Nella versprach es und ritt hastig weiter. Als sie den Felsen erreichte, rief sie: »Brrr, Shorty!«, und der kleine Shetlandhengst blieb brav stehen. Sie saß ab, denn sie hatte das Gefühl, dass sie jetzt besonders vorsichtig sein musste, und reckte ihren Kopf nur so weit über die Felskante, dass sie etwas sehen konnte.
Und was sie sah, war schön.
Schon von ihrer Stelle aus hatte man einen wunderbaren Blick über den Kanal, der an diesem Tag tiefblau schimmerte und kaum Wellen aufwies. Leider waren weit und breit keine Schiffe zu sehen, aber das überraschte Nella nicht. Der Schomser hatte Tante Nina einen Blick auf das Schiff von Onkel Vitus und ihrem lieben Altlatz versprochen, und natürlich hatte er gelogen.
Wie es schien, dachte auch Tante Nina das, denn sie redete auf den Schomser ein und zeigte dann auf das Wasser und dann wieder auf den Schomser, und der Schomser brachte seinen Braunen ganz dicht an Telemach heran und schlug ihm auf einmal mit aller Kraft auf die Hinterhand, und Telemach stieg steil in die Luft und machte einen Satz nach vorn und war verschwunden.
Und Tante Nina auch.
Nella konnte nicht glauben, was sich da vor ihren Augen abspielte. Erst als sie zwei- oder dreimal hingeschaut hatte und ihre Tante noch immer nicht wieder auftauchte, wurde ihr klar, dass sie mit Telemach die Steilküste hinuntergestürzt war.
Nella begann bitterlich zu weinen.