81

Im ehemaligen Dienstbotentrakt roch es nach Feuchtigkeit und Mäusen. Wie kalte Finger griff das Licht durch das schmutzige Fenster nach der abblätternden Tapete und den alten Möbeln. Marie McKenna lag auf dem Bett, ihre Augenlider flatterten, ihr Atem ging unregelmäßig und rasselnd. Ellen umklammerte die Hand ihrer Mutter.

Orla O’Kane setzte sich neben den beiden auf die Bettkante. Sie streckte die Hand aus und wollte Ellen über die Wange streicheln, aber das kleine Mädchen drehte sich weg. Orla faltete die Hände im Schoß.

»Lass doch deine Mummy mal ein kleines bisschen schlafen«, sagte sie. »Ich bin sicher, unten gibt es leckere Sachen zu essen. Vielleicht sogar Eis. Komm mal mit, und dann gucken wir, was wir finden.«

Ellen schüttelte den Kopf und zog den Arm ihrer Mutter um sich, als sei sie eine Puppe.

»Warum denn nicht?«, fragte Orla.

»Ich will nicht.«

»Na gut.« Orla musterte die blasse Haut und die blauen Augen des Kindes. »Du bist ja wirklich ein hübsches Mädchen.«

Ellen verbarg ihr Gesicht in der Armbeuge ihrer Mutter.

Orla beugte sich vor und flüsterte: »Was ist denn los? Bist du mir gegenüber etwa schüchtern?«

Ellen linste hinter dem Arm hervor. »Nein.«

»Was denn dann?«

Der starre Blick des Kindes legte sich auf etwas hinter Orlas Schulter, und ihre Augen verdunkelten sich wie ein wolkenverhangener Sommerhimmel. Orla wandte sich um, sah aber nichts als Schatten. Als sie wieder zu Ellen hinabsah, war das Blau aus ihren Augen verschwunden und hatte nur noch ein leeres Grau zurückgelassen.

»Gerry kommt«, sagte das Kind.

Orla setzte sich auf. »Tatsächlich?«

Ellen nickte.

»Und weshalb kommt er?«

»Er holt mich und Mummy ab.«

Orla stand auf und glättete ihr Jackett über dem Bauch und den Hüften. »Verstehe«, sagte sie. »Dann schläfst du wohl besser mal.«

Als Orla schon zur Tür ging, setzte sich Ellen auf und rief ihr hinterher: »Du solltest weglaufen.«

Orla verharrte mit der Hand an der Türklinke. »Ich bin eine O’Kane, Schätzchen. Wir laufen vor niemandem weg.«

Ellen legte sich wieder hin, schmiegte ihren Kopf an die Brust ihrer Mutter und drehte sich von dem milchigen Licht des Zimmers weg.

»Vor niemandem«, wiederholte Orla zum Rücken des Kindes.

Sie verließ das Zimmer, schloss hinter sich die Tür ab und ging hinunter in den ersten Stock. Dort fand sie den Nomaden, er lehnte an einem Geländer, von dem aus man die große Eingangshalle im Blick hatte. Mit einem verschlagenen Grinsen im Gesicht beobachtete er sie. Sein geschwollenes rotes Augenlid zuckte, als zwinkere er ihr zu.

»Was gucken Sie so?«, fragte Orla.

»Ich gucke Sie an«, antwortete er. »Haben Sie das kleine Mädchen besucht?«

»Ich habe nur nachgesehen, ob alles in Ordnung ist.«

»Was halten Sie von ihr?«

Orla zuckte die Achseln. »Sie ist ein mutiges Kind.«

»Aber irgendetwas stimmt mit ihr nicht«, sagte der Nomade. »Es ist beinahe, als ob sie durch einen hindurchschauen würde. Als wüsste sie etwas.«

»Was reden Sie da für einen Blödsinn?«, sagte Orla. Sie ließ ihn stehen und marschierte zum Zimmer ihres Vaters.

»Tue ich das?«, rief er ihr hinterher. »Sie sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Was hat sie zu Ihnen gesagt?«

Orla blieb stehen und drehte sich auf den Hacken um. »Sie hat gesagt, dass Gerry Fegan kommt.«

»Na, dann sollten wir uns wohl mal auf ihn vorbereiten«, rief der Nomade.

Gerry Fegan Bd. 2 - Blutige Fehde
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