82

Immer wieder klingelte Lennons Telefon, und immer war die Nummer unterdrückt. Er ließ es klingeln und fuhr weiter. Uferdämme und Brücken huschten vorbei. Würde Hewitt auspacken? Würde er von seinen Vorgesetzten verlangen, dass sie Lennon und diesen irren Gerry Fegan schnappten? Oder, dass das Loch in seinem Bein aus Lennons Dienstwaffe stammte? Oder würde er aus Angst davor, was Lennon über ihn wusste, den Mund halten? Wie auch immer, darauf konnte sich Lennon jedenfalls nicht verlassen. Falls Hewitt tatsächlich quatschte, würden Straßensperren errichtet werden, während er noch unterwegs war. Vielleicht waren ja sogar schon hier, jenseits der Grenze, die Gardai alarmiert und suchten nach ihnen. Dann war alles verloren. Er musste weiter und sehen, dass er ankam, bevor jemand Gelegenheit hatte, ihn zu finden.

Fegan saß schweigend neben Lennon, der Körper starr, die Hände auf den Knien. Der Atem des Killers ging ruhig und regelmäßig, auf seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Nervosität.

»Wie können Sie eigentlich damit leben?«, fragte Lennon. »Solche Leute wie Sie. Leute wie dieses Tier, das ich am Krankenhaus festgenommen habe. Wie könnt ihr noch in den Spiegel schauen? Wie kommt ihr mit euch selbst zurecht, wenn ihr allein seid?«

Fegan schaute durch das Seitenfenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Falls Lennons Worte irgendetwas in ihm auslösten, zeigte sich auf seinem Gesicht davon jedenfalls nichts.

»Ich denke immer an das, was ich getan habe, die Dinge, für die ich mich schäme. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken. Wie halten Sie es nur aus, zu …«

»Hören Sie auf damit«, sagte Fegan.

»Wie können Sie …«

»Hören Sie auf«, sagte Fegan. Seine Stimme war hart wie eine Faust. Er wandte den Blick vom Fenster ab und sah Lennon an.

Lennon schluckte seine Vorwürfe hinunter und blickte starr auf die Straße vor sich. Schweigend fuhren sie weiter. Vor ihnen erstreckte sich die Autobahn in den grauen Morgen.

Mit beruhigender Stimme wies ihnen das Navigationsgerät des Audis den Weg. Eine Frauenstimme, so kultiviert und ruhig, als wäre die Welt immer noch in den Angeln. Bislang hatte Lennon schon zweimal am Straßenrand anhalten müssen, um sich zu übergeben. Die Angst war ihm auf den Magen geschlagen. Während ihm die Nasenlöcher und die Kehle brannten, hatte Fegan ihm aus kalten Augen ungerührt zugesehen, was ihn selbst nur noch mehr aussehen ließ wie ein Weichei.

Der Tacho zeigte 140 km/h, als sie die letzte Ausfahrt nördlich von Boyne erreichten. Die körperlose Stimme des Navigationsgeräts wies Lennon an, hier in Richtung Torrans House abzufahren. Ein Sanatorium, ein Ort, wo alte Menschen ihre gebrochenen Hüftgelenke auskurieren konnten. Ein Ort, wo Bull O’Kane seine zerfetzten Weichteile und sein ruiniertes Knie pflegen konnte, Verletzungen, die ihm von Lennons Beifahrer zugefügt worden waren. Auch der andere Mann würde dort sein, der aus dem Süden. Er hörte sich an wie ein Zigeuner, aber Lennon glaubte nicht, dass er wirklich einer war. Zwei Monster unter einem Dach, die das einzige Gute gefangen hielten, was er jemals in dieser Welt zustande gebracht hatte.

Und nun beförderte Lennon noch ein drittes Monster an diesen Ort. Diese Vorstellung allein löste in ihm schon wieder einen Brechreiz aus, aber er unterdrückte ihn und nahm die Abfahrt.

Ohne nennenswert abzubremsen, fuhr er auf den Kreisel zu. Als er in den frühmorgendlichen Verkehr hineinraste, blitzten Scheinwerfer auf, Reifen quietschten, und Hupen ertönten. Fast wären er und Fegan geendet wie zwei Motten auf einer Windschutzscheibe.

Gerry Fegan Bd. 2 - Blutige Fehde
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